Die japanische Politik steht vor ihrer vielleicht größten Veränderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Planungen, die seit exakt 60 Jahren bestehende und bisher in ihrem Text unveränderte Nachkriegsverfassung zu revidieren, intensivieren sich. Speziell der Artikel 9 steht im Fokus der Diskussion. Dieser Artikel lautet:
Artikel 9 der japanischen Verfassung:
(1) In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und die Androhung oder Ausübung von militärischer Gewalt als ein Mittel zur Regelung internationaler Streitigkeiten.
(2) Zur Erreichung dieser Zwecke des Absatzes 1 werden Land-, See-, und Luftstreitkräfte sowie andere Kriegsmittel nicht unterhalten.
Ein Kriegführungsrecht des Staates wird nicht anerkannt.
Er wird wegen seiner Bestimmungen in Bezug auf den Verzicht auf Militär und Kriegsmittel sowie auf das Kriegsführungsrecht Japans auch als „Friedensartikel“ bezeichnet. Allerdings empfinden viele japanische Politiker die Politik ihres Landes aufgrund der Beschränkungen, die durch diesen Artikel festgelegt werden, gegenüber anderen Staaten als „unnormal“. Tatsächlich ist Japan, neben Costa Rica, theoretisch der einzige Staat, der freiwillig durch seine Verfassung auf Streitkräfte verzichtet. Damit sind den sicherheitspolitischen Optionen enge Grenzen gesetzt. Deshalb propagieren viele Politiker Japans eine Verfassungsrevision, um Japan zu einem „normalen Land“ werden zu lassen.
Dabei ist die Diskussion um den vakanten Artikel 9 keineswegs eine neue Erscheinung in der japanischen Politik. Bereits im Jahr 1950 begann mit dem Aufbau der National Police Reserve (NPR) der Aufbau einer Truppe, die für die Sicherheit Japans verantwortlich war. Im Jahr 1954 wurde sie ausgebaut und in Self-Defense Force (SDF) umbenannt. Da die SDF militärischen Verbänden zumindest ähneln, werfen ihnen Kritiker vor, gegen den Wortlaut des Artikels 9 zu verstoßen. Daher erfolgte eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Verfassungsrevision, die bis heute anhält.
Es lassen sich insgesamt drei Phasen in der Diskussion feststellen. Die erste Diskussion fällt in die Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals wurde diskutiert, ob Japan nach der Niederlage wieder Streitkräfte aufbauen sollte. Letztlich setzten sich die Gegner der Streitkräfte durch und etablierten den Artikel 9 in der japanischen Verfassung.
Die zweite Diskussion wurde durch den Ausbruch des Koreakrieges 1950 ausgelöst. Dieser hatte die bereits erwähnte Aufstellung der NPR und der SDF zur Folge. Über die Verfassungsmäßigkeit dieser Verbände entbrannten bis zum Anfang der 1960er Jahre zum Teil heftige Konflikte.
Die dritte Phase setzte schließlich mit dem Ende des Kalten Krieges ein. Infolge dieser Umwälzungen sah sich Japan dem Druck der internationalen Gemeinschaft ausgesetzt, sich auch militärisch stärker zu engagieren. Der Auslöser dieser Entwicklung war der Golfkrieg im Jahr 1991.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entstehung der japanischen Nachkriegsverfassung
3. Die Entstehung des Artikels 9 und dessen Entwicklung
3.1 Die Ursprünge des Artikels
3.2 Die ersten Deutungen des Artikels
4. Der Beginn der Wiederbewaffnung Japans
4.1 Der Einfluss des Korekrieges auf die Debatte und die Schaffung der NPR
4.2 Der Friedensvertrag von San Francisco und das US-amerikanisch-japanische Sicherheitsbündnis
5. Die Gründung der SDF
5.1 Die historischen Hintergründe
5.2 Aufbau und Struktur der SDF und des Verteidigungsamtes/Verteidigungsministeriums
5.2.1 Die zivilen Einrichtungen
5.2.2 Die uniformierten Einrichtungen
6. Die verschiedenen Interpretationen über die Legitimation der SDF
6.1 Die Position der Befürworter der SDF
6.1.1 Auslegung I
6.1.2 Auslegung II
6.2 Die Interpretation der Gegner der SDF
6.2.1 Auslegung III
6.2.2 Auslegung IV
6.3 Die Position der Regierung
6.4 Die Position der LDP
6.5 Die Opposition
7. Die Revision des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrages
7.1 Die wesentlichen Neuerungen des Sicherheitsvertrages
7.2 Die innenpolitische Auseinandersetzung
8. Relevante Gerichtsverfahren zum Artikel
8.1 Der Sunakawa-Fall
8.2 Der Naganuma-Fall
9. Die Veränderung der japanischen Sicherheitspolitik in den 1990er Jahren
9.1 Das Ende des Kalten Krieges als Ursprung der Neuorientierung
9.2 Der Einfluss des Golfkriegs auf die japanische Sicherheitspolitik
9.3 Das „Peacekeeping Operation Law“ (PKO) als erster Aspekt der sicherheitspolitischen Neuorientierung
9.4 Die Wiederbelebung der Revisionsbestrebungen
10. Die aktuelle Debatte um eine Verfassungsrevision
10.1 Die Entwicklung in der Regierungszeit Koizumi Jun’ichirôs
10.1.1 Die Anschläge vom 11. September und das Antiterrorismus Gesetz
10.1.2 Der Einsatz der SDF im Irak
10.2 Der aktuelle Stand der Änderungsdebatte
10.3 Die Sicht der japanischen Bevölkerung auf eine mögliche Revision des Artikels
11. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die japanische Politik steht vor ihrer vielleicht größten Veränderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Planungen, die seit exakt 60 Jahren bestehende und bisher in ihrem Taxt unveränderte Nachkriegsverfassung zu revidieren, intensivieren sich. Speziell der Artikel 9 steht im Fokus der Diskussion. Dieser Artikel lautet:
Artikel 9 der japanischen Verfassung:
(1) In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und die Androhung oder Ausübung von militärischer Gewalt als ein Mittel zur Regelung internationaler Streitigkeiten.
(2) Zur Erreichung dieser Zwecke des Absatzes 1 werden Land-, See-, und Luftstreitkräfte sowie andere Kriegsmittel nicht unterhalten.
Ein Kriegführungsrecht des Staates wird nicht anerkannt.
Er wird wegen seiner Bestimmungen in Bezug auf den Verzicht auf Militär und Kriegsmittel sowie auf das Kriegsführungsrecht Japans auch als „Friedensartikel“ bezeichnet. Allerdings empfinden viele japanische Politiker die Politik ihres Landes aufgrund der Beschränkungen, die durch diesen Artikel festgelegt werden, gegenüber anderen Staaten als „unnormal“. Tatsächlich ist Japan, neben Costa Rica, theoretisch der einzige Staat, der freiwillig durch seine Verfassung auf Streitkräfte verzichtet. Damit sind den sicherheitspolitischen Optionen enge Grenzen gesetzt. Deshalb propagieren viele Politiker Japans eine Verfassungsrevision, um Japan zu einem „normalen Land“ werden zu lassen.
Dabei ist die Diskussion um den vakanten Artikel 9 keineswegs eine neue Erscheinung in der japanischen Politik. Bereits im Jahr 1950 begann mit dem Aufbau der National Police Reserve (NPR) der Aufbau einer Truppe, die für die Sicherheit Japans verantwortlich war. Im Jahr 1954 wurde sie ausgebaut und in Self-Defense Force (SDF) umbenannt.[1] Da die SDF militärischen Verbänden zumindest ähneln, werfen ihnen Kritiker vor, gegen den Wortlaut des Artikels 9 zu verstoßen. Daher erfolgte eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Verfassungsrevision, die bis heute anhält.
Es lassen sich insgesamt drei Phasen in der Diskussion feststellen. Die erste Diskussion fällt in die Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals wurde diskutiert, ob Japan nach der Niederlage wieder Streitkräfte aufbauen sollte. Letztlich setzten sich die Gegner der Streitkräfte durch und etablierten den Artikel 9 in der japanischen Verfassung.
Die zweite Diskussion wurde durch den Ausbruch des Koreakrieges 1950 ausgelöst. Dieser hatte die bereits erwähnte Aufstellung der NPR und der SDF zur Folge. Über die Verfassungsmäßigkeit dieser Verbände entbrannten bis zum Anfang der 1960er Jahre zum Teil heftige Konflikte.
Die dritte Phase setzte schließlich mit dem Ende des Kalten Krieges ein. Infolge dieser Umwälzungen sah sich Japan dem Druck der internationalen Gemeinschaft ausgesetzt, sich auch militärisch stärker zu engagieren. Der Auslöser dieser Entwicklung war der Golfkrieg im Jahr 1991.
Es stellt sich nun die Frage, worin die vermeintliche Anormalität der japanischen Nachkriegspolitik besteht und aus welchen Gründen nach 60-jähriger Diskussion um eine Verfassungsrevision ausgerechnet nun die Zeit gekommen scheint, dass sie durchgeführt wird. Darüber hinaus wird zu beantworten sein, in welcher Form sich der Friedensartikel ändern könnte.
Da es bei einer Verfassungsänderung in Japan neben jeweils einer Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Parlaments auch einer einfachen Mehrheit bei einem Referendum bedarf, wird es ebenfalls interessant sein zu sehen, wie das Meinungsbild der japanischen Bevölkerung bezüglich einer Verfassungsrevision ist.
Zur Beantwortung dieser Fragestellungen wird in dieser Arbeit zuerst ein historischer Abriss über die Umstände, Probleme und Diskussionen der Entstehung der japanischen Nachkriegsverfassung gegeben. Daran anschließend werden der Ursprung des Artikels 9 sowie die ersten Diskussionen um dessen Einführung und seine ersten Interpretationen dargestellt.
Im Folgenden wird der Einfluss des Koreakrieges und des amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrages auf die erste Welle der Diskussionen in den 1950er Jahren sowie deren Auswirkungen auf die Interpretation des Artikels und auf die Veränderung in der Ausrichtung der japanischen Sicherheitspolitik erläutert.
Daraufhin sollen der Aufbau, die Struktur und die Aufgaben der SDF beschrieben werden, um festzustellen, ob es sich dabei um eine durch die Verfassung verbotene militärische Organisation handelt und sie somit verfassungswidrig ist. Anschließend werden die in der innerjapanischen Diskussion wichtigen Deutungen und Interpretationen aus Wissenschaft und Politik verdeutlicht.
Anschließend wird auf die bislang heftigsten Auseinandersetzungen über die Frage der japanischen Sicherheitspolitik eingegangen, welche durch die Revision des amerikanisch-japanischen Sicherheitspaktes im Jahre 1960 entbrannten. Diese Auseinandersetzung markiert gleichzeitig das Ende der zweiten Phase der Diskussion.
Im Folgenden werden die juristischen Argumente durch zwei besonders prägnante Gerichtsverfahren zum Thema der Verfassungsmäßigkeit der SDF exemplarisch dargestellt.
Im folgenden Abschnitt wird die aktuelle Debatte, die in den frühen 1990er Jahren begann und bis heute anhält, näher beleuchtet. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Umstände der Teilnahme der SDF an UN-Friedensmissionen sowie die Teilnahme am Wiederaufbau des Irak liegen. Des Weiteren werden die innenpolitischen Verhältnisse beschrieben und das Meinungsbild in der Bevölkerung dargelegt.
2. Die Entstehung der japanischen Nachkriegsverfassung
Nach der bedingungslosen Kapitulation Japans im dem Zweiten Weltkrieg war das Land völlig zerstört. Insgesamt starben während des Krieges 3,1 Millionen Japaner, davon 800.000 Zivilisten. Darüber hinaus waren ca. 30% der japanischen Bevölkerung durch die Bombardements der Alliierten obdachlos geworden.[2] Aus diesem Grund war anfangs eine ablehnende Grundhaltung gegenüber den amerikanischen Besatzern zu beobachten. Die Skepsis wich jedoch erheblich, nachdem die Bevölkerung feststellte, dass die Amerikaner ernsthaft gewillt waren das Land wieder aufzubauen.
Die Grundsätze der Besatzungstruppen für die Neuordnung Japans lassen sich aus der „Potsdamer Erklärung“, die die USA, Großbritannien und China am 26. Juli 1945 formulierten, ableiten. Die Hauptbestimmungen der Potsdamer Erklärung waren: Die Ausschaltung der Macht und des Einflusses der Kriegsverbrecher; die Besetzung Japans durch alliierte Truppen; die Verkleinerung des japanischen Staatsgebietes auf die vier Hauptinseln Hokkaidô, Honshu, Shikoku und Kyûshû; die vollständige Entwaffnung der Kaiserlich Japanischen Armee; die Bestrafung der japanischen Kriegsverbrecher; das Verbot der Behinderung der Wiederbelebung und Stärkung der demokratischen Tendenzen im japanischen Volk durch Sicherung der Rede-, Bekenntnis- und Gedankenfreiheit sowie der Achtung der Menschenrechte; das Verbot von Industrien, die die Wiederaufrüstung ermöglichen; vorerst die Unterstellung der japanischen Herrschaftsbefugnisse unter den alliierten Oberbefehl sowie die Bestimmung der endgültigen politischen Gestalt Japans durch den frei geäußerten Willen des japanischen Volkes.[3] Besonders durch den letzten Punkt und die angestrebte Demokratisierung Japans war die bis dahin gültige Meiji-Verfassung in Frage gestellt, da in ihr die Göttlichkeit und der Machtanspruch des Kaisers festgeschrieben waren.
General Douglas MacArthur, der als Supreme Commander of Allied Powers (SCAP) den Oberbefehl über die Besatzungstruppen hatte, äußerte erstmalig am 4. Oktober 1945, dass die bestehende japanische Verfassung nicht mit der Potsdamer Erklärung in Einklang zu bringen sei und beauftragte die japanische Regierung unter Prinz Higashikuni Naruhiko[4] mit der Ausarbeitung einer reformierten Verfassung. Die Forderungen MacArthurs, die auf der Potsdamer Erklärung beruhten, waren für die Regierung Higashikuni nicht akzeptabel, jedoch für die Besatzungstruppen unverhandelbar. Daraufhin trat die japanische Regierung bereits am 5. Oktober 1945 zurück.[5]
Am 9. Oktober 1945 bildete sich in der Folge eine neue Regierung unter Shidehara Kijurô, der bereits vor dem Krieg als Außenminister tätig war. Aufgrund seiner pazifistischen Einstellung wurde seine damalige Politik als Außenminister als „Shidehara Diplomacy“ berühmt. Diese qualifizierte ihn nun als neuen Ministerpräsidenten.[6]
Er setzte am 13. Oktober 1945 den „Ausschuss zur Prüfung der Verfassungsfrage“ unter der Leitung Matsumoto Jôjis ein. Dieser tagte vom 27. Oktober 1945 bis zum 2. Februar 1946. Dem japanischen Kabinett wurden als Ergebnis zwei Entwürfe unterbreitet, über die es dann abzustimmen hatte. Der „Entwurf A“ wurde am 4. Januar 1946 fertig gestellt. Darin behielt der japanische Kaiser seine Stellung als Staatsoberhaupt und wurde nur leicht in seinen Kompetenzen eingeschränkt. Beispielsweise hatte er formal nicht mehr den alleinigen Oberbefehl über das japanische Militär. Daraus lässt sich außerdem schließen, dass der Entwurf keine Entmilitarisierung vorsah. Des Weiteren bedurften eine Kriegserklärung, ein Friedensschluss und einige internationale Vertragsabschlüsse der Zustimmung des Parlaments. Es entstand noch ein „Entwurf B“. Der größte Unterschied zwischen beiden Entwürfen bestand darin, dass alle Bestimmungen militärischen Inhaltes im zweiten Entwurf gestrichen wurden und somit der Versuch unternommen wurde, den Forderungen der Besatzungstruppen stärker entgegenzukommen.[7] Beide Entwürfe wurden dem japanischen Kabinett zur Abstimmung vorgelegt. Dieses nahm denauHHHHHHHhhh „Entwurf A“ an und übermittelte ihn Anfang Februar 1946 dem Alliierten Hauptquartier (AHQ).
Wie zu erwarten war, akzeptierte es den Vorschlag aufgrund seiner zu großen inhaltlichen Nähe zur alten Meiji-Verfassung nicht. General Courtney Whitney überzeugte MacArthur daher davon, den Japanern einen eigenen Verfassungsvorschlag als Model zu überreichen.[8] Daraufhin beauftragte MacArthur die politische Abteilung des AHQ einen eigenen Entwurf zu erarbeiten. Er selbst legte dabei die Grundprinzipien der neuen Verfassung fest. Der Kaiser sollte zwar weiterhin an der Spitze des Staates stehen, aber seine Befugnisse waren in der Verfassung festzuschreiben und vom Grundwillen des Volkes abhängig, womit er die Volkssouveränität zum obersten Prinzip der neuen Verfassung machen wollte. Des Weiteren wurde an dieser Stelle zum ersten Mal festgelegt, dass Japan das Kriegsführungsrecht abgesprochen wird, was für die Implementierung des Artikels 9 in die spätere Verfassung von entscheidender Bedeutung war.[9]
MacArthur erkannte die Wichtigkeit der Rolle des Kaisers beim Wiederaufbau Japans als einigendes Element der japanischen Bevölkerung. Er wollte die Erhaltung des Kaisertums, wenn auch mit starken Einschränkungen in seiner politischen Macht und auf einer verfassungsmäßig demokratischen Grundlage unbedingt durchsetzten, obwohl sowohl die Sowjetunion, als auch enge Verbündete wie etwa Australien sowie die japanischen Kommunisten für die Absetzung des Kaisers eintraten, da sie ihn als Kriegsverbrecher ansahen.[10]
Unter diesen Grundvoraussetzungen erarbeitete die politische Abteilung des AHQ einen Verfassungsentwurf, den General Whitney am 13. Februar 1946 Matsumoto und dem japanischen Außenminister Yoshida Shigeru vorlegte.[11] Bei den Verhandlungen machte Whitney deutlich, dass die im Entwurf dargelegten Prinzipien einer neuen Verfassung nicht zu verhandeln seien. Des Weiteren verlangten die amerikanischen Vertreter eine Willensbekundung der japanischen Regierung unter den Maßgaben des AHQ Entwurfes einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten, andernfalls würde der AHQ Vorschlag dem japanischen Volk vorgelegt werden.[12] Dadurch wäre keine Einflussnahme der Regierung mehr möglich gewesen.
Soweit kam es jedoch nicht, da am 21. Februar 1945 ein Treffen zwischen Shidehara und MacArthur stattfand. Dabei wurden zwei Grundsätze für die neue japanische Verfassung offiziell festgelegt: Erstens, dass das Kaisertum grundsätzlich erhalten bleiben soll, jedoch der Kaiser nicht als Staatsoberhaupt, sondern lediglich als Symbol des Staates und der Einheit des japanischen Volkes fungiert. Zweitens wurde der für die künftige japanische Außen- und Sicherheitspolitik entscheidende Aspekt diskutiert, dass der Krieg in der neuen Verfassung geächtet werden sollte.[13]
MacArthur war bestrebt die Verhandlungen um die neue japanische Verfassung möglichst zügig abzuschließen. Im Dezember 1945 war auf der Moskauer Konferenz der Außenminister der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion die Einrichtung der Far Eastern Commission (FEC) beschlossen worden, die eigentlich für die alliierte Politik gegenüber Japan zuständig sein sollte. Da das AHQ jedoch verhindern wollte, dass die Sowjetunion auf die Gestalt des japanischen politischen Systems Einfluss erlangt, drängte es bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung zur Eile, um vollendete Tatsachen zu schaffen und somit der FEC keinen starken Einfluss mehr auf die Ausgestaltung einer neuen Verfassung zukommen zu lassen.[14]
Am 2. März 1946 setzte das AHQ die japanische Regierung unter Druck den fertigen Entwurf vorzulegen. Dies geschah am 4. März 1946. Da es noch immer kleinere Abweichungen zum AHQ Vorschlag gab, wurde noch am 4. und 5. März 1946 zwischen dem AHQ und Shidehara und Matsumoto verhandelt. Diese Verhandlungen konnten mit einer Einigung abgeschlossen werden, so dass Shidehara den Entwurf am Abend des 5. März 1946 dem Kaiser vorlegte.[15]
Dies war gleichzeitig die letzte Handlung Shideharas als japanischer Ministerpräsident, da aus der Parlamentswahl vom 10. April 1946 der bisherige Außenminister Yoshida Shigeru als Sieger hervorging.[16] Dieser übernahm jedoch diesen Verfassungsentwurf, wie er vorher ausgehandelt worden war.
Am 17. April 1946 wurde der Entwurf veröffentlicht und dem Geheimen Staatsrat übermittelt. Der Geheime Staatsrat war nach der alten Meiji-Verfassung ein Gremium, das ursprünglich die Aufgabe hatte, den Kaiser zu beraten, aber „in der Praxis zu einem dritten Haus des Parlaments geworden war“.[17] Am 3. Juni 1946 schließlich nahm der Geheime Staatsrat die neue Verfassung an.
Bis zur Proklamation der neuen Verfassung am 3. November 1946 musste der Entwurf von beiden Häusern beraten werden. Dabei ergab sich noch eine gravierende Änderung, da das Oberhaus beschloss, dass der Ministerpräsident und seine Minister zwingend Zivilisten zu sein haben.[18] Die letztlich in dieser Form geänderte Verfassung trat schließlich am 3. März 1947 endgültig in Kraft.
Obwohl eine Verfassung ausgearbeitet worden war, die „so liberal [war], daß sie in den Vereinigten Staaten zu dieser Zeit wahrscheinlich nicht hätte eingeführt werden können“[19], zeigen die schwierigen Verhandlungen um die Verfassung deutlich, dass die konservativen Kräfte im Nachkriegsjapan auch in hohen Regierungskreisen sehr stark vertreten waren, was, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, einen starken Einfluss auf die Ausarbeitung des Artikels 9 hatte.
3. Die Entstehung des Artikels 9 und dessen Entwicklung
3.1 Die Ursprünge des Artikels
Über die Entstehung des Artikels gibt es zwei Theorien. Die erste besagt, dass er der japanischen Regierung vom AHQ aufoktroyiert wurde, die zweite, dass Shidehara selbst für ihn verantwortlich ist.[20] Unstrittig ist, dass die Unterzeichnerstaaten der Potsdamer Erklärung zumindest für die Zeit direkt nach der Kapitulation eine vollständige Entwaffnung und Entmachtung der japanischen Armee vorsahen. So heißt es in Artikel 6 der Potsdamer Erklärung: „Weil wir der Auffassung sind, dass vor der Vertreibung des unverantwortlichen Militarismus aus der Welt eine neue Ordnung des Friedens, der Sicherheit und der Gerechtigkeit nicht entstehen kann, müssen die Macht und der Einfluss derjenigen, die das japanische Volk irregeführt und unter Ausnutzung des Irrtums sich vermessen haben, die Welt unterjochen zu wollen, für alle Zeiten ausgeschlossen werden.“[21] Aus dieser Formulierung könnte man die Interpretation ableiten, dass schon in Potsdam der Entschluss gefasst wurde, Japan für immer zu entwaffnen, um einen erneuten japanischen Militarismus zu verhindern.
Dies spricht dafür, dass die grundlegende Idee des Artikels 9 der japanischen Verfassung den Alliierten zuzuschreiben ist. Dabei ist jedoch zu beachten, dass in der Potsdamer Erklärung zwar von einer „Zerschlagung des japanischen Kriegspotentials“[22] gesprochen sowie die „vollständige Entwaffnung der japanischen Wehrmacht“[23] gefordert wird. Es ist jedoch nicht ersichtlich ist, ob diese Grundsätze auch nach dem Aufbau einer japanischen Demokratie und dem damit verbundenen Abzug der alliierten Truppen aus Japan gelten sollten.
Ganz im Gegenteil ist in dem Programmpapier, das das AHQ dem Minister der ersten Nachkriegsregierung um Prinz Higashikuni Konoe zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung vorlegte, lediglich von einer Beseitigung des Einflusses des Militärs in der Regierung die Rede.[24] Dies impliziert zwar eine politische Entmachtung des japanischen Militärs, nicht jedoch dessen vollständige Auflösung.
Aufgrund dessen gingen die Japaner scheinbar auch nicht von einer Auflösung ihrer Streitkräfte aus. In dem Verfassungsentwurf A, der unter dem Vorsitz Matsumoto Jôjis erarbeitet, vom Kabinett angenommen und den Alliierten vorgelegt wurde, war von einer Auflösung der Streitkräfte nicht die Rede. Ganz im Gegenteil heißt es in Artikel 5 des Entwurfes: „Der Kaiser führt den Oberbefehl über die Streitkräfte“[25] und in Artikel 6 heißt es weiter: „Die Organisation und die Friedensstärke der Streitkräfte werden durch Gesetz bestimmt.“[26], was folglich bedeutet, dass man weiterhin Streitkräfte unterhalten würde.
In ihrem Gegenentwurf zur japanischen Verfassungsvorlage reagierte das AHQ gerade in Bezug auf eventuelle Streitkräfte mit drastischen, eindeutigen Formulierungen. So heißt es in Abschnitt 2 Artikel 8 dieses Entwurfes: „Der Krieg als souveränes Recht der Nation ist abgeschafft. Die Androhung oder der Gebrauch von Gewalt als ein Mittel für die Erledigung von Streitigkeiten mit anderen Nationen wird für immer abgelehnt. Kein Heer, keine Flotte, Luftwaffe oder sonstigen Kriegsmittel werden jemals zugelassen, und keine Kriegsführungsrechte werden dem Staat jemals übertragen.“[27] Diese Formulierung ist schon sehr nah an der Formulierung des letztlich in der Verfassung stehenden Artikels 9, was erneut dafür spricht, dass dieser verfassungsmäßige Verzicht auf das Kriegsführungsrecht und auf eigene Streitkräfte den Japanern vom AHQ aufgezwungen wurde und somit allein von den Besatzungsmächten erdacht wurde.
Was jedoch lange Zeit nicht bekannt war, ist, dass Shidehara schon am 24. Januar 1946 ein geheimes Treffen mit General MacArthur hatte.[28] Wie bereits erwähnt, ist Shidehara von jeher ein Verfechter des Pazifismus gewesen. Nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg schien sich diese pazifistische Grundeinstellung noch weiter verfestigt zu haben, so dass er zu der Überzeugung gelangte, dass Japan keine Armee mehr unterhalten solle. Offenkundig war er der Ansicht, dass er sich mit der Idee der endgültigen Entwaffnung Japans in seinem eigenen Kabinett nicht durchsetzen würde, wenn nicht von alliierter Seite Druck ausgeübt werden würde.[29] Aus diesem Grund beschloss er MacArthur den Vorschlag direkt vorzutragen.
Da dem AHQ zu diesem Zeitpunkt der Entwurf für eine neue Verfassung Japans noch nicht vorlag, ist davon auszugehen, dass MacArthur zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplant hatte, einen eigenen Entwurf des AHQ zu erarbeiten.[30] Dennoch gelang es Shidehara MacArthur zu überzeugen, dass es für das japanische Volk wichtig sei, den Kaiser als Symbol zu erhalten, dass im Gegenzug jedoch die Abschaffung des Militärs unabdingbar sei, um japanischen Militarismus für alle Zeit zu verhindern.
Da, wie erwähnt, keine Protokolle dieser Gespräche vorliegen, kann über die genauen Verhandlungen zwischen MacArthur und Shidehara leider nur spekuliert werden. Allerdings lassen später getätigte Äußerungen der beiden Verhandlungspartner darauf schließen, dass es den Tatsachen entspricht, dass Shidehara die Idee der endgültigen Entwaffnung Japans hatte und somit dieses nicht den Japanern von den Alliierten aufoktroyiert wurde. Besonders spätere Äußerungen MacArthurs sind Belege dafür. So erklärte er beispielsweise bei einer dreitägigen Befragung des US-Senats zu seiner Fernostpolitik und zum Koreakrieg eindeutig, dass Shidehara ihm die Idee selbst vorgetragen habe. MacArthur habe sich zwar sehr über diesen Vorschlag gefreut und er habe ihn auch sofort angenommen, seine Idee sei es aber nicht gewesen.[31] Shidehara selbst äußerte sich nie dazu, wer der Urheber des Artikels war, betonte aber in politischen Reden immer wieder die enorme Bedeutung dieses Artikels.[32]
Es gibt noch einen weiteren Hinweis darauf, dass diese Idee nicht amerikanischen Ursprungs ist. Am 11. Januar 1946, also vor dem Treffen zwischen Shidehara und MacArthur, erreichte das AHQ ein Dokument des in Washington sitzenden State, War, Navy Coordinating Committee (SWNCC). Das Dokument behandelte die Reformierung des politischen Systems Japans. Darin wurde unter anderem gefordert, dass durchgesetzt werden müsse, dass der Ministerpräsident und die Staatsminister in jedem Falle Zivilpersonen zu sein haben.[33] Es sollte folglich ausgeschlossen werden, dass Angehörige des Militärs wichtige politische Posten einnehmen konnten. Dies setzt jedoch voraus, dass man von amerikanischer Seite davon ausging, dass es auch weiterhin eine japanische Armee geben würde. Aufgrund dieser Indizien gilt es als wahrscheinlich, dass tatsächlich Shidehara der Urheber des Artikels 9 der japanischen Nachkriegsverfassung ist.
Dem widersprechen allerdings Passagen in Yoshidas Memoiren, in denen er auch im Jahre 1961 noch anzweifelt, dass Shidehara für den Artikel verantwortlich ist und nicht MacArthur. Obwohl dieser damals schon öffentlich geäußert hatte, dass die Idee zur Erschaffung des „Friedensartikels“ nicht amerikanischen Ursprungs ist, sondern Shidehara ihm den Vorschlag machte, glaubte Yoshida „daß eher der General es während eines Gesprächs dem Baron [Shidehara] so vorgeschlagen hat. Daß dann der Baron begeistert zugestimmt hat, mag immerhin sein.“[34] Dieser Sicht der Dinge schließt sich auch Shideharas Privatsekretär Kishi Kuramatsu an und äußerte es auch im Jahre 1957 öffentlich.[35]
Aufgrund der vielen widersprüchlichen Aussagen lässt sich der genaue Ursprung des Artikels nicht bestimmen. Die Diskussion an sich verdeutlicht jedoch die politische Brisanz des „Friedensartikels“
3.2 Die ersten Deutungen des Artikels 9
Da die Mehrheit der japanischen Politiker nicht von dem Inhalt des Artikels überzeugt war, kam es schon direkt nach der Inkrafttretung der Verfassung zu Diskussionen darüber, wie der Artikel zu interpretieren sei. Entscheidend dabei war, dass der Text des Artikels in den Verhandlungen um die endgültige Form der Verfassung abgeändert wurde. Die erste Fassung des japanischen Kabinetts vom 6. März 1946 erinnert noch stark an die Vorlage des AHQ. Sie lautet: „Der Krieg als souveräne Handlung der Nation sowie die Androhung oder der Gebrauch von bewaffneter Gewalt als ein Mittel für die Erledigung von Streitigkeiten mit anderen Nationen wird für immer verworfen. Die Unterhaltung von Land-, See- und Luftstreitkräften sowie anderen Kriegsmitteln ist verboten. Ein Kriegsführungsrecht des Staates wird nicht anerkannt.“[36]
Die Sonderkommission des Unterhauses für die Revision der Verfassung, die am 28. Juni 1946 eingerichtet wurde, änderte den Artikel erneut, so dass daraus die noch heute gültige Version des Artikels 9 wurde. So wurden die Passagen „In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk[...]“[37] sowie „um das im vorstehenden Absatz festgelegte Ziel zu erreichen“[38] hinzugefügt. Entscheidend ist hierbei, dass der Artikel in dieser Form dahingehend interpretiert wurde, dass Japan damit vollständig auf den Krieg verzichten will, auch wenn es sich um einen Akt der Selbstverteidigung handeln sollte.
Allerdings ist auch hierbei zu beachten, dass die Sonderkommission des Oberhauses zur Revision der neuen Verfassung zwar den Wortlaut des Artikels 9 nicht mehr änderte, aber durch die Einführung des Artikels 66, Absatz 2 die so genannte „Zivilklausel“ in die Verfassung aufnahm. Dieser Artikel besagt, dass der Ministerpräsident sowie seine Minister und Beamte Zivilpersonen sein müssen.[39] Was vordergründig wie eine Bestätigung der Prinzipien wirkt, kann aber auch in eine andere Richtung gedeutet werden. Wenn man in der Verfassung festlegen muss, dass die Regierung aus Zivilpersonen zu bestehen hat, setzt man damit voraus, dass es auch nichtzivile Personen in diesem System geben muss. Dies könnte man so deuten, dass man damals schon davon ausging, dass es irgendwann wieder Streitkräfte in Japan geben werde.
Dennoch deutete vorerst im politischen Alltag nichts darauf hin. Ganz im Gegenteil äußerte Shideharas Nachfolger im Amt des japanischen Ministerpräsidenten Yoshida Shigeru im Juni 1946, dass der Artikel 9 in die Verfassung aufgenommen worden sei, um Japan zu einem Vorreiter des Weltfriedens zu machen. In diesem Zusammenhang nahm er sich auch zum Recht Japans auf Selbstverteidigung Stellung. Er sagte, dass durch den Artikel nicht grundsätzlich das Recht Japans auf Selbstverteidigung verboten sei, aber durch das Zurückweisen von „Kriegsmitteln“ und des Rechts auf Kriegführung, folge daraus, dass Krieg auch aus Gründen der Selbstverteidigung geführten Krieges verboten sei.[40]
Außerdem meinte er, um deutlich zu machen, dass Japan keine kriegslüsterne Nation mehr sei, „[…] sei es notwendig, die neue Verfassung auf eine demokratische und pazifistische Grundlage zu stellen“[41]. Daraus schloss er, dass Artikel 9 sowohl den Angriffskrieg als auch den Krieg zur Selbstverteidigung verbiete.[42] Der Logik Yoshidas folgend brauchte Japan also keinerlei Streitkräfte, da jegliche Art des Krieges verboten war und daher keine Streitkräfte benötigt wurden.
Auch die japanische Bevölkerung befürwortete die pazifistische Ausrichtung der neuen Verfassung, wie eine Umfrage der Mainichi Shinbun vom 27. Mai 1946 zeigt. In dieser sprachen sich circa 70 Prozent der Befragten für den Artikel 9 aus.[43]
Er schien folglich durch einen breiten Konsens in Regierung und Gesellschaft gestützt zu sein. Doch die rapide Entwicklung der weltpolitischen Lage änderte dies, wie in den folgenden Abschnitten aufgezeigt wird.
4. Der Beginn der Wiederbewaffnung Japans
4.1 Der Einfluss des Korekrieges auf die Debatte und die Schaffung der NPR
Nach Inkrafttreten der Verfassung sah es danach aus, als würde sich die politische Lage in Japan beruhigen und das neue politische System hätte Zeit sich zu etablieren. Doch dies änderte sich bereits nach kurzer Zeit durch den Ausbruch des Koreakrieges. Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen die Demarkationslinie am 38. Breitengrad, fielen in Südkorea ein und lösten so den Koreakrieg aus. Dieser aggressive Akt rückte Japan noch weiter in den Fokus amerikanischer sicherheitspolitischer Überlegungen, da befürchtet wurde, dass die sozialistischen Staaten die Kontrolle über ganz Ostasien erringen könnten.[44] Japan schien besonders gefährdet, da die nordkoreanische Regierung neben Südkorea auch Japan als Marionetten Amerikas bezeichnete.[45]
Doch die US-Regierung plante schon vor Ausbruch des Koreakrieges einen möglichst schnellen Friedensvertrag mit Japan. Zu diesem Zweck wurde John Foster Dulles beauftragt, um die Verhandlungen voranzutreiben. Dulles entwarf ein Strategiepapier über die Ziele der USA bei diesen Verhandlungen. Japan sollte zu einem gut entwickelten, unabhängigen Land werden, dass den USA in einer Partnerschaft verbunden sein sollte. In diesen Verhandlungen wurde selbstverständlich auch über die japanische Sicherheitspolitik nach einem Friedensschluss mit den USA und der damit verbundenen Aufhebung der Besatzung gesprochen. Entgegen vorher getätigter Äußerungen, sagte MacArthur in diesem Zusammenhang, dass er der Meinung sei, dass Japan im Falle eines Angriffs selbstverständlich das Recht habe, sich selbst zu verteidigen.[46] Mit dem Ausbruch des Koreakrieges kam dieser Äußerung besondere Bedeutung zu.
Am 7. Juli 1950 wurde General MacArthur zum Oberkommandierenden der UNO-Truppen ernannt, die gegen die Aggressoren aus dem Norden Koreas vorgehen sollten. Er errichtete sein Hauptquartier in Tokio.[47] Da der nordkoreanische Angriff überraschend kam und die südkoreanischen Truppen schnell vor einer totalen Niederlage standen, entschloss sich MacArthur, die in Japan stationierten amerikanischen Truppen als sofortige Hilfe nach Korea zu entsenden, um die Hafenstadt Pusan halten zu können, bis Truppenverstärkungen aus den USA eintreffen würden.[48] Für eine solche Militäraktion ist ein sehr großer Aufwand von Nöten, so dass ein Großteil der in Japan stationierten amerikanischen Truppen involviert war. Die 8. Armee, die die amerikanische Besatzung absicherte und dabei auch Polizeiaufgaben wahrnahm, war durch die schnelle Truppenverlegung plötzlich stark unterbesetzt und konnte nicht durch andere alliierte Truppen entlastet werden, da auch diese sämtlich in Korea benötigt wurden.
Aus diesem Grund sah sich MacArthur gezwungen am 8. Juli 1950, also lediglich knapp zwei Wochen nach dem nordkoreanischen Angriff, den Japanern anzuordnen, die National Police Reserve (NPR) zu gründen, um die Ordnung im Land aufrechterhalten zu können. Diese sollte aus 75 000 Mann bestehen. Außerdem sollte die bereits bestehende japanische Küstenwache, die Maritime Safety Board (MSB), um 8000 Mann aufgestockt werden.[49]
Noch im November 1949 hatte Ministerpräsident Yoshida vor dem japanischen Parlament geäußert, dass der beste Garant für die Sicherheit Japans jener Aspekt sei, dass das Land nicht bewaffnet sei.[50] Ein hoher Beamter des Außenministeriums erklärte außerdem zur gleichen Zeit in einer offiziellen Interpretation des Artikels 9, dass dieser eindeutig auch die militärische Selbstverteidigung Japans untersage.[51]
Doch die amerikanische Regierung war der Meinung, dass der nordkoreanische Angriff eine von der Sowjetunion geplante Aktion war und dass nicht Südkorea das eigentliche Ziel war, sondern Japan. Der stellvertretende Direktor des amerikanischen Büros für nordostasiatische Angelegenheiten, U.A. Johnson, ließ sich sogar zu der Aussage verleiten, dass Korea wie ein Dolch vom asiatischen Festland auf Japan deute.[52] Damit bediente er sich, wahrscheinlich unwissentlich, einer Ausdrucksweise, die schon die japanischen Politiker der Meiji-Ära, also des Beginns des japanischen Imperialismus, verwendeten um die spätere Eroberung Koreas und dessen Eingliederung in das japanische Staatsgebiet zu rechtfertigen[53]. Doch auch wenn diese Worte unbedacht gewählt wurden, so machen sie deutlich, dass die amerikanische Regierung Japan in großer Gefahr sah. Das konnte aus amerikanischer Sicht nicht hingenommen werden, da sonst die Gefahr drohte ihre wichtigste strategische Basis in Ostasien zu verlieren.
Im Gegensatz dazu war es ursprünglich das oberste Ziel der japanischen Regierung um Yoshida gewesen, für den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes zu sorgen.[54] Doch der Krieg im Nachbarland und die dadurch hervorgerufenen Sorgen der amerikanischen Besatzer rückte das Thema der japanischen Wiederbewaffnung in den Vordergrund. Deshalb erarbeitete Dulles Vorschläge, wie die japanische Wiederbewaffnung noch vor Abschluss eines Friedensvertrages unter den Statuten der Besatzung und vor allem in Hinblick auf die neue Verfassung möglich gemacht werden könnte. Er war der Ansicht, dass es keinerlei rechtliche Beanstandungen geben könnte, wenn die USA Japan mittels einer Stärkung der Polizeikräfte sowie der Rekrutierung japanischer Freiwilliger in einer internationalen Schutztruppe wiederbewaffnen würden.[55]
Yoshida schrieb in seinen Memoiren dazu, dass zwar von Anfang an klar gewesen sei, dass es sich bei der neuen Truppe um eine Einheit handele, die einerseits das Abrücken der amerikanischen Verbände kompensieren, andererseits aber auch der „Gefahr einer kommunistischen Invasion“ begegnet solle.[56] Unklarheit bestand jedoch darin, in welchem Verhältnis die neue Einheit zu den schon bestehenden Polizeikräften stehen sollte. Deshalb schickte Yoshida den Unterhändler Okazaki Katsuo zu General Whitney und bat um Aufklärung. Dieser verdeutlichte der japanischen Regierung, dass mit einem Ausbau der Polizeitruppe durchaus gemeint sei, dass diese auch mit Panzern und schwerer Artillerie ausgestatten werden solle. Außerdem sollte sie direkt dem Befehl des Ministerpräsidenten unterstellt sein und ohne Einschränkung im ganzen Land eingesetzt werden dürfen.[57]
Die japanische Regierung hatte trotz der verfassungsmäßigen Bedenken keine andere Wahl, als den Forderungen der USA zu entsprechen. Um sich der Kritik aus dem Inland und aus den Nachbarländern, die einer möglichen Wiederbewaffnung Japans sehr skeptisch gegenüberstanden, da sie einen neuen japanischen Militarismus fürchteten, schon im Voraus zu erwehren, erklärte die japanische Regierung in einer Stellungnahme des Justizministers Ohashi Takeo, dass die NPR nicht aus eigenem Antrieb gegründet worden sei, sondern auf Geheiß der amerikanischen Besatzer.[58] Weiterhin betonte der stellvertretende Außenminister Ôta Ichirô, dass Japan auch in Zukunft unter dem Schutz der UNO stehen würde.[59] Daher hätte Japan eigene Streitkräfte nicht nötig und strebe sie auch nicht an.
Unter diesen Voraussetzungen wurde am 10. August 1950 die Kabinettsverordnung 260 zur Errichtung der NPR erlassen. In dieser Verordnung wurde betont, dass es sich bei der NPR um eine Truppe handele, die sich auf rein polizeiliche Aufgaben beschränke und die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger Japans achte.[60] In Artikel 3 heißt es:
„(1) The Police Reserve shall be under the command of the prime minister when there is a special need to protect public security.
(2) Actions of the Police Reserve shall be limited to those that fall within the duties of police, and its functions shall not be exercised to infringe upon the rights and freedoms of individuals guaranteed by the constitution of Japan.”[61]
Obwohl die japanische Regierung darauf bedacht war zu betonen, dass es sich bei der NPR nur um eine Polizeieinheit handle und sie somit verfassungskonform sei, entbrannte eine Diskussion um eine japanische Wiederbewaffnung, die zu diesem Zeitpunkt in der öffentlichen Wahrnehmung auf jeden Fall eine Änderung der Verfassung nötig gemacht hätte. Besonders die Äußerungen von amerikanischen Offiziellen heizten die Diskussion immer wieder auf. Die beiden amerikanischen Gesandten William Sebald und Charles N. Spinks zum Beispiel meldeten am 25. August 1950 dem amerikanischen Außenministerium, dass der Korekrieg die richtige Gelegenheit sei, um für eine Wiederbewaffnung Japans zu sorgen. Nach ihren Vorstellungen sollte die NPR ausgebaut werden, so dass sie eine Landung fremder Truppen von See her bekämpfen könnte. Des Weiteren sollte auch die Küstenwache dementsprechend ausgebaut werden und es wurde auch darüber nachgedacht eine Einheit von Kampffliegern zur Abwehr von Angriffen aus der Luft aufzustellen[62].
[...]
[1] In dieser Arbeit werden die englischen Übersetzungen der japanischen Ausdrücke „keisatsuyôbitai“ und „jieitai“ verwendet, um dem Leser das Verständnis zu vereinfachen.
[2] Vgl. Hall, John W.: Das Japanische Kaiserreich; Frankfurt am Main 2000, S. 343.
[3] Vgl. Röhl, Wilhelm: Die Japanische Verfassung; aus: Staatsverfassungen der Welt in Einzelausgaben Bd. 4; Frankfurt am Main 1963. S. 14.
[4] Asiatische Namen werden in dieser Arbeit gemäß der asiatischen Tradition zuerst mit dem Familien- und dann mit dem persönlichen Namen angegeben.
[5] Vgl. ebd., S. 15.
[6] Vgl. Moore, Ray A.; Robinson, Donald L.: Partners for Democracy – Crafting the New Japanese State under MacArthur; New York 2002, S. 62.
[7] Vgl. ebd., S. 76.
[8] Vgl. Finn, Richard B.: Winners in Peace – MacArthur, Yoshida, and Postwar Japan; Berkeley 1992, S. 89.
[9] Vgl. Röhl, Wilhelm: a.a.O., S. 18.
[10] Vgl. Hayes, Louis D.: Introduction to Japanese Politics, New York 1992, S. 42f.
[11] Vgl. Dower, John: Embracing Defeat: Japan in the Wake of World War II, New York 2000, S. 377.
[12] Vgl. Finn, Richard B.: a.a.O., S. 97.
[13] Vgl. Ebd., S. 99.
[14] Vgl. Röhl, Wilhelm: a.a.O., S. 20.
[15] Vgl. ebd., S. 21.
[16] Vgl. Moore, Ray A.; Robinson, Donald D.: a.a.O., S. 147.
[17] Röhl, Wilhelm: a.a.O., S. 21.
[18] Vgl. ebd., S. 23.
[19] Vgl. Hall, John W.: a.a.O., S. 347.
[20] Vgl. Itô, Narihiko: Der Friedensartikel der japanischen Verfassung – Für eine Welt ohne Krieg und Militär; Münster 2006, S. 55f.
[21] Röhl, Wilhelm: a.a.O., S. 145.
[22] Ebd., S.145.
[23] Ebd., S.146.
[24] Vgl. ebd., S.15.
[25] Ebd., S.153.
[26] Ebd., S.153.
[27] Ebd., S.160.
[28] Vgl. Itô, Narihiko: a.a.O., S.48.
[29] Vgl. ebd., S.55.
[30] Vgl. ebd.,S.48f.
[31] Vgl. ebd., S. 50.
[32] Vgl. Itô, Narihiko: a.a.O., S. 51.
[33] Vgl. Watanabe, Osamu: Nihonkoku kenpô “kaisei”-shi; Tokyo 1991, S. 88.
[34] Yoshida, Shigeru: Japan im Wiederaufstieg, Düsseldorf-Köln 1963, S. 134.
[35] Vgl. Neumann, Reinhard: Änderung und Wandlung der japanischen Verfassung Berlin 1982, S. 57.
[36] Röhl, Wilhelm: a.a.O., S. 171.
[37] Ito, Narihiko: a.a.O., S.22.
[38] Ebd., S. 22.
[39] Vgl. Röhl, Wilhelm: a.a.O., S. 23.
[40] Vgl. Maeda, Tetsuo: The hidden Army - The Untold Story of Japan’s Military Forces, Illinois 1995, S. 38.
[41] Yoshida, Shigeru: a.a.O., S. 135.
[42] Vgl. Kim, Nam G.: From Enemies to Allies – The Impact of the Korean War on U.S.-Japan Relations, Bethesda 1997, S. 10f.
[43] Vgl. Ito, Narihiko:a.a.O.,S. 195.
[44] Vgl. Kim, Nam G.: a.a.O., S. 56.
[45] Vgl. Inoguchi, Takashi: Kokusai seiji no mikata: 9-11 go no Nihon gaikô, Tokyo 2005, S. 11.
[46] Vgl. Kim, Nam G.: ebd, S. 79.
[47] Vgl.: Drifte, Reinhard: Sicherheit als Faktor der japanischen Außenpolitik 1945-1952; Bochum 1981, S. 92.
[48] Vgl. Swenson-Wright, John: Unequel Allies? United States Security and Alliance Policy Toward Japan 1945-1960, Stanford 2005, S. 43.
[49] Vgl. ebd., S. 43.
[50] Vgl. Maruyama, Masao; Some Reflections on Article IX of the Constitution, in: Thought and Behaviour in Modern Japanese Politics; Morris, Ivan (Hrsg.), Oxford 1963, S. 291
[51] Vgl. ebd., S. 291.
[52] Vgl. Kim, Nam G.: a.a.O., S. 56.
[53] Vgl. Moon, Tae-Woon: Die japanisch-koreanischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung der Nationalstereotypen, Pfaffenweiler 1989. S. 12.
[54] Vgl. Swenson-Wright, John: a.a.O., S. 51f.
[55] Vgl. Kim, Nam G.:a.a.O., S. 88.
[56] Yoshida, Shigeru: a.a.O., S. 177.
[57] Vgl. Kim, Nam G.: a.a.O., S. 89.
[58] Vgl. ebd.,S. 90.
[59] Vgl. ebd.,S. 90.
[60] Vgl. Mammitzsch, Hans Georg: Die Entwicklung der Selbstverteidigungsstreitkräfte und der Aspekt der zivil-militärischen Beziehungen in Japan, Bonn 1985, S. 106.
[61] Zitiert in: Maeda, Tetsuo: a.a.O., S. 11.
[62] Vgl. Kim, Nam G.:a.a.O.,S. 91.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Kai Schulze (Autor:in), 2007, Auf dem Weg zu einem „normalen Staat“? – Die Revision des Artikels 9 der Japanischen Verfassung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82879
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