Der Titel dieser Arbeit "Pour un nouveau roman von Alain Robbe-Grillet – Wegweiser oder Widerspruch ?" deutet bereits an, dass sie sich mit einem in der Literaturwissenschaft kontrovers diskutierten Autoren, seinen Annahmen und Ansichten bezüglich der Gattung Roman beschäftigen wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entstehung des nouveau roman im Spiegel der Avant-Garde-Bewegung
3. Pour un nouveau roman versus Tradition
3. 1 Der Held im Roman
3. 2 Die Dinge und die Welt im Roman
3. 3 Die Fabel oder l’histoire
3. 4 Literatur und engagement
4. Ein Blick zur Seite: Nathalie Sarraute und Michel Butor
5. Schlussbemerkung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Titel dieser Arbeit „Pour un nouveau roman von Alain Robbe-Grillet – Wegweiser oder Widerspruch ?“ deutet bereits an, dass sie sich mit einem in der Literaturwissenschaft kontrovers diskutierten Autoren, seinen Annahmen und Ansichten bezüglich der Gattung Roman beschäftigen wird. Hierbei soll herausgearbeitet werden, in wie weit seine Theorien tatsächlich etwas Neues und Bahnbrechendes für den Roman bedeuten und in wie fern seine Aussagen schlichtweg unlogisch bzw. für den Roman irrelevant sind. Als Grundlage dient seine von 1955 bis 1963 erschienene Essaysammlung Pour und nouveau roman. Dabei sollen in Kapitel 3. Pour un nouveau roman versus Tradition ausgewählte Romanbestandteile - immer im Blick auf die balzacsche Romantradition - genauer erläutert werden. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden dann im Anschluss in Kapitel 4. Ein Blick zur Seite: Nathalie Sarraute und Michel Butor mit den Positionen eben dieser beiden weiteren Vertreter des nouveau roman verglichen.
Allem voran steht im hierauf folgenden Kapitel 2. Die Entstehung des nouveau roman im Spiegel der Avant-Garde-Bewegung ein kurzer geschichtlicher Abriss über Ursprung und Beweggründe dieser Romanform.
„Je ne suis pas un théoricien du roman.“[1] Mit diesem Satz beginnt der studierte Agrarökonom Alain Robbe-Grillet seinen Essay A quoi servent les théories von 1955 bzw. 1963 und präzisiert, dass es sich lediglich um „quelques réflexions critiques“[2] bezüglich seiner Schreibtätigkeit handle. Ob es sich wirklich nur um ein paar Überlegungen, die den Platz einiger Seiten einnehmen, handelt, darf bezweifelt werden, zumal es schwierig sein dürfte, seine Ausführungen théories (siehe Essaytitel) zu nennen, sich aber gleichzeitig nicht als théoricien zu bezeichnen. Wie seine théories genau aussehen, wird an anderer Stelle genauer erläutert; zuvor soll es im nächsten Kapitel um die Umstände der Entstehung des nouveau roman gehen.
2. Die Entstehung des nouveau roman im Spiegel der
Avant-Garde-Bewegung
Würde man den Begriff Avantgarde bzw. avantgardistisch als „allg[emein] jede extrem fortschritt[iche] Kunstrichtung mit besonderer Neigung zum formalen und stilist[ischen] Experiment als Erweiterung der überlieferten Ausdrucks- und Darstellungsformen und Anbahnung neuer Entwicklungslinien im Sinne der autonomen Kunst“[3] bezeichnen, so kann man sagen, dass dies für den nouveau roman zutrifft. Zeitlich ist der nouveau roman ca. zwischen 1950 und 1970 anzusiedeln. „In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird die literarische Szene in Frankreich zunächst durch den Existentialismus geprägt, dessen Freiheits-philosophie in Romanen, Erzählungen und Theaterstücken die gesellschaftliche Verantwortung des auf sich allein gestellten Individuums […] zu stärken versucht und in sofern […] einen fortdauernden Humanismus verkündet.“[4] Sartrische Begriffe wie en-soi, pour-soi oder auch seine Schrift L’existentialisme est un humanisme werden von den nouveaux romanciers verneint. Ein autonomes Werteschaffen wie bei Sartre hat gleichsam keine Bedeutung.[5]
Zeitgenössisch betrachtet, ist es somit der Existentialismus, dem der Kampf angesagt wird. Literaturgeschichtlich gesehen, existiert für die nouveaux romanciers noch ein weiterer Opponent: Der balzacsche Realismus. „Die energische Absage an kohärente Handlung, kompakte Figurenpsychologie, lineare Zeit und gedeutete Räume […]“[6] stehen dabei im Mittelpunkt. Die nouveaux romanciers „sind [dabei] der Auffassung, daß die gegenüber dem 19. Jahrhundert völlig veränderte Welt und der moderne Mensch völlig neue Darstellungsformen auf dem Gebiete der erzählenden […] Dichtung erfordern.“[7] Diese neuen Darstellungsformen erweisen sich als äußerst radikal, denn „das Individuum [ist] tot, eine sinngebende Gesamtschau undenkbar.“[8]
Was Sartre, Camus, de Beauvoir für den Existentialismus, Balzac für den Realismus bedeuten, stellen Alain Robbe-Grillet, Nathalie Sarraute, Michel Butor –um nur drei zu nennen- für den nouveau roman dar, d. h. sie sind einige der schon mehrmals genannten nouveaux romanciers.
Michel Butor, Jahrgang 1926, ist studierter Französischlehrer. Neben einigen theoretisch-philosophischen Essays über den Neuen Roman veröffentliche er selbstredend auch Romane, wie beispielsweise Passage de Milan (1954) La Modification (1957) oder Degrés (1960). „Von Anfang an ist in der Abfolge der Werke Butors eine Linie zu erkennen: das Streben nach der Exploration von komplexen Gebilden, vom einzelnen Miethaus über die große moderne Stadt, über zwei Weltstädte (Paris und Rom) bis zu einem Riesengebilde wie den USA reichend.“[9]
Nathalie Sarraute (1900 – 1999) wurde in Russland geboren und wuchs nach der Trennung der Eltern zweisprachig in Frankreich, der Schweiz und Russland auf. Auch sie verfasste einige Romane, wie z. B. Tropismes (1939), Le Planétarium (1959) und schrieb diverse Theaterstücke wie Le Silence (1964) oder Elle est lá (1993). Mit ihrer Essaysammlung L’ére du soupçon (1956), auf die in Kapitel 4 noch genauer eingegangen werden soll, setzt auch sie Akzente bezüglich Stellung und Aussagewert des nouveau roman.
Alain Robbe-Grillet, geboren 1922 in Brest, studierte ursprünglich Agrarwirtschaft. „Im Bewußtsein der literarisch interessierten Öffentlichkeit galt Robbe-Grillet von Anfang an als profiliertester Wortführer des nouveau roman.“[10] Neben seiner Tätigkeit als Romancier (Les gommes, 1953 ; La jalousie, 1957 etc.) ist er zudem als Drehbuchautor tätig (L'Année dernière à Marienbad, 1961 oder L'Immortelle, 1963). Mit seiner theoretisch-philosophischen Essaysammlung Pour un nouveau roman (1995 – 1963) hat er wie kaum ein anderer grundlegende Theorien bezüglich des Neuen Romans vorgelegt, auf die im folgenden Kapitel genauer eingegangen werden soll.
3. Pour un nouveau roman versus Tradition
3. 1 Der Held im Roman
Jeder halbwegs literarisch bewanderte Mensch verbindet Namen wie Colonel Chabert oder Père Goriot mit einem Literaten: Balzac. Dies kann nicht verwundern, denn „die traditionelle Romanfigur mußte mit Eigennamen, Herkunft, Beruf und vor allem einem Charakter ausgestattet sein“[11] ; ist ihr Erfinder und Schöpfer dann mit seinen Werken auch noch erfolgreich, ist die direkte Assoziation von Autor mit seinen Helden perfekt. Robbe-Grillet gibt zu bedenken, dass dies in der heutigen Zeit, gemeint sind rückblickend die 40er und 50er Jahre, ungeachtet des Neuen Romans nicht mehr zutreffe. „Combien de lecteurs se rappellent le nom du narrateur dans la Nausée ou dans l’Etranger ? Y a-t-il là des types humains ? Ne serait-ce pas au contraire la pire absurdité que de considérer ces livre comme études de caractère ?“[12] Diese drei rhetorischen Fragen lassen nur einen Schluss zu: Für Robbe-Grillet kann es den traditionellen Helden im Roman nicht mehr geben. Er ist unzeitgemäß, denn „le destin du monde a cessé, pour nous, de s’identifier à l’ascension ou à la chute de quelques familles. Le monde lui-même n’est plus cette propriété privée, héréditaire et monnayable, cette sorte de proie, qu’il s’agissait moins de connaître que de conquérir.“[13] Kritisch kann man hierbei anmerken, dass Robbe-Grillet nicht strukturanalytisch, sondern sozialgeschichtlich argumentiert.[14] Dies wird gleichsam an anderen Sätzen wie „Avoir un nom, c’était très important sans doute au temps de la bourgeoisie balzacienne“[15] deutlich.
Obwohl unsere Welt nicht mehr durch Individuen geprägt ist, kann man ihr laut Robbe-Grillet dadurch auch etwas Positives abgewinnen, denn „notre monde, aujourd’hui, est moins sûr de lui-même, plus modeste peut-être puisqu’il a renoncé à la toute-puissance de la personne, mais plus ambitieux aussi puisqu’il regarde au-delà. Le culte exclusif de « l’humain » a fait place à une prise de conscience plus vaste, moins anthropocentriste.“[16]
[...]
[1] Robbe-Grillet, Alain: Pour un nouveau roman. Paris. 1963, S. 7.
[2] Ebd.
[3] Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Stuttgart. 2001, S. 63.
[4] Coenen-Mennemeier, Brigitta: Nouveau Roman. Stuttgart. 1996 (Sammlung Metzler Bd. 296),
S. 1.
[5] Vgl. ebd.
[6] Ebd.
[7] Wilhelm, Julius: Nouveau roman und anti-théâtre. Eine Einführung. Stuttgart. 1972, S. 9.
[8] Grimm, Jürgen (Hrsg): Französische Literaturgeschichte. Stuttgart. 1989, S. 340.
[9] Wilhelm, S. 51.
[10] Ebd., S. 16.
[11] Coenen-Mennemeier, S. 10.
[12] Robbe-Grillet, S. 32.
[13] Ebd., S. 33.
[14] Vgl. Žmegač, Viktor: Der europäische Roman. Geschichte seiner Poetik. 2., unveränderte Auflage. Tübingen. 1991, 382.
[15] Robbe-Grillet, S. 33.
[16] Ebd.
- Citar trabajo
- Kevin Masalon (Autor), 2006, "Pour un nouveau roman" von Alain Robbe-Grillet - Wegweiser oder Widerspruch?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82852
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