Der Wahrnehmung des Fremden kommt eine besondere Rolle zu: Sie gibt Aufschluss über die Selbstwahrnehmung und trägt wesentlich zur Selbstbestimmung des Wahrnehmenden, zur Konstruktion seiner eigenen Identität bei. Dabei können die Reaktionen von selbstzufriedener Isolation gegenüber dem Fremden bis hin zur gewaltsamen Exklusion des Fremden reichen. Der bzw. das Fremde kann aber ebenso integriert werden, er/es wird dann zum Bestandteil der eigenen Identität. Im Vergleich mit dem Fremden können die eigenen Schwächen und Stärken in ein helleres Licht gerückt werden.
Um ein passendes Selbstbild der Griechen zu erhalten, ist es aufschlussreich, zu untersuchen, wie sich die Griechen Fremden gegenüber verhalten haben. Im griechischen Leben des 4. und 5. Jahrhunderts v.C. war Fremdes allgegenwärtig: Die Polizei Athens bestand aus skythischen Staatssklaven, besonders in Adelskreisen war ausländische Namensgebung beliebt, Heiratsverbindungen mit ausländischen Häuptlingsfamilien waren bei reichen Athenern nicht nur wegen der wirtschaftliche Interessen beliebt. Auch Perikles´ Gesetz, das Bürgerrecht Athens an athenische Abkunft von Vater und Mutter zu knüpfen entsprang wohl nicht der Fremdenfeindlichkeit, sondern kann als demokrati-sche Maßnahme gegen die auswärtig verschwägerte Oberschicht gedeutet werden.
Doch war das Verhältnis zwischen Griechen und Fremden wirklich unproblematisch? So zeigt ein Vasenbild aus der Zeit um 500 v.C., wie der große Griechenheld Herakles mit einer Meute schwächlicher Ägypter umspringt und ihren König bestraft. Dieses Bild kann als unmissverständliches Zeugnis griechischen Überlegenheitsgefühls gedeutet werden.
Es stellt sich die Frage, wie die Griechen die Fremden gesehen haben, wie sind Fremde und Griechen miteinander umgegangen? Wie war es um Gastfreundschaft bestellt, wurden Gastrechte missbraucht? Stand eher die Angst vor Fremden, die Xenophobie, im Vordergrund oder lässt sich ein bereits ritualisiertes Vertrautsein mit Jedermann, die Philoxenie, nachweisen?
Verlauf der Arbeit:
Um Antworten auf diese Fragestellungen zu finden, werden zunächst die Begriffe Xenoi, Barbaren und Metöken voneinander abgegrenzt und erläutert. Aus den Historien des Herodot werden Geschichten und Anekdoten aufgezeigt, die Hinweise auf den Umgang mit Fremden im antiken Griechenland geben. Es geht um die Behandlung von Fremden, den Umgang mit Gastrecht und Beispiele für den Missbrauch der Gastfreundschaft.
Inhaltsverzeichnis
1 Philoxenie im antiken Griechenland?
2 Fremde, Xenoi, Metöken und Barbaren
3 Xenoi bei Herodot
3.1 Herodots „Historien”
3.2 Umgang mit „Fremdlingen“ bei Herodot
4 Schlussbetrachtung: Xenophobie oder Philoxenie?
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
1 Philoxenie im antiken Griechenland?
„Die Wahrnehmung einer eigenen Identität, ob es sich um eine individuelle oder kollektive handelt, geht einher mit Abgrenzungsprozessen, denen wiederum die Wahrnehmung eines Anderen, eines Fremden vorangeht.“[1] Der Wahrnehmung des Fremden kommt dabei eine besondere Rolle zu: Sie gibt Aufschluss über die Selbstwahrnehmung und trägt wesentlich zur Selbstbestimmung des Wahrnehmenden, zur Konstruktion seiner eigenen Identität bei. Dabei können die Reaktionen von selbstzufriedener Isolation gegenüber dem Fremden bis hin zur gewaltsamen Exklusion des Fremden reichen. Der bzw. das Fremde kann aber ebenso integriert werden, er/es wird dann zum Bestandteil der eigenen Identität.[2] Im Vergleich mit dem Fremden können die eigenen Schwächen und Stärken in ein helleres Licht gerückt werden.[3]
Um ein passendes Selbstbild der Griechen zu erhalten, ist es aufschlussreich, zu untersuchen, wie sich die Griechen Fremden gegenüber verhalten haben. Im griechischen Leben des 4. und 5. Jahrhunderts v.C. war Fremdes allgegenwärtig: Die Polizei Athens bestand aus skythischen Staatssklaven, besonders in Adelskreisen war ausländische Namensgebung beliebt, Heiratsverbindungen mit ausländischen Häuptlingsfamilien waren bei reichen Athenern nicht nur wegen der wirtschaftliche Interessen beliebt. Auch Perikles´ Gesetz, das Bürgerrecht Athens an athenische Abkunft von Vater und Mutter zu knüpfen entsprang wohl nicht der Fremdenfeindlichkeit, sondern kann als demokratische Maßnahme gegen die auswärtig verschwägerte Oberschicht gedeutet werden.[4]
Doch war das Verhältnis zwischen Griechen und Fremden wirklich unproblematisch? So zeigt ein Vasenbild aus der Zeit um 500 v.C., wie der große Griechenheld Herakles mit einer Meute schwächlicher Ägypter umspringt und ihren König bestraft. Dieses Bild kann als unmissverständliches Zeugnis griechischen Überlegenheitsgefühls gedeutet werden.[5]
Es stellt sich die Frage, wie die Griechen die Fremden gesehen haben, wie sind Fremde und Griechen miteinander umgegangen? Wie war es um Gastfreundschaft bestellt, wurden Gastrechte missbraucht? Stand eher die Angst vor Fremden, die Xenophobie, im Vordergrund oder lässt sich ein bereits ritualisiertes Vertrautsein mit Jedermann, die Philoxenie, nachweisen?
Um Antworten auf diese Fragestellungen zu finden, werden zunächst die Begriffe Xenoi, Barbaren und Metöken voneinander abgegrenzt und erläutert. Aus den Historien des Herodot werden Geschichten und Anekdoten aufgezeigt, die Hinweise auf den Umgang mit Fremden im antiken Griechenland geben. Es geht um die Behandlung von Fremden, den Umgang mit Gastrecht und Beispiele für den Missbrauch der Gastfreundschaft.
2 Fremde, Xenoi, Metöken und Barbaren
Die Fremden im antiken Griechenland unterscheiden sich in erster Linie in freie und unfreie Fremde wie Sklaven oder Kriegsgefangene. Freigeborene, die keine griechischen Bürger waren und sich freiwillig an einem Ort aufhielten und dort gewisse Rechte genossen, wurden „Xenos“ bzw. „Xenoi“ genannt.[6] Der Begriff „Xenos" hat dabei eine Doppelbedeutung: er meint sowohl den Fremden, als auch den Gastfreund. Im Zeitalter des Perserkrieges nennt Herodot auch die Perser "xenoi".[7]
Zu differenzieren sind die „Xenoi“, die zeitweise und gegebenenfalls mit besonderer Genehmigung in einem Gastland leben (Xenoi parepidemúntes) und solche, die sich in einem fremden Land niedergelassen haben, die Metöken. Die Aufenthaltsdauer war ausschlaggebend für die wirtschaftlichen Rechte, die dem Fremden eingeräumt wurden. Die Metöken in Athen hatten einen hohen sozialen Status, sie wurden in die Wirtschafts- und Wehrgemeinschaft der Politen weitgehend integriert. Viele von ihnen waren reich. Insgesamt standen die Metöken den Bürgern sehr nahe, doch nur wenige erhielten den Bürgerstatus. Von politischen Rechten blieben die Metöken in Athen somit weitgehend ausgeschlossen. Der Metöke war weder Bürger von Athen noch in irgendeiner anderen Stadt.[8] In Athen besaßen beispielsweise der Redner Lysias oder der Philosoph Aristoteles nicht das attische Bürgerrecht, sondern nur den Metökenstatus.[9]
Nichtgriechische Sklaven konnten grundsätzlich alle Berufstätigkeiten ausüben, auch als Pädagogen, Ärzte oder sogar als Unternehmer mit freien Beschäftigten. Die Polizei und die unteren Amtsfunktionen Athens wurden überwiegend von Skythen besetzt, deren mangelnde Griechischkenntnisse in den Komödien des Aristophanes gerne verspottet wurden. Sie wurden zu Staatssklaven, sogenannten Demosioi.[10]
Was machte einen Fremden zu einem „Barbaren“? Die Ägypter (und Griechen) nannten alle Völker, die nicht ihre Sprache sprechen, Barbaren.[11] Für die Griechen sind diese "Anderen" ursprünglich nicht definiert durch andere Hautfarbe oder andere Sitten, sondern durch ihre unverständliche Sprache - ein Rassebegriff modernerer Zeiten ist den Griechen bei der Definition dessen, was den Barbaren ausmacht, völlig fremd.[12]
Ein erstes Anzeichen auf eine sich verändernden Wahrnehmung des/der Fremden offenbart der Begriff Barbar: die Vokabel war ursprünglich wertfrei. Das pejorative Barbarenbild, das auch heute bei dem Wort Barbar mitschwingt, entwickelte sich erst im Laufe des 5. Jahrhunderts.[13] Bei Herodot erscheint der persische Gegner durchaus als Barbar, daraus folgt aber keine Herabsetzung.[14] Wie Herodot mit Fremden umgeht und wie er sie skizziert, wird im folgenden Abschnitt analysiert.[15]
3 Xenoi bei Herodot
3.1 Herodots „Historien”
Der Vater der Geschichtsschreibung verfasst etwa fünfzig Jahre nach den Perserkriegen sein Geschichtswerk, die „Historien“. Herodot offenbart in seinen Historien neben seinem ausgeprägten griechischen Patriotismus gleichzeitig eine rückhaltlose Bewunderung für die orientalischen Kulturen. Herodot geht bei seinen „Historien“ nicht von griechischer Überlegenheit aus, sondern zeigt Verständnis für die Lebensweise primitiverer Völker.[16] So versichert er im Vorwort, dass er die großartigen Leistungen der Griechen und der Barbaren aufschreiben wolle, damit nichts in Vergessenheit gerate.[17] Besonders orientalischen Überlieferungen spürte er mit Liebe und Eifer nach. Bei Herodot ist neu, dass er die Differenzen zwischen den Griechen im Westen und den Völkern des Ostens gewissermaßen als geschichtliches Phänomen begreift, das sich während der vergangenen Jahrhunderte immer wieder in Kriegen und Auseinandersetzungen zeigte. Herodot deutet die Perserkriege als Resultat einer langen Kette von Taten und Vergeltungen, die in die mythische Vorzeit zurückreicht. Der Krieg von 480 ist somit nur als der letzte und größte aus einer Reihe zu betrachten.[18]
Laut Herodots Vorstellung soll die orientalische Welt als eine Einheit, dem Perserreich, betrachtet werden. Geschichte und Landeskunde der einzelnen orientalischen Völker werden in der Reihenfolge beschrieben, in der sie dem Perserreich einverleibt wurden. Die Einheit des Ostens erscheint somit als Ergebnis geschichtlicher Prozesse. Am Anfang des Ersten Buches der Historien charakterisiert Herodot - noch vor den Persern - die Beschreibung der Lydier, weil sie als die ersten in feindliche Auseinandersetzungen mit den Griechen geraten und Griechen unter ihre Herrschaft bringen.[19]
In den Abschnitten über die einzelnen Völker wird Herodots Werk zur Fundgrube der antiken Ethnographie, denn es ist gefüllt mit geographischen, ethnographischen, religiösen und geschichtlichen Details über die Skythen, Perser, Ägypter, Araber und ihre Sitten, Überlieferungen und Geschichte. Herodot bildet also mehr ab als historische Zusammenhänge: Seine neun Bücher präsentieren eine Einheit aus Geschichte, Ethnographie, Geographie und Wiedergabe der verschiedensten Überlieferungen. Daher ist bei Herodot besonders gut erkennbar, welche Haltung er zur fremden Welt einnimmt.[20]
Völker unterscheiden sich bei Herodot durch ihre Sitten und Regeln, die ihr Leben bestimmen. Diese sind nicht von Gott oder der Natur vorgegeben, sondern von Menschen erdacht und daher variabel. So berichtet er von den verschiedenen Herkünften von Soldaten in dem aus verschiedensten Völkern zusammengestellten Heer der Perser: In den Bestattungssitten des einen Soldaten isst man die Toten auf, in den Gebräuchen eines anderen werden die Toten verbrannt, und beide betrachten die Sitten des Anderen als schlimmen Frevel.[21] Diese Anekdote ist geeignet aufzuzeigen, dass Begegnungen mit Fremden häufig etwas Befremdendes mit sich bringen, das jedoch ernst genommen und akzeptiert werden sollte.[22]
[...]
[1] Zimmermann 2005, S. 147.
[2] Vgl. Zimmermann 2005, S. 147.
[3] Vgl. Dihle 2003, S. 3.
[4] Vgl. Dihle 2004, S. 26.
[5] Vgl. Dihle 2003, S. 9.
[6] Vgl. Welwei 2002, Sp. 616.
[7] Vgl. Herodot IX 11,3.
[8] Vgl. Bleicken 1995, S. 104-105.
[9] Vgl. Schöpsdau 2005, S. 115.
[10] Vgl. Bäbler, S.66.
[11] Vgl. Herodot II 158.
[12] Vgl. Malitz 2001, S. 54.
[13] Vgl. Dihle 2003, S. 4.
[14] Vgl. Herodot VII 35 sowie VIII 142.
[15] Zur Verwendung und Entwicklung des Begriffs „Barbar“ vgl. Losemann 1997 Sp. 439-443.
[16] Vgl. Dihle 2003, S. 10-11.
[17] Vgl. Herodot I Prooemium.
[18] Vgl. Herodot I 1-4.
[19] Vgl. Herodot I 6.
[20] Vgl. Dihle 1994, S. 38-41; Dihle 2004, S. 27; Redfield 2002, S. 24.
[21] Vgl. Herodot III 38.
[22] Vgl. Dihle 2003, S. 11; Malitz 2001, S. 64, Redfield 2002, S. 33-34.
- Citation du texte
- David Grupe (Auteur), 2007, Xenoi - Vom Umgang mit Fremden im antiken Griechenland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82843
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