Wie soll man Aussagen über ein Phänomen treffen, dass so komplex ist und zudem noch so alt zu sein scheint, wie die Menschheit selbst. Wohl nur, wenn man zu ihrem Ursprung zurückkehrt, sie von allem Dazugekommenen säubert, um zu sehen was Religion ist und warum sie entstanden ist. Im diesem Essay soll nun versucht werden, deutlich zu machen, woran man nach Durkheim Religion erkennt und es sollen aktuelle Phänomene aufgeführt werden, auf die diese Definition zutrifft.
Es soll also untersucht werden, inwieweit Durkheims Definition von Religion auf die heutige Gesellschaft anwendbar ist. Hierfür wird sie einer weiteren Definition, der von Thomas Luckmann, gegenübergestellt.
Zuletzt wird untersucht, inwieweit diese Religionsdefinitionen auf die heutige Welt übertragbar sind.
Dabei soll der Aspekt der Ganzheitlichkeit, welcher für moderne Religionsformen zentral ist, ins Zentrum der Untersuchung gestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Religionsdefinition nach Durkheim
2.1 Negative Religionsdefinition
2.1.1 Existens von und Glaube an etwas Übernatürliches . . .
2.1.2 Gottheiten
2.2 Positive Religionsdefinition
2.2.1 Die Unterscheidung zwischen heilig und profan
2.2.2 Die Kirche
2.3 Anwendung
3 Die Kirche als die institutionelle Spezialisierung der Religion
3.1 Der Religionsbegriff nach Luckmann
3.2 Die Entstehung von Kirchen
4 Moderne Religionsformen
4.1 Die Religiosität moderner Religionsformen
4.2 Die Ganzheitlichkeit moderner Religionsformen
5 Zusammenfassung
1 Einleitung
Wie soll man Aussagen über ein Phänomen treffen, dass so komplex ist und zu- dem noch so alt zu sein scheint, wie die Menschheit selbst. Wohl nur, wenn man zu ihrem Ursprung zurückkehrt, sie von allem Dazugekommenen säubert, um zu sehen was Religion ist und warum sie entstanden ist. Im nun folgenden Es- say soll nun versucht werden, deutlich zu machen, woran man nach Durkheim Religion erkennt und es sollen aktuelle Phänomene aufgeführt werden, auf die diese Definition zutrifft. Es soll also untersucht werden, inwieweit Durkheims Definition von Religion auf die heutige Gesellschaft anwendbar ist. Hierfür wird sie einer weiteren Definition, der von Thomas Luckmann, gegenübergestellt. Zuletzt wird untersucht, inwieweit diese Religionsdefinitionen auf die heutige Welt übertragbar sind. Dabei soll der Aspekt der Ganzheitlichkeit, welcher für moderne Religionsformen zentral ist, ins Zentrum der Untersuchung gestellt werden.
2 Religionsdefinition nach Durkheim
Um sich einer Definition des weiten Begriffs der Religion zu nähern, reicht es nicht aus, nur nach Gemeinsamkeiten zweier oder weniger Religionen zu suchen. Man braucht eine Eigenschaft oder eine Definition, die die wesentlichen Eigenschaften des Religiösen ausreichend beschreibt und zugleich den Gegensatz zu allem anderen verdeutlicht.
2.1 Negative Religionsdefinition
Zunächst sollen zwei Ansätze für eine Religionsdefinition aufgeführt werden, welche den Ansprüchen einer Definition nicht gerecht werden. Diese Ansätze werden als negativ bezeichnet, da sie nicht allgemeingültig anwendbar sind.
2.1.1 Existens von und Glaube an etwas Übernatürliches
Es ist nicht genug, Religion an dem festzumachen, was unseren Verstand übersteigt. Um etwas als übernatürlich anzusehen, bedarf es einer ”natürlichen Ordnung der Dinge“ (Durkheim,1981,S.49). Die Phänomene des Universums in Beziehung zueinander zu setzen und somit natürliche Gesetzmäßigkeiten aufzustellen, ist eine Eigenart postprimitiver menschlicher Zivilisationen. So- mit wird das, was den Verstand übersteigt oder als übernatürlich angese- hen wird, außerhalb der Vernunft angesiedelt und damit religiösen Charak- ters. Dieser ”universaleDeterminismus“(Durkheim,1981,S.49)istallerdings nichts prinzipiell Menschliches, noch in der Antike gab es keine klare Trennli- nie zwischen rationalen und übernatürlichen Phänomenen. Durkheim schreibt, dass es die Menschen sogenannter primitiver Zivilisationen nicht befremde- te, ”dassmanmitderStimmeodermitderGestedenElementenbefehlen kann, den Lauf der Sterne aufzuhalten oder beschleunigen, den Regen fallen oder aufhören lassen kann“ (Durkheim,1981,S.48). Für diese Zivilisationen gehörten ähnliche Praktiken oder Phänomene zum alltäglichen Leben und auch wenn sie die Menschen erschrecken ließen, so glaubten sie noch lange nicht an die Offenbarung von etwas Religiösem. Ein Phänomen kann demnach nicht als religiös qualifiziert werden, je nach dem, ob es einem rationalen Erklärungsmodell standhält oder nicht.
2.1.2Gottheiten
Auch ist die Existenz von Gottheiten ist keine ausreichende Bestimmung für Religionen. Auch wenn in vielen Religionen der Glaube an geistige Wesen zentrales Element ist, so wird dieser Definitionsversuch sofort dem Irrtum überführt, wenn man an den Buddhismus denkt, dessen Dogma eher Selbs- treflektion und ethisches Handeln beinhaltet als die Ehrung einer Gottheit. Durkheim schreibt sogar, dass es in jedem Kult Praktiken gibt, die bei ih- rer Ausführung nicht auf eine Gottheit zielen sondern sich das gewünschte Phänomen automatisch aus dem Ritus ergibt, wenn er richtig ausgeführt wird (vgl. Durkheim,1981,S.60). Man kann also sagen, dass nicht alle Tugenden aus göttlichen Persönlichkeiten entspringen und es durchaus kulturelle Beziehungen gibt, die ein anderes Ziel haben, als den Menschen mit seiner Gottheit zu verbinden (vgl. Durkheim, 1981, S.60).
2.2 Positive Religionsdefinition
Diese Definitionen eignen sich also nicht, jedoch gibt es zwei Aspekte, welche in allen bekannten religiösen Überzeugungen von zentraler Rolle sind. Dies ist zum einen die Unterscheidung zwischen einer profanen und einer heiligen Welt und zum anderen das gemeinschaftliche Ausleben der Religion in einer Kirche.
2.2.1 Die Unterscheidung zwischen heilig und profan
Religionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus einer gebündelten Anzahl von Glaubensüberzeugungen und Riten bestehen. Die Glaubenüberzeugungen sind die religiösen Meinungen, die sich im Denken des Gläubigen manifestieren und die Riten bestimmte Handlungsweisen, die sich im religiösen Tun äußern. Alle Glaubensüberzeugungen haben eines gemeinsam und zwar klassifizieren sie alle Dinge, die sich der menschlichen Vorstellung erschließen in zwei Klas- sen. Demnach lässt sich alles zwei entgegengesetzten Polen zuschreiben, die mit den Ausdrücken profan und heilig bezeichnet werden. Diese Vorstellung beinhaltet die Kreation zweier konträren Welten, die alles Existierende um- schließen. Allerdings lässt sich der Kreis der heiligen Objekte nicht auf Götter oder götterartige Wesen reduzieren, beinahe alles kann heilig sein, solange es nur im absoluten Gegensatz zum Profanen, dem Normalen steht.
Die Religionsdefinition nach Durkheim speist sich also aus der Abgrenzung der heiligen von der profanen Welt. Demnach kann man also sagen, dass ”wenn heilige Dinge untereinander Beziehungen der Zu- und Unterordnung haben, so dass sie ein System von gewisser Einheit bilden, das aber selbst in kei- nem anderen System derselben Art einbezogen ist, dann bildet die Summe der Überzeugungen und der entsprechenden Riten eine Religion“ (Durkheim,1981, S.67).
2.2.2 Die Kirche
Diese oben beschriebene Definition würde allerdings auch auf magische Kulte zutreffen. Daher schließt Durkheim die Kirche in seine Definition der Religion ein, denn der Magie fehlt eine Gruppe als Unterbau. Religion ist immer auch ein kollektives Phänomen und es bedarf einer Institution, welche die Beziehung zwischen der heiligen und der profanen Welt für den Gläubigen nachvollzieh- bar macht und den Umgang mit dem Heiligen reglementiert. Eine Religion ist daher, um zu einer endgültigen Definition der Religion zu gelangen, ”einsoli- darisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören“ (Durkheim,1981, S.75).
2.3 Anwendung
Wendet man diese Definition auf eine moderne Religion wie das Christentum an, so zeigen sich deutliche Übereinstimmungen. Die heiligen Dinge der ka- tholischen Kirche verweisen auf eine zugleich unerreichbare wie erwünschte Welt. Der Himmel steht im Gegensatz zur Erde, er ist das erwünschte Ziel, welches man nur durch sein eigenes Ableben erreichen kann, aber auch nur wenn man ein Leben im Sinne der heiligen Dinge geführt hat. Während ei- ner Beerdigung wird der Tote von seinen profanen Sünden gereinigt und in den Himmel geschickt. Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen dem Himmlischen und den Irdischen bei den Heiligsprechungen im Vatikanstaat. Bereits Gestorbene werden nachträglich in den Heiligenstand berufen und er- halten übermenschliche Attribute. Auch in primitiveren Religionen existieren Riten zur Initiation, in denen der Jüngling seinen symbolischen Tod und die darauf folgende Wiedergeburt durchlebt. Perverse Steigerung dieses Vorgangs stellen wohl die Massenselbstmorde einiger radikaler Sekten dar.
Doch zeigt auch gerade dieses letzte Beispiel, dass sich die moderne Religion in der Krise befindet. Besonders der letzte Teil Durkheims Definition, demzufolge ”ReligioneineimwesentlichenkollektiveAngelegenheitist“(Durkheim,1981, S.75 ) scheint mehr und mehr an Bedeutung zu verlieren. Die moderne Gesell- schaft ist von Globalisierung und funktionaler Differenzierung gekennzeichnet, was maßgeblich dazu beiträgt, die Gesellschaft nicht mehr als ein Kollektiv, ein Ganzes anzusehen. Im folgenden Abschnitt soll die Rolle der Kirche in der heutigen Gesellschaft untersucht werden. Im Zentrum der Argumentation steht Thomas Luckmanns These der unsichtbaren Religion.
3 Die Kirche als die institutionelle Spezialisie- rung der Religion
Sind die Begriffe Kirche und Religion bei Durkheim noch untrennbar miteinan- der verbunden, so zeigt sich, wie bereits oben angedeutet, dass diese Annahme für die heutige Gesellschaft zumindest fraglich ist. Im Folgenden soll untersucht werden, ob man Religion und Kirche, egal welcher Konfession, gleichsetzen kann. Dafür soll zunächst Luckmanns Religionsbegriff vorgestellt werden.
3.1 Der Religionsbegriff nach Luckmann
Um sich einer Gegenüberstellung von Religion und Kirche zu nähern, muss man zunächst Luckmanns Religionsbegriff erklären. Dieser Begriff ist weiter gefasst als der Durkheims, er durchzieht die gesamte menschliche Existenz. Luckmanns Religionsbegriff gründet darin, dass der Mensch sich erst in der Gesellschaft zu einem Individuum entwickeln kann, dass die Individuation des menschlichen Bewusstsein also allein in gesellschaftlichen Vorgängen realisiert wird (vgl. Luckmann, 1991, S.85). In solchen Vorgängen, in denen sich der unfertig geborene Mensch durch direkte Interaktion das Wissen anderer und auch historischer Personen aneignet, transzendiert er seine biologische Natur (Luckmann, 1991, S.85).
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- Citation du texte
- Simon Eder (Auteur), 2006, Religion in Zeichen der Säkularisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82684
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