Diese Arbeit beschäftigt sich mit Heinrich Wittenwilers Werk „Der Ring“. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob sich Komplexität und Heterogenität des Stückes mit der Interpretation als Fastnachtsspiel erklären lassen.
Zunächst soll an Hand des Textes dargestellt werden, inwieweit sich Elemente aus der Fastnachtstradition im Stück befinden. Es soll hier deutlich werden, warum eine "Fastnachtskonzeption" des Stückes angenommen wird. Daran schließen sich die Argumente gegen diese Deutungsweise an.
Der dargestellte Interpretationsansatz soll an dieser Stelle kritisch betrachtet und mögliche Schwachstellen sollen herausgearbeitet werden. Eine alternative Erklärung für die fastnächtlichen Elemente steht am Ende dieser Betrachtungen, um zu zeigen, dass sie sich nicht zwingend auf eine Fastnachtskonzeption zurückführen lassen.
Weil für die Interpretation des ‛Ring’ als Fastnachtsspiel die Bestimmung des Verhältnisses von Lehre und Handlung eine bedeutende Rolle spielt, bildet das Verständnis von Lehre als Anweisung, „die ex negativo in der Handlung selbst dargeboten wird“ , für den nächsten Punkt den zentralen Aspekt. Es soll geklärt werden, wie Lehre präsentiert wird, welche Funktion sie hat und wie sie in die Handlung eingebunden wird. In einem weiteren Schritt wird dann der Frage nachgegangen, ob es sinnvoll ist, den ‛Ring’ in die Gattung der Fastnachtsspiele einzuordnen. Greift diese Interpretation möglicherweise zu kurz und glättet Widersprüche auf unzulässige Art und Weise, um dem Stück mit seiner Komplexität und ihren Widersprüchen einen Sinn zu unterstellen?
Nach der detaillierten Darstellung des sehr spezifischen Interpretationsansatzes folgt ein kleiner Ausblick: Alternative Deutungen werden vorgestellt, um her-vorzuheben, dass der ‛Ring’ auch gänzlich anders interpretiert werden kann. Beispielsweise könnte er dazu dienen, den Mechanismus der Verkehrung von Lehre und ihren Folgen zu demonstrieren. Oder liegt eine „radikale Dekonstruktion“ aller zu dieser Zeit gültigen Denk-, Handlungs- und sogar Sprachhandlungsmodelle vor? Möglich ist auch, dass der ‛Ring’ Ausdruck veränderter Rahmenbedingungen ist, die sich im Text durch „kunstvolle Kollage unterschiedlichster Schreibweisen oder Diskurse“ zeigen.
Zum Abschluss werden die wichtigen Aussagen noch einmal zusammengefasst und es wird ein eigener Interpretationsversuch vorgestellt, der die erarbeiteten Ergebnisse miteinbezieht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Fastnachtskonzeption als zu Grunde liegendes Modell
2.1 Elemente der Fastnachtstradition als Indizien für die zu Grunde liegende Fastnachtskonzeption
2.1.1 Definiton des Bauern als Narr durch den Autor selbst
2.1.2 Die zeitliche Struktur der Handlung als Rahmen einer Fastnacht
2.1.3 Die Einbindung von Fastnachtsfiguren in die Ring-Handlung
2.1.4 Beschreibung und Handlungsweise der Figuren als Bestandteile der Fastnacht
2.1.5 Ein direkter Hinweis auf die Fastnachtszeit?
2.1.6 Parallelen zu Vorlagen der späteren Fastnachtsspiele
3. Einwände gegen das Vorliegen einer Fastnachtskonzeption
3.1 Direkte Hinweise auf die Zeitstruktur der Fastnacht
3.2 Die Definition des gpaur (V. 43) explizit als Fastnachtsnarr?
3.3 Weitere Deutungsmöglichkeit für die Präsentation fastnächtlicher Tradition
4. Das Verhältnis von Lehre und Handlung: Kurt Ruhs Interpretation des Werkes als „Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt“
4.1 Lehre als Exemplum Contrarium
4.2 Kurt Ruhs Deutung der Lehre: Sinnvoller Interpretationsansatz oder unzulässige Glättung?
5. Alternative Deutungsmöglichkeiten
6. Zusammenfassung und eigener Deutungsversuch
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit Heinrich Wittenwilers Werk „Der Ring“. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob sich Komplexität und Heterogenität des Stückes mit der Interpretation als Fastnachtsspiel erklären lassen.
Zunächst soll an Hand des Textes dargestellt werden, inwieweit sich Elemente aus der Fastnachtstradition im Stück befinden. Dadurch wird deutlich, warum man eine „Fastnachtskonzeption“[1] als Grundlage des Stückes annimmt. Schwerpunkte werden dabei vor allem Minnewerbung und Kriegsereignisse bilden, weil vorrangig in diesen Passagen die fastnächtlichen Elemente auftreten.
Daran schließen sich die Argumente gegen diese Deutungsweise an. Der dargestellte Interpretationsansatz soll an dieser Stelle kritisch betrachtet und mögliche Schwachstellen sollen herausgearbeitet werden. Eine alternative Erklärung für die fastnächtlichen Elemente steht am Ende dieser Betrachtungen, um zu zeigen, dass sie sich nicht zwingend auf eine Fastnachtskonzeption zurückführen lassen.
Weil für die Interpretation des ‛Ring’ als Fastnachtsspiel die Bestimmung des Verhältnisses von Lehre und Handlung eine bedeutende Rolle spielt, bildet das Verständnis von Lehre als Anweisung, „die ex negativo in der Handlung selbst dargeboten wird“[2], für den nächsten Punkt den zentralen Aspekt. Es soll geklärt werden, wie Lehre präsentiert wird, welche Funktion sie hat und wie sie in die Handlung eingebunden wird. In einem weiteren Schritt wird dann der Frage nachgegangen, ob es sinnvoll ist, den ‛Ring’ in die Gattung der Fastnachtsspiele einzuordnen. Greift diese Interpretation möglicherweise zu kurz und glättet Widersprüche auf unzulässige Art und Weise, um dem Stück mit seiner Komplexität und ihren Widersprüchen einen Sinn zu unterstellen?
Nach der detaillierten Darstellung des sehr spezifischen Interpretationsansatzes folgt ein kleiner Ausblick: Alternative Deutungen werden vorgestellt, um hervorzuheben, dass der ‛Ring’ auch gänzlich anders interpretiert werden kann. Beispielsweise könnte er dazu dienen, den Mechanismus der Verkehrung von Lehre und ihren Folgen zu demonstrieren.[3] Oder liegt eine „radikale Dekonstruktion“[4] aller zu dieser Zeit gültigen Denk-, Handlungs- und sogar Sprachhandlungsmodelle vor? Möglich ist auch, dass der ‛Ring’ Ausdruck veränderter Rahmenbedingungen ist, die sich im Text durch „kunstvolle Kollage unterschiedlichster Schreibweisen oder Diskurse“[5] zeigen.
Zum Abschluss werden die wichtigen Aussagen noch einmal zusammengefasst und es wird ein eigener Interpretationsversuch vorgestellt, der die erarbeiteten Ergebnisse miteinbezieht.
2. Die Fastnachtskonzeption als zu Grunde liegendes Modell
Kurt Ruh erklärt „die Heterogenität der Wirklichkeitsschau“[6], die im ‛Ring’ stattfindet, mit der These, dem gesamten Stück liege eine Fastnachtskonzeption zu Grunde. Für ihn stellt diese Annahme den „Schlüssel“[7] zum richtigen Verständnis des ‛Ring’ dar. Als Belege für seine Annahme nennt Ruh die zeitliche Abfolge der Handlung, dann die Definition der Bauern als Narren durch Wittenwiler selbst (Er ist ein gpaur in meinem muot, / der unrecht lept und läppisch tuot VV. 43f.) sowie das Vorhandensein eindeutiger Fastnachtselemente im Stück.
In den folgenden Abschnitten soll deshalb dargestellt werden, ob sich dieses Verständnis an Hand des Textes belegen lässt. Zunächst werden die Belege für ein solche Interpretation des ‛Ring’ angeführt. Dadurch soll deutlich werden: Wie kommt es zu dieser Annahme? Welche Elemente der Fastnachtstradition begegnen im ‛Ring’? Was lässt sich an Hand des Textes beweisen?
2.1 Elemente der Fastnachtstradition als Indizien für die zu Grunde liegende Fastnachtskonzeption
Für die Annahme, der ‛Ring’ sei als Fastnachtsspiel zu lesen, lassen sich im Text verschiedene Anhaltspunkte finden. Hier sollen im Wesentlichen die Aufsätze von Ruth Schmidt-Wiegand[8] und Kurt Ruh herangezogen werden, um die Bezüge zur Fastnachtstradition zu verdeutlichen.
2.1.1 Definiton des Bauern als Narr durch den Autor selbst
Heinrich Wittenwiler selbst definiert in seinem Prolog den Bauern als Narren: Er ist ein gpaur in meinem muot,/ der unrecht lept und läppisch tut (VV. 43f.). Damit ist es der Autor selbst, der den Begriff des Narren für das Verständnis seines Textes einführt, denn läppisch bedeutet närrisch. Lappenhausen ist damit charakterisiert als das Dorf, in dem die Narren wohnen. Dadurch wird der Bauer aus seinem Stand herausgehoben. Er steht nicht länger für ihn und verkörpert stattdessen menschliche Torheit.[9]
Der Begriff des Narren kann zu dieser Zeit aber bereits auch den Fastnachtsnarren umfassen. „Schon in flämischen, flandrischen und französischen, aber auch in deutschen Städten hatte man, seit 1330 nachweisbar, an Fastnacht zeitliche Reiche mit eigener Hierarchie errichtet […]“[10], so ist beispielsweise für Doornik ein eben solches Reich für das Jahr 1330 bezeugt.[11]
Die Nähe zum Fastnachtsbrauchtum lässt sich dadurch noch nicht beweisen, jedoch muss diese Konnotation des Narrenbegriffs miteinbezogen werden, wenn Wittenwiler bereits im Prolog eine so geartete Definition anführt.
Nimmt man die Ausführungen Ruth Schmidt-Wiegands zu dieser Thematik hinzu, so steht Wittenwiler in einer Tradition, die dessen Vorlage ‛Metzen hochzit’[12] eng mit dem Fastnachtstreiben verbindet.[13] Wittenwiler schildert damit das Leben und Treiben des Narrentums im Sinne des Fastnachtsnarren.
2.1.2 Die zeitliche Struktur der Handlung als Rahmen einer Fastnacht
Ein weiterer Aspekt, der für die Fastnachtskonzeption im ‛Ring’ spricht, ist der zeitliche Ablauf der Handlung. Die zeitliche Struktur, in der die Handlung abläuft, lässt sich als Zeitspanne der Fastnacht deuten: Sie setzt mit dem Turnier am Sonntag Estomihi ein, der Herrenfastnacht. Bertschi und seine Gefolgschaft beginnen die Minnewerbung.
Do huob sich ein hofieren
Mit stechen und turnieren.
An einem suntag daz geschach,
Daz man do Bertschin chomen sach
Mit zwelf gsellen wol getan
Ze Lappenhausen auf den plan. (VV. 103 – 108)
Die Hochzeit findet am darauffolgenden Sonntag statt. Darauf verweist die Eheschließung durch den pharrer in der mess, genauso wie die Aussagen Da mit so laut man zuo der mess. (V. 5389) und Ze chirchen do: das was der sitt. (V. 5398). Dieser Sonntag ist die allermans fasnacht – die Fastnacht für alle.[14] Die folgenden Vorbereitungen zum Kampf ereignen sich bereits am nächsten Tag, folglich ist dies ein Montag – der geile (=ausgelassene) Montag.[15] Hinweis darauf ist die Hochzeitsnacht Bertschis und Mätzlis, die in der Nacht vor dem Lappenhausener Kriegsrat stattfindet (vgl. VV. 6979 – 7151). Der folgende Tag beinhaltet die Schlacht und ist nach der aufgestellten Zeitrechnung ein Dienstag. Belegt wird dies in Vers 7484: Da mit so wirts am eritag. Eritag meint „dies Martis“ und somit Dienstag. Stellt man diesen in die Zeitstruktur, so ist damit der Fastnachtsdienstag gemeint – „die große Schlacht [ein] überbordender Fastnachtsulk mit den Masken der Vorzeit“[16]. Der Schluss, der Bertschi die Rolle des Eremiten zuweist, steht dann für den Abschluss der Fastnachtstage: Den Aschermittwoch.[17] Streng genommen gehört dieser bereits in die darauffolgende Fastenzeit und stellt die Rückkehr zur gewohnten Ordnung dar.
2.1.3 Die Einbindung von Fastnachtsfiguren in die Ring-Handlung
Wittenwiler bindet in sein Stück eindeutig als Fastnachtsfiguren zu identifizierende Gestalten ein, insbesondere die Hexen. Ihre Anführerin, Frau Hächel, war und ist eine der populärsten Fastnachtsfiguren und auch heute ist ihre Maske eine der häufigsten Masken im Fastnachtstreiben.[18] Der Wilde Mann, der im ‛Ring’ völlig unvermittelt auftaucht, war ebenfalls eine sehr beliebte Fastnachtsfigur. Beide Figuren entstammen einem Brauch, der „ursprünglich mit einer Beschwichtigung von Totenseelen, mit Dämonentreiben zu tun“[19] gehabt hat. Der Wilde Mann ist ein „in einen Tierpelz gekleidete[r] Dämon“[20] und steht als dämonische Einzelgestalt als Sinnbild für die ungezügelten, wilden Kräfte der Natur. Die christliche Darstellung benutzt ihn zu jener Zeit als Gegenbild zum Engel und die katholische Kirche führt die gefesselte Figur in Fronleichnamsprozessionen als Gegenstück zu den weltlichen Fastnachtsaufzügen mit.[21] Auch die Tötung ist bereits im Brauchtum der Fastnacht angelegt, allerdings vorwiegend durch einen Schuss oder einen Stich[22], die sich im ‛Ring’ nicht wiederfinden. Da die Figur bereits sehr früh bezeugt ist (Legende des heiligen Eustachius; 7. Jh. n. Chr.[23]), ist es sehr wahrscheinlich, dass sie mit diesem Hintergrund auch Wittenwiler bekannt gewesen ist.
Auch die Riesen nehmen in der Fastnacht eine beliebte Stellung ein, wie z.B. der Riese Golie (V. 8897), der sich auch im ‛Ring’ findet. Die Gruppe der Riesen gehört mit der der Hexen zu den „Verführern der Welt“[24].
2.1.4 Beschreibung und Handlungsweise der Figuren als Bestandteile der Fastnacht
Nicht nur die Aufnahme von Fastnachtsgestalten in den ‛Ring’, sondern auch die Beschreibung sowie die Handlungen bestimmter Figuren lassen auf die Darstellung des Geschehens innerhalb der Fastnacht schließen.
Zum einen die Beschreibung Mätzlis, als außerordentlich hässliche Frau:
Die hiez Mätzli Rürenzumph.
Sei was von adel lam und krumpf,
Ir zen, ïr händel sam ein brand,
Ir mündel rot sam mersand.
Sam ein mäuszagel was ir zoph.
An ir chelen hieng ein chroph,
der ir für den bauch gie.
Lieben gsellen, höret, wie
Ir der rugg was überschossen:
Man hiet ein gloggen drüber gossen!
Die füessli warend dik und brait,
Also daz ir chain wind laid
Getuon moht mit vellen,
Wolt sei sich widerstellen,
Ir wängel rosenlecht sam äschen,
Ir prüstel chlein sam smirtäschen.
Die augen lauchten sam der nebel,
Der aten smacht ir als der swebel.
So stuond ir daz gwändel gstrichen,
Sam ir die sele wär enwichen.
Sei chond also schon geparen,
Sam sei wär von drien jaren. (VV. 75 – 96)
Die Schönheit Mätzlis wird von Wittenwiler konträr zu den höfischen Schönheitsidealen geschildert, wodurch diese parodiert werden.[25] In starkem Widerspruch dazu steht ihre große sexuelle Anziehungskraft auf Bertschi, die zunächst nicht zu dieser Beschreibung passt. Diese Anziehungskraft wird jedoch erklärbar, wenn sie als übergestülpte Maske gedeutet wird.[26] Die dargestellte Hässlichkeit stellt dann ein besonderes Charakteristikum der Fastnacht dar, das sich auch in späteren Fastnachtsspielen sehr häufig wiederfindet.[27] In diesem Sinn können auch die Figuren der Bauern gedeutet werden, denn „Bauernmasken gehören zu den häufigsten im Maskentreiben [und] sie eignen sich besonders gut zur Darstellung des Animalischen.“[28]
Auch die Selbsternennung zu Adeligen als hohen Standespersonen, beispielsweise mit der Ernennung Rüefel Lechdenspiss’ zum kaiser (VV. 7260f.), lassen sich mit der Fastnachtskonzeption erklären. Sie bedeuten die Errichtung eines eigenen Reiches, eines Narrenreiches.
2.1.5 Ein direkter Hinweis auf die Fastnachtszeit?
Vielleicht lassen sich auch die Verse 5347 und 5348 in den Kontext der Fastnachtskonzeption stellen. Möglicherweise sind sie sogar der direkteste Hinweis auf den Rahmen der Fastnacht, denn hier heißt es: Seu chament her geritten/ Auff eseln und auch schlitten. Dieser Vers ist der einzige Hinweis im gesamten ‛Ring’, der einen direkten Hinweis auf die kalte Jahreszeit, in der die Fastnacht veranstaltet wird, gewertet werden kann. Die schlitten verweisen auf Schnee, der zum Termin der Fastnacht in der Region, in der Wittenwiler die Handlung spielen lässt, liegt. Dies bestärkt die Deutung der der Handlung innerhalb des Fastnachtsrahmens.[29]
2.1.6 Parallelen zu Vorlagen der späteren Fastnachtsspiele
Letztes Indiz für das Zugrunde-Liegen einer Fastnachtskonzeption sind Parallelen in Wittenwilers Werk zu den Vorläufern der späteren Fastnachtsspiele.
Zunächst ist die Existenz einer Spieltradition der beiden Vorlagen – ‛Meier Betz’ und ‛Metzen hochzit’ – sehr wahrscheinlich, welche mit der Fastnacht und ihrem Brauchtum eng verbunden gewesen waren.[30] Zusätzlich dazu scheint es eine gespielte Form des Beichtschwankes gegeben zu haben, die über das Fastnachtsbrauchtum eine Verbindung zum Kübelstechen eingegangen war.[31] Dieses Ereignis war ein Spaßturnier, bei dem die Reiter an Stelle der Helme Eimer auf dem Kopf trugen.[32] Es ist wahrscheinlich, dass Wittenwiler diese Spielfassung kannte und sie ihm als Vorlage diente. Im Text spricht dafür, dass im Turnier selbst Eisengrein von chübel rüeren (V. 467) redet. Wittenwiler bindet damit eine Form in sein Werk ein, die eindeutig mit der Fastnacht konnotiert wird. Zusätzlich dazu bilden Bauernschwänke, insbesondere die Bauernhochzeitsschwänke – zu denen die Vorlagen des ‛Ring’ zählen – die bevorzugte Grundlage der Fastnachtsspiele. Als Gattung selbst treten die Fastnachtsspiele jedoch erst ab etwa 1440 auf, mit der „einsetzenden Nürnberger-Fastnachtstradition“[33]. Der ‛Ring’ befindet sich damit als literarisches Werk in der zeitlichen Abfolge zwischen der Form der genannten Schwänke, egal ob gespielt oder in literarisierter Form, und den Fastnachtsspielen. Das bedeutet, er steht zeitlich in einer Entwicklung, in der sich die Gattung der Fastnachtsspiele langsam herauszubilden beginnt. Es ist also durchaus möglich, dass Wittenwiler sein Werk in diesem Kontext verfasst hat. Dies ist bei einer Interpretation unbedingt zu berücksichtigen, soll das Werk Wittenwilers angemessen gedeutet werden.
[...]
[1] Ruh, Kurt: Ein Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt. Wittenwilers "Ring". S. 350. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, hrsg. von L. Grenzmann und K. Stackmann. Stuttgart, 1984. S. 344 – 355. (Germanistische Symposien. Berichtsbände 5).
[2] Ebd. S. 350.
[3] Vgl. Hirschberg, Dagmar/ Ortmann, Christa/ Ragotzky, Hedda: ‚törpel‘, ‚gpauren‘ und ‚der welte lauf.‘. Zum Problem der Bestimmung närrischer Lehre in Wittenwilers ‚Ring‘. S. 208. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 8 (1994/95). S. 201 – 219.
[4] Bachorski, Hans-Jürgen: Der Ring: Dialogisierung, Entdifferenzierung, Karnevalisierung. S. 258. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 8 (1994/95). S. 239 – 258.
[5] Röcke, Werner: Das Lachen, die Schrift und die Gewalt. Zur Literarisierung didaktischen Schreibens in Wittenwilers Ring. S.259. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 8 (1994/95). S. 259 – 282.
[6] Ruh, Kurt: Ein Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt. Wittenwilers “Ring”. S. 350.
[7] Ebd. S. 349.
[8] Schmidt-Wiegand, Ruth: Heinrich Wittenwilers ‛Ring’ zwischen Schwank und Fastnachtsspiel. In: „Sagen mit Sinne“. Festschrift für Marie-Luise Dittrich. Herausgegeben von Helmut Rücker und Kurt Otto Seidel. Göppingen, 1976 (= GAG Nr. 180).
[9] Vgl. Ebd. S. 245.
[10] Moser, Dietz-Rüdiger: Ein Babylon der verkehrten Welt. Über Idee, System und Gestaltung der Fastnachtsbräuche. S. 20. In: Sund, Horst (Hrsg.): Fas(t)nacht in Geschichte, Kunst und Literatur. Konstanz, 1984. S. 9 – 57.
[11] Vgl. Ruh, Kurt: Ein Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt. Wittenwilers “Ring”. S. 350.
[12] ‛Metzen hochzit’ und ‛Meier Betz’ bilden zusammen die Vorlagen für die Handlung des ‛Ring’. Beide Stücke sind Bauernhochzeitsschwänke, deren Handlung und Ausgestaltung der Figuren von Wittenwiler in seinem Werk stark erweitert wurden. Vergleiche dazu das Vorwort von Horst Brunner. In: Wittenwiler, Heinrich. Der Ring. Nach dem Text von Edmund Wießner ins Neuhochdeutsche übersetzt und herausgegeben von Horst Brunner. Stuttgart, 1991. (= RUB 8749).
[13] Vgl. Schmidt-Wiegand, Ruth: Heinrich Wittenwilers ‛Ring’ zwischen Schwank und Fastnachtsspiel. S. 246. Diese Annahme leitet Ruth Schmidt-Wiegand aus zahlreichen nachfolgenden historischen Bezugnahmen auf gespielte Formen von ‛Metzen hochzit’ ab.
[14] Vgl. Ruh, Kurt: Ein Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt. Wittenwilers “Ring”. S. 349.
[15] Vgl. Ebd. S. 349 – 350.
[16] Ebd. S. 350.
[17] Vgl. Ebd.
[18] Vgl. Ruh, Kurt: Ein Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt. Wittenwilers “Ring”. S.350.
[19] Dörrer, Anton: Das Schemenlaufen in Tirol und verwandte alpenländische Masken- und Fasnachtsbräuche. Innsbruck, 2. umgearbeitete und vermehrte Ausgabe 1938. S. 4.
Anm.: Vergleiche dazu auch den fortlaufenden Text: Sowohl Hexen, als auch Wilde Männer erinnern an ein solches Brauchtum. Dass sie mit der mythischen Welt verbunden sind, erhärtet ihre Existenz in Sagen und Märchen Tirols und der angrenzenden Länder.
[20] Spamer, Adolf: Deutsche Fastnachtsbräuche. Jena, 1936. (Volksart und Brauch. Herausgegeben von Adolf Spamer). S. 29.
[21] Vgl. Ebd. S. 31.
[22] Vgl. Ebd.
[23] Vgl. Ebd. S. 30.
[24] Moser, Dietz-Rüdiger: Ein Babylon der verkehrten Welt. Über Idee, System und Gestaltung der Fastnachtsbräuche. S. 27.
[25] Vgl. Plate, Bernwart: Narren und Ständesatire in Heinrich Wittenwilers Ring. S. 61. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 48 (1974). S. 47 – 71.
[26] Vgl. Ruh, Kurt: Ein Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt. Wittenwilers “Ring”. S. 350.
[27] Im ‛Eggenziehen’ (welches möglicherweise von Hans Rosenplüt stammt) findet sich eine ähnliche Beschreibung einer Frau: Gerhaus dicit/ Das ich mich hie muß lassen straffen,/ Das macht, ich bin zu ungeschaffen/ Und hab zu mal ein weittes maul;/ So bin ich sunst auch treg und faul/ Und hab darzu ein krumen ganck,/ So ist mir auch die naß zu lanck,/ Zwoi lange pein, ein krumen ruck,/ Das hat mir heur verderbt mein geluck. (VV. 35 – 42). In: Wuttke, Dieter (Hrsg.): Fastnachtsspiele des 15. und 16. Jahrhunderts. Stuttgart, 4., bibliographisch ergänzte Auflage 1989 (=RUB 9415 [6]). S. 28 – 30.
[28] Ebd.
[29] Vgl. dazu: Wießner, Edmund: Kommentar zu Heinrich Wittenwilers Ring. Leipzig, 1936. (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Realistik des Spätmittelalters. Kommentar zu Bd. 3). S. 50. Anm. zu V. 830f.: Wießner vermerkt hier, dass mit schlitten ein primitives Fahrzeug bezeichnet werde. Somit ist er kein Indiz für die Fasnachtskonzeption des Stückes. Dieser Hinweis ist nicht eindeutig, denn gleichzeitig merkt Wießner an, dass auch ein Schlitten in traditioneller Weise denkbar sei, wenn er festhält: Der Hochzeitszug käme in einem bestimmten Ort in Tirol auch im Sommer auf Schlitten gefahren.
[30] Vgl. Schmidt-Wiegand, Ruth: Heinrich Wittenwilers ‛Ring’ zwischen Schwank und Fastnachtsspiel. S.246.
[31] Vgl. Ebd. S.250.
[32] Vgl. dazu: Wießner, Edmund: Kommentar zu Heinrich Wittenwilers Ring. S. 41. Anm. zu V. 467. Sowie die Art. zu: Kübel, Kübelreiter, Kübelstechen und Kübelturnier. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 5, bearbeitet von Rudolf Hildebrand. Leipzig, 1873. Sp. 2885 – 2489, Sp. 2489 und Sp. 2489 – 2490.
[33] Müller, M.E.: Art. Fastnachtsspiel. Sp. 315. In: Lexikon des Mittelalters in 9 Bänden. Bd. IV. Herausgegeben von Robert-Henri Bautier und Robert Auty. München, 1989. Spalte 314 – 316.
- Quote paper
- Beate Kienast (Author), 2005, "Der Ring" - Ein Fastnachtsspiel? , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82524
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