Synästhesie im weiten Sinne bezeichnet im Allgemeinen ein Phänomen, welches durch bestimmte Reize sinnesübergreifende Wahrnehmungen hervorruft. Wenn beispielsweise Personen bei der visuellen Aufnahme von Farben oder Formen bestimmte Klänge meinen zu hören oder wenn ihnen bei bestimmten Tönen eine Farbe vor dem inneren Auge erscheint, werden sie als Menschen mit synästhetischem Empfinden eingestuft. Das Gleiche gilt für die übrigen Sinnen, also auch Gerüche oder Geschmäcker. Nach diversen Studien lassen sich allerdings zwei Phänomene herausstellen, die nicht unbedingt identisch zu bewerten sind:
Die Synästhesie und die intermodale Analogie. Von einem Synästheten ist nur zu sprechen, wenn dieser sich den verschiedenen Sinneseindrücken, die ihm bei bestimmten Wahrnehmungen kommen, nicht entziehen kann. In der Musikpsychologie spielt die Synästhesie daher eine große Rolle, da sie sich mit außermusikalischen Elementen beschäftigt, die in die Musik mit hineinfließen. Intermodale Analogien übertragen hingegen lediglich eine akustische Ebene in eine visuelle, beispielsweise die personifizierte Zuordnung der Instrumente bei Sergej Prokofjews Peter und der Wolf.
Die Sängerin und Gesangslehrerin Gertrud Grunow beschäftigte sich zeit ihres Lebens mit elementar übergreifenden Sinnesreizen und wirkte in den 20er Jahren am Staatlichen Bauhaus zu Weimar als Musikpädagogin. Ihr pädagogisches Konzept baut auf den sogenannten Harmonisierungsübungen auf, um den Schülern am Bauhaus eine ganzheitliche Erziehung und Erweiterung der sinnlichen Wahrnehmung nahe zu bringen. In Remscheid hatte Grunow bereits die rhythmische Sportgymnastik am hiesigen Konservatorium eingeführt und führte dies nun unter Einbeziehung von Farbe, Form, Material und Klang am Bauhaus fort.
Grunows intuitiver Ansatz basierte auf meditativem und imaginativem Training, sowie rhythmischen Bewegungsübungen nach Klavierbegleitung, welche im Geiste des Lernenden eine bewusste Zuordnung von Farben, Klängen und Materialien hervorrufen sollte.
Die Schüler sollten im bewussten Umgang mit den einzelnen Arbeitsmaterialien nicht nur ihre verschiedenen Einsatzmöglichkeiten in den jeweiligen Bauhauswerkstätten kennen lernen, sondern jeder Einzelne sollte durch seine individuelle Erfahrung und Wahrnehmung sein inneres Gleichgewicht finden und somit in der Lage sein, den vollen Umfang an individueller Kreativität aus sich selbst heraus zu schöpfen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Weg zum Bauhaus
2. Gertrud Grunow am Bauhaus
2.1 Harmonisierungsübungen
2.1.1 die drei Ordnungen
a) 1. Ordnung
b) 2. Ordnung
c) 3. Ordnung
Schlussbemerkung
Anhang
Farbkreis
Bibliographie
Einleitung
Synästhesie kann vielerlei bedeuten. Mit Synästhesie im weiten Sinne werden im Allgemeinen Phänomene bezeichnet, bei denen bestimmte Reize sinnesübergreifende Wahrnehmungen hervorrufen. Wenn beispielsweise Personen bei der visuellen Aufnahme von Farben oder Formen bestimmte Klänge meinen zu hören oder andersherum, wenn ihnen bei bestimmten Tönen eine Farbe vor dem inneren Auge erscheint, werden sie als Menschen mit synästhetischem Empfinden eingestuft. Das Gleiche gilt für die übrigen Sinnen, also auch Gerüche oder Geschmäcker. Nach diversen Studien lassen sich allerdings zwei Phänomene herausstellen, die nicht unbedingt identisch zu bewerten sind:
Die Synästhesie und die intermodale Analogie. Von einem Synästheten ist nur zu sprechen, wenn dieser sich den verschiedenen Sinneseindrücken, die ihm bei bestimmten Wahrnehmungen kommen, nicht entziehen kann. Hört er beispielsweise den Ton c´, hat er sofort und immer eine bestimmte Farbe vor Augen. Ein Konzertbesuch kann für Menschen mit diesem recht seltenen neurologischen Phänomen schnell zu einer totalen Reizüberflutung werden, da bei ihm unweigerlich mit jedem neuen Klang Assoziationen von farbigen geometrische Formen hervorgerufen werden. In der Musikpsychologie spielt die Synästhesie daher eine große Rolle, da sie sich mit außermusikalischen Elementen beschäftigt, die in die Musik mit hineinfließen.
Intermodale Analogien übertragen hingegen lediglich eine akustische Ebene in eine visuelle, hier wäre ein Beispiel Sergej Prokofjews Peter und der Wolf für Sprecher und Orchester, indem durch die Musik und ihre personifizierenden Instrumente visuelle Bilder hervorgerufen werden. Die Klarinette stellt mit ihrem samtigen Ton die Katze dar, die Oboe mit leicht näselndem Klang die Ente oder die Hörner versinnbildlichen den Wolf. Antonio Vivaldi reizte bereits im 18. Jahrhundert mit seinem Violinkonzertzyklus der „Vier Jahreszeiten“ die visuelle und auch illusionistische Wahrnehmung der Menschen. Eines der ersten programmatisch gestalteten Werke der Musikgeschichte ruft beispielweise im vierten Satz, dem Winter mit Tremoli in den hohen Streichern die Imagination einer wahrhaft klirrenden Kälte hervor.
Sprachwissenschaftliche Untersuchungen fanden heraus, dass auch viele Begriffe heutzutage aus der jeweiligen Wahrnehmung des Menschen heraus entstanden sind. Die eben genannte „klirrende Kälte“ oder auch die Ausdrücke „gelb vor Neid“, „rot vor Wut“, sowie Beschreibungen für eine bestimmte Klangfarbe, wie zum Beispiel „der helle Klang der Glocken“. Auch die Kopplung einer Farbe mit einer Temperaturwahrnehmung wie „kaltes blau“ oder „warmes rot“ sind intermodalen Wahrnehmungen zuzuordnen.
Die Sängerin und Gesangslehrerin Gertrud Grunow beschäftigte sich zeit ihres Lebens mit elementar übergreifenden Sinnesreizen und wirkte am Staatlichen Bauhaus zu Weimar als Musikpädagogin in den Jahren 1929 bis 1924. Ihre Harmonisierungsübungen waren ein pädagogisches Konzept, den Schülern am Bauhaus eine ganzheitliche Erziehung und Erweiterung der sinnlichen Wahrnehmung nahe zu bringen. In Remscheid hatte Grunow bereits die rhythmische Sportgymnastik am hiesigen Konservatorium eingeführt und führte dies nun unter Einbeziehung von Farbe, Form, Material und Klang am Bauhaus fort. Die Schüler sollten im bewussten Umgang mit den einzelnen Arbeitsmaterialien nicht nur die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten in den jeweiligen Bauhauswerkstätten kennen lernen, sondern jeder Einzelne durch seine individuelle Erfahrung und Wahrnehmung sollte sein inneres Gleichgewicht finden und somit in der Lage sein, den vollen Umfang an individueller Kreativität aus sich selbst heraus zu schöpfen. Meditatives und imaginatives Training, sowie rhythmische Bewegungsübungen nach Klavierbegleitung sollten ein bewusstes Zuordnen von Farben, Klängen und Materialien hervorrufen. Die Basis bildete ein von Grunow selbst konzipierter 12- teiligen Farbkreis, dem eine 12-Tonreihe zugeordnet war. Die Aufgaben waren unterteilt in drei Ordnungen, welche sich in sich steigernd aufeinander aufbauten. Nach „erfolgreichem“ Absolvieren dieser Ordnungen sollte der Schüler ins innere Gleichgewicht gebracht und nun in der Lage sein, das für ihn adäquat passende kreativ zu schaffen.
Dem intuitiven Ansatz Grunows folgt ihr eigenes intuitives Wahrnehmungssystem, anhand dessen die Schüler ihre Aufgaben ausführen. Fraglich ist hierbei, ob dadurch die ideale Kreativität des Einzelnen geweckt wird, wenn er diese auf einer bereits vorgegebenen willkürlichen Basis zu finden versucht.
In dieser Arbeit soll Gertrud Grunows Methode am Bauhaus im Hinblick auf ihr Leben näher erläutert, sowie mit einem kritischen Blick ausgewertet werden.
1 Der Weg zum Bauhaus
Gertrud Grunow wurde am 8. Juli 1870 in Berlin geboren. In jungen Jahren war sie Schülerin und Assistentin des Gesangsmeisters Ferdinand Sieber. Später wurde sie Mitarbeiterin von dem Musikpädagogen und Gesangslehrer Giovanni Battista Lamperti (1839 - 1910), der durch sein Wirken am Konservatorium der Musik in Mailand bekannt geworden war. Vermutlich war er einer der ersten, die Grunows späteren Ansatz nach dem inneren Gleichgewicht inspirierte, indem er seinen - meist privaten - Gesangsschülern die Grundregel nahe brachte, dass ihre Energien und Fertigkeiten einander die Waage halten sollten: „Die Energie des Tons und die Energie des Atems müssen in Balance gehalten werden“1.
Auch stand sie in enger Verbindung mit dem Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow, dem Exmann von Cosima Liszt, welche später Richard Wagner heiraten sollte. In Berlin als Sängerin und Gesangslehrerin ausgebildet, übernahm Grunow 1898 den Schülerkreis am Remscheider Staatlichen Konservatorium für Musik. Dort führte sie die Rhythmische Sportgymnastik anhand der Emile Jacques-Dalcroze Methode ein.
Jacques-Dalcroze (1865 - 1950) war ein Schweizer Komponist und Musikpädagoge, der als Begründer der rhythmisch-musikalischen Erziehung gilt. Im Laufe seiner Forschungen war er auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten zum künstlerischen Ausdruck. Durch die von ihm entwickelte „Rhythmiklehre“ sollte der Ausführende durch körperliche Bewegung die Gestalt und das Wesen der Musik erleben. Dadurch würden seine seelisch-schöpferischen Kräfte gelöst und gesteigert.
Der Schüler Anton Bruckners vertraute auf Wechselbeziehungen der musikalisch, körperlichen und emotionalen Entwicklung und stellte fest, dass die Rhythmik einen positiven Einfluss auf pädagogische Prozesse im sozialen Lernfeld hat. Ferner beobachtete er, dass sich die Rhythmik auf die musikalisch künstlerische Arbeit durch die bewegten Darstellungen auswirkte.
Die neue Methode hatte „die Entfaltung und Festigung“2 der Gesamtmotorik zum Ziel. In einem Artikel aus der Remscheider Zeitung beschäftigt sich Gertrud Grunow mit den Fragen zur musikalischen Erziehung und dem Wesen der Methode, die Dalcroze selbst in zwei Ausbildung als Grundlage diente, kam als zweiter Faktor die Solf é ge hinzu: Die
Gehörbildung durch Singen, vielleicht besser bekannt als Solfeggio. Der Schüler schult seine Stimme und sein Gehör durch Vokalübungen, oder Übungen auf der sechsstufigen Tonleiter (ut)-re-mi-fa-sol-la-(si).
„Die Methode von Dalcroze ermöglicht es, direkt beim Beginn des musikalischen Unterrichts sich der bedeutenden Instrumentalmethoden zu bedienen. Sie regelt die Bewegung des Kindes durch den Rhythmus, sucht Harmonie zu schaffen und mit der körperlichen Erziehung den Geist heranzubilden. Dalcrozes Methode stellt die Muskeln in den Dienst des Willens und bildet die Nervenzentren aus. Seine Gymnastik hat den Rhythmus zum Zweck. [...] Es folgen Gleichgewichtsübungen des Körpers und Übungen zur Muskelstärkung; alles zielt auf Konzentration und Klarheit des Geistes ab, alles löst sich in Harmonie und Schönheit aus; [...] Die Solfège ist die Gehörbildung durch Singen; die Unterrichteten lernen über jeden gesungenen oder gespielten Ton Rechenschaft abzulegen; sie werden im Treffen der Töne usw. geübt“3.
Nach Gertrud Grunows erstem Kursjahr und der Anwendung der Dalcroze Methode am Remscheider Konservatorium wurde eine durchaus positive Bilanz gezogen. Sowohl Kinder, als auch Erwachsene nahmen mit großer Begeisterung an den Kursen teil. Die Rheinische Musik und Theaterzeitung berichtet im Sommer 1909: „Am 17. Juli fand eine Vorführung der Privatkurse als Schluß des ersten Kursjahres bei starkem Interesse großen Erfolg. [...] Die Oberleitung der Kurse, Frl. Grunow, beabsichtigt, vom Herbst ab neben dem bisherigen Lehrplan Unterricht für Grazie und Geste einzuführen, der nach Dalcroze Prinzipien aufgeführt werden wird...“4
Im weiteren Verlauf ihrer Forschungen beschäftigte sich Grunow mit den Ansätzen zur Rhythmustheorie des Schweizer Klavierpädagogen Mathis Lussy (1828 - 1910). Dieser beeinflusste auch Dalcroze in seinen Studien und stellte einen Zusammenhang von musikalischen Elementen, Harmonie und Rhythmik zwischen Geste und Gesangsorgan dar. Das von Grunow später entwickelte dreigliedrige Ordnungssystem, welches sie bei ihrer Harmonisierungslehre am Bauhaus anwandte, geht auf Lussys methodischen Ansatz zurück: „Dem Instinkt weisen wirden metrischen Accent, dem Verstand den rhythmischen Accent und dem Gefühl den pathetischen Accent zu...“5.
In ihrem Artikel „Was ist Jacques Dalcroze dem Sänger“6 vertieft Grunow nun ihre Studien zur Individualausbildung des Sängers. Sie beobachtete, dass die Schüler beim Singen gewisser Töne dieselben Bewegungen machten, und auch wenn mehrere Schüler zusammen dasselbe sangen, bewegten diese sich kollektiv in den gleichen Gesten. Auf atonaler Grundlage ergaben sich nun physiologisch-motorische Folgen, die auch andersherum wirkten. Der Stimmforscher Josef Rutz, mit dem auch Grunow in Verbindung stand, beschäftigte sich zur gleichen Zeit mit diesem Phänomen, was unter Psychologen in der damaligen Zeit neue Erkenntnisse mit sich brachte. „Verschiedene Arten der Körperhaltung haben alle ihren besonderen Einfluss auf den Klang der Stimme, sofern die zur Annahme dieser Haltung notwendigen Muskelbewegungen ausgeführt werden“.7
Die Beschäftigung mit Farbformen spielte bei Grunow allerdings erst später eine größere Rolle. Der Mitbegründer der Künstlervereinigung Der Blaue Reiter Wassiliy Kandinsky prägte dadurch, dass er selbst ein Mensch mit synästhetischen Wahrnehmungen war, die intensiviere Auseinandersetzung mit der Synthese der Künste. Während einer Aufführung von Richard Wagners Lohengrin nahm er beim Hören der Musik ganz spezielle Farben und Formen wahr, was ihn auf die Korrespondenz zwischen Musik und Malerei aufmerksam machte. Jede Farbe hatte für ihn einen bestimmten „Klang“. Seine 1912 veröffentlichte Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ war Gertrud Grunow wohl bekannt.
Im Jahre 1913 besuchte sie den 1. Kongreß für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Berlin, auf dem auch der Philosoph Ernst Cassirer, sowie der Architekt Walter Gropius anwesend waren. Während sich die Bekanntschaft zwischen Grunow und Cassirer in späteren Jahren ausweiten sollte und sie in Cassirers “Bildwelten“ Anstöße für ihre eigenen Forschungen fand, ist jedoch unklar, ob sie damals bereits mit Walter Gropius kommunizierte.
Nach nunmehr acht Jahre Lehrtätigkeit in Remscheid verbrachte Gertrud Grunow ab 1916 die nächsten drei Jahre in Berlin, wo sie Mitglied des Künstlerhauses Fasanenstraße wurde.
[...]
1 LAMPERTI, GIOVANNI BATTISTA: aus den Maximen zur vokale Weisheit
2 Remscheider Zeitung, Jg. 61, Nr. 271, 2.10.1908; aus STECKNER, CORNELIUS: Gertrud Grunow. Eine Biographie in Dokumenten, 2005, S. 4
3 ebenda
4 Rheinische Musik und Theaterzeitung 10, 1909, 437, aus STECKNER, 2005, S. 5
5 LUSSY, MATHIS: Die Kunst des musikalischen Vortrags, Leipzig 1886, S. 4, 13, 18, Übersetzung von Felix Vogt nach der 5. Auflage von Lussys Trait éde l ´ Expression musicale, aus STECKNER, 2005, S. 6
6 Rheinische Musik und Theaterzeitung 12, 1911, S. 462-464, aus STECKNER, 2005, S. 6
7 RUTZ, OTTMAR: Neue Ausdrucksmittel des Seelischen, Archiv für die gesamte Psychologie 18, 1910, S. 234-248, in: STECKNER, 2005, S. 8
- Citation du texte
- Nora Weyer (Auteur), 2007, Gertrud Grunows Harmonisierungsübungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82403