Wie weit hat der ökonomische Liberalismus die US-amerikanische Dienstleistungsgesellschaft, insbesondere den Wohlfahrtsstaat geprägt? Dazu wird zu Anfang der Begriff des ökonomischen Liberalismus geklärt. Anschließend werden die Entwicklungen in der Krise der 1930er Jahre, des so genannten New Deal, die Reformen der 1960er Jahre, der „Great Society“ sowie die schrittweise Zurückdrängung dieser Reformen bis heute behandelt und zwischen den jeweiligen Entwicklungsetappen eine kurze Beurteilung vor dem Hintergrund der Fragestellung durchgeführt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Fragestellung
Literaturlage
Die Idee des ökonomischen Liberalismus
Umsetzung des ökonomischen Liberalismus in den USA
Die „Progressive Era“ seit den 1890er Jahren
Beurteilung
Die Krise in den 1930ern und der New Deal
Beurteilung
Die Entwicklung seit den 1950ern und die „Great Society“
Beurteilung
Die langsame Zurückdrängung des Sozialstaates seit 1980 bis heute
Beurteilung
Schluss
Literaturverzeichnis
Einleitung
Wenn hierzulande über die USA und den aktuellen Präsidenten George Walker Bush gesprochen wird, handelt es sich meist um Themen der Außenpolitik wie den Irak, Afghanistan oder ein Raketenschutzschild. Die Innen- oder gar Sozialpolitik steht nur selten auf der Agenda der Diskussionen. Warum auch? Die USA haben ja eigentlich auch überhaupt kein richtiges Sozialsystem, da muss jeder für sich selbst sorgen und vorsorgen, ist hierzulande eine verbreitete Meinung. Dabei wird übersehen, dass als einer der Hauptprogrammpunkte der jetzigen Präsidentschaft eine teilweise Umstellung der Rentenversicherung von der Umlagefinanzierung auf kapitalgedeckte Finanzierung verkündet wurde.[1]
Fragestellung
In der Literatur werden die Vereinigten Staaten von Amerika neben anderen Staaten wie Kanada oder Australien oft als einer der Archetypen der liberalen politischen Ökonomie vorgestellt. Die liberalen Ideen sind praktisch insbesondere in den USA verkörpert.[2] Auch in alltäglichen politischen Diskussionen um die Reformen zur Bekämpfung der deutschen Probleme am Arbeitsmarkt dienen die USA häufig als Vorbild für geglückte Arbeitsmarktpolitik und als mögliches Modell für Deutschland. Andererseits werden die USA häufig als wohlfahrtsstaatlicher Gegenpart zu Deutschland gesehen, da keinerlei soziale Absicherung gegeben ist und der Staat nur im Notfall in das Geschehen eingreift und möglichst alles dem Markt überlässt – ein Traum für Neo-Liberale und ein Albtraum für Anhänger eines Sozialstaats. Doch wie weit entspricht dies der Realität? Wie sehr ist die Idee der liberalen politischen Ökonomie in den USA durchgesetzt und welche Ausnahmen gibt es?
In der vorliegenden Arbeit soll diesen Fragen nachgegangen und geklärt werden, wie weit der ökonomische Liberalismus die US-amerikanische Dienstleistungsgesellschaft, insbesondere den Wohlfahrtsstaat geprägt hat. Dazu wird zu Anfang der Begriff des ökonomischen Liberalismus geklärt werden. Anschließend werden die Entwicklungen in der Krise der 1930er Jahre, des so genannten New Deal, die Reformen der 1960er Jahre, der „Great Society“ sowie die schrittweise Zurückdrängung dieser Reformen bis heute behandelt und zwischen den jeweiligen Entwicklungsetappen eine kurze Beurteilung vor dem Hintergrund der Fragestellung durchgeführt.
Literaturlage
Wohl auch deswegen, weil in Deutschland der Sozialstaat sehr stark ausgebaut ist, erscheint der Wohlfahrtsstaat der USA doch sehr unterentwickelt und kaum interessant. Wahrscheinlich aus diesem Grund sind in der deutschen Literatur kaum aktuelle Abhandlungen über die Entwicklung und Ausprägungen des US-amerikanischen Wohlfahrtsstaates zu finden. Infolgedessen muss größtenteils auf englischsprachige Literatur zurückgegriffen werden, welche in ausführlicher Weise und in großer Zahl zur Verfügung steht.
Die Idee des ökonomischen Liberalismus
Zu Anfang sollte kurz umschrieben werden, was unter Liberalismus im Allgemeinen zu verstehen ist. Dabei soll das Werk Adam Smiths als Grundlage dienen. Adam Smith fordert in seinem 1776 erschienenen „Wealth of Nations“[3] die Abschaffung von wirtschaftlichen Restriktionen und begründet dies politisch. Wirtschaftliche Freiheit wird im Gegensatz zu staatlichen Eingriffen definiert und garantiert, wobei die Konkurrenz unter den Individuen garantiert, dass die Freiheit eines einzelnen nicht zur Fessel anderer wird. Durch die „unsichtbare Hand“ werden Selbstinteresse und Gesamtinteresse durch die Konkurrenz miteinander vereinbart. Dabei ist wichtig zu bemerken, dass Smith bei dem Selbstinteresse nicht von Egoismus, sondern einem dem Verstand entspringendem Interesse ausgeht.[4]
Anthropologisch wird beim Liberalismus üblicherweise von der Autonomie des Menschen ausgegangen. Der Mensch wird hierbei nicht aus seinen gesellschaftlichen oder politischen Verhältnissen, sondern als Individuum mit eigenem Willen und Bewusstsein bestimmt. Die ökonomische Lehre des Liberalismus bezieht sich auf die Lehre des Laissez-faire, wobei davon ausgegangen wird, dass Privateigentum und freie Konkurrenz auf dem Markt zur besten Versorgung mit wirtschaftlichen Gütern führen. Jeder Marktteilnehmer verfolgt dabei seine eigenen Interessen, sucht seine eigene Lage zu verbessern und trifft dazu seine eigenen Entscheidungen. Seine Entscheidungsfreiheit wird lediglich durch die freien Entscheidungen anderer beschränkt, welche sich in Angebot und Nachfrage widerspiegelt. Die politische Lehre des Liberalismus setzt einen gesellschaftlichen Zusammenhang voraus und bestimmt den Schutz desselben als die politische Aufgabe des Staates. Die Aufgaben des Staates werden als negativ angesehen, das heißt er nimmt keine positiven, gestaltenden Aufgaben gegenüber der Gesellschaft wahr. Vielmehr verhindert er als Rechtsstaat Übergriffe der Gesellschaftsmitglieder auf Person, Leben und Eigentum anderer. Wohlfahrtsstaatliche Aufgaben werden dem Staat nicht zugedacht.[5]
Umsetzung des ökonomischen Liberalismus in den USA
Vor gut einhundert Jahren, vor der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert spielte in den USA der Staat eine sehr geringe Rolle in der Bereitstellung von Wohlfahrt. Die einzelnen Individuen und ihre Familien waren auf sich alleine gestellt. Falls die Familien einmal versagen sollten, wurde Hilfe von Verwandten, Bekannten, Nachbarn, Kirchen oder auch Wohlfahrtsverbänden erwartet. Staatliche Hilfe, so war die verbreitete Meinung, sollte erst als allerletztes Mittel in Anspruch genommen werden, da sie Verantwortungslosigkeit und Trägheit fördere. Die Akzeptanz von staatlicher Fürsorge war somit stigmatisiert, da sie einer der US-amerikanischen Grundtugenden der Selbstverantwortung zuwider lief.
Während diese Einstellung allgemein vorherrschte, zeichnete sich zur Jahrhundertwende bereits ein Wandel ab. Anstrengungen, staatliche Einrichtungen der Wohlfahrt zu etablieren wurden unternommen. Die Bundesregierung zahlte bereits Pensionen an die Bürgerkriegsveteranen und viele Bundesstaaten hatten Institutionen zur Betreuung von Geisteskranken, Waisenkindern, mittellosen Alten und anderen Bedürftigen eingerichtet. Weiter bestand unter Gebildeten eine große Unterstützung der staatlichen Bemühungen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, die Kinderarbeit abzuschaffen und weitere Maßnahmen zum Schutz Schwacher vor Ausbeutung zu realisieren.[6]
Die „Progressive Era“ seit den 1890er Jahren
Die Progressive Era oder auch das Progressive Movement war eine soziale Reformbewegung die ihre Anfänge 1890 hatte und bis in die 1920er Jahre andauerte. Sie stellte eine Reaktion auf den Übergang zu einer urbanen, industrialisierten Gesellschaft und den daraus entstehenden Problemen dar.[7]
Im späten 19. Jahrhundert traten in den USA die Vor- und Nachteile der Industrialisierung besonders deutlich zutage. Journalisten und Akademiker untersuchten die Lebenszustände in amerikanischen Städten und forderten eine gesetzliche Regelung, um Kinder und Frauen vor langen Arbeitszeiten und gefährlichen Arbeitsbedingungen zu schützen. Bei der Umsetzung der Forderungen tat sich jedoch ein Problem der föderalistischen Aufgabenverteilung auf. So war es damals vorgesehen, dass jeder Bundesstaat eigenständig für das Wohl seiner Einwohner zuständig war, wodurch ein allgemeiner Wohlfahrtsstaat auf Bundesebene unmöglich wurde.
Allerdings gab es schon damals erwähnenswerte Ausnahmen. Während die Verantwortung für das soziale Wohlergehen bei den Individuen und Familien lag, gab es stets die Tradition der freiwilligen Fürsorge, die sehr weit verbreitet war. Zu den Begünstigten zählten diejenigen, die am wenigsten in der Lage waren, sich selbst zu helfen, wie Kinder und Alte. Zusätzlich stellten die einzelnen Regierungsebenen Hilfe für die offensichtlich Bedürftigen zur Verfügung, woraus sich oftmals auch Partnerschaften mit wohltätigen Organisationen ergaben. Hierdurch entwickelte sich bereits sehr früh eine professionalisierte Sozialarbeit.[8]
[...]
[1] Fischermann, Thomas: Bushs „Blitzkrieg“, in: Die Zeit Nr. 13 vom 23.3.2005.
[2] Ward, Benjamin: Die Idealwelten der Ökonomen, Frankfurt a.M. 1986, S. 11.
[3] vgl. hierzu Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London 1776.
[4] Walther, Rudolf: Exkurs: Wirtschaftlicher Liberalismus, in: Brunner, Otto; Conze, Werner; Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe – Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 3 H-Me, Stuttgart 1982, S. 794.
[5] Trapp, Manfred: Adam Smith – politische Philosophie und politische Ökonomie, Göttingen 1987, S. 21-23.
[6] Herrick, John M.; Midgley, James: The United States, in: Dixon, John; Scheurell, Robert P.: The State of Social Welfare: The Twentieth Century in Cross-National Review, Westport, Connecticut, London 2002, S. 187.
[7] Raeithel, Gert: Geschichte der nordamerikanischen Kultur, Band 2: Vom Bürgerkrieg bis zum New Deal 1860-1930, Weinheim; Berlin 1988, S. 281.
[8] Herrick, John M.; Midgley, James, S.189-191.
- Citar trabajo
- Oliver Quast (Autor), 2007, Die Rolle der liberalen politischen Ökonomie bei der Ausgestaltung der Dienstleistungsgesellschaft in den USA, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82287
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