Heinrich Heine, deutscher Dichter und Kritiker, hat ein ambivalentes Verhältnis zur Revolution. Er versteht sich selbst als Freidenker und steht zeitweise dem französischen Frühsozialismus sehr nahe. Heine reklamiert die Rechte des Volkes - materielle als auch immaterielle, wie z. B. Bildung. Er bezeichnet sich als Teil des Volkes, verkehrt im Alltag allerdings meist in gehobenen Kreisen und hat einen entsprechend anspruchsvollen Lebensstil in Paris. Sein Schreibstil schafft zugleich Nähe und Distanz zu den verschiedenen Gesellschaftsschichten, denen er sich verschieden stark verbunden fühlt: Er erfasst sensibel Zwischentöne und Graustufen, die er polemisierend hervorhebt und verzerrt. Heine ist Zeitschriftsteller, was bedeutet, dass er eine Einheit schaffen möchte zwischen Poesie und Wirklichkeit. Er versteht sich als Dichter, der Bezug auf die Realität nimmt, der vermittelt, der politisch interessiert bzw. engagiert ist. Obwohl er manchmal als begeisterter Revolutionär erscheint, ist er stets auf der Suche nach einer Lösung, die Harmonie zwischen verschiedenen freiheitlichen, patriotischen, nationalen, politischen und religiösen Auffassungen schafft. Sein Wunsch nach bürgerlichen Freiheiten und seine aus der Revolution von 1789 bzw. 1830 ererbten Ideale stehen im Widerspruch zu den restaurativen und reaktionären Tendenzen in der damals aktuellen Politik. Er favoritisiert eine europäische Einheit. Heines Zugehörigkeit zu den Schriftstellern des „Jungen Deutschland“ bedingt sein Interesse am Befreiungskampf der Julirevolution. Sie ist ein wichtiges Ereignis in seinem Leben; ihn beeindruckt die revolutionäre Dynamik – später allerdings blickt er aus der zeitlichen Distanz enttäuscht auf diese Ereignisse zurück.
In der Vormärzzeit verkörpert Paris, Heines Exil, die Ideale von Freiheit und Fortschritt. Dort allerdings entstehen nach der Julirevolution neue Gegensätze: nicht mehr die politische, sondern die soziale Revolution steht im Vordergrund. Deutsche „Revolutionstouristen“ besuchen die französische Hauptstadt, weil sie sich für die französischen Sozialisten und die Saint-Simonisten interessieren, wie auch Heine es tut. Heine selbst bezeichnet Paris als die „Hauptstadt der Revolution“.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Der Begriff der Revolution bei Heine
2.2. Heines Bild der Revolution
2.2.1. Entstehung und Intention des Werkes
2.2.2. Heines Verhältnis zur Romantik
2.2.3. Heines schriftstellerische Antwort auf Germaine de Staël
2.2.4. Der Einfluss des Saint-Simonismus auf Heine
2.3. Heines Revolutionsvision am Beispiel von drei deutschen Philosophen
2.3.1. Martin Luther
2.3.2. Immanuel Kant
2.3.3. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
3. Schlussteil
3.1. Heines Revolutionsvision
3.2. Heines Begeisterung und seine Skepsis gegenüber der Revolution im Wandel der Zeit
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Heinrich Heine, deutscher Dichter und Kritiker, hat ein ambivalentes Verhältnis zur Revolution. Er versteht sich selbst als Freidenker und steht zeitweise dem französischen Frühsozialismus sehr nahe. Heine reklamiert die Rechte des Volkes - materielle als auch immaterielle, wie z. B. Bildung. Er bezeichnet sich als Teil des Volkes, verkehrt im Alltag allerdings meist in gehobenen Kreisen und hat einen entsprechend anspruchsvollen Lebensstil in Paris. Sein Schreibstil schafft zugleich Nähe und Distanz zu den verschiedenen Gesellschaftsschichten, denen er sich verschieden stark verbunden fühlt: Er erfasst sensibel Zwischentöne und Graustufen, die er polemisierend hervorhebt und verzerrt. Heine ist Zeitschriftsteller, was bedeutet, dass er eine Einheit schaffen möchte zwischen Poesie und Wirklichkeit. Er versteht sich als Dichter, der Bezug auf die Realität nimmt, der vermittelt, der politisch interessiert bzw. engagiert ist. Obwohl er manchmal als begeisterter Revolutionär erscheint, ist er stets auf der Suche nach einer Lösung, die Harmonie zwischen verschiedenen freiheitlichen, patriotischen, nationalen, politischen und religiösen Auffassungen schafft. Sein Wunsch nach bürgerlichen Freiheiten und seine aus der Revolution von 1789 bzw. 1830 ererbten Ideale stehen im Widerspruch zu den restaurativen und reaktionären Tendenzen in der damals aktuellen Politik. Er favoritisiert eine europäische Einheit. Heines Zugehörigkeit zu den Schriftstellern des „Jungen Deutschland“ bedingt sein Interesse am Befreiungskampf der Julirevolution. Sie ist ein wichtiges Ereignis in seinem Leben; ihn beeindruckt die revolutionäre Dynamik – später allerdings blickt er aus der zeitlichen Distanz enttäuscht auf diese Ereignisse zurück.
In der Vormärzzeit verkörpert Paris, Heines Exil, die Ideale von Freiheit und Fortschritt. Dort allerdings entstehen nach der Julirevolution neue Gegensätze: nicht mehr die politische, sondern die soziale Revolution steht im Vordergrund. Deutsche „Revolutionstouristen“ besuchen die französische Hauptstadt, weil sie sich für die französischen Sozialisten und die Saint-Simonisten interessieren, wie auch Heine es tut. Heine selbst bezeichnet Paris als die „Hauptstadt der Revolution“.
2. Hauptteil
2.1. Der Begriff der Revolution bei Heine
Der Revolutionsbegriff wird von Heinrich Heine häufig mit dem Begriff der Freiheit gleichgesetzt. Dieser Freiheitsbegriff meint sowohl die geistige Freiheit jedes Menschen als auch die materiell nötigen Voraussetzungen dazu.
Bereits zur Zeit der Reformation, die Heine für außerordentlich wichtig hält, wird der Freiheitsbegriff - besonders aufgrund der Schriften Martin Luthers - diskutiert. Daraus entwickeln sich Termini wie „Glaubens- und Religionsfreiheit“, „Freiheit des Willens“ und „politische Freiheit“; letztere ist besonders während der Aufklärung von Interesse.
Der Vorläufer des Revolutionsbegriffs ist der spätmittelalterliche Begriff „Renovatio“. Daran knüpft auch die Reformation an, die im eigentlichen Sinne „die Verbesserung von Missständen“ bezeichnet. Mit der „glorious revolution“ in England im 17. Jahrhundert bekommt dieser Begriff eine neue Bedeutung: Veränderung der politischen Verhältnisse. Nach Hegel ist die französische Revolution der Ursprung „eines gewaltsamen Umbruches von nicht da gewesener Art“[1]. Er bezeichnet die Reformation als Revolution der Protestanten.
Heinrich Heine nennt Freiheit und Gleichheit in seinen Werken häufig zusammen, was oft als direkte Anspielung auf die französische Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) gesehen werden kann. Er verweist auf den Bezug zwischen französischer Revolution und Vernunft. Für Heine besteht ein klarer Zusammenhang: „Geistesfreiheit und Protestantismus sind verwandt wie Mutter und Tochter.“[2]
Er schafft eine Verbindung zwischen der politischen Revolution in Frankreich und der Geschichte der Philosophie in Deutschland: Er transponiert den französischen Revolutionsgedanken in Deutschland auf die geistige Ebene, die Welt der Ideen. Heines kritische Seite lässt jedoch auch den terroristische Aspekt der Revolution nicht außen vor: Er spricht vom „Schreckensbild“[3]. Das Wichtigste jedoch sei das Ergebnis: „Eine Revolution ist ein Unglück, aber ein noch größeres Unglück ist eine verunglückte Revolution“.[4] Eine gescheiterte Revolution, eine Revolte, kann nicht einmal durch den Erfolg „gerechtfertigt“ werden.
2.2. Heines Bild der Revolution
2.2.1. Entstehung und Intention des Werkes
Die Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ erscheint 1835 als zweiter Band des „Salon“. Das Werk soll zwischen den Kulturen vermitteln und vor allem der französischen Bevölkerung helfen, die deutschen Denker besser zu verstehen. Heine möchte den Deutschen die moderne Politik, dem französischen Volk die moderne Poesie und Philosophie näher bringen. „Das Volk hungert nach Wissen und dankt mir das Stückchen Geistesbrot, das ich ehrlich mit ihm teile.“[5] Er möchte dem Volk die verschlossenen Kornkammern des deutschen Geistes zugänglich machen.[6] Aus diesem Grunde versucht er, volkstümlich zu erklären, benutzt eine klare und verständliche Sprache im Gegensatz zu komplizierten wissenschaftlichen Termini. Heine, der deutsche Dichter im französischen Exil, versucht, nationalen Vorurteilen und der Intoleranz entgegen zu wirken. Er thematisiert in seiner Abhandlung die soziale Bedeutung der deutschen Religion und Philosophie und entdeckt dort den revolutionären Kern, die Einheit von Philosophie und Revolution: „Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner.“[7] Heine schafft in seinem Werk eine Nationalcharakteristik, die die deutsche Bevölkerung als Volk des Gedanken und die französische als Volk der Tat bezeichnet. Da der Gedanke der Tat vorausgeht, sieht er die Zeit einer Revolution auch in Deutschland gekommen. Seine Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ gilt als Vorschule der Revolution; sie interpretiert die deutsche Geistesgeschichte als Vorbereitung des Umsturzes: „[E]in methodisches Volk wie wir, mußte mit der Reformation beginnen, konnte erst hierauf sich mit der Philosophie beschäftigen, und durfte nur nach deren Vollendung zur politischen Revolution übergehen.“[8] Diese Idee einer progressiven Befreiung des Menschen entspricht Hegels Fortschrittsbegriff. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass ein großer Teil des Schlussparts jener Schrift, der die Vorhersage der Revolution in Deutschland beinhaltet, der Zensur jener Zeit zum Opfer fällt.
In der Abhandlung über das Mittelalter im ersten Buch thematisiert Heine die dualistische Weltsicht und beschreibt den tief verwurzelten Glauben an Hexerei und Zauber in Deutschland. Heine kritisiert die Leibfeindlichkeit der katholischen Kirche und warnt vor ihren Einflüssen. Im zweiten und dritten Buch behandelt er breit gefächert die wichtigsten deutschen Philosophen und Denker. Er erwähnt die Bedeutung Descartes, bezeichnet den Naturphilosophen Spinoza als Überwinder des dualistischen Denkens und lobt Luther als Schöpfer. Er beschreibt Lessing als zweiten religiösen Befreier - nach Luther. Er huldigt Kant als einen der größten Philosophen und geht über Fichte und Schelling zu Hegel über, den er als die wichtigste Figur in der deutschen Philosophie ansieht. Indem Heine die verschiedenen Philosophien behandelt, zeichnet er Stück für Stück ein Bild der „modernen Menschheit“, die die Gegensätze zwischen Spiritualismus (dem Geistigen, dem Idealismus, dem a-priori-Prinzip) und dem Sensualismus (dem Körperlichen, dem Genuss, dem Materialismus, dem a-posteriori-Prinzip) überwindet. Heine möchte dieses Ideal erreichen, weshalb er sich deutlich gegen eine Dominanz des Geistes, gegen die damals herrschende Verzichtmoral ausspricht: „Ihr verlangt einfache Trachten, enthaltsame Sitten und ungewürzte Genüsse; wir hingegen verlangen Nektar und Ambrosia, […] Ihr tugendhaften Republikaner!“[9]
[...]
[1] Koßek, S. 43
[2] Koßek, S. 27-30
[3] Koßek, S. 50
[4] Koßek, S. 52
[5] Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, S. 8
[6] Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, S. 7
[7] Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, S. 142
[8] ebd.
[9] Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, S. 68, 69
- Quote paper
- Barbara Schilling (Author), 2004, Heinrich Heines Bild der Revolution in seiner Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82230