Ulrich von Lichtensteins um 1255 verfaßter „Frauendienst“ gilt als der erste Roman in deutscher Sprache, in dem die Perspektive eines Ich-Erzählers realisiert wird. Mit den Mitteln der literarischen Textanalyse soll hier Ulrichs bewußtes Spiel mit den Perspektiven fiktiver Ich-Erzählerinstanzen sowie mit den sich dadurch eröffnenden Möglichkeiten multipler Fokalisierungen durch Erzählerstimme- und Erzählermoduspluralität anhand des ersten 'Büchleins' veranschaulicht werden. Das ,Büchlein’, ein Minnegeschenk des Erzählers an seine Dame, stellt als 'Erzählung in der Erzählung' eine in den äußeren Erzählrahmen einmontierte eigenständige Texteinheit und somit den geeigneten Untersuchungsgegenstand dar, an dem exemplarisch die eingebauten narrativen Ebenen wie auch die Gestaltung der jeweiligen Erzählerfiguren veranschaulicht werden können.
und hier der nichtoffizielle abstract für literaturinteressierte und studis:
hot! spannender kram. ne tunte von 1255, echt jetzt. hatte seine kleine meise gepflegt, aber sympathischer kleiner verrückter, der ulrich. von seiner frau erzählt er nicht viel, dafür von einer leicht überkandidelten teuer berockten angehörigen der 'besseren gesellschaft', die elite von damals, ihr wißt schon, wo jede zehnte gerade mal zwei seiten hintereinander lesen konnte, bevor sie vor erschöpfung zusammenbrach, von den anderen neun starben zwei an kindbettfieber, bevor sie in das alter der erwachsenenliteratur kamen, die verbliebenen sieben waren gut gestylt, fast so gut wie heutige junge damen bei studiVZ und konsorten. die prozentzahlen des lesefähigen maskulinen bevölkerungsanteils verschweigen wir dezentdiskret an dieser stelle. ihr denkt: boah, mittelalter? augen auf. wir schreiben jetzt batschi-ära. die jetzigen angehenden eliteeinheiten der 'besseren gesellschaft', also die heutigen BA-studis... können in den seminaren sehr, sehr gut freecell spielen, und zwar online an ihren frischen macbooks.
und? wer schreibt jetzt?
minnebüchlein?
also frisch: hausi schnappen, lernen, wie minnebüchlein geschrieben wird und werden.
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das erste 'Büchlein': erzählerischer Ort und Einbindung in den Erzählrahmen
2. Übersicht über die einzelnen Abschnitte des ersten Büchleins
2.1. Ulrich an das Büchlein: Vv. 1 - 94
2.2. Büchlein an Ulrich: Vv. 94 - 146
2.3. Ulrich an das Büchlein: Vv. 147 - 223
2.4. Büchlein an Ulrich: Vv. 224 - 233
2.5. Büchlein an die Dame: Vv. 234 - 322
2.6. Ulrich an die Dame: V. 323 - 381
Zusammenfassung
Primärliteratur
Einleitung
Ulrich von Lichtensteins um 1255 verfaßter „Frauendienst“[1] gilt als der erste Roman in deutscher Sprache, in dem die Perspektive eines Ich-Erzählers realisiert wird[2]. Die Tatsache, daß der urkundlich belegte Autor und der Erzähler des Romans denselben Namen tragen sowie die Fülle von historisch belegten Details wie einzelne genannte Personen, größere Festlichkeiten und geographische Orte, die Ulrich v. Liechtenstein in seinen Roman eingebunden hat, gaben in der wissenschaftlichen Forschung immer neuen Anlaß zu Spekulationen über dessen Wahrheitsgehalt und den Anteil an biographischer „Realität“, die sich noch im 20. Jahrhundert bis zur Auslegung des Romans als höfische Autobiographie erstreckten[3]. Gerade für die Klärung der Situation höfischer Minnedichter und des spezifischen Charakters des ritterlichen Minnedienstes wurde der "Frauendienst" zuweilen als historische Quelle herangezogen, fand sich das Forschungsinteresse für die literarischen Besonderheiten des Werkes immer wieder von einer biographisierenden und historisierenden Forschung verdrängt[4]. Demgegenüber will diese Arbeit Ulrichs literarische Gestaltung des fiktiven, intradiegetischen Ich-Erzählers anhand einer für diese Untersuchung besonders geeigneten Textstelle näher untersuchen. Mit den Mitteln der literarischen Textanalyse soll hierbei Ulrichs bewußtes Spiel mit den Perspektiven fiktiver Ich-Erzählerinstanzen sowie mit den sich dadurch eröffnenden Möglichkeiten multipler Fokalisierungen durch eine Erzählerstimme- und -moduspluralität[5] anhand des ersten 'Büch-leins'[6] veranschaulicht werden. Das ,Büchlein’, ein Minnegeschenk des Erzählers an seine Dame, stellt als 'Erzählung in der Erzählung' eine in den äußeren Erzählrahmen einmontierte eigenständige Texteinheit und somit einen geeigneten Untersuchungsgegenstand dar, an dem exemplarisch die eingebauten narrativen Ebenen wie auch die Gestaltung der jeweiligen Erzählerfiguren veranschaulicht werden können.
1. Das erste 'Büchlein': erzählerischer Ort und Einbindung in den Erzählrahmen
Ein ganzer Sommer voller Turniere, 'rehter tyoste' und 'ritterschaft'[7] ist vorübergegangen, seit Ulrich von Liechtenstein seine Dame nach Jahren geduldigen Minnedienstes zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht hatte sprechen dürfen. Das Gespräch, wiewohl eine deutliche Absage der Dame an Ulrich enthaltend, hatte ihn trotz allem 'innecliche vro' werden lassen über die Möglichkeit, sich ihr nach Jahren stummer Anbetung zumindest mitgeteilt haben zu können. Höfisch-hochgestimmt ('hohes muotes rich'[8] ) verbringt er die Turniersaison mit allerlei Wettkämpfen, bis der Winter dem sportlichen Treiben ein Ende bereitet und Gelegenheit zum Dichten bietet. Über den Boten seiner Verwandten läßt Ulrich der Dame ein Lied mit einem Büchlein zukommen, das seine 'botschaft' enthält und von der Dame zunächst verwundert begutachtet wird:
"Daz püechel sâ diu süeze nam, / als ez ir tugenden wol gezam; / si wânde, dâ stüend an ein gepet. / diu reine, guot ez ûf tet, / si schouwet ez hie, si schouwet ez dort: dâ stuonden an vil süeziu wort, / dort und hie siez gar gesach. / nu hoeret wie daz püechel sprach!"[9]
Wie ein Gebetbüchlein erscheint der Dame die Sendung, die Ulrich hier einleitet mit der Allegorie der sprechenden Schrift. Bemerkenswert an dieser Einleitung zur im Anschluß daran beginnenden Binnenhandlung ist jedoch zunächst der Wechsel der Perspektive, ohne den die Schilderung der Reaktion der Dame erzähltechnisch nicht umsetzbar gewesen wäre: vergleichbar mit späteren Nachrichten- und Lied-Übergabeszenen, in denen der Botenbericht in direkter Rede auf eine Schilderung des der Erzählerfigur eigentlich unbekannten Geschehens folgt[10], greift er in den Versen 160/161 vorübergehend zur Narration vom auktorialen Standpunkt aus, welche allein ihm neben der Schilderung des Blätterns und Betrachtens auch die Wiedergabe der Gedanken der Dame ("si wande") ermöglicht[11].
Während an dieser Stelle somit eine interne Fokalisierung mit raschem Wechsel der Erzählerstimme zur Figur der Dame kenntlich wird, kehrt ebendiese 'voix' durch die persönliche Bewertung in der nächsten Zeile ("diu reine") wieder temporär zur personalen Innenperspektive Ulrichs zurück, bevor - nach einem nächsten Erzählmodussprung - aus auktorialer Position der Rest der Lesezene geschildert wird.
Mit der Zeile "nu hoeret", die den unmittelbar darauf einsetzenden Text des Büchleins ankündigt, wendet sich der Erzähler extradiegetisch direkt an den bzw. die implizierten Leser - ein Vorgang, durch den er sich als erzählende Instanz wieder zu erkennen gibt und damit seine Präsenz zurückerhält, die ihn aus der Unsichtbarkeit des temporären auktorialen Narrators zur Personalität einer sich zu erkennen gebenden Erzählerfigur zurücktransformiert.
Die bereits in diesen wenigen Zeilen auffällige Beweglichkeit von 'Stimme' und 'Modus' des Erzählers, die Varianz der verwendeten Erzählerinstanzen, -standpunkte, gewählter Perspektiven und personaler Präsenz wird im sich anschließenden Part, im Text der in den Roman einmontierten Botschaft, zum tragenden stilistischen Merkmal. Ulrich gestaltet die Botschaft als Dialog des Erzählers mit dem Buch selbst, wobei er sein allegorisches Bild des personifizierten, 'sprechenden Buches' ausweitet zur literarischen Dialog-Fiktion mit zwei Figuren, die sich in direkter Rede an wechselnde Empfänger in zwei verschiedenen Kommunikationssituationen wenden[12]:
[...]
[1] Grundlage dieser Arbeit bildet der von Karl Bartsch 1888 herausgegebene Textkorpus, im Folgenden zitiert als Liechtenstein 1888.
[2] vgl. u.a. Ackermann 2002, S. 139, Spechtler 1999, S. 15 sowie Pieper 1982 S. 33.
[3] vgl. Rust 1918, S. 1-2. Die Tendenz, den Roman in eine historisch-biographische Ebene (der Ritter- und Turnierdichtung) und eine literarisch-fiktiven Ebene (der Minnethematik) zu trennen, läßt sich allerdings besonders deutlich im ausgehenden 19. Jahrhundert verorten: der 1988 erschienene, nationalkonservative Züge aufweisende Beitrag von Reinhold Becker attestiert den geschilderten ritterlichen Taten, sie "können in der Haupsache nicht erfunden sein" (Becker 1888, S. 15), während die Taten des "überspannten Minnethoren" ein "reines Phantasiegebilde" seien; zwar kommt er zu dem Schluß, daß es sich bei dem "Frauendienst" keinesfalls um eine Biographie handeln könne (Becker, A.a.o., S. 109), erklärt jedoch auf S. 113 den Rückgang an Handlungselementen mit biographischen, dem Text entnommenen Argumenten: der zweite Dienst hätte im Gegensatz zum ersten bei der Niederschrift noch angedauert. Widersprüche dieser Art stellt Ursula Aarburg in Zusammenhang mit ihrer Kritik der zuweilen anstrengend patriotischen Gesinnung Beckers fest (Aarburg 1965, S. 45), der Ulrich zu einem Nationalhelden stilisieren möchte gegen die bisherige "falsche[...] Ansicht", "dass die Kultur der höfischen Zeit bei französichem Ursprung wesentlich international gewesen sei", dabei zu "eifrig darauf geachtet [habe], auf allen Gebieten den Einfluss der Romanen nachzuweisen und in ihrem Eifer denselben erheblich übertrieben" habe (Becker, A.a.o., S. 4, vgl. Aarburg 1965, S.46), wobei Aarburg jedoch selbst eine biographisierende Position vertritt (Aarburg, A.a.o., vgl. hierzu auch Linden 2004, S. 14). Zu jüngsten Quellen, die das "Mißverständnis altgermanischer Forschung" fortführen, den Frauendienst als Tatsachenbericht zu interpretieren vgl. Gutwald 2003, S. 144.
[4] vgl. hierzu beispielsweise die umfangreiche Urkundenforschung in den "Untersuchungen zu Ulrich von Liechtenstein" von F. V. Spechtler (1974) sowie die Übersicht über die Ergebnisse kulturhistorisch-biographisch motivierter Forschung des 19. Jhs. bei Peters (1970, S. 74-76) und Linden (2004, S. 3-7, bes. S. 14-15). Auf die Auswüchse historisierenden "kriminalistischen Eifers" der älteren Forschung geht auch Schneider kurz ein (Schneider 1963, S. 218), verwirft jedoch trotz aller Kritik an der dadurch mangelhaften Erschließung des "Frauendienstes" als Dichtung dessen Einschätzung als zumindest abschnittsweise realistische Selbstbiographie ebenfalls nicht vollständig (vgl.: ebd., S. 219)
[5] begriffliche Grundlage bildet hier Genettes Unterteilung in 'Modus' (point of view) und 'Stimme' des Erzählers (Genette 1994, S. 132).
[6] Liechtenstein 1987, S. 29-37, Vv. 1-387
[7] Liechtenstein 1987, S. 29, V. 157
[8] Liechtenstein 1987, S. 29, V. 158.
[9] Liechtenstein 1888, S. 50, V. 161.
[10] so beispielsweise in den Vv. 162ff., sowie besonders auffällig in Vv. 318-320.
[11] Pieper behandelt den Erzählerwechsel in den Botenszenen als eine sich kontinuierlich entfaltende "Aufhebung der Ich-Perspektive", die ab V. 113 zu beobachten ist und sich durch die Botenberichte ab dem letzten Auftritt des Boten der Niftel in einer "für alle weiteren Botenberichte beibehaltenen Form" durchzieht : vgl. Pieper 1982, S. 33-34.
[12] zur Schrift als "Repräsentation mündlicher Rede" und der Bedeutung von Mündlichkeit auch beim oft laut vorgelesenen Botenbrief vgl. Wenzel 1997, S. 88-89.
- Arbeit zitieren
- Anna Panek (Autor:in), 2007, Fiktionalität und doppelte Ich-Konstruktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82155
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