Die Arbeit analysiert die innenpolitische Debatte über die Gesetzgebung im Bereich der Inneren Sicherheit in der Bundesrepublik nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York.
Zunächst wird die Genese der Begriffe Sicherheit und Innere Sicherheit beschrieben. Im Anschluss wird der Diskurs über einen zentralen Bestandteil des Persönlichkeitsrechts, der "Informationellen Selbstbestimmung", in seiner aktuellen Ausprägung nachgezeichnet.
Im Hauptteil der Arbeit werden die Positionen der im Bundestag vertretenen Parteien im Bereich der Inneren Sicherheit ausführlich analysiert. Dabei werden v.a. die unterschiedlichen Auffassungen der Parteien bezüglich bestimmter Gesetzesfelder wie z.B. dem Einsatz der Bundeswehr in Inneren oder der Wiedereinführung einer Kronzeugenregelung herausgearbeitet. Außerdem wird versucht die parteistrategischen Hintergründe und Motivationen aufzudecken und zu analysieren, die nach Ansicht des Verfassers nicht unmaßgeblichen Einfluss auf die Debatte über die Innere Sicherheit besonders nach dem 11. September ausüben.
Das kurz nach den Anschlägen in New York verabschiedete sog. "Antiterrorpaket 2" wird detailliert vorgestellt. Abschließend werden die von verschiedenen Seiten geäußerte generelle Kritik am Vorgehen der Bundesregierung sowie die kritische Beurteilung einzelner im "Antiterrorpaket 2" enthaltener Maßnahmen wie z.B. der sukzessiven Aufweichung der Trennung von Kompetenzen der Polizei und der Sicherheitsdienste dargestellt.
Das "Antiterrorpaket 2" als Ganzes und die konkreten Auswirkungen bestimmter Teilgesetze auf z.B. die Rechte der in der Bundesrepublik ansässigen Ausländer werden untersucht.
Zusätzlich werden die negativen Effekte der Gesetzgebung besonders bezüglich der fortwährenden Aushöhlung der Bürgerrechte insbesondere des Rechts auf "Informationelle Selbstbestimmung" kritisch analysiert und bewertet.
Am Schluß stehen sowohl ein kritisches Fazit als auch ein Ausblick auf unaufhaltsam scheinende Verschärfungen im Bereich der Inneren Sicherheit, die v.a. durch technischen Fortschritt gerade in der sog. Biometrik das Persönlichkeitsrecht der "Informationellen Selbstbestimmung" weiter auszuhöhlen drohen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichte des Begriffs der Inneren Sicherheit
2.1 Sicherheit
2.2 Innere Sicherheit
2.3 Informationelle Selbstbestimmung
3. Politisch-Parlamentarische Debatte
3.1. Erklärungen der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen zum 11. September 2001
3.2. `Antiterrorpaket 1´
Erste Maßnahmen zur Terrorbekämpfung nach dem 11. September 2001
3.3. Debatte über die Terrorismusbekämpfung
3.3.1. Bundesregierung
3.3.2. Bundestag
Beurteilung der Ausgangslage
Kriterien für die Terrorismusbekämpfung
Fraktionsübergreifende Kooperation
Kontroverse über Bundeswehreinsatz im Inneren
Einführung einer neuen Kronzeugenregelung
Positionen zum Datenschutz
Positionen zur Lockerung des Bankgeheimnisses
`Verdacht´ versus `Beweis´
Versuch der Union, die Bundesregierung zu spalten
Verhältnis von Freiheit und Sicherheit
Debattenführung
3.3.3. Bundesrat
767. Sitzung des Deutschen Bundesrates am 27.9.2001
768. Sitzung des Deutschen Bundesrates am 19.10.2001
769. Sitzung des Deutschen Bundesrates am 9.11.2001
770. Sitzung des Deutschen Bundesrates am 30.11.2001
771. Sitzung des Deutschen Bundesrates am 20.12.2001
Zusammenfassung der Debatte im Deutschen Bundesrat
3.3.4. Vermittlungsausschuss
3.4. `Antiterrorpaket 2´
3.4.1 Maßnahmen
Vereinsrecht
Biometrische Ausweismerkmale
Sicherheitsüberprüfungen
Geheimdienste
Bundeskriminalamt
Bundesgrenzschutz
Ausländerrecht
Asylverfahren
Ausländerzentralregister
Europäischer Haftbefehl
3.5 Parteien
3.5.1 SPD
3.5.2 Bündnis 90/DIE GRÜNEN
3.5.3 CDU/CSU
3.5.4 FDP
3.5.5 PDS
3.5.6 Positionen der Parteien im Überblick
3.6 Fazit
4. Bewertung und Kritik
4.1 Kritik an Eilverfahren
4.2 Verhältnis von Freiheit und Sicherheit
4.3 Verfehlung der Kriterien
4.4 Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten
4.5 Sicherheitsüberprüfungen
4.6 Biometrische Ausweismerkmale
4.7 Rasterfahndung
4.8. Verschärfte Ausländerüberwachung
4.9. Fazit
5. Schluss
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Thema dieser Magisterarbeit im Fach Politikwissenschaft ist die politisch-parlamentarische Debatte über Innere Sicherheit nach dem 11. September 2001 in der Bundesrepublik Deutschland.
Unmittelbar nach den Ereignissen in New York City und Washington DC begannen auf der ganzen Welt und dabei insbesondere in den westlichen Industriestaaten erregt geführte politische und gesellschaftliche Diskussionen, wie potentielle Täter besser überwacht und Anschläge in Zukunft vorhergesehen und wenn möglich ganz verhindert werden können. Als Resultat der umfassenden Diskussion, die anfangs unter den noch frischen Eindrücken stark pathetische Züge trug und sich danach sukzessive versachlichte, wurden in den einzelnen Staaten konkrete Maßnahmen beschlossen und Gesetzespakete geschnürt und verabschiedet, um den neuen Gefahren besser vorbereitet entgegentreten zu können.
In Kapitel 2 wird zunächst die Genese der Begriffe „Sicherheit“ und „Innere Sicherheit“ nachgezeichnet. Im Anschluss wird analysiert, wie die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland auf politisch-parlamentarischer Ebene in Bundestag und Bundesrat geführt wurde, und welche Ideen, Vorschläge und Vorstellungen der Politiker schließlich Einzug gefunden haben in die konkreten Gesetzestexte, die nach dem 11. September 2001 beschlossen wurden. Dabei sollen Gemeinsamkeiten und unterschiedliche Auffassungen herausgearbeitet und soweit vorhanden auch die Differenzen innerhalb der einzelnen politischen Gruppierungen aufgezeigt werden (vgl. Kapitel 3). Dabei hat der Verfasser aus Gründen der notwendigen Beschränkung dieser Arbeit den Zeitraum der Untersuchung von den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 bis Ende des Jahres 2001 begrenzt.
Im Zentrum der gesamten politischen Auseinandersetzung über die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik nach den Anschlägen in den Vereinigten Staaten stehen die vom Parlament Ende 2001 verabschiedeten Gesetzespakete, die den Bereich der Inneren Sicherheit betreffen. Sie werden in dieser Arbeit vorgestellt (vgl. Kapitel 3.2 sowie 3.4.; das vollständige „Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ im Vorlaut ist zusätzlich im Anhang dokumentiert).
Die politisch-parlamentarische Debatte über Innere Sicherheit und die vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus bieten für die Politikwissenschaft vielseitige Analysemöglichkeiten. Die Maßnahmen werfen in etlichen Bereichen wie der Bürgerrechte, der Transparenz und der Migration erhebliche Fragen auf und werden zu neuen Problemen und Konflikten führen. In dieser Arbeit soll versucht werden, die wichtigsten Probleme aufzuzeigen, die sich aus politikwissenschaftlicher Sicht aus der Debatte über die Innere Sicherheit und den neuen Gesetzen zur Terrorabwehr ergeben (vgl. Kapitel 4).
Fast täglich werden im Bereich „Innere Sicherheit“ neue Vorschläge von Politikern gemacht, oder alte Forderungen wiederholt. Fast täglich erscheinen in Zeitungen, Periodika etc. weitere Artikel, die sich im engeren und weiteren Sinne mit der Thematik beschäftigen. Aufgrund der Komplexität und der Aktualität des Themas kann und will diese Arbeit nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Da das Hauptereignis, das die Debatte über Innere Sicherheit in der Bundesrepublik so vehement angefacht hat, die Terroranschläge in New York und Washington DC am 11. September 2001 waren , beschränkt sich diese Arbeit auf den Bereich der Terrorbekämpfung innerhalb der Sicherheitsgesetzgebung. Andere Aspekte wie z.B. die Bekämpfung der Organisierten Bandenkriminalität oder die Debatte über Sexualstraftäter werden nicht explizit betrachtet.
Eine zunehmende internationale Zusammenarbeit stellt vor dem Hintergrund global operierender terroristischer Netzwerke bzw. nationale Grenzen überschreitender Kriminalität sicherlich einen wichtigen Teilaspekt einer adäquaten Antwort auf die Herausforderungen im Sicherheitsbereich dar. Nationale Sicherheitsdiskurse und –praktiken verlieren dadurch jedoch nicht an Bedeutung. Aus Gründen der notwendigen Beschränkung wird im Rahmen dieser Arbeit der Schwerpunkt auf die nationale Ebene gelegt.
2. Geschichte des Begriffs der Inneren Sicherheit
2.1 Sicherheit
„Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen und ein klassisches Kollektivgut. Die Bewahrung oder Wiederherstellung von Sicherheit hat im Wertehaushalt der Bevölkerung einen hohen Stellenwert“ (Glaeßner, 2002: 3). Inhaltlich ähnlich äußern sich u.a. Otto Brunner, der Sicherheit als einen „der tiefsten Wünsche des Menschen“ (Brunner, 1984: 847) bezeichnet und Franz-Xaver Kaufmann, der das Streben nach Sicherheit als eine universale menschliche Eigenschaft ansieht, denn nach seiner Auffassung lassen sich immer und überall menschliche Verhaltensweisen finden, als deren adäquate Interpretation ein ‚Streben nach Sicherheit’ (Kaufmann, zit. n. Schwarz, 1974: 5) anzusehen ist. Kaufmann wird von Schwarz unter Bezugnahme auf Arnold Gehlen und Konrad Lorenz weiter so zitiert, dass er als Grund für dieses Streben den anthropologischen Grundgedanken angibt, dass der Mensch ein Mängelwesen ist, das seine Gefährdung erkennt und versucht, durch sein auf die Zukunft gerichtetes Verhalten die Bedingungen seines zukünftigen Daseins selbst zu schaffen und zu stabilisieren (ebd.).
Während sicherlich unstrittig ist, dass Sicherheit als ein Grundbedürfnis des Menschen gelten kann, so wenig gibt es eine eindeutige Definition, was genau inhaltlich unter „Sicherheit“ zu verstehen ist.
Günter Erbel verweist darauf, dass das herkömmliche Verständnis des Sicherheitsbegriffs und seine Genese „ein Spiegelbild der Entwicklung der Staatsidee ist“ (Erbel, 2002: 7). Seiner Auffassung nach hat sich die Sicherheitsidee als Wesenselement der Staatlichkeit in drei Stufen entwickelt:
1. Sicherheit als Verhinderung zwischenmenschlicher (privater Gewalt), garantiert von einer starken Staatsmacht (vgl. Thomas Hobbes „Leviathan“);
2. Sicherheit als Schutz bürgerlicher Freiheit vor der Erdrückung durch den übermächtigen Staat (vgl. John Locke „Sicherheit vor dem Hüter der Sicherheit“);
3. Sicherheit als (gesetzlich fundierte) soziale Absicherung der Menschen gegen die Risiken aus gelebter Freiheit (Sozialstaatsidee) (Erbel, 2002: 7).
Theresa Furrer betont in ihrer Analyse der Entwicklung des Begriffes, dass Sicherheit als normativer Begriff erst seit dem 17. Jahrhundert existiert (Furrer, 2002: 113ff.). Auch die Vorstellung eines naturrechtlich begründbaren menschlichen Sicherheitsbedürfnisses sieht Furrer als ein neuzeitliches Ideal an. Nach ihrer Beschreibung wird Sicherheit im 18. Jahrhundert „als (Lebens-)Sicherung verstanden und mit Attributen wie Eigentum, Wohlfahrt, Ruhe, Frieden und ähnlichem in Verbindung gebracht“ (Furrer, 2002: 113). Für den Schutz und den Erhalt dieser Umstände ist die Obrigkeit verantwortlich.[1]
Dieses Denken setzt sich nach Furrer, mit einer Unterbrechung durch die Zeit des Nationalsozialismus, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts fort. Sicherheit wird vom Einzelnen wie auch vom Staat in erster Linie als „wohlfahrtsstaatliche Sicherheit“ (ebd.) begriffen. Verursacht durch erste wahrgenommene ökologische Fehlentwicklungen kommt es ab Mitte der 1970er Jahre zu einer Erweiterung des Sicherheitsverständnisses, in das nun auch (neben militärischen und ökonomischen Elementen) technologische und ökologische Entwicklungen einbezogen werden. Wenngleich spätestens seit dem Atomreaktorunfall in Tschernobyl deutlich wird, dass Gefahren grenzüberschreitend wirken und Sicherheit nur als „gemeinsame Sicherheit“ (Lutz, 1995: 670) mit den Nachbarn zu erreichen sind, so hat dennoch die Umweltdebatte nie den gleichen Stellenwert im Sicherheitsdiskurs erlangt wie das Sicherheitsparadigma der „sozialen Sicherheit“ (Furrer, 2002: 113). Ab Mitte der 1990er Jahre beginnt das Konzept der Inneren Sicherheit jedoch laut Furrer „die `Soziale Sicherheit´ zu überlagern“(ebd.) .
Gert-Joachim Glaeßner betont in seiner Analyse von Sicherheit als „sozialem Konstrukt“, dass Sicherheit
„sich nicht so sehr auf unverrückbare soziale Gegebenheiten (z.B. klare Aussagen über ökonomische Risiken oder die Kriminalitätsentwicklung) bezieht, sondern eher auf bestimmte unterstellte soziale Gewissheiten“ (Glaeßner, 2002: 3, Herv. i.O.).
Er verweist darauf, dass das mit sozialen Gewissheiten verbundene Sicherheitsversprechen der Staaten der modernen Welt jedoch brüchig geworden ist. „Die umstandslose Verwandlung von Sicherheits glaube in Sicherheits erwartung (...) erodiert und erzeugt ein Gefühl von Unsicherheit“ (ebd., Herv. i.O.).
Es gehört zu den Ordnungsfunktionen des Staates, Sicherheit eines Gemeinwesens nach Außen und Innen zu garantieren (ebd., vgl. zusätzlich Nohlen, 1998: 582). Staatliche Instanzen sind jedoch angesichts neuer bzw. veränderter Bedrohungslagen (wie etwa die Entwicklung auf den internationalen Finanzmärkten im Zuge neoliberaler Globalisierungsprozesse, grenzüberschreitende Kriminalität oder international agierende Terroristen) nur noch bedingt in der Lage, diese Aufgaben, die sich aus der Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols ergeben (vgl. Nohlen, 1998: 582), zu erfüllen.
In der Sicherheitsdiskussion kann es daher nach Glaeßner nicht mehr um die Garantie von Sicherheit, sondern bestenfalls nur noch um eine Begrenzung und Reduktion der (ökonomischen. sozialen, politischen und/ oder ökologischen) Unsicherheit gehen, da eine absolute Sicherheit angesichts der rasanten Entwicklungen in der Welt nicht mehr herstellbar sei (vgl. Glaeßner, 2002: 3).
Die Folge dieser paradoxen Situation ist, dass im 21. Jahrhundert das Erfassen von Unsicherheiten zum Ziel des Staates wird (um weiterhin den Schutz und Erhalt der Lebensumstände zu sichern).
Sicherheit wird nun als Unsicherheitswahrscheinlichkeit vermeintlich berechenbar. Furrer kritisiert, dass „Unsicherheiten (...) damit in Sicherheiten transformiert (werden) und sei es nur durch diskursives Umdefinieren von Unsicherheiten in `Sicherheitsfiktionen´“ (Furrer, 2001: 114). Nimmt man an dieser Stelle den Gedanken von Glaeßner auf, dass in der Bevölkerung unterschiedliche und vielschichtige Unsicherheiten entstanden sind, die mit Sicherheitserwartungen einhergehen, so verwundert es nicht, dass die Bevölkerung bereit ist, dem Staat als ihrem `Beschützer´ eine Reihe von Maßnahmen zuzugestehen, die diese Erwartung erfüllen sollen. Besonders trifft dieses zu, wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, dass durch diese Maßnahmen vermeintlich bedrohliche Feinde bekämpft werden sollen. Solche Maßnahmen können allerdings im erheblichen Rahmen die Grundrechte und Freiheiten des Einzelnen einschränken. Mit der Frage etwa, ob die eingeleiteten Rasterfahndungen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 tatsächlich Sicherheit bieten oder lediglich Sicherheitsfiktionen darstellen, die die Anschläge nicht hätten verhindern können, aber der Bevölkerung das Gefühl vermitteln sollen, Unsicherheiten seien bewältigbar, sind wir im Diskurs um Innere Sicherheit angekommen (vgl. ebd.).
2.2 Innere Sicherheit
Auch der Begriff Innere Sicherheit deckt ein „äußerst heterogenes Feld“ ab, zu dem nach Kunz
„Vollzugspolizeien, Geheimdienste, Justiz, Ministerialverwaltungen, der Bereich der Politik und Politiker, Gesetze, diverse Fachwissenschaften, kritische Intellektuelle, Medien“ sowie „allerlei Phänomene, die in den genannten Bereichen bzw. von den genannten Akteuren als Bedrohungen verhandelt werden (z.B. `gewöhnliche Kriminalität´, `Chaoten´, `islamische Fundamentalisten´ etc)“ (Kunz, 2005: 9)
gehören.
Vergleicht man diese Aufzählung mit den Inhalten des Begriffes Sicherheit, fällt auf, dass der dort bestimmende Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Sicherheit hier nicht enthalten ist. Das lässt den Schluss zu, dass dieser Bereich bei der Inneren Sicherheit keine Rolle spielt. Damit ist auch der Schluss zulässig, dass es in erster Linie der Staat ist, dessen Sicherheit und Existenz geschützt werden soll. Der Bürger als Teil des Staates ist nur noch mittelbar insofern beteiligt, dass er vor Verbrechen geschützt werden soll, was gleichzeitig dem Staat selbst dient, da der Bürger vom Staat die Instanzen, die diese Sicherheit gewährleisten sollen, selber fordert, sie ihm also zugesteht und damit das Gewaltmonopol des Staates, das Prävention wie Reaktion beinhaltet, anerkennt.
In diese Richtung zielt auch eine Aussage des ehemaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP):
„Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates. Wenn er sie nicht mehr erfüllt, wirft er die Frage nach seiner Existenzberechtigung selber auf“ (Genscher, zit. n. Schwarz, 1974, 9).
An gleicher Stelle nennt Schwarz als Beginn der intensiven Beschäftigung der kritischen Öffentlichkeit mit dem Konzept der Inneren Sicherheit im Gegensatz zu Furrer schon die Jahre 1967-1970, in denen die außerparlamentarische Opposition ihre Blütezeit hatte. Zunächst fand laut Schwarz die Diskussion überwiegend im intellektuellen Spektrum statt, das darüber stritt, ob die hierfür ungenügend vorbereitete Polizei bei Zusammenstößen mit Demonstranten der außerparlamentarischen Opposition „demokratisch strukturiert“ sei oder in ihr autoritäre und paramilitärische Verhaltensmuster aus der Vergangenheit fortwirkten (vgl. Schwarz,1979: 10f.).
Bei dieser Diskussion stand anfänglich die liberale Forderung im Mittelpunkt, die Polizei des Staates in eine Polizei der BürgerInnen zu verwandeln. Da sich die Protestbewegung zunehmend radikalisierte und die Polizei massiv darauf reagierte, verbreitete sich bald die von vielen marxistischen Sozialwissenschaftlern vertretene These, dass die Polizei ihren Repressionsapparat als Machtinstrument einer die Herrschaft ausübenden Minderheit gezielt gegen die große Masse der Bevölkerung, vertreten durch die „progressiven“ linken Demonstranten, einsetze.
Echte massenwirksame Aktualität erhielt das Thema aber erst, als im August 1971 in München bei einem Bankraub mit Geiselnahme die weibliche Geisel vor den Augen von Millionen von Fernsehzuschauern getötet wurde. Hinzu kamen die Terroraktivitäten der Baader-Meinhof-Gruppe im Winter 1971/72 und Frühjahr 1972. Den Höhepunkt, auch wenn er nicht als Glied in der Reihe der o.a. Aktivitäten zu sehen ist, bildete der Überfall auf die israelische Olympia-Mannschaft im September 1972 mit dem anschließenden ebenfalls von Fernsehkameras übertragenen Massaker in Fürstenfeldbruck.
Diese Ereignisse drängten die Diskussionen der Intellektuellen der außerparlamentarischen Bewegung in den Hintergrund. In der Bevölkerung war ein Gefühl der unmittelbaren Bedrohung und Gefährdung entstanden, das noch verstärkt durch eine ständig wachsende Zahl von Straftaten, von denen nur wenige aufgeklärt wurden, ein düsteres Bild der Zukunft erwarten ließ. In der Wahrnehmung der Bevölkerung könnte jeder unvorbereitet von Gewalt betroffen sein.
Ein großer Teil der Bevölkerung erwartete durchgreifende Maßnahmen, um der (offensichtlich oder scheinbar) vorhandenen Gefährdung entgegenzuwirken und war bereit, einschneidende Maßnahmen mitzutragen. Wie gestaltete die Politik diese ihr gegebene Möglichkeit?
Auch wenn man quer durch alle Gruppen der Ansicht war, mehr Innere Sicherheit zu gewährleisten oder zu schaffen, bedeutete das nicht, dass der Weg dahin unumstritten war. Knelangen erkennt hier den zentralen Grundkonflikt in der staatlichen Politik der Inneren Sicherheit und formuliert:
„Da polizeiliches Handeln Freiheitsrechte der Individuen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung von Sicherheit einschränkt, andererseits aber die Sicherheit als Voraussetzung für das Ziel der Entfaltung von persönlicher Freiheit gelten kann, stehen beide Ziele in einem nicht einfach aufzulösenden Spannungsverhältnis. Deswegen kann zwischen einem konservativen Sicherheitsziel, das die Wahrung und Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols betont, und einem liberalen Sicherheitsziel unterschieden werden, das die Beschränkung des staatlichen Machtanspruches durch bürgerliche Freiheitsrechte und rechtsstaatliche Prinzipien fokussiert“ (Knelangen, 2002: 38, Herv. i. O.).
Auch Jaschke sieht diese sich gegenüberstehenden Positionen, die er als die normative[2] und die kritische Position bezeichnet (vgl. Jaschke, 1991: 62ff.). Die normative Position basiert nach Jaschke auf einem konservativen Hintergrund, der darin besteht, dass nicht die positive Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Demokratie, sondern ihr Schutz, ihre Bewahrung, zum obersten Wert erhoben wird. Zu diesem Zweck ist der Staat berechtigt, präventive Maßnahmen zu ergreifen. Andere, frühere, Autoren wie Schmitt, Mannheim, Klönne und Loewenstein verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der wehrhaften oder streitbaren Demokratie.
Die kritische Position kritisiert dagegen nach Jaschke die „antidemokratische[n] Effekte eines übertriebenen Selbstschutzes der Demokratie und plädiert für eine liberale Rechtsstaatlichkeit“ und weist darauf hin, dass
„eine Verfassung, die demokratisch-pluralistische Vielfalt betont und bürgerliche Freiheitsrechte als Grundrechte voranstellt, (...) tendenziell diesen Charakter (verliert), je mehr sie bürgerliche Grundfreiheiten – auch zu ihrem eigenen Schutz – beschränkt“ (Jaschke, 1991: 70).
Vor dem Hintergrund von Terrorismus und Radikalenerlass fand also erstmals eine sozialwissenschaftliche Debatte über den Inhalt der „Wehrhaftigkeit“ der bundesrepublikanischen Demokratie statt bzw. darüber, ob „Wehrhaftigkeit nach innen“ (ebd.: 583) nicht als Ausdruck der Schwäche der Politischen Kultur in der Bundesrepublik zu verstehen sei (vgl. Nohlen, 1998: 583).
In diesem Spannungsfeld bewegt sich im Prinzip seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Diskussion um die Öffentliche Sicherheit, ehe dieser Begriff in den 1970er Jahren durch den der Inneren Sicherheit ersetzt wurde. Wie o.a., leitet die normative Position aus der „streitbaren bzw. wehrhaften Demokratie“ den Anspruch und die Verpflichtung ab, dass der Staat berechtigt ist, jederzeit und überall präventive Maßnahmen zu seinem Schutz und dem Schutz der BürgerInnen einzuleiten. Damit besteht allerdings die Gefahr, dass elementare Grundrechte der BürgerInnen eingeschränkt werden, denn Prävention bedeutet mehr als das Verfolgen eines konkreten Verdachtes. Vielmehr bedeutet es für die einzelne Person, dass immer die Gefahr besteht, dass ihr gesamtes Tun und Lassen von den Staatsorganen registriert wird.
„Der Einzelne kann den Staat nicht mehr durch legales Betragen auf Distanz halten“ (Glaeßner, 2002: 12). In anderen Worten ausgedrückt heißt das, dass der Bürger nicht mehr sicher wissen kann, wer was über ihn weiß.
Die Politik war, betrachtet man die generelle Linie seit den 1970er Jahren bereit, diese Nachteile für die BürgerInnen in Kauf zu nehmen. Alle Regierungen seit dieser Zeit setzten in den von ihnen eingebrachten Gesetzesvorlagen mehr auf die konservative Linie, wenn auch vereinzelt jeweils von den kleineren Regierungsparteien kritische Positionen eingebracht wurden. Auffällig bei den einschlägigen Gesetzgebungsverfahren ist, dass bei der parlamentarischen Durchsetzung der entsprechenden Gesetze häufig ein bewusst zeitlich verkürztes Verfahren gewählt wurde, was darauf deutet, dass hier„Gelegenheiten genutzt“ werden sollten.
Nicht vergessen werden darf bei dieser Betrachtung, dass im Laufe der jahrelangen Diskussion über das Thema der Inneren Sicherheit das sogenannte Feindbild, also das Bild derer, von denen die Bedrohung des Bürgers oder des Staates ausgeht, häufiger gewechselt hat.
Waren es in den ersten Nachkriegsjahren übrig gebliebene Nazis, die eine vermeintliche Bedrohung darstellten, ging diese Rolle in der Ära Adenauer über auf die Vertreter des Marxismus. Ende der 1960er Jahre misstraute man der sogenannten Neuen Linken, in den 1970ern allen aus der Außerparlamentarischen Opposition hervorgegangenen Splittergruppen einschließlich etlicher Bürgerinitiativen und der Friedensbewegung. Wieder später sind es für längere Zeit die Ausländer, bis nach dem 11. September 2001 der fundamentalistische Islamismus als größtes Bedrohungspotential angesehen wird.
Analog zum Wechsel des Feindbildes wurde immer wieder von interessierten Kreisen der Begriff der Inneren Sicherheit neu definiert, so dass jeweils neue, passende Eingriffs- und Kontrollinstrumente geschaffen werden konnten. Für ― oder besser gegen ― alle diese o.a. Gruppen und ihre tatsächlichen und vermeintlichen Erscheinungsbilder wurden, die Gelegenheit und die öffentliche Stimmung nutzend, bis heute gültige Gesetze erlassen, die es ermöglichten, bei Bedarf legalisiert gegen deren Mitglieder vorzugehen. Die neuen Überwachungstechnologien bilden hierzu ein geeignetes Hilfsmittel. Über jede Person lassen sich unbegrenzte Mengen von Daten sammeln, speichern und abgleichen (vgl. Kutscha, 2001).
Das Bundesverfassungsgericht hat sich exemplarisch in seinem Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 mit einem der Kernpunkte der Präventionsstrategie der staatlichen Organe, der Verwendung persönlicher Daten des Bürgers, befasst. In diesem Urteil gesteht das BVerfG dem Bürger das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu und erkennt an, dass es grundsätzlich in der Befugnis des Einzelnen liegt, über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Allerdings lässt das Gericht Einschränkungen zu, wenn sie dem Allgemeininteresse dienen.
Das liegt auf der gleichen Linie wie die Entscheidung im sogenannten „Abhör-Urteil“ zur Notstandsverfassung, in der das Gericht die Sozialpflichtigkeit der Freiheit betont und ausführt,
„dass der unbeteiligte Bürger Belastungen seiner Freiheit, die sich aus der staatlichen Wahrung hochrangiger Sicherheitsinteressen ergeben, als ihn „treffende Last“ zu tragen habe, sofern diese zumutbar und nicht übermäßig belastend sei“ (Glaeßner, 2002: 20).
Vor diesem Hintergrund kommt Glaeßner zu dem Schluss:
„Das Grundgesetz mit seiner demokratisch rechtsstaatlichen Substanz schließt freiheitsvernichtende (...) Sicherheit ebenso aus wie sicherheitsvernichtende, grenzenlose Freiheit“ (ebd.).
2.3 Informationelle Selbstbestimmung
Wie die oben dargestellte Entwicklung weiter verlaufen wird, hängt in ganz erheblichem Maße von der Einstellung des Bundesverfassungsgerichtes zu den Gesetzen zur Inneren Sicherheit ab, die die BürgerInnen immer mehr einschränken, und insbesondere von der Einstellung zu dem damit verbundenen Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung. Aus diesem Grund soll hier noch einmal ausführlicher auf diesen Aspekt eingegangen werden.
Das Bundesverfassungsgericht stuft in dem bereits erwähnten Volkszählungsurteil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als einen immanenten Bestandteil des Persönlichkeitsrechts ein. Schon früher hat das BVerfG das Persönlichkeitsrecht als ein durch Art. 1 GG und Art. 2 GG geschütztes Grundrecht anerkannt. Gleichzeitig hat das Gericht darauf verwiesen, dass die im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte bindende Kraft für alle Rechtsbereiche haben.
Das bedeutet, dass der Gesetzgeber verpflichtet wurde, das Persönlichkeitsrecht und damit auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in allen Bereichen des Rechts zu etablieren. Da das bis heute, gewollt oder nicht gewollt, nicht erfüllt wurde, obliegt es nach wie vor den Gerichten, hier an erster Stelle dem Bundesverfassungsgericht, in Form von Urteilen durch richterliche Rechtsfortbildung das Persönlichkeitsrecht im Sinne der Art. 1 GG und Art. 2 GG weiterzuentwickeln.
Welche Linie vertritt das Bundesverfassungsgericht?
Nach seiner Ansicht besagen die Art. 1 GG (Menschenwürde) und Art. 2 GG (allgemeine Handlungsfreiheit), dass jeder Mensch grundsätzlich selbst darüber entscheiden kann, ob er personenbezogene Daten preisgibt oder nicht.
Hier kommt es erheblich darauf an, was unter personenbezogenen Daten zu verstehen ist. Laut § 3 des Bundesdatenschutzgesetzes sind das Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer Person. Folglich sind Informationen und Umstände, über die man den Bezug zu einer konkreten Person herstellen kann, personenbezogene Daten. Hierzu gehören somit auch öffentlich zugängliche Daten wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Kfz-Kennzeichen.
Das BVerfG ist der Ansicht, dass es in Anbetracht der heutigen technischen Möglichkeiten in der Informationstechnologie keine belanglosen Daten mehr gibt. Allein der Verwendungszweck oder genauer der Verwendungszusammenhang lässt eine Entscheidung darüber zu, ob eine Erhebung oder Sammlung von persönlichen Daten eine zulässige Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung darstellt.
Diese Sicht beinhaltet, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vom Staat nicht schrankenlos gewährleistet werden kann und er damit unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit hat, in dieses Grundrecht einzugreifen.
Der Gesetzgeber ist vom BVerfG angehalten, nur für den Fall des unerlässlichen Schutzes der Interessen der Allgemeinheit, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung des Grundrechts für den Einzelnen klar ergeben und bei der die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten ist.
Die Anforderungen an diese zu schaffenden gesetzlichen Grundlagen müssen unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie sehr hoch sein.
Im Vergleich zu diesen Vorgaben des Gerichts zeigt aber die tägliche Realität, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von der Gesellschaft, häufig auch von der Politik, oft nicht ernst genommen wird, wie man am oftmals sorglosen Umgang mit eigenen personenbezogenen Daten erkennen kann. Auch kennt man die Argumentation, `nur wer etwas zu verbergen habe, habe es nötig, seine persönlichen Daten zu schützen´, und Datenschutz diene vorwiegend dem Verbrecherschutz.
Das ist eine Entwicklung, die dahin führen kann, dass die Bemühungen besorgter Menschen, ihre personenbezogenen Daten zu schützen, ausreichen, um unter Generalverdacht gestellt zu werden. Der Einzelne könnte, würde sich eine solche Sichtweise in den Gesetzen niederschlagen, nur unter Verzicht auf den Schutz seiner persönlichen Daten seine Unschuld beweisen können.
Das wäre die Umkehr der klassischen Unschuldsvermutung.
Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht solchen Bestrebungen, die das Ende des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung wäre, nicht nachgibt.
3. Politisch-Parlamentarische Debatte
Im Zentrum dieses Kapitels steht die politisch-parlamentarische Debatte in der Bundesrepublik Deutschland nach dem 11. September 2001. Der Ort der politischen Auseinandersetzung ist in der Bundesrepublik in erster Linie der Deutsche Bundestag. Aus diesem Grund besteht der Hauptteil dieses Kapitels aus einer Untersuchung der Debatten im Deutschen Bundestag, die im Anschluss an die Anschläge in den Vereinigten Staaten über die Sicherheitspolitik in der Bundesrepublik geführt wurden. Zusätzlich sind die Erklärungen der Bundesregierung und der einzelnen im Bundestag vertretenen Fraktionen zu den Ereignissen in den USA Gegenstand der Untersuchung.
Da die Gesetzgebung im Bereich der Inneren Sicherheit zum allergrößten Teil in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt, wird in dieser Arbeit auf eine explizite Untersuchung der politisch-parlamentarischen Debatte über die Innere Sicherheit in den einzelnen Bundesländern verzichtet. Durch den Bundesrat besitzen die Bundesländer aber trotzdem Einflussmöglichkeiten auf Gesetze des Bundes. Da bestimmte Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig[3] sind, findet in diesem Kapitel auch eine Untersuchung der Sitzungen des Bundesrates statt, die sich mit den Antiterrorgesetzpaketen beschäftigt haben.
Gelingt es im Bundesrat nicht, bezüglich eines Themas eine konsensfähige Lösung zu erzielen, werden die Gesetzesvorhaben an den Vermittlungsausschuss[4] verwiesen. In diesem Gremium wird hinter verschlossenen Türen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Entsprechend gibt es auch keine Möglichkeit, Interna aus diesen Sitzungen zu erfahren[5]. Es ist dem Verfasser jedoch wichtig, auf die Existenz dieses bei schwierigen und kontroversen politischen Entscheidungen immens wichtigen Gremiums hinzuweisen.
Unmittelbar im Anschluss an den 11. September 2001 wird schon am 19.9.2001 das `Antiterrorpaket 1´ im Bundestag zur ersten Beratung vorgelegt. Die zuerst ergriffenen Maßnahmen in der Sicherheitsgesetzgebung in der Bundesrepublik, die zusammengefasst das `Antiterrorpaket 1´ bilden, werden in diesem Kapitel vorgestellt. Das `Antiterrorpaket 2´ mit weiteren erheblichen Kompetenzerweiterungen auf Seiten des Staates kann in großen Teilen als ein Resultat der sich an die Verabschiedung des `Antiterrorpaket 1´ anschließenden Debatten in Bundestag und Bundesrat angesehen werden. Diese Debatten von der Beratung des `Antiterrorpaket 1´bis zur Schlussberatung über das `Antiterrorpaket 2´ werden in diesem Kapitel untersucht. Die wesentlichen Inhalte des `Antiterrorpaket 2´ werden in diesem Kapitel ebenfalls aufgeführt.
3.1. Erklärungen der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen zum 11. September 2001
Einen Tag nach den Anschlägen in den Vereinigten Staaten geben der Bundeskanzler, der Außenminister und die im Bundestag vertretenen Fraktionen in der 186. Sitzung des 14. Deutschen Bundestages am 12.9.2001 Erklärungen zum 11. September 2001 ab.
Alle Redner betonen die Besonderheit der Terroranschläge und ihre Fassungslosigkeit angesichts dieser Ereignisse.
Bundeskanzler Schröder (SPD):
„Der gestrige 11. September 2001 wird als ein schwarzer Tag für uns alle in die Geschichte eingehen. Noch heute sind wir fassungslos angesichts eines nie da gewesenen Terroranschlags.“
(Deutscher Bundestag[6], 186. Sitzung, 12.9.2001[7])
Bundesaußenminister Fischer (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):
„Wir sind fassungslos und entsetzt über die Terrorangriffe auf New York und Washington.“ (ebd.)
Struck (SPD):
„Der Schmerz, das Entsetzen und die Fassungslosigkeit sind weltweit. Die Bilder dieser nie geahnten Brutalität werden uns nicht mehr loslassen, sie werden uns unser ganzes Leben begleiten.“ (ebd.)
Schlauch (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):
„Fassungslos haben wir den gestrigen Tag erlebt. (...) Dieser 11. September wird die Welt verändern; er hat sie schon verändert. Und es ist schwer, den Umfang dieser Veränderung heute zu ermessen.“ (ebd.)
Merz (CDU/CSU):
„Wir haben am gestrigen Tag zutiefst erschüttert die Tragödie verfolgt, die das amerikanische Volk durch mehrere verabscheuungswürdige Terroranschläge getroffen hat. Wir sind entsetzt und fassungslos: Wir ringen um Worte für Dinge, die sich nicht in Worte fassen lassen. Diese Fernsehbilder werden wir nicht vergessen.“ (BT, 186. Sitzung, 12.9.2001)
Glos (CDU/CSU):
„Wir alle sind entsetzt und bestürzt. Wir empfinden den tiefen Einschnitt durch diese abgrundtief böse und verabscheuungswürdige Tat. Vieles wird nach dieser feigen und furchtbaren Tat anders sein.“ (ebd.)
Gerhardt (FDP):
„Heute, einen Tag nach einem unbegreiflichen, unfassbaren und unvorstellbaren Anschlag, der unsere amerikanischen Freunde getroffen hat.“ (ebd.)
Claus (PDS):
„Alle Worte erscheinen zu schwach, das Ausmaß dieses kriegerisch-terroristischen Anschlags zu erfassen. (...)Wir ahnen, dass der gestrige Tag eine tiefe Zäsur im Sicherheitsdenken der letzten Jahrzehnte ist.“ (ebd.)
Auffällig ist, dass einmütig betont wird, dass es sich bei den Anschlägen in den Vereinigten Staaten nicht um einen Angriff ausschließlich auf Amerika gehandelt habe, sondern dass vielmehr der Westen und seine Werte insgesamt das Ziel der Terroristen seien.
Bundeskanzler Schröder (SPD):
„Die gestrigen Anschläge in New York und Washington sind nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika; sie sind eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt. Diese Art von terroristischer Gewalt, das wahllose Auslöschen unschuldiger Menschenleben stellt die Grundregeln unserer Zivilisation infrage. Sie bedroht unmittelbar die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens in Freiheit und Sicherheit, all das also, was in Generationen aufgebaut wurde. Gemeinsam werden wir diese Werte – sei es in Amerika, sei es in Europa oder wo auch immer in der Welt – nicht zerstören lassen. In Wirklichkeit – das zeigt sich immer mehr – sind wir bereits eine Welt. Deshalb sind die Anschläge in New York, dem Sitz der Vereinten Nationen, und in Washington gegen uns alle gerichtet.“ (BT, 187. Sitzung, 12.9.2001)
Struck (SPD):
„Die Angriffe waren eine Kriegserklärung an die Werte der demokratischen und zivilisierten Welt.“ (ebd.)
Schlauch (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):
„Diese Terroranschläge treffen unsere amerikanischen Freunde. Aber gerade die Städte der Vereinigten Staaten sind Heimat und Aufenthaltsort für viele Menschen aus aller Welt und so trifft es mit den Opfern und den Einwohnern New Yorks und Washingtons auf ganz reale Weise die ganze Welt. Es ist ein Anschlag auf die offene Gesellschaft überhaupt.“ (ebd.)
Merz (CDU/CSU):
„Die schrecklichen Anschläge haben nicht nur unsere amerikanischen Freunde getroffen, sie haben uns alle getroffen. Sie sind ein Angriff auf die Zivilisation, auf die Freiheit und auf die Offenheit unserer Gesellschaften. Sie sind ein Angriff auf die Grundwerte, die das friedliche Zusammenleben der Völker und der Menschen überhaupt erst möglich und das Leben der Menschen wertvoll machen.“ (BT, 187. Sitzung, 12.9.2001)
Gerhardt (FDP):
„Dies heißt, dass der gestrige Anschlag auch ein Anschlag auf unsere Zivilisation, auf unsere Werte, auf unser Leben, auf alle Menschen war, die in freiheitlichen Gesellschaften leben.“ (ebd.)
Claus (PDS):
„Es hat das Herz nicht nur der amerikanischen, sondern auch der Weltgesellschaft getroffen.“ (ebd.)
Alle Beteiligten bekunden ihr Mitleid mit den Vereinigten Staaten von Amerika, ihrer Regierung und den betroffenen Menschen. Sie sichern Amerika Solidarität zu und verpflichten sich – bis auf die PDS -, dabei mitzuhelfen, die Verantwortlichen für die Anschläge zur Rechenschaft zu ziehen und bei der zukünftigen Bekämpfung der neuen Gefahren mitzuwirken. Vergleicht man den Sprachduktus, so zeigen sich allerdings die GRÜNEN in ihrer quasi Passivkonstruktion („ eine große Herausforderung kommt auf uns zu“) deutlich zurückhaltender als SPD und die Oppositionsparteien („wir müssen Maßnahmen ergreifen“) in ihren Erklärungen und beziehen als einzige die europäische Ebene mit ein.
Bundeskanzler Schröder (SPD):
„Meine Damen und Herren, ich habe dem amerikanischen Präsidenten das tief empfundene Beileid des gesamten deutschen Volkes ausgesprochen. Ich habe ihm auch die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert. Selbstverständlich bieten wir den Bürgern und Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika jede gewünschte Hilfe an, natürlich auch bei der Ermittlung und Verfolgung der Urheber und Drahtzieher dieser niederträchtigen Attentate. (...) Wir müssen nun rasch noch wirksamere Maßnahmen ergreifen, um dem Terrorismus weltweit den Nährboden zu entziehen. Es hat zu gelten: Wer Terroristen hilft oder sie schützt, verstößt gegen alle fundamentalen Werte des Zusammenlebens der Völker.“ (BT, 187. Sitzung, 12.9.2001)
Struck (SPD):
„Unser tiefes Mitgefühl gilt allen, die gestern in New York oder in Washington aus ihrem friedlichen Leben in sinnlose Vernichtung gerissen worden sind. Unsere Gedanken und unsere Solidarität gehören dem amerikanischen Volk. (...) Gemeinsam mit dem amerikanischen Volk werden wir alles tun, um den teuflischen Kräften das Handwerk zu legen.“ (ebd.)
Bundesaußenminister Fischer (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):
„Wir fühlen mit den Opfern und ihren Angehörigen und dem ganzen amerikanischen Volk. Deutschland steht angesichts dieses furchtbaren Verbrechens in fester Solidarität an der Seite der USA.“ (ebd.)
Schlauch (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):
„Umso klarer und umso entschiedener stehen wir deshalb in diesen Stunden zu unseren amerikanischen Freunden und zum amerikanischen Volk. (...) Seien wir uns bewusst, dass auf die internationale Staatengemeinschaft, auf Europa, auch auf diese Regierung und dieses Parlament eine große Herausforderung zukommt, und stehen wir zusammen, dass wir sie alle gemeinsam und gemeinsam mit dem amerikanischen Volk bewältigen.“ (BT, 187. Sitzung, 12.9.2001)
Merz (CDU/CSU):
„Wir stehen in diesen schwersten Stunden an der Seite Amerikas.“ (ebd.)
Glos (CDU/CSU):
„Der Bundeskanzler hat dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem ganzen amerikanischen Volk die uneingeschränkte Solidarität unseres Landes und seiner Menschen versichert. Wir schließen uns dem ausdrücklich an. (...)wir müssen auch bereit sein, alle Mittel unseres Landes einzusetzen, um zu helfen, wo wir helfen können. Hierbei kann es uns durchaus passieren, dass wir noch stärker gefordert werden, als wir es heute wissen.“ (ebd.)
Gerhardt (FDP):
„Wir sind an der Seite der Vereinigten Staaten von Nordamerika und wir bleiben an ihrer Seite. (...)Freiheitliche Demokratien sind zwar empfindlich. Sie sind auch leicht zu gefährden und sie sind verwundbar. Aber sie sind letztlich nicht wehrlos. Wir werden in der Lage sein, uns am Ende zu behaupten sowie Gewalt und Unterdrückung zurückzuweisen, weil es keine Alternative dazu gibt.“ (ebd.)
Claus (PDS):
„Wir empfinden tiefes Mitgefühl und Solidarität mit den Bürgerinnen und Bürgern der Vereinigten Staaten und den politisch Verantwortlichen in den USA.“ (ebd.)
Während sich die Erklärungen der Bundesregierung, der SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP im wesentlichen durch Emphase und allgemein gehaltene Formulierungen auszeichnen, ist auffällig, dass sowohl der Beitrag der CSU als auch der Beitrag der PDS ganz konkrete politische Forderungen enthalten.
Die CSU betont explizit von der ersten Stunde an, die Notwendigkeit neuer umfassender Sicherheitsgesetze:
Glos (CDU/CSU):
„Die Anschläge in New York und Washington stellen auch bei uns die Fragen der Sicherheit neu. (...)Aus dieser Stunde der Solidarität der Demokraten wollen wir gemeinsam den festen Willen mitnehmen, auch die nötigen Prioritäten für die Sicherheit unseres Landes und seiner Menschen, unserer Verbündeten und Freunde zu setzen.“ (BT,186. Sitzung, 12.9.2001)
Aus Sicht des Verfassers suggeriert Glos, die notwendigen Prioritäten für die Sicherung der Bundesrepublik Deutschland seien von der Regierung in der Vergangenheit gerade nicht gesetzt worden und erst durch ein Einschwenken auf den Kurs der CDU/CSU sei die angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage überhaupt zu erreichen.
Die PDS hingegen fordert unmittelbar nach dem 11. September 2001 als erstes Besonnenheit aller Akteure und eine sorgfältige Überprüfung aller evtl. neu zu beschließenden Sicherheitsmaßnahmen auf ihre Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit.
Claus (PDS):
„Ich möchte, dass wir noch eine Weile den Atem an halten, noch eine Weile in der Stille der Nachdenklichkeit verweilen. (...) Nachzudenken über eine Sicherheit, die menschenmöglich ist und dabei menschlich bleibt, über eine Sicherheit, die dem Recht folgt und gerecht sein will, über eine Sicherheit, die freiheitlich und auf Ausgleich bedacht ist, das ist das Gebot der Stunde.“ (BT,186. Sitzung, 12.9.2001)
Die PDS sieht aus Sicht des Verfassers die Gefahr von überzogenen restriktiven neuen Sicherheitsgesetzen, die, noch im Gefühl der Erschütterung und umfassenden Verunsicherung, voreilig formuliert und dann womöglich in Kooperation mit der CDU/CSU im Schnellverfahren durch den Bundestag „gepeitscht“ werden sollen.
3.2. `Antiterrorpaket 1´
Als direkte Reaktion auf die Anschläge in den USA beschließt das Bundeskabinett am 19.9.2001 ein Maßnahmenpaket für mehr innere Sicherheit nach den Terroranschlägen in den USA. Zur Finanzierung der Maßnahmen stellt der Bundesfinanzminister Hans Eichel zusätzliche 1,53 Milliarden Euro (3 Milliarden Mark) dem Etat für Innere Sicherheit zur Verfügung. Die zusätzlichen Mittel werden durch eine Erhöhung der Tabak- und Versicherungssteuer aufgebracht[8]. Finanziert werden sollen damit in erster Linie Spezialausrüstungen für die Bundeswehr, mehr Personal für Sicherheitsinstitutionen und Flugsicherung sowie Aktionen gegen die Geldwäsche.
Die von der Bundesregierung beabsichtigten Gesetzesänderungen sind bis auf die Änderung des Terrorismus-Paragraphen 129[9] im Deutschen Bundestag beschlossen worden. Bezogen auf die Maßnahmen des `Antiterrorpaket 1´ bildete sich eine große fraktionsübergreifende Koalition der politischen Kräfte in Deutschland. Um Entschiedenheit und Entschlussfähigkeit in dieser schwierigen Situation zu demonstrieren, um den Menschen im Land zu verdeutlichen, dass man ihre Ängste wahrnimmt, bemühten sich die Parlamentarier, Geschlossenheit zu zeigen und ohne langwierige Diskussionen, erste, dringende Maßnahmen zügig zu beschließen. Die „Zeit der Krise“ ermöglichte der Regierung „Führungsverantwortung“ zu zeigen, die Opposition stimmte unter Bezug auf das nationale Sicherheitsinteresse zu:
Bundeskanzler Schröder (SPD):
„Kein Zweifel: Viele unserer Landsleute haben Angst. Sie haben Angst vor dem Terror und auch Angst vor Krieg. (...) Diese Angst mag übertrieben, mag unbegründet sein, gleichwohl ist sie da und bewegt die Menschen in unserem Lande. (...) Meine Damen und Herren, bereits heute Nachmittag werden wir im Bundeskabinett ein Maßnahmenpaket beschließen, um die Bekämpfung des Terrorismus im Lichte der jetzt evidenten Erkenntnisse zu optimieren.“
(BT, 187. Sitzung, 19.9.2001)
Merz (CDU/CSU):
„Dies ist nicht die Zeit für ein `Ja aber´. Sie werden heute Nachmittag im Bundeskabinett erste Vorschläge zur Verbesserung der Inneren Sicherheit in Deutschland verabschieden. (...) Ich sage Ihnen namens unserer Fraktion eine zügige, sehr kooperative Beratung zu, damit wir sehr schnell zu richtigen Ergebnissen (...) kommen können. Wir bieten Ihnen, Herr Bundeskanzler, dabei eine nationale Allianz der Entschlossenheit.“ (ebd.)
Westerwelle (FDP):
„(...) ich möchte Ihnen [dem Bundeskanzler] (...) zusichern, dass das was sie hier als Kurs bestimmt haben, die Zustimmung der Freien Demokraten findet. Jetzt geht es nicht darum, den Parteienstreit fortzusetzen, sondern jetzt geht es darum, dass wir alle unsere Verantwortung wahrnehmen (...).
Herr Innenminister, das was rechtsstaatlich notwendig ist, um Freiheit und Sicherheit in Deutschland zu gewährleisten, werden wir mit Ihnen gemeinsam beschließen.“ (ebd.)
Nur die Abgeordneten der PDS scheren aus und kündigen an, gegen die Vorlagen der Bundesregierung stimmen zu wollen, weil sie die geplanten Gesetzesänderungen für rechtsstaatlich problematisch und in der Sache für nicht hilfreich erachten. Weder die öffentliche, emotionale Bewegtheit, auf die der Kanzler Bezug nimmt, noch eine Stimmung des „Zorns“ dürften gewissermaßen als Gelegenheitsfenster genutzt werden, um Bürgerrechte abzubauen.
Claus (PDS):
„Wenn in der Innenpolitik nach Einschränkung individueller Freiheiten gerufen wird, ist das alt. Dies alles ist in der Vergangenheit schon da gewesen und es hat nichts genutzt. Natürlich sehen auch wir die Notwendigkeit, Maßnahmen (...) zu ergreifen und zu wirksameren Formen der Terrorismusbekämpfung im Landesinnern zu gelangen. Aber Bürgerrechte, Demokratie und Weltoffenheit dürfen nicht im Zeichen des Zorns abgebaut werden. Es genügt auch nicht, bei den geplanten Maßnahmen nur in Kategorien der Repression zu denken.“
(BT, 187. Sitzung, 19.9.2001)
Erste Maßnahmen zur Terrorbekämpfung nach dem 11. September 2001
Um der terroristischen Bedrohung besser entgegentreten zu können, beschließt das Kabinett auf Vorschlag von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), einen neuen Paragraph 129b in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Damit wird die Unterstützung internationaler krimineller Vereinigungen von Deutschland aus unter Strafe gestellt. Vorher war es nur strafbar, in Deutschland operierende inländische kriminelle Organisationen zu unterstützen.
Als weitere Maßnahme wird das Religionsprivileg im Vereinsrecht gestrichen. Extremistische Islam-Organisationen sollen künftig wie normale Vereine behandelt werden können und sich nicht mehr hinter dem Schutz des Religionsprivilegs verstecken können.
Zusätzlich wird eine von Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) vorgelegte Rechtsverordnung verabschiedet, die eine intensivere Überprüfung von Beschäftigten in sicherheitsrelevanten Bereichen anordnet.
Mit einer geplanten Verschärfung der Geldwäsche-Regelungen will die Bundesregierung Schwarzgeldströme z.B. der afghanischen Taliban oder der albanischen Untergrundbewegung UCK besser verfolgen können und diese möglichst komplett zum Versiegen bringen.
[...]
[1] Ein solches Sicherheitsverständnis geht sowohl über das „erste Sicherheitsverständnis“, das Erbel identifiziert hinaus als auch über den engeren „negativen Sicherheitsbegriff“ der militärisch-orientierten Konfliktforschung, der unter Sicherheit in der Regel nur die Abwesenheit von (bzw. den Schutz vor) Gefahren und Bedrohungen versteht (Lutz, 1995: 670).
[2] Dieser Begriff ist leider recht irreführend, liegen doch jedem Standpunkt normative Annahmen zugrunde. Diese Bezeichnung Jaschkes ist deswegen auch von verschiedener Seite kritisiert worden – mit dem Hinweis, dass der Begriff „konservative“ Position weniger missverständlich gewesen wäre.
[3] Die in der Praxis wichtigsten Fälle einer Zustimmungspflicht entstehen in den folgenden Situationen:
- Das Bundesgesetz wird – wie in der Regel – von den Verwaltungen und Behörden der Länder ausgeführt und enthält hierfür besondere Vorschriften über Zuständigkeit und Verfahren der Landesbehörden (Art. 84 GG und Art. 85 GG).
- Das Bundesgesetz gewährt den BürgerInnen eine Geldleistung, für die zumindest zu einem Viertel die Landeskasse aufkommen muss (Art. 104a GG).
- Das Bundesgesetz enthält Regelungen über die Erhebung und Verteilung von Steuern (etwa gemäß Art. 105 GG oder Art. 106 GG).
- Es handelt sich um ein Gesetz, mit dem das Grundgesetz geändert oder Hoheitsrechte an die Europäische Union übertragen werden sollen (Art. 79 GG und Art. 23 GG). Dann ist sogar eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erforderlich.
[4] Der Vermittlungsausschuss besteht aus 16 Mitgliedern des Bundesrates und ebenso vielen des Bundestages, die entsprechend den Fraktionsstärken benannt sind. Seine Aufgabe liegt darin, einen Konsens zwischen Bundestag und Bundesrat zu finden, wenn vom Bundestag beschlossene Gesetze im Bundesrat keine Mehrheit finden. Weichen Beschlüsse des Vermittlungsausschusses von denen des Bundestages ab, ist eine erneute Beschlussfassung im Bundestag erforderlich. Ist zu einem Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, so können auch der Bundestag und die Bundesregierung die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen, um eine Einigung herbeizuführen.
[5] Aus Sicht des Verfassers ist die Geheimhaltung der konkreten Inhalte der Sitzungen des Vermittlungsausschusses problematisch. Es werden mitunter Entscheidungen von größter politischer Tragweite getroffen, deren Zustandekommen (Zugeständnisse an anderer Stelle an den politischen Gegner, Druckausübung bis hin zu `Erpressungsversuchen´ u.a.) gänzlich im Dunkeln bleiben. Eine Transparenz bezüglich politischer Entscheidungen ist im Vermittlungsausschuss eindeutig nicht gegeben.
[6] Wird im Folgenden mit BT abgekürzt.
[7] Da aus den Stenografischen Berichten der Bundestagssitzungen zitiert wird, können keine Seitenzahlen angegeben werden, da die Stenographischen Berichte der Bundestagssitzungen nicht mit Seitenzahlen versehen sind.
[8] Die einzelne Zigarette verteuert sich dadurch am 1.1.2002 um zwei Cent. Die Versicherungssteuer wird um einen Prozentpunkt angehoben.
[9] Die Änderung des Terrorismus-Paragraphen wurde verschoben, weil besonders Bündnis 90/DIE GRÜNEN unbedingt sicherstellen wollten, dass die endgültige Formulierung des Gesetzes nicht zur Folge haben kann, dass Mitglieder von Befreiungsorganisationen, die in ihrem Heimatland gegen ein diktatorisches Regime kämpfen, auch unter den Paragraphen fallen und demzufolge in der Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt werden müssten. Das Gesetz wurde schließlich nach langen, sorgfältigen Beratungen 2002 verabschiedet.
- Citar trabajo
- Magister Politikwissenschaft Boris Jarecki (Autor), 2005, Die politisch-parlamentarische Debatte über die Innere Sicherheit nach den Ereignissen des 11. September in Deutschland, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82107
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