Die Tatsache, dass zum ersten Mal nach Beendigung des zweiten Weltkriegs deutsche Soldaten in
Jugoslawien wieder direkt an einem Kampfeinsatz teilnahmen, verleiht der in dieser Arbeit aufgegriffenen Frage nach der Rolle Deutschlands im Kosovo- Konflikt und dessen Auswirkungen eine kaum zu übersehende Brisanz. Um diese Rolle angemessen zu bewerten, wird zu Beginn nach der Beständigkeit deutscher Außenpolitik gefragt. Durch die Thematisierung der Kontinuität wird, zur Beurteilung des gegenwärtigen Standpunktes deutscher Außenpolitik sinnvoll und notwendig erscheinend, auch ein kurzer Blick auf außenpolitische Verhaltensweisen der jüngeren Vergangenheit gerichtet. Auch die in dieser Arbeit geschilderten Abläufe des Konflikts, angefangen von den Zuspitzungen der Auseinandersetzungen Anfang 1998, über die Verhandlungen von Rambouillet bis hin zur Unterzeichnung des Balkan-Stabilitätspaktes, sollen unter dem Blickwinkel einer ungefähren Positionsbestimmung deutscher Außenpolitik betrachtet werden. Die Bedingungen, unter denen die außenpolitische Entscheidungsfindung von höchster Tragweite, nämlich der Bundestagsbeschluss für einen militärischen Einsatz zu Stande kam, legen es nah, sich auch diesen anzunehmen. Ebenso ist zu klären, ob das schon im Vorfeld des Einsatzes geäußerte neue deutsche Selbstbewusstsein des Bundeskanzlers mit den Handlungsabläufen der Konfliktsituation korrespondiert. Wie agiert eine Koalition von „Linken und Pazifisten“ in Krisenzeiten, die allen Beschwörungen zum Trotz, nicht aus einer außenpolitischen Linie auszubrechen, deutsche Soldaten in den Krieg schickt? Und wie könnte sich dieser Einschnitt auf Deutschlands außenpolitisches Handeln in der Zukunft auswirken? Diese Fragen neben Anderen sollen im folgenden Text, im Rahmen meiner Möglichkeiten, zum Gegenstand gemacht werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kontinuität deutscher Außenpolitik
3. Krisenzeiten auf dem Balkan
3.1 Ein Konflikt verschärft sich
3.2 Deutschlands Beschlussfassung
3.3 Deutschland im Abseits-Die Verhandlungen von Rambouillet
3.4 Deutschland im Krieg
3.5 Deutschlands Friedensplan
3.6 Der Balkan-Stabilitätspakt
4. Schlussfolgerungen
4.1 Paradigmenwechsel und mögliche Ursachen
4.2 ... bestätigt durch Deutschlands Rolle im Kosovo-Konflikt
4.3 Mögliche Konsequenzen für die Zukunft
Literatur
1. Einleitung
Die Tatsache, dass zum ersten Mal nach Beendigung des zweiten Weltkriegs deutsche Soldaten in Jugoslawien wieder direkt an einem Kampfeinsatz teilnahmen, verleiht der in dieser Arbeit aufgegriffenen Frage nach der Rolle Deutschlands im Kosovo- Konflikt und dessen Auswirkungen eine kaum zu übersehende Brisanz. Um diese Rolle angemessen zu bewerten, wird zu Beginn nach der Beständigkeit deutscher Außenpolitik gefragt. Durch die Thematisierung der Kontinuität wird, zur Beurteilung des gegenwärtigen Standpunktes deutscher Außenpolitik sinnvoll und notwendig erscheinend, auch ein kurzer Blick auf außenpolitische Verhaltensweisen der jüngeren Vergangenheit gerichtet. Auch die in dieser Arbeit geschilderten Abläufe des Konflikts, angefangen von den Zuspitzungen der Auseinandersetzungen Anfang 1998, über die Verhandlungen von Rambouillet bis hin zur Unterzeichnung des Balkan-Stabilitätspaktes, sollen unter dem Blickwinkel einer ungefähren Positionsbestimmung deutscher Außenpolitik betrachtet werden. Die Bedingungen, unter denen die außenpolitische Entscheidungsfindung von höchster Tragweite, nämlich der Bundestagsbeschluss für einen militärischen Einsatz zu Stande kam, legen es nah, sich auch diesen anzunehmen. Ebenso ist zu klären, ob das schon im Vorfeld des Einsatzes geäußerte neue deutsche Selbstbewusstsein des Bundeskanzlers mit den Handlungsabläufen der Konfliktsituation korrespondiert. Wie agiert eine Koalition von „Linken und Pazifisten“[1] in Krisenzeiten, die allen Beschwörungen zum Trotz, nicht aus einer außenpolitischen Linie auszubrechen, deutsche Soldaten in den Krieg schickt? Und wie könnte sich dieser Einschnitt auf Deutschlands außenpolitisches Handeln in der Zukunft auswirken? Diese Fragen neben Anderen sollen im folgenden Text, im Rahmen meiner Möglichkeiten, zum Gegenstand gemacht werden.
2. Kontinuität deutscher Außenpolitik
Die Betrachtung des Kosovo- Konflikts aus dem Blickwinkel deutscher Außenpolitik wirft die Frage nach der Kontinuität, beziehungsweise nach den bisherigen Positionen deutscher Außenpolitik der jüngeren Vergangenheit auf.
Nach der deutschen Einigung beteuerte Helmut Kohl einem besorgten Ausland, die Grundzüge seiner Außenpolitik würden sich nicht ändern. „Beschaulichkeit“ und „Beharrlichkeit“ sollten weiterhin die Tugenden der Deutschen bleiben. Außenpolitik sollte sich weiterhin als eine Gewalt Ablehnende, mit gutem Beispiel Vorangehende, darstellen. „Die allseits gefeierte, auf den Einsatz militärischer Gewalt verzichtende Außenpolitik der Bonner Republik sollte damals fortgeschrieben werden.“[2] Multilaterales Agieren, der Willen ein friedliches Gesamteuropa zu schaffen und Westgebundenheit sollten weiterhin vorrangiges Interesse der Zivilmacht Deutschland bleiben. Auch der übliche Ablauf in Konfliktsituationen der Staatengemeinschaft, das Ausstellen von Schecks anstelle der Entsendung deutscher Truppen, sollte sich 1991 im Golfkrieg noch ein letztes Mal wiederholen. „Die Kohl-Regierung drückte sich um eine militärische Beteiligung mit Hilfe eines Tributs an die USA in Höhe von 10 Mrd. Dollar.“[3] Allerdings war damals der Ruf nach einer Rückkehr in die Normalität schon zu vernehmen. „Aber bereits seinerzeit, an der Schwelle zur neuen Zeit, waren höchste deutsche Entscheidungsträger willens, als normale Verbündete deutsche Soldaten an den Golf zu schicken.“[4] Das Grundgesetz, das out of area –Einsätze seinerzeit noch nicht zuließ, ebenso wie die Ablehnung der Sozialdemokraten, machte einen Einsatz unmöglich, weshalb auch einige Zeit später im Anfangsstadium des Bosnienkonflikts die Entsendung deutscher Truppen in das Krisengebiet ausblieb. Die entscheidende Vorraussetzung für den Einsatz deutscher Truppen, erst 1994 im Auftrag der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung in Bosnien, dann später im Rahmen der NATO in Jugoslawien, wurde schließlich 1994 vom Bundesverfassungsgericht geschaffen. „Erst nachdem das Bundesverfassungsgericht 1994 die ‚ausschließlich Verteidigung’ - Auslegung des Grundgesetzes zurückgewiesen hatte, stimmte der Bundestag der Entsendung von peace- enforcing- Truppen nach Bosnien zu.“[5] Zwar beschwor, wie Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung, auch Gerhard Schröder unmittelbar nach seinem Amtsantritt die Kontinuität der deutschen Außenpolitik und versprach, dass es keine entscheidenden Verschiebungen der deutschen „Staatsräson“ geben werde. Doch diese Ankündigung sollte sich, auch aufgrund einer sich immer schneller verädernden Welt, nicht in allen Teilen bewahrheiten. „Die Bonner Zeiten...sind allerdings vorbei, die Republik ist eine andere geworden und alle, die Europäer und die Deutschen selbst, werden dies in den kommenden Jahren verstärkt zu spüren bekommen.“[6] So stellte dann auch die Mitwirkung Deutschlands am Kosovo- Krieg einen fundamentalen Einschnitt in der deutschen Außenpolitik dar. „Für Deutschland ist die Zäsur wohl besonders einschneidend. Denn zum ersten Mal nach Ende des zweiten Weltkrieges nahmen deutsche Soldaten direkt an einem Kampfeinsatz gegen einen anderen Staat teil- noch dazu gegenüber einem Land, das im zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht besetzt worden war.“[7] Zusätzlich zerbrach mit dieser militärischen Beteiligung nicht nur die oft propagierte „Kultur der Zurückhaltung“, sondern auch die vom ehemaligen Bundeskanzler ins Leben gerufene „Kohl-Doktrin“, dass es eine Aufstellung deutscher Truppen, in den Gebieten, in denen einst die Soldaten des 3. Reiches kämpften, niemals geben dürfe. Deutschland ist also in der Normalität angekommen. Der deutliche Unterschied zu den „normalen Staaten“, der vor allem durch die Ablehnung des militärischen Mittels gekennzeichnet war, scheint aufzuweichen. „In jedem Fall aber ist sie eine Macht, die sich, an sämtlichen gängigen Zivilitätsmaßstäben gemessen, qualitativ nicht mehr von vergleichbar großen westlichen Staaten unterscheidet; vielmehr ist die neue Bundesrepublik zu einem ganz ‚normalen Verbündeten’ geworden.“[8] Im Zuge der „Enttabuisierung des Militärischen“, die der Kosovo-Einsatz plakativ herausstellt, scheint auch ein Selbstbewusstsein zurückzukehren, dass aus nur allzu verständlichen, historisch bedingten Gründen lange Zeit im Verborgenen blieb. „Und offenbar ist sie in zunehmenden Maße eine Macht, die sich im Vergleich zur alten Bonner Republik immer weniger scheut, sich ihren Nachbarn und Partnern darüber hinaus auch als ‚selbstbewusste Nation’ zu präsentieren.“[9] Zumindest scheint dies die Ansicht des Bundeskanzlers Gerhard Schröders zu sein, der schon in seiner Regierungserklärung vom November 1998 die Definition der „selbstbewussten normalen Nation“ ins Spiel gebracht hat.[10]
3. Krisenzeiten auf dem Balkan
3.1 Ein Konflikt verschärft sich
Anfang 1998 konnte die albanische Befreiungsarmee UCK zum ersten Mal ein größeres Territorium unter ihre Kontrolle bringen. Dies führte zur ersten größeren Operation der serbischen Sonderpolizei, bei der über achtzig Albaner, 25 Frauen und Kinder getötet wurden. Die Antwort des Sicherheitsrats war ein Waffenembargo gegen Jugoslawien. Vor allem die deutsche Diplomatie hatte schon lange befürwortet, dass die Kontaktgruppe (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland), die sich mit der Bosnienfrage auseinander gesetzt hatte, auch mit dem Kosovo-Problem beschäftigen sollte. So beriet man erstmals im April 1998, nach bedenken Russlands, über den Konflikt, leider ohne Erfolg. Die Diskussion, ob militärisch eingegriffen werden sollte, verstärkte sich zunehmend. Diese wurde stark durch bosnische Erfahrungen beeinflusst, da die Zurückhaltung dort verheerende Auswirkungen mit sich brachte. Im Juni 1998 hatte der russische Außenminister mit großem Nachdruck militärische Zwangsmaßnahmen abgelehnt. Von da an war mit einem VN-Mandat nicht mehr zu rechnen. Vom Militärstab der NATO verlangten die Außenminister Optionen, um „einer systematischen Kampagne der gewaltsamen Repression und Ausweisung im Kosovo“ auf einer „relevanten rechtlichen Grundlage“ Einhalt zu gebieten[11]. Diese Formulierung würde ein Eingreifen auch ohne VN-Mandat zulassen. Bei einem Treffen von Jelzin und Milosevic versprach der Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien eine Abmilderung seiner Handlungen und erlaubte es ausländischen Beobachtern das Kosovo zu observieren. Die Kosovo Diplomatic Observer Mission (KDOM) markierte den Anfang der Internationalisierung des Konflikts. Die serbischen Streitkräfte milderten ihre Aktionen tatsächlich ab. Dies nutzte die UCK zielgerichtet aus und nahm in kürzester Zeit 40 % des Kosovo ein. Daraufhin schlugen wiederum die Serben massiv zurück. Zeitgleich bereiste Wolfgang Ischinger, der damalige politische Direktor des Auswärtigen Amtes, die Krisenregion, ebenso wie der damalige deutsche Vertreter der OSZE Hansjörg Eiff, mit einer Untersuchungskommission. Beide gelangten zu der Einsicht, dass ein Waffenstillstand ohne die Überwachung durch internationale bewaffnete Streitkräfte, unter einem Mandat des Sicherheitsrates sinnlos wäre. Bonn setzte sich auf internationaler Ebene nun stark für diese Sache ein. In der NATO standen die militärischen Optionen jetzt wieder im Zentrum der Diskussion. Aufgrund der autoritären und zielbewussten Führung des Vorsitzenden des Militärausschusses der NATO, dem deutschen General Klaus Naumann, lagen innerhalb kürzester Zeit, die in Auftrag gegebenen militärischen Optionen vor.[12] Diese beinhalteten präventive Maßnahmen, die eine Truppenstationierung in Mazedonien bedeuten sollten. Außerdem waren vier verschiedene Arten von Bodentruppen und eine Luftkampagne zur Erzwingung eines Nachgebens Serbiens ausgearbeitet worden. Im Kampf um wichtige Stellungen mit der UCK, vor allem an der Grenze Albaniens, um den Waffenschmuggel zu unterbinden, zerstörten die Serben immer wieder gezielt die Dörfer und somit erreichte die Flüchtlingszahl im September 1998, 265.000. Davon 50.000 der so genannten „Waldmenschen“. Aufgrund des bevorstehenden Winters, bestimmt nun die Verhinderung einer humanitären Katastrophe das Denken der Regierungen. Am 23. September verabschiedete der VN-Sicherheitsrat seine bisher schärfste Resolution (1199). Diese forderte einen sofortigen Waffenstillstand, Truppenrückzug, Maßnahmen zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe und einen politischen Dialog. Russland erklärte anschließend die Resolution berechtige nicht zu einem militärischen Zwangseingriff. Kurz darauf setzte der NATO-Rat die Activation Warning (ACTWARN) in kraft und forderte damit die NATO-Mitglieder auf, mitzuteilen, welche Flugzeuge, Mannschaften und Hilfsmaterial sie bereitstellen könnten. Aufgrund weiterer Eskalationen wurde schließlich ein Ultimatum an Serbien zum Gegenstand der Diskussion. Man hoffte Milosevic würde bei der Androhung von Gewalt einlenken. Der US- Sondervermittler Holbrooke traf allerdings am 12./13. Oktober 1998 mit Milosevic eine Abmachung, wodurch sich das Ultimatum zunächst erübrigte.
[...]
[1] Joffe, Josef: Parameter rot- grüner Außenpolitik, in: Blaetter für deutsche und internationale Politik 11/99, S. 1325
[2] Hellmann, Gunther: Nationale Normalität als Zukunft? Zur Außenpolitik der Berliner Republik, in: Blaetter für deutsche und internationale Politik 7/99, S. 838
[3] vgl. Joffe 11/99, S. 1326
[4] vgl. Hellmann 7/99, S. 839
[5] vgl. Joffe 11/99, S. 1326
[6] vgl. Hellmann 7/99, S. 937
[7] Debiel, Tobias: Deutsche Außenpolitik jenseits der Kontinuität, in:Inef Report Heft 38/1999, S. 47
[8] vgl. Hellmann 7/99, S. 838
[9] ebd.
[10] vgl. Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem deutschen Bundestag, 10.11.1998
[11] vgl. Joetze, Günter: Der letzte Krieg in Europa? Das Kosovo und die deutsche Politik, Stuttgart/München 2001,S. 32-33
[12] vgl. Joetze, Stuttgart/München 2001, S. 34
- Arbeit zitieren
- Florian Roth (Autor:in), 2002, Deutschlands Rolle im Kosovo-Konflikt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81996
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