Er stand am Ausgang eines äußerst kreativen Zeitabschnittes der griechischen
Weisheitsliebe und Wahrheitssuche und es sollte lange dauern, bis ihm die Zunft der
Philosophen hinsichtlich Qualität und Differenzierung kunstvoll geordneter
Gedankengebäude ebenbürtig war.
Gegen Ende eines Zeitraumes von annähernd zweitausend Jahre galt Aristoteles als
eine Autorität, aber auch als ein erwiesenes Hindernis für die Wissenschaften, denn
vom Beginn des 17. Jahrhunderts an musste jeder geistige Fortschritt mit einer
Attacke gegen die aristotelische Doktrin erkämpft werden.
Das Gesamtwerk des Aristoteles umfasst viele Bereiche unter anderem Logik,
Physik, Metaphysik, Rhetorik, Politik und Ethik. Was die letztere Disziplin anbelangt,
so steht sie in engem Kontakt mit der Politik selbst und besteht in ihrem Kern aus
drei Abhandlungen von denen zwei allerdings ehemaligen Schülern zugesprochen
werden müssen. Dahingegen wird die Echtheit der dritten Abhandlung, der thiká
Nikomácheia, nicht angezweifelt, wenngleich angenommen wird, dass auch hier so
manches von Werken seiner Schüler stammt.
Die Nikomachische Ethik wendet sich an ehrbare Menschen mittleren Alters1 und
erhebt den Anspruch einer praktischen Philosophie. Es werden dort die
vorherrschenden Ansichten einer gebildeten, bürgerlichen Schicht vertreten und in
eben diesem Rahmen gilt es, die praktische Philosophie und Handlungstheorie des
Aristoteles zu untersuchen, wobei den Begriffen Maß und Praxis besondere
Bedeutung zukommen soll.
In diesem Sinne soll anfangs Aristoteles Leben in aller Kürze dargestellt und danach
der Blick sogleich auf die praktische Philosophie gerichtet werden. Der Begriff der
Praxis, die aristotelische Ethik sowie das Grundriss-Wissen sind dort Gegenstand
der näheren Betrachtung.
Anschließend wird die Handlungstheorie anhand des Begriffe Strebens,
Entscheidung und Urteilskraft untersucht, um dann schließlich zur abschließenden
Betrachtung und Beurteilung der Thematik überzugehen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der „große Leser“
3. Praktische Philosophie
3.1. Der Begriff der Praxis
3.2. Die aristotelische Ethik
3.3. Das Grundriss-Wissen
4. Handlungstheorie
4.1. Der Grundbegriff des Strebens
4.2. Die Entscheidung und die Urteilskraft
5. Schlussbetrachtung
6. Bibliographie
1. Einleitung
Er stand am Ausgang eines äußerst kreativen Zeitabschnittes der griechischen Weisheitsliebe und Wahrheitssuche und es sollte lange dauern, bis ihm die Zunft der Philosophen hinsichtlich Qualität und Differenzierung kunstvoll geordneter Gedankengebäude ebenbürtig war.
Gegen Ende eines Zeitraumes von annähernd zweitausend Jahre galt Aristoteles als eine Autorität, aber auch als ein erwiesenes Hindernis für die Wissenschaften, denn vom Beginn des 17. Jahrhunderts an musste jeder geistige Fortschritt mit einer Attacke gegen die aristotelische Doktrin erkämpft werden.
Das Gesamtwerk des Aristoteles umfasst viele Bereiche unter anderem Logik, Physik, Metaphysik, Rhetorik, Politik und Ethik. Was die letztere Disziplin anbelangt, so steht sie in engem Kontakt mit der Politik selbst und besteht in ihrem Kern aus drei Abhandlungen von denen zwei allerdings ehemaligen Schülern zugesprochen werden müssen. Dahingegen wird die Echtheit der dritten Abhandlung, der „ēthiká Nikomácheia“, nicht angezweifelt, wenngleich angenommen wird, dass auch hier so manches von Werken seiner Schüler stammt.
Die Nikomachische Ethik wendet sich an „ehrbare Menschen mittleren Alters“[1] und erhebt den Anspruch einer praktischen Philosophie.[2] Es werden dort die vorherrschenden Ansichten einer gebildeten, bürgerlichen Schicht vertreten und in eben diesem Rahmen gilt es, die praktische Philosophie und Handlungstheorie des Aristoteles zu untersuchen, wobei den Begriffen Maß und Praxis besondere Bedeutung zukommen soll.
In diesem Sinne soll anfangs Aristoteles Leben in aller Kürze dargestellt und danach der Blick sogleich auf die praktische Philosophie gerichtet werden. Der Begriff der Praxis, die aristotelische Ethik sowie das Grundriss-Wissen sind dort Gegenstand der näheren Betrachtung.
Anschließend wird die Handlungstheorie anhand des Begriffe Strebens, Entscheidung und Urteilskraft untersucht, um dann schließlich zur abschließenden Betrachtung und Beurteilung der Thematik überzugehen.
2. Der „große Leser“
In Stagira (Thrakien) um 384 v. Chr. erblickte Aristoteles als Sohn des am makedonischen Königshof arbeitenden Leibarztes Nikomachos das Licht der Welt. Mit achtzehn Jahren kam er nach Athen, wo er als Metöke, als Ausländer, galt und Schüler an Platons Akademie wurde, die das „intellektuelle Mekka für die Wissenschaftler und Philosophen jener Zeit“[3] war. Dort blieb Aristoteles beinahe zwanzig Jahre.[4]
Jenseits der berühmten Wandelgänge nannte man ihn schon bald den „großen Leser“, weil er die Angewohnheit hatte, beim Lesen stets eine Messingkugel in der Hand zu halten, die, wenn er einzuschlafen drohte, in ein speziell positioniertes Messingbecken fiel, so dass der wissbegierige Schüler vom plötzlichen „Scheppern“ erschreckt, wach wurde und weiterlesen konnte. Selbst Plato erkannte in seinem Schüler offensichtlich die spätere geistige Größe und pflegte, wenn dieser einmal nicht zum Unterricht erschien, mit beinahe traurigem Unterton zu sagen: „Heute hat der Geist gefehlt.“
Es dauerte dann auch nicht lange, bis Aristoteles eigene Vorlesungen in einem Hörsaal in der Akademie hielt. In diese Zeit fallen ebenfalls erste Entwürfe der Naturphilosophie, Rhetorik, Ethik und Politik. In die letztere mischte sich er sich aufgrund seines Metöken-Status nicht ein, was ihn freilich nicht abhielt, eine Wissenschaft der Politik begründen.[5]
Nach seinem Athen-Aufenthalt ging Aristoteles auf Reisen und wurde im Alter von vierzig Jahren, 343 v. Chr., Lehrer Alexanders. Diese legendäre Beziehung, um die sich viele Mythen ranken, war wohl wesentlich nüchterner als es die menschliche Phantasie gemeinhin wahrhaben will.
Ist man dennoch geneigt, sich ein Bild davon machen zu wollen, so empfehlen sich Bertrand Russell deutliche Worte:
„Ich meinerseits setzte diesen Einfluß gleich null. Alexander war ein ehrgeiziger, leidenschaftlicher Junge, der schlecht mit seinem Vater stand und vermutlich als Schüler schwierig war. Aristoteles meinte, kein Staat dürfe mehr als hunderttausend Einwohner haben und predigte die Doktrin der goldenen Mitte. Ich kann mir vorstellen, dass sein Schüler in ihm nur einen langweiligen alten Pedanten sah, an den ihn sein Vater ausgeliefert hatte...Alles in allem scheint die Begegnung dieser beiden Männer so wenig Früchte getragen zu haben, als hätten sie in verschiedenen Welten gelebt.“[6]
Von 353 bis 323 v. Chr. zog es Aristoteles wieder in „seine Welt“, nach Athen, wo er eine Schüle gründete und einen Großteil seiner Werke verfasste. Als nach dem Tode Alexanders des Großen 323 die Athener schließlich revoltierten und sich ihr über die Jahre aufgestauter Hass auch gegen Alexanders Freunde richteten, wurde Aristoteles der Gottlosigkeit beschuldigt und flüchtete vor der drohenden Strafe ins Exil, wo er ein Jahr später verstarb.[7] Was von ihm blieb, waren seine Werke, aus denen vor allem die Ethik mit dem Anspruch hervorsticht, eine praktische Philosophie zu sein.
3. Praktische Philosophie
3.1. Der Begriff der Praxis
In der praktischen Philosophie wie auch in der Handlungstheorie des Aristoteles nimmt der Begriff des Praxis eine zentrale Rolle ein. Nach Erich Fromm ist die Praxis der „Terminus, mit dem Aristoteles das freie Tätigkeitsein des Menschen umriß“[8]. Es handelt sich also um jede Form eines Tuns, die ein freier Mann in Athen ausüben konnte, was freilich die Tätigkeit von Sklaven ausschloss.
Es muss an dieser Stelle jedoch klar gestellt werden, dass die mit dem menschlichen Tätigsein verbundenen Begriffe „Aktivität“ und „Passivität“ hier nicht im heutigen Verständnis anzuwenden sind, da im Rahmen einer philosophischen Tradition vorindustriellen Charakters, wie der von Aristoteles, die Problematik sog. entfremdeter Arbeit nicht in dem Umfang existierte wie etwa heutzutage. Darum unterschied Aristoteles, wie auch viele andere griechische Philosophen, beispielsweise nicht eindeutig zwischen „‚Aktivität’ und bloßer ‚Geschäftigkeit’“[9].
Mit „Aktivität“ gleichgesetzt und im Sinne eines Prozesses innerer Handlung gebraucht, wird die „Produktivität“, wobei es nicht um das eigentliche Endprodukt der Handlung geht, sondern vielmehr um dessen Qualität.[10] Eine solche Produktivität macht das Tätigsein im Sinne der Praxis für Aristoteles überhaupt erst aus, denn in Anbetracht der gesellschaftlichen Wirklichkeit Athens, war sinnlose, aus Routine bestehender Arbeit den meisten freien Athenern fremd. Freiheit bedeutet für sie, eine Tätigkeit auszuüben, die sinnvoll war, gerade weil sie rein gar nichts mit Sklavenarbeit zu tun hatte.[11]
[...]
[1] Russell, Bertrand, Philosophie des Abendlandes, London 1946, S.194.
[2] Höffe, Otfried, Aristoteles, 2. Auflage, München 1999, S.201.
[3] Höffe, S.14.
[4] Russell, S.181.
[5] Höffe, S.15ff.
[6] Russell, S.182.
[7] Ebd.
[8] Fromm, Erich, Haben oder Sein, München 2000, S. 92 ff.
[9] Fromm,S.92.
[10] Höffe, S. 204.
[11] Fromm, S.92.
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