Erst seit Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde das Verhältnis von Wissenschaft und Technik zum Nationalsozialismus (NS) genauer thematisiert und untersucht. Viele Historiker beschäftigten sich mit der Rolle der Wissenschaftler in der Biologie, Chemie, Medizin und Physik, vor, während und nach dem Nationalsozialismus.1 Der Aufsatz von Herbert Mehrtens2 beispielsweise untersucht verschiedene Ebenen der Kollaboration von Experten und Wissenschaftlern mit dem NS-Regime. Die mittlerweile für viele Wissenschaften beschriebene Kontinuität der Forschung nach 1933 wurde durch ein politisches Verhalten von Wissenschaftlern ermöglicht, das zwischen Kompromiß und Kollaboration angesiedelt war. Bei der Suche nach Ursachen für das moralische und menschliche Versagen der Wissenschaftler wird oft auf das unpolitische oder ,,überparteiliche" Selbstverständnis deutscher Wissenschaftler verwiesen.3 Die Konsequenz ,,niemals einen politischen Satz gesprochen zu haben"4 verleitete sie dazu, sich nicht für die Folgen des eigenen wissenschaftlichen Handelns verantwortlich zu fühlen. Diese Überlegungen sind vielleicht bei Biologen, Medizinern und zum Teil auch Physikern anzustellen, für Chemiker ist dieses Konzept jedoch weniger hilfreich. Die Chemiker verwiesen nicht nur auf ihre Erfolge in der Farbenindustrie oder im pharmazeutischen Bereich, sondern hoben auch ihre Erfolge in der chemischen Giftgasforschung sowie ihren Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg (1914-1918) hervor. [...]
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1 Vgl.: Bäumer, Änne: NS-Biologie, Stuttgart 1990. Beyerchen, Alan: Scientists under Hitler, New Haven 1977. Frei, Norbert (Hg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, München 1991. Karlson, Peter: Adolf Butenandt. Biochemiker, Hormonforscher und Wissenschaftspolitiker, Stuttgart 1990. Klee, Ernst: Deutsche Medizin im Dritten Reich: Karrieren vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2001.
2 Mehrtens, Herbert: Kollaborationsverhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie, in: Meinel, Christoph u. Voswinckel, Peter (Hg.): Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus, Stuttgart 1994, 15 und 25.
3 Harwood, Jonathan: The Rise of the Party-Political-Professor?, in: Kaufmann, Doris (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Göttingen 2000, 22.
4 Speer, Albert: Spandauer Tagebücher, Berlin 1975, 234.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Autarkiepolitik und nationalsozialistische Wirtschaftsordnung
1.1. Der Autarkiegedanke vor 1933
1.2. Der Autarkiegedanke nach 1933
1.3. Die Rolle der Chemie und Chemiewirtschaft in Konzepten der nationalsozialistischen Autarkie- und Wirtschaftspolitik
1.4. Die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung bis 1942
2. Die Mineralölsynthese: Verfahren und industrielle Produktion bis 1933, Benzinvertrag und Treibstoffautarkie
2.1. Die Verfahren
2.2. Industrielle Produktion bis 1933
2.3. Der Benzinvertrag
2.4. Treibstoffautarkie
3. Die IG-Farben in der Zeit des Nationalsozialismus vor und nach 1933-1945
3.1. Der Großkonzern IG-Farben und die Nationalsozialisten vor 1933
3.2. Integration, Instrumentalisierung und Antisemitismus: Die IG-Farben und das NS-Regime nach 1933
3.2.1. Integration: Verhältnis IG-Farben und NS-Regime bis 1936
3.2.2. Instrumentalisierung: Der umstrittenen Chemiker Carl Krauch
3.2.3. Antisemitismus: IG-Farben und die verfolgten Minderheiten
Fazit
4. Literaturangaben
Einleitung
Erst seit Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde das Verhältnis von Wissenschaft und Technik zum Nationalsozialismus (NS) genauer thematisiert und untersucht. Viele Historiker beschäftigten sich mit der Rolle der Wissenschaftler in der Biologie, Chemie, Medizin und Physik, vor, während und nach dem Nationalsozialismus.[1] Der Aufsatz von Herbert Mehrtens[2] beispielsweise untersucht verschiedene Ebenen der Kollaboration von Experten und Wissenschaftlern mit dem NS-Regime. Die mittlerweile für viele Wissenschaften beschriebene Kontinuität der Forschung nach 1933 wurde durch ein politisches Verhalten von Wissenschaftlern ermöglicht, das zwischen Kompromiß und Kollaboration angesiedelt war. Bei der Suche nach Ursachen für das moralische und menschliche Versagen der Wissenschaftler wird oft auf das unpolitische oder „überparteiliche“ Selbstverständnis deutscher Wissenschaftler verwiesen.[3] Die Konsequenz „niemals einen politischen Satz gesprochen zu haben“[4] verleitete sie dazu, sich nicht für die Folgen des eigenen wissenschaftlichen Handelns verantwortlich zu fühlen. Diese Überlegungen sind vielleicht bei Biologen, Medizinern und zum Teil auch Physikern anzustellen, für Chemiker ist dieses Konzept jedoch weniger hilfreich. Die Chemiker verwiesen nicht nur auf ihre Erfolge in der Farbenindustrie oder im pharmazeutischen Bereich, sondern hoben auch ihre Erfolge in der chemischen Giftgasforschung sowie ihren Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg (1914-1918) hervor. Weiterhin besaß die Chemie in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mehr Bedeutung für die Volkswirtschaft als alle anderen Wissenschaften zusammen. Die Funktion der Chemie im „Dritten Reich“ war deshalb zum Teil theoretisch-ideologischer[5] und auch handfest praktischer Natur. Praktischer Natur, weil die Nationalsozialisten die Ergebnisse der chemischen Forschung in Wissenschaft und Industrie für ihre wirtschaftspolitischen Ziele instrumentalisieren konnten: In Autarkie und Vorbereitung auf den Krieg.
Welche Intention anderseits die Chemie in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgte, wurde nur von wenigen Forschern unserer Zeit herausgearbeitet. Diese Fragestellungen sind in der Literatur unterschiedlich behandelt worden. Es gibt spezielle Literatur die sich mit der chemischen Industrie beschäftigen, vor allem über den I.G.-Farbenindustriekonzern[6] (IG-Farben). Zudem gibt es neueste Untersuchungen über das Verhalten einzelner Chemikern im Staatsdienst, an Forschungseinrichtungen wie z.B. der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) sowie als freie Mitarbeiter der chemischen Industrie während der Zeit zwischen 1933 bis 1945.[7] Thema dieser Arbeit ist die Untersuchung des politisch-moralischen Verhaltens einzelner Chemiker und IG-Farbenmanager zum Gegenstand der Ersatzstoffsynthese, genauer der Treibstoffsynthese, im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik. Dabei werde ich zunächst kurz auf das politische Konzept der nationalsozialistischen Vorstellung von Autarkie und Wirtschaft eingehen, sowie die Rolle der Chemie in der nationalsozialistischen Autarkiepolitik thematisieren. Danach folgt die Beschreibung der einzelnen Syntheseverfahren zur Herstellung von Treibstoff aus Kohle. Anschließend werde ich auf die industrielle Produktion vor und nach 1933 und auf die Treibstoffautarkie eingehen, um dann Verhalten und Interessen von IG-Farben und Nationalsozialisten vor und nach 1933 im Rüstungs- und Kriegswirtschaftssystem zu skizzieren. Das letzte Kapitel thematisiert das Verhalten des IG-Konzerns und seiner Vertreter gegenüber den verfolgten Minderheiten im nationalsozialistischen Deutschland.
1. Autarkiepolitik und nationalsozialistische Wirtschaftsordnung
1.1. Der Autarkiegedanke vor 1933
Dem etymologischen Ursprung nach bedeutet das altgriechische Wort h autarkeia seit Platon (427-347 v.Chr.) den Zustand des auf sich selbst gestellten, das keinerlei Unterstützung bedarf. Im modernen Sinne übersetzen wir heute dieses Wort mit Genügsamkeit.
Im Gegensatz zur Antike, wo Genügsamkeit eine kynisch-stoische Tugend eines Einzelnen darstellte, bildete (die) Autarkie das Postulat des souveränen Staats im Zeitalter des Merkantilismus. Zugleich war sie auch das zentrale Problem dieser Wirtschaftstheorie, weil die vollkommene Abschließung eines Landes eben selten erreichbar und sicher auf lange Zeit hin nicht gangbar war. Im 19. Jahrhundert verbanden sich Autarkieforderungen mit dem Gedanken der nationalstaatlichen Souveränität. Die Forderung nach Autarkie der Wirtschaft eines Staates wurde jedoch nicht wörtlich genommen, sondern sollte die Auslandsunabhängigkeit mildern und nicht in der völligen Selbstgenügsamkeit münden. Die Diskussion über eine größere Unabhängigkeit vom Ausland trat immer wieder in Krisenzeiten auf, wenn das liberale Wirtschaftssystem zu versagen drohte.[8]
Konstitutiv für den Durchbruch einer autonomen Handelspolitik waren die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Die englische Blockadestrategie hatte das Deutsche Reich beim Bezug von Rohstoffen und Nahrungsmitteln erheblich behindert und damit beträchtliche Wirkungen auf die Kriegsindustrie und Ernährungslage ausgeübt. Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, die Bestimmungen des Versailler Vertrags von 1919, das Chaos der Inflation von 1923 und der Zusammenbruch der liberalen Weltwirtschaft 1931 ließen die sogenannten „alldeutschen / völkisch-konservativen“ Postulate[9] nach Antiliberalismus, Autarkie und Agrarordnung immer lauter werden. In der öffentlichen Diskussion der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde die Forderung nach Autarkie zu einer Art politischen Zauberlösung für alle ökonomischen Probleme.[10]
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es sich bei dem Begriff „Autarkie“ um einen Krisenbegriff gehandelt hat, mit dem sich vielfältige Vorstellungen verbunden haben. Eine allgemeingültige Definition des funktionellen Begriffs blieb aus. Es handelte sich um eine gängige Parole, mit der Absicht, Probleme eines komplexen Politik- und Wirtschaftsbereiches zu vereinfachen. Das Bekenntnis zur Autarkie war gleichzeitig als Transportmittel verwendbar, um antiliberale Stimmungen zu erzeugen sowie auf wirtschaftlichem Gebiet die Bereitschaft zum Verzicht und zu materiellen Opfern zu fördern.
Antiliberalismus und die Forderung nach einer Abkehr von der multilateralen Ökonomie kennzeichneten auch die Wesenszüge der nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung.
1.2. Der Autarkiegedanke nach 1933
Für den Versuch, genuine Ausprägungen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik nachzuweisen, spielt der Außenhandel seit jeher eine entscheidende Rolle. Hier traten die Nationalsozialisten zunächst einmal das Erbe der vorangegangenen Regierungen der Weimarer Republik an. Bilateralismus, Einfuhrkontigentierungen und Devisenbewirtschaftung waren nur ein Mittel der staatlichen Außenwirtschaftsbürokratie um der Weltwirtschaftskrise Herr zu werden.[11] Weitere Mittel lagen in Adolf Hitlers (1889-1945) Überlegungen zu (außen-)wirtschaftlichen Problemen. Hierfür waren seine rassistisch-biologischen Prämissen grundlegend, weil die Geschichte der Menschheit sich für ihn im „Lebenskampf“ der Völker manifestierte. Politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit bildeten die Voraussetzungen in diesem Kampf, in dem sich die zur Weltherrschaft berufene „arische Rasse“ Dank des sozialdarwinistischen „Kampf ums Dasein“ mit seinem „Recht des Stärkeren“ durchzusetzen hatte. Das Beurteilungskriterium für Formen der Wirtschaftspolitik leitete sich für Hitler aus dem Primat der Politik ab, dessen Quellen und Dynamik gleichermaßen in dem vom Kampf um „Lebensraum“ bestimmenden Zukunftsbild wie im Nationalismus und im Antisemitismus lagen. Im Hinblick auf die Wirtschaft bedeutet der „Primat der Politik“ den prinzipiellen Führungsanspruch des Staates gegenüber einer zwar kapitalistisch organisierten, aber nicht auf der Basis liberaler Methoden operierenden privaten Industrie und einer durch staatliche Interventionen geförderten Agrarwirtschaft.
Die nationalsozialistische Führung erhoffte sich eine wesentliche Unabhängigkeit von ökonomischen Rahmenbedingungen, um damit innenpolitisch als auch außenpolitisch agieren zu können. Insofern besaß für Hitler die „autarkische“ Komponente eine erhebliche Bedeutung. Hitler selbst hat den Begriff der Autarkie immer nur als Annäherungsgröße verstanden und den vorübergehenden Notcharakter der Maßnahmen betont. In der Regierungserklärung vom 23.03.1933 erklärte er, daß „die geographische Lage des rohstoffarmen Deutschland eine Autarkie für unser Reich nicht vollkommen zuläßt.“ Weitere Erklärungen ähnlichen Stils folgten in den Jahren 1935, 1936 und 1939.[12]
Diese Erklärungen hatten nicht nur den Sinn die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik zu rechtfertigen oder die Mobilmachungsabsichten des Regimes zu verschleiern, die endgültige Lösung der wirtschaftliche Lage sah Hitler nicht in autarken Notmaßnahmen, sondern in „einer Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis“, d.h. in der Eroberung und Ausplünderung fremder Länder.[13]
Die oben beschriebene unbestimmte Kategorie „Unabhängigkeit“ erläuterten die Nationalsozialisten recht unterschiedlich, bezeichnender Weise gingen sie dabei vom Kriegszustand aus. So schrieb der Leiter des Außenhandelspolitischen Amtes der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) Werner Daitz: „Die NSDAP versteht unter Autarkie das Lebensrecht jedes Volkes und jeder Nation, seine Wirtschaft so zu gestalten, daß sie ihm eine Burg ist, in der es im Falle handelspolitischer, kriegerischer oder gar währungspolitischer Verwicklungen nicht ausgedurstet oder ausgehungert werden kann.“[14]
Eine weitere Definition lieferte der Gauwirtschaftsberater von Berlin Heinrich Hunke unter der bezeichnenden Schlagzeile „Wirtschaft ist Kampf“: „Autarkie war uns niemals ein Gegensatz zum Außenhandel. Wir sind immer Gegner einer Autarkie im Sinne der Insularität gewesen. Wir haben es aber von jeher für unabweisbar notwendig gehalten, daß psychologisch und praktisch der Schwerpunkt der Wirtschaft unseres Volkes stets in unserem eigenen Raume liegt, daß die Ernährung unseres Volkes innerhalb seiner Grenzen gesichert ist, und daß die notwendigen Nahrungsmittel und Rohstoffe, die in unserem Lande nicht vorhanden sind, weil die Rohstoffbasis oder weil die Anbaufläche nicht ausreicht, in erster Linie dort gekauft werden, wo sie im Falle von Verwicklungen im Bereich der eigenen Waffen liegen. Wir reden also nicht einer möglichen Insularität, das Wort, wohl aber von einer Autarkie im Sinne planvoller, vom Gesichtspunkt der eigenen Sicherheit geleiteten Einfuhr. Gewiß, das Wort Autarkie ist doppeldeutig. Wir sehen aber keinen Grund, diese Bezeichnung jetzt zu ersetzen, nachdem wir sie Jahre hindurch verfochten haben. Begriffe können ihre Bedeutung wechseln, aber politische Bewegungen müssen auch den letzten Anschein meiden, als ob sie ihre Ziele wechseln.“[15]
Funke faßt hier in komprimierter Form zusammen, daß der Außenwirtschaft nur eine dienende Funktion für machtpolitische Ziele des NS zukommt. Autarkie im Sinne einer völligen Selbstgenügsamkeit wird im Text aus völkischen Gründen abgelehnt, weil das nach der Hitlerschen Auffassung einer „Selbstaufgabe im Lebenskampf“ gleichgekommen wäre. Es ging dem NS-Regime nicht um Verzicht, sondern um eine Lenkung der Ökonomie durch Interventionen. Eine klare Definition des Begriffs blieb jedoch immer noch aus, gerade wirtschaftliche Ziele waren daraus nicht abzuleiten. Der zukünftige Grad der Selbstversorgung blieb abhängig von der jeweiligen innen- und außenpolitischen Konstellation sowie von der aktuellen Wirtschaftspolitik.
1.3. Die Rolle der Chemie und Chemiewirtschaft in Konzepten der nationalsozialistischen Autarkie- und Wirtschaftspolitik
Die chemische Industrie nach 1933 hat für die deutsche Ökonomie im Rahmen der Autarkie- und Rüstungspolitik wichtige Aufgaben erfüllt. Allerdings war sie an der eigentlichen Rüstungsendfertigung volumenmäßig nur mit ca. 9 % beteiligt. Die Sparten für Syntheseprodukte, Schwerchemikalien und metallurgische Chemie waren wichtige Produktionsschwerpunkte in den Wirtschaftskonzepten des NS. Zu unterscheiden ist jedoch zwischen einer eher mehr konzeptionell-ideologischen und einer aus ökonomischen Problemlagen resultierenden Bedeutung und Förderung der chemischen Industrie, z.B. zur Deviseneinsparung.[16] Ideologische Elemente, die sich für die chemische Technik als förderlich erwiesen, waren vor allem die sogenannte „Technikverherrlichung“ durch die NS-Ideologie.
Ein Beispiel dafür zeigt die Rede vom 13.07.1934 vor dem deutschen Parlament im Reichstag: „Wenn unsere Handelsbilanz durch die wirtschaftliche Sperrung ausländischer Märkte oder durch den politischen Boykott eine passive wird, werden wir dank der Genialität unserer Erfinder und Chemiker und durch unsere Tatkraft die Wege finden, uns vom Import jener Stoffe unabhängig zu machen, die wir selbst zu erzeugen oder zu ersetzen in der Lage sind.“[17] Eine andere Einschätzung der „Genialität der Erfinder und Chemiker“ bewies Hitler im Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der IG-Farben Carl Bosch (1874-1940), nachdem dieser das Thema Antisemitismus ansprach. Bosch warnte Hitler davor, daß die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler Chemie und Physik in Deutschland um hundert Jahre zurückwerfen würde, doch Hitler antwortete: „Dann werden wir hundert Jahre lang ohne Physik und Chemie arbeiten.“ Ohne Hitler umstimmen zu können verließ Bosch im März 1933 das Treffen.[18]
Nicht alle Chemiker versagten sich der Hochschätzung Hitlers, wie Carl Bosch, der ein gespanntes Verhältnis zu Hitler hatte, der damalige Vorsitzende des Vereins deutscher Chemiker (VdCh) Paul Duden sah den „deutschen Chemiker als Stoßtrupp im Kampf um Deutschlands wirtschaftliche Unabhängigkeit“ kämpfen. Eine solche „Wehrchemie“ stand wohl im Dienst von Autarkie und Kriegsvorbereitung. Der VdCh unterstellte sich auch nicht zufällig 1933 als erste Berufsorganisation der wissenschaftlich-technischen Vereine dem NS-Bund Deutscher Technik (NSDBT).[19] Paul Duden, Vorstandsmitglied bei Hoechst, wurde am 07.06. 1933 zum „Führer“ des Vereins gewählt. Der VdCH spielte auch bei der Fritz-Haber-Gedächtnisfeier keine rühmliche Rolle, denn er verbot seinen Mitgliedern die Teilnahme. Aus einem Schreiben hieß es: „Gemäß der Verfügung des Präsidenten der RTA (Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit), Herrn Dr. Ing. Todt, ist die Teilnahme an der Gedächtnisfeier für Fritz Haber am 29.01.1935 im Harnackhaus allen Mitgliedern des Vereins deutscher Chemiker e.V. untersagt.“ Die Gedächtnisfeier zur ersten Wiederkehr von Habers Todestag wurde von der KWG, der Deutschen Chemischen Gesellschaft (DChG) und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft organisiert. 2 Wochen vor Beginn der Feier verbot Kultusminister Rust (1883-1945) allen Beamten und Angestellten des Reiches die Teilnahme, lockerte das Verbot jedoch später. Die DChG, die 1933 offiziell nicht gleichgeschaltet wurde wohl aber ihren jüdischen Präsidenten Alfred Wohl im vorauseilenden Gehorsam entließ, erteilte ihren Mitgliedern keinen nötigen Dispens für den Besuch der Feier.[20]
[...]
[1] Vgl.: Bäumer, Änne: NS-Biologie, Stuttgart 1990. Beyerchen, Alan: Scientists under Hitler, New Haven 1977. Frei, Norbert (Hg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, München 1991. Karlson, Peter: Adolf Butenandt. Biochemiker, Hormonforscher und Wissenschaftspolitiker, Stuttgart 1990. Klee, Ernst: Deutsche Medizin im Dritten Reich: Karrieren vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2001.
[2] Mehrtens, Herbert: Kollaborationsverhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie, in: Meinel, Christoph u. Voswinckel, Peter (Hg.): Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus, Stuttgart 1994, 15 und 25.
[3] Harwood, Jonathan: The Rise of the Party-Political-Professor?, in: Kaufmann, Doris (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Göttingen 2000, 22.
[4] Speer, Albert: Spandauer Tagebücher, Berlin 1975, 234.
[5] Vergleiche die Etablierung einer spezifisch „deutschen Chemie“ durch Paul Walden und Conrad Weygand, u.a. nach dem Vorbild der sogenannten „Arischen Physik“. Wissenschaft darf nicht als wert- und ideologiefreier Raum verstanden werden. Ein Beispiel das auch wissenschaftliche Ergebnisse und wissenschaftliche Wahrheit soziale Konstrukte sein können bieten die Forschungen des Chemikers Emil Abderhalden mit seiner Abwehrfermentforschung. Vgl. Deichmann, Ute: Flüchten, Mitmachen, Vergessen – Chemiker und Biochemiker in der NS-Zeit, Weinheim 2001, 357-371, Künftig zitiert: Deichmann, Flüchten, Mitmachen, Vergessen.
[6] Die IG-Farben entstand am 02.12.1925 als Endpunkt eines jahrelangen Konzentrationsprozesses in der chemischen Industrie des Deutschen Reichs. Durch Eingliederung der Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation (AGFA) mit 9%, der Firmen Bayer und Hoechst zu je 27,4 %, der Badischen Anilin & Sodafabrik (BASF) mit 27,4% sowie Griesheim in Frankfurt a.M. und Weiler-ter-Meer in Uerdingen mit je 8 % entstand der größte Chemiekonzern der Welt.
Zur Literatur: Birkenfeld, Wolfgang: Der synthetische Treibstoff 1933-1945, Göttingen 1964. Künftig zitiert: Birkenfeld, Der synthetische Treibstoff., Borkin, Joseph: Die unheilige Allianz der I.G. Farben: Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich, Frankfurt² 1986. Künftig zitiert: Borkin, Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Hayes, Peter: Industry and Ideology, Cambridge 1987. Künftig zitiert: Hayes, Industry and Ideology. Köhler, Otto: ... und heute die ganze Welt, Hamburg 1986. Plumpe, Gottfried: Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft Technik und Politik 1904-1945, Berlin 1990. Künftig zitiert: Plumpe, Die I.G. Farbenindustrie AG. Stratmann, Friedrich: Chemische Industrie unter Zwang?, in: ZUG, Beiheft 43 (1985). Künftig Zitiert: Stratmann, Chemische Industrie unter Zwang?.
[7] Deichmann, Flüchten Mitmachen Vergessen, 205-237. Vgl. Kaufmann, Doris: Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung, Göttingen 2000. Lesch, John E. (Hg.): The German Chemical Industry in the Twentieth Century, Dordrecht 2000.
[8] Boelcke, Willi, A.: Deutschland als Welthandelsmacht 1930-45, Stuttgart 1994, 31. Künftig zitiert: Boelcke, Deutschland als Welthandelsmacht 1930-45. Vgl. Petzina, Dieter: Autarkiepolitik im Dritten Reich, Stuttgart 1968, 20-21. Künftig zitiert: Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich.
[9] Teichert, Eckart: Autarkie und Großraumwirtschaft in Deutschland 1930-39, München 1984, 261, künftig zitiert: Teichert, Autarkie und Großraumwirtschaft in Deutschland 1930-39.
[10] Herbst, Ludolf: Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft, Stuttgart 1982, 65-66. Künftig zitiert: Herbst, Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft.
[11] Herbst, Ludolf: Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, in: Benz, Wolfgang u.a. (Hg.): Der Nationalsozialismus. Studien zur Ideologie und Herrschaft, Frankfurt am Main 1993, 157-159. Künftig zitiert: Herbst, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik.
[12] Teichert, Autarkie und Großraumwirtschaft 1930-39, 206-207.
[13] Herbst, Totaler Krieg und die Ordnung der Wirtschaft, 65-66.
[14] Boelcke, Deutschland als Welthandelsmacht 1930-45, 32.
[15] Teichert, Autarkie und Großraumwirtschaft in Deutschland 1930-39, 223.
[16] Stratmann, Chemische Industrie unter Zwang?, 44-45.
[17] Bechstedt, Martin: „Gestalthafte Atomlehre“. Zur „Deutschen Chemie“ im NS-Staat, in: Mehrtens, Herbert und Richter, Steffen (Hg.): Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie, Frankfurt am Main 1980, 145. Künftig zitiert: Bechstedt, „Gestalthafte Atomlehre“.
[18] Borkin, Die unheilige Allianz der I.G. Farben, 58-59.
[19] Bechstedt, „Gestalthafte Atomlehre“, 145-147.
[20] Deichmann, Flüchten. Mitmachen. Vergessen, 94-95.
- Citation du texte
- Thorsten Hübner (Auteur), 2002, Der Kampf um die Autarkie - Ersatzstoffe im NS-Regime: Die Treibstoffsynthese des IG-Farbenkonzerns, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8171
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