Erst seit Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde das Verhältnis von Wissenschaft und Technik zum Nationalsozialismus (NS) genauer thematisiert und untersucht. Viele Historiker beschäftigten sich mit der Rolle der Wissenschaftler in der Biologie, Chemie, Medizin und Physik, vor, während und nach dem Nationalsozialismus.1 Der Aufsatz von Herbert Mehrtens2 beispielsweise untersucht verschiedene Ebenen der Kollaboration von Experten und Wissenschaftlern mit dem NS-Regime. Die mittlerweile für viele Wissenschaften beschriebene Kontinuität der Forschung nach 1933 wurde durch ein politisches Verhalten von Wissenschaftlern ermöglicht, das zwischen Kompromiß und Kollaboration angesiedelt war. Bei der Suche nach Ursachen für das moralische und menschliche Versagen der Wissenschaftler wird oft auf das unpolitische oder ,,überparteiliche" Selbstverständnis deutscher Wissenschaftler verwiesen.3 Die Konsequenz ,,niemals einen politischen Satz gesprochen zu haben"4 verleitete sie dazu, sich nicht für die Folgen des eigenen wissenschaftlichen Handelns verantwortlich zu fühlen. Diese Überlegungen sind vielleicht bei Biologen, Medizinern und zum Teil auch Physikern anzustellen, für Chemiker ist dieses Konzept jedoch weniger hilfreich. Die Chemiker verwiesen nicht nur auf ihre Erfolge in der Farbenindustrie oder im pharmazeutischen Bereich, sondern hoben auch ihre Erfolge in der chemischen Giftgasforschung sowie ihren Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg (1914-1918) hervor. [...]
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1 Vgl.: Bäumer, Änne: NS-Biologie, Stuttgart 1990. Beyerchen, Alan: Scientists under Hitler, New Haven 1977. Frei, Norbert (Hg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, München 1991. Karlson, Peter: Adolf Butenandt. Biochemiker, Hormonforscher und Wissenschaftspolitiker, Stuttgart 1990. Klee, Ernst: Deutsche Medizin im Dritten Reich: Karrieren vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2001.
2 Mehrtens, Herbert: Kollaborationsverhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie, in: Meinel, Christoph u. Voswinckel, Peter (Hg.): Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus, Stuttgart 1994, 15 und 25.
3 Harwood, Jonathan: The Rise of the Party-Political-Professor?, in: Kaufmann, Doris (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Göttingen 2000, 22.
4 Speer, Albert: Spandauer Tagebücher, Berlin 1975, 234.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Autarkiepolitik und nationalsozialistische Wirtschaftsordnung
- 1.1. Der Autarkiegedanke vor 1933
- 1.2. Der Autarkiegedanke nach 1933
- 1.3. Die Rolle der Chemie und Chemiewirtschaft in Konzepten der nationalsozialistischen Autarkie- und Wirtschaftspolitik
- 1.4. Die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung bis 1942
- 2. Die Mineralölsynthese: Verfahren und industrielle Produktion bis 1933, Benzinvertrag und Treibstoffautarkie
- 2.1. Die Verfahren
- 2.2. Industrielle Produktion bis 1933
- 2.3. Der Benzinvertrag
- 2.4. Treibstoffautarkie
- 3. Die IG-Farben in der Zeit des Nationalsozialismus vor und nach 1933-1945
- 3.1. Der Großkonzern IG-Farben und die Nationalsozialisten vor 1933
- 3.2. Integration, Instrumentalisierung und Antisemitismus: Die IG-Farben und das NS-Regime nach 1933
- 3.2.1. Integration: Verhältnis IG-Farben und NS-Regime bis 1936
- 3.2.2. Instrumentalisierung: Der umstrittene Chemiker Carl Krauch
- 3.2.3. Antisemitismus: IG-Farben und die verfolgten Minderheiten
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das politische und moralische Verhalten einzelner Chemiker und IG-Farben-Manager im Kontext der Ersatzstoffsynthese, insbesondere der Treibstoffsynthese, während der nationalsozialistischen Autarkiepolitik. Die Arbeit beleuchtet die Rolle der Chemie in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik und analysiert die Syntheseverfahren zur Treibstoffherstellung aus Kohle. Ein weiterer Fokus liegt auf der industriellen Produktion vor und nach 1933 sowie dem Verhalten von IG-Farben und den Nationalsozialisten im Rüstungssystem.
- Die nationalsozialistische Autarkiepolitik und ihre Auswirkungen auf die chemische Industrie.
- Die Entwicklung und industrielle Produktion von synthetischem Treibstoff.
- Die Rolle der IG Farben im NS-Regime und ihre Zusammenarbeit mit der Regierung.
- Die Instrumentalisierung der chemischen Forschung für militärische Zwecke.
- Das Verhalten von IG Farben gegenüber verfolgten Minderheiten.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung diskutiert die späte Auseinandersetzung mit der Rolle von Wissenschaft und Technik im Nationalsozialismus, insbesondere die der Chemiker, deren Bedeutung für die Volkswirtschaft und deren Rolle im Ersten Weltkrieg und im "Dritten Reich" hervorgehoben wird. Die Arbeit konzentriert sich auf das moralische und politische Verhalten von Chemikern und IG-Farben-Managern in Bezug auf die Treibstoffsynthese im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik.
1. Autarkiepolitik und nationalsozialistische Wirtschaftsordnung: Dieses Kapitel beleuchtet den Begriff der Autarkie von seinen antiken Wurzeln bis zu seiner instrumentalisierten Verwendung im Nationalsozialismus. Es analysiert den Autarkiegedanken vor und nach 1933, wobei die Rolle der Chemie in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik und die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise hervorgehoben werden. Die antiliberalen und nationalistischen Ideologien, die den nationalsozialistischen Ansatz zur Autarkie prägten, werden detailliert untersucht.
2. Die Mineralölsynthese: Verfahren und industrielle Produktion bis 1933, Benzinvertrag und Treibstoffautarkie: Dieses Kapitel beschreibt die Verfahren der Mineralölsynthese und ihre industrielle Produktion vor und nach 1933. Es analysiert den "Benzinvertrag" und die Bemühungen um Treibstoffautarkie im Kontext der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik. Der Fokus liegt auf der technischen Seite der Treibstoffproduktion und deren Bedeutung für die Autarkiebestrebungen des Regimes.
3. Die IG-Farben in der Zeit des Nationalsozialismus vor und nach 1933-1945: Dieses Kapitel analysiert die Geschichte und die Rolle des IG-Farben-Konzerns im Nationalsozialismus. Es beleuchtet die Integration des Konzerns in das NS-System, die Instrumentalisierung seiner Forschung und Produktion für die Kriegswirtschaft sowie das Verhalten des Konzerns gegenüber verfolgten Minderheiten. Die Rolle von Schlüsselfiguren wie Carl Krauch wird ebenfalls untersucht. Die Kapitel unterstreichen die komplexe Beziehung zwischen dem Konzern und dem Regime, zwischen ökonomischem Profit und ideologischer Konformität.
Schlüsselwörter
Autarkie, Nationalsozialismus, IG Farben, Treibstoffsynthese, Chemieindustrie, Wirtschaftspolitik, Rüstung, Ersatzstoffe, Antisemitismus, Kollaboration.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Autarkiepolitik, IG Farben und Treibstoffsynthese im Nationalsozialismus
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht das politische und moralische Verhalten von Chemikern und Managern der IG Farben im Kontext der Treibstoffsynthese während der nationalsozialistischen Autarkiepolitik. Sie beleuchtet die Rolle der Chemie in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, analysiert die Syntheseverfahren zur Treibstoffherstellung aus Kohle und untersucht das Verhalten von IG Farben gegenüber dem NS-Regime und verfolgten Minderheiten.
Welche Themen werden im Detail behandelt?
Die Arbeit behandelt die nationalsozialistische Autarkiepolitik und ihre Auswirkungen auf die chemische Industrie, die Entwicklung und industrielle Produktion von synthetischem Treibstoff, die Rolle der IG Farben im NS-Regime und ihre Zusammenarbeit mit der Regierung, die Instrumentalisierung der chemischen Forschung für militärische Zwecke und das Verhalten von IG Farben gegenüber verfolgten Minderheiten. Besonderer Fokus liegt auf der Mineralölsynthese, dem Benzinvertrag und den Bemühungen um Treibstoffautarkie.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, drei Hauptkapitel und ein Fazit. Kapitel 1 beleuchtet die Autarkiepolitik und die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung. Kapitel 2 beschreibt die Mineralölsynthese, ihre Verfahren und die industrielle Produktion. Kapitel 3 analysiert die Rolle der IG Farben im Nationalsozialismus, ihre Integration in das NS-System, die Instrumentalisierung ihrer Forschung und ihr Verhalten gegenüber verfolgten Minderheiten. Die Einleitung thematisiert die späte Auseinandersetzung mit der Rolle der Wissenschaft im Nationalsozialismus, während das Fazit eine Zusammenfassung der Ergebnisse bietet.
Welche Schlüsselbegriffe sind relevant?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind Autarkie, Nationalsozialismus, IG Farben, Treibstoffsynthese, Chemieindustrie, Wirtschaftspolitik, Rüstung, Ersatzstoffe, Antisemitismus und Kollaboration.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, das politische und moralische Verhalten einzelner Chemiker und IG-Farben-Manager im Kontext der Ersatzstoffsynthese, insbesondere der Treibstoffsynthese, während der nationalsozialistischen Autarkiepolitik zu untersuchen. Es geht darum, die Rolle der Chemie in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik zu beleuchten und die Syntheseverfahren zur Treibstoffherstellung aus Kohle zu analysieren.
Wie wird die Rolle der IG Farben dargestellt?
Die Arbeit analysiert die komplexe Beziehung zwischen der IG Farben und dem NS-Regime, die Integration des Konzerns in das NS-System, die Instrumentalisierung seiner Forschung und Produktion für die Kriegswirtschaft und das Verhalten des Konzerns gegenüber verfolgten Minderheiten. Die Rolle von Schlüsselfiguren wie Carl Krauch wird ebenfalls untersucht.
Was ist der Fokus der Kapitel zum Thema Autarkiepolitik?
Das Kapitel über die Autarkiepolitik beleuchtet den Begriff der Autarkie von seinen antiken Wurzeln bis zu seiner instrumentalisierten Verwendung im Nationalsozialismus. Es analysiert den Autarkiegedanken vor und nach 1933 und hebt die Rolle der Chemie in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik sowie die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise hervor. Die antiliberalen und nationalistischen Ideologien, die den nationalsozialistischen Ansatz zur Autarkie prägten, werden detailliert untersucht.
Was wird im Kapitel über Mineralölsynthese behandelt?
Das Kapitel zur Mineralölsynthese beschreibt die Verfahren der Mineralölsynthese und ihre industrielle Produktion vor und nach 1933. Es analysiert den „Benzinvertrag“ und die Bemühungen um Treibstoffautarkie im Kontext der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik. Der Fokus liegt auf der technischen Seite der Treibstoffproduktion und deren Bedeutung für die Autarkiebestrebungen des Regimes.
- Quote paper
- Thorsten Hübner (Author), 2002, Der Kampf um die Autarkie - Ersatzstoffe im NS-Regime: Die Treibstoffsynthese des IG-Farbenkonzerns, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8171