Wovon hängt es also ab ob und wie schnell sich eine Innovation in einem sozialen System verbreitet?
Mögliche wissenschaftliche Antworten auf diese Fragen gibt die Analyse sozialer Netzwerke im Hinblick auf die Diffusion von Innovation und Information.
Die sozialwissenschaftliche Forschung der letzten Jahrzehnte kommt zu dem Ergebnis, dass externe Einflüsse, die Qualität und Quantität der sozialen Verbindungen und die Meinungsführerschaft einzelner Personen die Diffusion von Innovationen entscheidend beeinflussen.
Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Vorraussetzungen für eine Diffusion einer Innovation in sozialen Netzwerken und geht dabei insbesondere auf die Kriterien ein, die für eine Person bei der Entscheidung eine Innovation anzunehmen eine tragende Rolle spielen.
Dazu werden in einem ersten Schritt wesentliche Hypothesen, Methoden und Ergebnisse zweier für die Innovationsforschung der letzten Jahrzehnte fundamentaler Studien dargestellt.
Darauf aufbauend wird insbesondere auf das Schwellenwertmodell eingegangen, welches die Einflussfaktoren auf die Innovationsdiffusion anhand von Schwellenwerten in sozialen Netzwerken untersucht und zu diesem Zweck auf die Daten der beiden im zweiten Kapitel erläuterten Studien zurückgreift. Ein Schwellenwert ist für eine Person die Anzahl anderer Personen in seinem persönlichen Netzwerk, ab der es bereit ist eine Innovation anzunehmen. Die Orientierung von Individuen an ihrer unmittelbaren sozialen Umgebung ist eine entscheidende Ursache für eine Innovationsdiffusion.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. ausgewählte empirische Studien zur Diffusion von Innovationen
2.1 Einleitung
2.2 Die Diffusion einer Innovation unter Ärzten
2.3 Die Verbreitung von innovativer Familienplanung in einem koreanischen Dorf
2.4 Zusammenfassung und Vergleich der Studienergebnisse
3. Voraussetzungen für die Diffusion von Innovationen
3.1 Einleitung
3.2 Soziales System und persönliches Netzwerk
3.3 Kategorisierung
3.4 Die Anwendung des Schwellenwertmodells auf bedeutende empirische Studien
3.5 Relative Innovationsbereitschaft
3.6 Meinungsführerschaft
3.7 Grenzen des Schwellenwertmodells
4. Zusammenfassung und Ausblick
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Januar 2007, ein großer amerikanischer Computerhersteller stellt sein neuestes Produkt vor: Ein Mobiltelefon mit Zugang zum Internet, welches fotografieren, organisieren und Musik abspielen kann. Außerdem sähe es gut aus und in 5 Jahren wären diese Eigenschaften der Standard, so der Vorstandschef des Unternehmens. Es vergeht keine Woche, in der nicht wieder ein Unternehmen eine neue „Innovation“ verkündet. Wir leben in einer Umwelt, die sich durch technische Innovationen immer schneller verändert. In der kurzen Zeit der letzten 10 Jahre gab es mehr technische Innovationen als im Zeitraum von fast 100 Jahren zuvor, seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die technische Innovationsgeschwindigkeit exponential angestiegen. Was 1879 mit Edison’s Erfindung der Glühlampe begann, entwickelte sich über die Entdeckung von Funkfrequenzen im frühen 20. Jahrhundert, der Erfindung des Telefons und der Erfindung des Computers in den 70er Jahren und mündete schließlich in unserer heutigen hoch digitalisierten Umwelt. In den vergangenen Jahren wurden die zeitlichen Abstände immer dichter in denen sich technische Innovationen in unserer Gesellschaft ausgebreitet haben.
Im Gegensatz dazu gibt es Innovationen, vorwiegend im sozialen Bereich, wie z.B. die Familienplanung oder die Aids-Prävention in der dritten Welt, die sich in einigen sozialen Gemeinschaften gar nicht oder nur langsam durchsetzen.
Alleine die Existenz einer Innovation bedeutet also nicht, dass sie auch angenommen wird .
Wovon hängt es also ab ob und wie schnell sich eine Innovation in einem sozialen System verbreitet?
Mögliche wissenschaftliche Antworten auf diese Fragen gibt die Analyse sozialer Netzwerke im Hinblick auf die Diffusion von Innovation und Information.
Die sozialwissenschaftliche Forschung der letzten Jahrzehnte kommt zu dem Ergebnis, dass externe Einflüsse, die Qualität und Quantität der sozialen Verbindungen und die Meinungsführerschaft einzelner Personen die Diffusion von Innovationen entscheidend beeinflussen.
Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Voraussetzungen für eine Diffusion einer Innovation in sozialen Netzwerken und geht dabei insbesondere auf die Kriterien ein, die für eine Person bei der Entscheidung eine Innovation anzunehmen eine tragende Rolle spielen.
Dazu werden in einem ersten Schritt wesentliche Hypothesen, Methoden und Ergebnisse zweier für die Innovationsforschung der letzten Jahrzehnte fundamentaler Studien dargestellt.
Darauf aufbauend wird insbesondere auf das Schwellenwertmodell eingegangen, welches die Einflussfaktoren auf die Innovationsdiffusion anhand von Schwellenwerten in sozialen Netzwerken untersucht und zu diesem Zweck auf die Daten der beiden im zweiten Kapitel erläuterten Studien zurückgreift. Ein Schwellenwert ist für eine Person die Anzahl anderer Personen in seinem persönlichen Netzwerk, ab der es bereit ist eine Innovation anzunehmen. Die Orientierung von Individuen an ihrer unmittelbaren sozialen Umgebung ist eine entscheidende Ursache für eine Innovationsdiffusion.
2. ausgewählte empirische Studien zur Diffusion von Innovationen
2.1 Einleitung
Im folgenden Kapitel sollen zwei für die Innovationsforschung prägende Studien skizziert werden, in denen jeweils untersucht wird von welchen sozialen Prozessen die Verbreitung einer Innovation abhängt. Die Diffusionsstudie einer Innovation unter Ärzten von Coleman, Katz und Menzel aus dem Jahr 1957 untersucht die Annahme eines innovativen Medikamentes unter Ärzten in den ersten Monaten nach seiner Markteinführung.
Die zweite Studie von Everett M. Rogers aus dem Jahr 1979 untersucht die Verbreitung einer sozialen Innovation, der Familienplanung, in koreanischen Dörfern und vergleicht exemplarisch die sozialen Prozesse in zweien der Dörfer in denen sich die Innovation zu Zeitpunkt der Studie unterschiedlich stark durchgesetzt hatte. Im Ergebnis beider Studien sind schließlich die Eigenschaften von Kommunikationsverbindungen entscheidend für die Annahme der jeweiligen Innovation und die Schnelligkeit ihrer Ausbreitung.
2.2 Die Diffusion einer Innovation unter Ärzten
Die Autoren Coleman, Katz und Menzel widmen sich in ihrer Studie als einige der ersten Soziologen der Diffusion von Innovationen. Sie untersuchten die Annahmebereitschaft des Ende der vierziger Jahre entdeckten Antibiotikums ‚Tetracycline’, in der Studie genannt ‚Gammanym’, unter Ärzten in den USA, welches sich innerhalb von 15 Monaten nach seiner Markteinführung bei den meisten Ärzten etabliert hatte. Ihre Forschungsfrage lautete, welche sozialen Prozesse zwischen der ersten Verwendung des Medikaments und der späteren flächendeckenden Nutzung innerhalb der gesamten medizinischen Fachwelt stattgefunden hatten (vgl. Coleman et al 1957: 253).
Die Daten der Studie gewannen die Autoren durch eine Befragung von 125 Ärzten aus vier Städten im mittleren Westen der USA, die insgesamt 85 % der gesamten praktizierenden Ärzte in diesem Gebiet darstellten.
Über drei soziometrische Fragen, zunächst nach dem wichtigsten Ratgeber in Fachfragen, dann wer der wichtigste Diskussionspartner sei und zuletzt wer von den Kollegen auch ein Freund sei, den man oft sieht, ermittelten die Autoren über welche Verbindungen der jeweilige Arzt mit der medizinischen Gemeinschaft in Kontakt stand.
Weiterhin hat man über Verkaufsdaten der örtlichen Apotheken herausgefunden, in welchem Monat jeder der Ärzte das Medikament nach seiner Einführung zum ersten Mal bestellt hatte. Der Monat des Erstgebrauchs dient in der Datenauswertung als abhängige Variable. Drittes Objekt der Datengewinnung waren persönliche Attribute des jeweiligen Arztes, wie z.B. das Alter, die Anzahl der abonnierten Fachmagazine und der Kontakt zu medizinischen Instituten außerhalb der Gemeinde (vgl. Coleman et al: 254).
Im ersten Schritt ihrer Untersuchung vergleichen die Autoren die Ärzte in Bezug auf den Grad ihrer Integration in die Ärzte-Gemeinschaft anhand der in Umfragen gewonnen persönlichen Attribute. Die Gesamtheit der Ärzte wurde in die Gruppen der sozial integrierten und die der isolierten Ärzte unterteilt. Weiterhin wurde noch unterschieden zwischen „profession-oriented“, den wissenschaftlich orientierten Ärzten und „patient-oriented“ (Coleman et al, 1957: 255), Ärzte denen das Wohl des Patienten näher liegt als der wissenschaftliche Fortschritt.
Die Gruppe der „Integrierten“ wurde der Gruppe der „Isolierten“ in Bezug auf das jeweilige Datum der ersten Anwendung des Medikaments gegenübergestellt und untersucht, inwieweit der Grad der Integration einen Einfluss auf die Erstverwendung des Medikamentes hat. Als erstes Ergebnis stellen die Autoren fest, dass die sozial stärker integrierten Ärzte das Medikament wesentlich schneller eingeführt hatten als die von der fachlichen Gemeinschaft isolierteren (vgl. Coleman et al, 1957: 257f.). Durch den regelmäßigen Austausch mit anderen Ärzten unterstellen die Autoren den integrierten Ärzten eine bessere Informationsbasis über das neue Medikament und daher eine schnellere Entscheidung für die Anwendung.
Diese Feststellung legte die Vermutung nahe, dass zwei Ärzte, die sozial eng miteinander verbunden sind das Medikament ungefähr zur selben Zeit einführen. Ein weiterer Schritt der damaligen Untersuchung, in dem man den Einführungszeitpunkt des Medikaments bei den Ärzten paarweise verglichen hatte, widerlegt dies jedoch. Paare von soziometrisch verbundenen Ärzten unterliegen derselben Wahrscheinlichkeit das Medikament im selben Monat zu einzuführen wie zufällig ausgewählte Paare (vgl. Coleman et al, 1957: 264). Die Tatsache, dass sich zwei Ärzte gut kannten war also noch kein Indiz dafür, dass sie die Innovation auch im selben Monat angenommen haben.
Um ihr erstes Ergebnis dennoch zu erklären konzentrierten sich die Autoren nun auf die soziometrisch verbundenen Ärztepaare in den ersten Monaten nach der Markteinführung des Medikaments statt auf den gesamten Untersuchungszeitraum von 16 Monaten. Jetzt wird bei jedem netzwerkverbundenem Paar der zeitliche Abstand der Innovationsannahmezeitpunkte verglichen. Als Ergebnis stellt sich heraus, dass der zeitliche Abstand bei den Paaren geringer ist, bei denen ein Arzt zu den frühen Innovatoren gehört (vgl. Coleman et al, 1957: 264). Es besteht also doch ein Zusammenhang zwischen einer Innovationsannahme und einer Netzwerkverbindung.
Wie man in Abb. 1 erkennt ist die Simultanität der Übernahmezeitpunkte eines Paares aus der integrierten Gruppe direkt nach der Einführung des Medikamentes am höchsten und nimmt dann kontinuierlich ab. Auch bei den isolierten Ärzten sind Netzwerke effektiv, jedoch in wesentlich geringerem Ausmaß und über einen längeren Zeitraum (vgl. Coleman et al, 1957: 268).
Jene Ärzte aus beiden Gruppen, die das Medikament nach sechs Monaten das erste Mal verwendet haben wurden nicht mehr von ihrem Netzwerk in der Entscheidung beeinflusst, da die Annahmezeitpunkte in diesen Fällen sehr weit auseinander lagen. Grafisch erkennt man dies , wie in Abb. 1 dargestellt am Index der Simultanität der in diesem Fall bei isolierten wie integrierten Ärzten unter Null sinkt (vgl. Coleman et al, 1957: 267).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1, Quelle: Coleman et al, 1957: 267
Zusammenfassend lässt sich der Einfluss des sozialen Netzwerks auf den Innovationsannahmeprozess im Rahmen dieser Studie in drei Phasen unterteilen. Frühe Innovatoren animieren ihre Netzwerkpartner in der ersten Phase sehr stark das Medikament ebenfalls anzuwenden. Ein Arzt, der in dieser frühen Phase das Medikament annimmt, macht sein Verhalten von dem eines anderen eher abhängig, da in dieser Phase noch große Unsicherheit über das neue Produkt herrscht und er Orientierungshilfe seitens eines Kollegen benötigt (vgl. Coleman et al, 1957: 269).
Die Simultanität der Annahmezeitpunkte sinkt dann in einer zweiten Phase, zwischen dem 3. und 4. Monat nach der Einführung, bei den integrierten Ärzten rapide ab wohingegen sie bei den eher isolierten Ärzten in diesem Zeitraum langsam zunimmt. Dies legt den Schluss nahe, dass Netzwerkeffekte für die Diffusion der Innovation unter den integrierten Ärzten nur in den ersten Monaten nach der Einführung entscheidend sind und isoliertere Ärzte in dieser Zeit stärkere Orientierung am Verhalten ihrer Kollegen suchen.
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- Quote paper
- Christian Dommers (Author), 2007, Diffusion von Innovationen in sozialen Systemen über soziale Netzwerke, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81602
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