Die erschütternden Terroranschläge in New York und Washington haben der Welt am 11.September 2001 schlagartig vor Augen geführt, wie verletzbar westliche Demokratien auch nach dem Ende des Kalten Krieges sind.
Vor diesem Hintergrund widmet sich diese Arbeit der Beantwortung der Frage, welche Effekte diese Bedrohungslage auf die Entwicklung der Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres (ZBJI) in der EU hatte und inwieweit diese ursächlich für die Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene ist. Im Speziellen wird untersucht, ob und inwieweit nach dem 11.09.2001 eine Beschleunigung und Vertiefung der Integration – insbesondere im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit – erreicht wurde und welche Faktoren hierbei als Anstoß eine Rolle gespielt haben könnten.
Diese Arbeit gibt einen Überblick über die Entwicklung der Terrorismusbekämpfung im Politikfeld ZBJI vor und nach dem 11.09.2001. Unter dem der Arbeit zugrunde liegenden Begriffsverständnis von Integration werden Rückschlüsse auf den Grad der Integration gezogen und der jeweils erreichte Integrationsgrad in einen zeitlichen Zusammenhang mit den Ereignissen des 11.09.2001 gestellt. Darüber hinaus wird auf integrationstheoretische Erklärungsansätze der gängigen Integrationstheorien zur Europäischen Einigung zurückgegriffen. Es wird versucht den Prozess der Vertiefung im Bereich der ZBJI anhand der beiden Haupttheorienfamilien einzuordnen um die Ursachen für die Vertiefung einzugrenzen.
In der Gesamtschau ist festzustellen, dass die Anschläge zu einer beschleunigten Vertiefung der Zusammenarbeit geführt haben. Eine Weiterentwicklung der vertraglichen primärrechtlichen Bestimmungen nach Amsterdam hat jedoch nicht stattgefunden und das Legislativverfahren findet nach wie vor in der von Amsterdam vorgegebenen Form statt. Die Verhandlungssituationen zu und die Umsetzungsprobleme von beschlossenen Rechtsakten zeigen, dass die MS zentrale Akteure in diesem Politikfeld sind. Zusammenfassend bestätigt sich die Theorie des liberalen Intergouvernementalismus, demnach die Regierungspositionen von Beginn an vordefiniert sind und aufgrund von externen Zwängen zustande kommen. Die Ursachen für die nach dem 11.09.2001 entfaltete Kooperationsdynamik liegen deshalb nicht in einer institutionellen Eigendynamik des Integrationsprozesses sondern in einer, durch exogene Faktoren ausgelösten, Präferenzverschiebung der MS nach dem 11.09.2001.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Fragestellung der Arbeit und Untersuchungsthese
2.1 Fragestellung der Arbeit
2.2 Untersuchungsthese
3 Begriff der Integration
3.1 Grundaussagen zur Integration
3.2 Sektorale Integration
3.3 Vertikale Integration
3.4 Horizontale Integration
4 Die wichtigsten integrationstheoretischen Entwicklungen
4.1 Allgemeines
4.2 Supranationalismus
4.2.1 Föderalismus
4.2.2 Funktionalismus
4.2.3 Neofunktionalismus
4.2.4 rationalistischer Supranationalismus
4.2.5 konstruktivistischer Supranationalismus
4.3 Intergouvernementalismus
4.3.1 Liberaler Intergouvernementalismus
4.3.2 Realistischer Intergouvernementalismus
5 Die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres (ZBJI) im Kontext der Terrorismusbekämpfung
5.1 Zielrichtung der Betrachtung
5.2 Die ZBJI vor dem 11.09.2001
5.2.1 Anfänge der Zusammenarbeit außerhalb der EG
5.2.2 Schengener Abkommen
5.2.3 Vertrag von Maastricht
5.2.4 Vertrag von Amsterdam
5.2.5 Programm von Tampere
5.3 Die Weiterentwicklung nach dem 11.09.2001
5.3.1 Nach dem 11.09.2001 ergriffene Maßnahmen
5.3.2 Nach dem 11.03.2004 ergriffene Maßnahmen
5.3.3 Das Haager Programm
5.3.4 Die Anschläge von London
5.3.5 Vertrag von Prüm
5.3.6 Deutsche EU-Präsidentschaft 2007
6 Katalysatoreffekt des 11.09.2001?
6.1 Verstärkte Kooperation auf EU-Ebene
6.2 Verstärkung der Integration?
7 Institutionelle Eigendynamik oder mitgliedstaatliche Präferenzverschiebung ?
7.1 Stand der integrationstheoretischen Einordnung der ZBJI
7.2 Rechtliche Grundlagen der ZBJI
7.3 Untersuchung der intergouvernementalistischen Perspektive
7.3.1 Exemplarische Untersuchung der Aktionspläne zur Terrorismusbekämpfung
7.3.2 Der europäische Haftbefehl
7.3.3 Die gemeinsame Terrorismusdefinition
8 Mitgliedstaatliche Präferenzen als Ursache verstärkter Kooperation
8.1 Phänomen Terrorismus als Herausforderung für den Nationalstaat
8.2 Bedeutung für die staatliche Aufgabe der Gewährleistung der Inneren Sicherheit
8.3 Vorteile der Kooperation für die EU und die MS
9 Ausblick
10 Fazit
11 Literaturverzeichnis
12 Abkürzungsverzeichnis
13 Anhang 1
14 Anhang 2
15 Anhang 3
1 Einleitung
Die erschütternden Terroranschläge in New York und Washington haben der Welt am 11.September 2001 schlagartig vor Augen geführt, wie verletzbar westliche Demokratien trotz hoch gerüstetem Militär, trotz globaler Vernetzung, trotz gemeinsam geteilter Werte und trotz internationaler Kooperation in Sicherheitsfragen auch nach dem Ende des Kalten Krieges sind.
Nicht nur die USA, auch Europa sah sich einer, seit dem Ende der 1980er Jahre abzeichnenden, neuen Austragungsform gewalttätiger Konflikte ausgesetzt, die eine Gesamtbedrohung für die westliche Wertegemeinschaft darstellt. Die Hoffnung auf eine Singularität der Ereignisse des 11.September wurde schnell zerstört. So folgten Anschläge in Djerba, Bali, Riad und Moskau, deren Intention u.a. darin lag europäische Interessen zu torpedieren und europäische Nationalstaaten unter Druck zu setzen. Mit den Anschlägen von Madrid 2004 schwappte der Terrorismus direkt in den europäischen Schengenraum. Es folgten Anschläge auf den Öffentlichen Personen-Nahverkehr in London 2005, gescheiterte Kofferbombenattentate auf deutsche Züge 2006, der Versuch von London startende Passagierflugzeuge abstürzen zu lassen 2006, ein versuchtes Kofferbombenattentat auf ein israelisches Flugzeug in Frankfurt am Main 2006 und schließlich in jüngster Zeit versuchte Autobombenanschläge in London 2007. Diese Szenarien stehen für eine Veralltäglichung von Gewalt, Brutalität und Hass in Form des Angriffs auf die labile psychische Infrastruktur der westlichen Gesellschaften. Die Erfahrungen mit Terrorismus waren in Europa bis dato unterschiedlicher Ausprägung. So haben einige Mitgliedstaaten in den 1970er Jahren Erfahrungen mit nationalem Terrorismus machen müssen. Die neue Art des Terrorismus wurde jedoch zu einer asymmetrischen schwer kalkulierenden Bedrohungslage für alle europäischen Mitgliedstaaten mit ihren offenen und vernetzten Gesellschaften. Dieser musste besonders in Fragen der Inneren Sicherheit entschieden entgegengetreten werden um die europäischen Bürger zu schützen.
Vor diesem Hintergrund widmet sich diese Arbeit der Beantwortung der Frage, welche Effekte der 11.September 2001 auf die Entwicklung der Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres in der EU hatte und inwieweit dieser ursächlich für die Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene ist.
2 Fragestellung der Arbeit und Untersuchungsthese
2.1 Fragestellung der Arbeit
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres (ZBJI) in der Europäischen Union (EU) vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11.09.2001. Untersuchungsfrage ist, ob und inwieweit nach dem 11.09.2001 eine Beschleunigung und Vertiefung der Zusammenarbeit in diesem Politikfeld – insbesondere im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit – erreicht wurde und welche Faktoren hierbei als Anstoß eine Rolle gespielt haben könnten.
Zur Beantwortung der Fragestellung ob eine Vertiefung der Zusammenarbeit erreicht wurde, wird ein Überblick über die Entwicklung der Terrorismusbekämpfung im Bereich der ZBJI vor und nach dem 11.09.2001 gegeben, um Vergleiche anstellen zu können. Unter dem der Arbeit zugrunde zu legenden Begriffsverständnis von Integration wird die Beantwortung dieser Frage Rückschlüsse auf den Grad der Integration zulassen und den jeweils erreichten Grad in einen zeitlichen Zusammenhang mit den Ereignissen des 11.09.2001 stellen.
Zur Beantwortung der zweiten Ebene der Frage, welche Gründe für eine verstärkte Zusammenarbeit eine Rolle gespielt haben könnten, wird auf integrationstheoretische Erklärungsansätze der gängigen Integrationstheorien zur Europäischen Einigung zurückgegriffen. Es wird versucht anhand einer oder mehrerer Theorien den Prozess der Vertiefung im Bereich der ZBJI einzuordnen um die Ursachen für die Vertiefung eingrenzen zu können.
Demnach dienen die Theorien in erster Linie der Erklärung festgestellter Entwicklungen in der ZBJI, wobei ausgewählte Beispiele dazu dienen werden, die Grundaussage einer zu wählenden Theorie zu überprüfen. Hierbei ist zu bedenken, dass Integrationstheorien für die Erklärung der historischen und institutionellen Veränderungen im Integrationsprozess gedacht sind, nicht aber für die „alltäglichen“ Entscheidungsprozesse und materiellen Politiken der EU.[1] Der in dieser Arbeit beleuchtete Aspekt europäischer Politik ist ein eng umgrenzter Bereich, der die Veränderung bzw. Entwicklung der Politik in einem bereits bestehenden Politikfeld untersucht. Deshalb kann den aus dem Untersuchungsgegenstand resultierenden Beispielen nur begrenzte Aussagekraft hinsichtlich des Belegs einer der Integrationstheorien zukommen. So werden die Theorien zwar „instrumentalisiert“ um eine Beschleunigung und Vertiefung zu erklären. Hierbei kann jedoch nicht abschließend untersucht werden, welche der Theorien durch die Entwicklungen in diesem Bereich gestärkt oder geschwächt wird. Es können jedoch Anhaltspunkte, die für die eine oder die andere Theorie sprechen, herausgearbeitet werden.
2.2 Untersuchungsthese
In Anlehnung an die Fragestellung der Arbeit wird an dieser Stelle das Untersuchungsergebnis skizziert und am Ende der Ausführungen auf seine Richtigkeit hin überprüft. Die den folgenden Darstellungen zugrunde liegenden These lautet:
Der Rechtsrahmen und die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit nach dem 11.09.01 wurden durch den Vertrag von Amsterdam geschaffen. Demzufolge war das Instrumentarium zur Gestaltung der polizeilichen Zusammenarbeit bereits vorhanden. Die Anschläge von New York, Madrid und London sowie die durchgehend vorhandene terroristische Bedrohung in den Mitgliedstaaten (MS) haben eine Kooperationsdynamik im Bereich der Dritten Säule entfacht - die zur beschleunigten Beschlussfassung zu verschiedenen Maßnahmen geführt hat. Diese Dynamik wurde von den MS jedoch nicht kontinuierlich durchgehalten, die nach wie vor zentrale Akteure im Bereich der ZBJI sind.
3 Begriff der Integration
3.1 Grundaussagen zur Integration
Um die Zusammenarbeit der EU im Bereich Justiz und Inneres untersuchen zu können, muss zu allererst ein für diese Arbeit geltendes Begriffsverständnis von Integration geschaffen werden. Hierfür ist Integration grundsätzlich von der Kooperation abzugrenzen, die ebenfalls eine Form der bi- und multilateralen Zusammenarbeit darstellt. Von Kooperation spricht man, wenn eine „Zusammenarbeit unter Beibehaltung der kooperierenden Einheiten zwecks Intensivierung der Beziehungen“[2] gemeint ist. Integration soll demgegenüber die „Zusammenarbeit unter Veränderung der ursprünglichen Strukturen zwecks Erreichung einer integrierten Einheit“[3] bedeuten. Nach Ernst Haas, dem Begründer der Integrationstheorie des Neofunktionalismus[4], meint Integration
„[…] the political process whereby political actors in several distinct national settings are persuaded to shift their loyalities, expectations, and political activities toward a new and lager center, whose institutions possess or demand jurisdiction over the pre-existing national states.”[5]
Danach definiert sich Integration als Prozess. Ausschlaggebend für die Beurteilung von Integration ist der Ist-Zustand zu einem bestimmten Betrachtungszeitpunkt.[6] Die EU wird als dynamisches Mehrebenensystem verstanden, in dem politische Kompetenzen immer wieder verschoben werden, ohne das ein Endpunkt oder ein übereinstimmend geteiltes Entwicklungsziel der Integration erkennbar wäre. Ausgehend von der vorgenannten Definition spricht man demnach von politischer Integration, wenn politische Kompetenzen von der nationalstaatlichen Ebene auf eine supranationale Ebene übertragen werden und damit der exklusiven Souveränität des Staates entzogen werden. Hierbei ist das Ausmaß des Kompetenztransfers nicht maßgeblich.[7]
Davon abgeleitet und konkretisierend, betrachtet man also regionale politische Integration als Prozess, bei dem eine Gruppe von Staaten fakultativ gemeinsame Institutionen oder Organisationen schafft und weiter entwickelt, denen zunehmend Entscheidungskompetenzen übertragen werden, wobei der zum Betrachtungszeitpunkt gegebene Zustand den Grad der Integration anzeigt.[8] Dabei sind drei Bereiche der Integration zu unterscheiden, die sektorale Integration, die vertikale Integration und die horizontale Integration.[9]
3.2 Sektorale Integration
Die sektorale Integration betrifft die integrierten Politikbereiche oder Sektoren auf der Ebene der EU. Dabei bedeutet Zuwachs an sektoraler Integration, dass mindestens ein neuer Politikbereich durch die EU reguliert wird (z.B. Verteidigungspolitik oder Asyl- und Zuwanderung in jüngerer Zeit). Innerhalb dieses Bereiches wird dann untersucht, warum ein Politikbereich auf der EU-Ebene neu reguliert wird.
3.3 Vertikale Integration
Die vertikale Integration beschreibt die Verteilung von Kompetenzen unter den EU-Institutionen in den integrierten Politikbereichen. Das Minimum dieser Dimension ist die intergouvernementale Koordination und Kooperation. Zuwachs an vertikaler Integration liegt dann vor, wenn in einem Politikbereich gemeinschaftliche Entscheidungen nicht mehr einstimmig sondern mehrheitlich getroffen werden. Untersuchungsgegenstand dieser Dimension ist, warum Mitgliedstaaten oder
–regierungen ihre Kompetenzen auf EU-Institutionen übertragen, beschränken oder mit diesen teilen und warum sie dies, je nach Politikfeld, in unterschiedlicher Weise tun.
3.4 Horizontale Integration
Durch diesen Bereich wird die territoriale Geltung der EU-Regulierung in integrierten Politikfeldern dargestellt. Durch die horizontale Integration gelangen neue Territorien in den Kompetenzbereich der EU-Institutionen und in den Geltungsbereich von EU-Regelungen. Bedeutendstes Ereignis dieser Dimension ist die Erweiterung um neue MS. Aber auch unterhalb dieses Levels findet horizontale Integration statt (z.B. durch Assoziierungsabkommen, etc.). Untersuchungsgegenstand ist hier, warum die EU ihr Territorium und ihren Wirkungskreis ausweitet und warum externe Staaten Mitglied der EU werden wollen.
4 Die wichtigsten integrationstheoretischen Entwicklungen
4.1 Allgemeines
Im Allgemeinen versuchen Integrationstheorien die politische Integration und die institutionelle Dynamik der EU zu erklären. Sie formulieren Aussagen darüber, wie und unter welchen Bedingungen es zu einem Integrationswachstum kommt.[10] Eine Besonderheit der Europäischen Integration ist, wie zuvor bereits aufgeführt, dass es nie eine eindeutige und von allen Akteuren geteilte Zielvorstellung bezüglich der Entwicklung der EU gab und gibt.[11] Daraus resultieren auch unterschiedliche theoretische Ansätze zur Erklärung der Integration. Bediente man sich anfangs Theorien aus der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der internationalen Beziehungen und analysierte Integration als regionalen Strukturwandel der internationalen Politik, wurden seit den 1970er Jahren auch theoretische Ansätze aus der vergleichenden Regierungslehre und Politikforschung herangezogen, um die EU als ein politisches System unter anderen zu betrachten und dessen Politikentwicklungsprozesse und –ergebnisse zu untersuchen.[12]
Die integrationstheoretischen Debatten sind insgesamt von zwei großen Denkschulen geprägt, dem Supranationalismus und dem Intergouvernementalismus.[13] Letzterer entstand in der Mitte der 1960er Jahre als Gegenposition zum Neofunktionalismus. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Theorienfamilien besteht in der Beantwortung der Frage, ob der Integrationsprozess ein eigendynamischer, transformativer Prozess ist oder nicht.[14]
4.2 Supranationalismus
Der Supranationalismus geht im Wesentlichen davon aus, dass die von den Regierungen geschaffenen Institutionen eine eigendynamische Entwicklung auslösen, die der Kontrolle der Staaten entgleitet und diese selbst transformiert
In der Frühphase der europäischen Einigung nahmen zwei supranationalistische Theorien eine bedeutende Stellung ein. Sie wurden als Konzepte regionaler Integration für die Neuordnung des europäischen Kontinents nach dem zweiten Weltkrieg entworfen. Dies waren der Föderalismus und der Funktionalismus.[15] Beide Theorien gehen von einer Zielvorstellung der Integration aus.
4.2.1 Föderalismus
Das föderalistische Ziel der Europäischen Integration ist ein Europäischer Bundesstaat, der durch Übertragung von Souveränität der MS auf europäische Institutionen entsteht. Die Errichtung dieser Institutionen und die Entscheidung der Staaten für die Schaffung eines neuen politischen Gemeinwesens soll in der Folge zu wirtschaftlichen und sozialen Integrationsprozessen führen (function follows form).[16]
4.2.2 Funktionalismus
Der Funktionalismus nimmt wiederum an, dass Integration verschiedene Formen und Intensitätsgrade erreichen kann und nicht erst vorliegt, wenn ein gewisser Endzustand erreich ist. Integration beginnt in einzelnen Sektoren (z.B. dem Wirtschaftssektor) und weitet sich von dort auf andere Bereiche (Spill-Over-Prozesse) aus. In der Folge werden die Nationalstaaten gemeinsame Institutionen errichten und somit zur Integration führen (form follows function).[17] Der Funktionalismus basiert jedoch auf der Annahme eines Automatismus von Integration, was in der Praxis der Europäischen Integration nicht nachvollzogen werden konnte.[18]
4.2.3 Neofunktionalismus
Der Neofunktionalismus stellt eine Weiterentwicklung des Funktionalismus dar und trägt der Schwäche des Automatismus im Funktionalismus Rechnung.[19] Diese Theorie entstand vor dem Hintergrund, dass die Europäische Gemeinschaft (EG) als Untersuchungsgegenstand neu war.[20] Besonderes Augenmerk wird hier auf Nicht-staatliche Akteure gelegt. Grundannahme der Theorie ist, dass sich Integration in kleinen Schritten vollzieht, nicht bloß Folge eines gesellschaftlichen Prozesses ist sondern durchaus politisch gesteuert wird und sich als Folge von sogenannten „Spill-Over-Effekten“[21] vollzieht. Es wird unterschieden zwischen funktionalen Spill-Overs (Ausdehnung der Kooperation auf andere Bereiche), politischen Spill-Overs (Übertragung von Erwartungen gesellschaftlich relevanter nationalstaatlicher Akteure auf die supranationale Ebene) und kultivierten Spill-Overs (supranationalen Akteuren kommt die rolle von Antriebskräften der Integration zu). Da zentraler Erklärungsfaktor des Neofunktionalismus der Mensch mit seinen Loyalitäten, Visionen und Antriebskräften ist[22], geht die Theorie davon aus, dass bei längerfristiger, positiv verlaufender Kooperation im Zuge eines Lernprozesses eine Integrationsbejahung bei den beteiligten Akteuren eintritt und somit auch in anderen Bereichen die Bereitschaft zur Kooperation entsteht.[23]
Beschleunigend auf diese Entwicklung wirken auch sozioökonomische Probleme der Industriestaaten die zunehmend nur noch akteursübergreifend gelöst werden können. Demnach wird die Politik – aufgrund einer zunehmenden wechselseitigen Abhängigkeit von der Ökonomie – ebenso zur Integration bewegt. Am Anfang stehen wirtschaftliche Initiativen, die mehr und mehr politisiert werden und immer weniger technisch ausgerichtet sind.[24] Am Ende dieser Entwicklung steht zuerst die Herausbildung eines neuen supranationalen Akteurs, wobei die MS in der Phase der Kooperation noch souveräne Akteure bleiben. Durch Sachzwänge, die infolge von einmal getroffenen Integrationsentscheidungen entstehen, werden diese jedoch langfristig zu einem weiteren Kompetenztransfer veranlasst, weshalb am Ende der Entwicklung eine neu geschaffene supranationale Ebene steht.[25] Die Integrationsentscheidungen führen wiederum zu Rückwirkungen in benachbarten Politikbereichen, was zu weiteren Integrationsschritten führt.[26]
Das Theoriengebilde des Supranationalismus wurde über die Jahre weiter entwickelt und kann hier nicht erschöpfend dargestellt werden, weshalb im Folgenden im Allgemeinen auf den Supranationalismus eingegangen wird. Die supranationalistischen Theorien teilen alle die Annahme, dass das internationale System nicht auf Dauer eine anarchische Staatenwelt bleiben müsse sondern durch Prozesse der Institutionalisierung und des Identitätswandels in eine andere politische Form transformiert werden könne. Die EU wird hier nicht als ein internationales Regime sondern als ein eigenständiges politisches System betrachtet. Europäische Integration war anfangs das Ereignis zwischenstaatlicher Verhandlungen. Nach ersten Integrationsschritten hat sich jedoch eine institutionelle Eigendynamik entwickelt, die von den Regierungen nicht von vornherein gewollt war und auch nicht rückgängig gemacht werden konnte.[27] Die Entwicklung der supranationalistischen Theorien führte zur Herausbildung des rationalistischen und des konstruktivistischen Supranationalismus die sich hinsichtlich der Wirkung der europäischen Institutionen im Integrationsprozess unterscheiden.[28]
4.2.4 rationalistischer Supranationalismus
Dieser Ansatz geht davon aus, dass es zum Integrationszuwachs kommt, wenn es den Nutzen transnational agierender gesellschaftlicher Akteure steigert. Es kommt in dem Maße zum Zuwachs, wie es den supranationalen Organisationen gelingt, dass Integrationsinteresse dieser Akteure zu steigern. Für die Betrachtung des Grades der Integration bedeutet dies, dass die Veränderlichkeit bzw. Veränderung der Intensität transnationaler Aktivität und der Kapazität supranationaler Organisationen die Veränderung des Ausmaßes an Integration widerspiegelt.[29]
4.2.5 konstruktivistischer Supranationalismus
Dieser Ansatz hat noch keine vollständige Integrationsmethode vorgelegt, zusammenfassend lassen sich aber einzelne Erklärungsfaktoren ableiten.[30] Grundannahme ist, dass die Integrationsbereitschaft der Akteure von ihrer Identifikation mit Europa, der Legitimität eines Integrationsschrittes und der Anschlussfähigkeit dieses Schrittes an politische Ideen im nationalen Raum abhängt. Ein zentraler Faktor ist also Identifikation. Diese wird durch die konkrete Erfahrung von und Beteiligung an EU-Politik vermittelt. Ein weiterer Faktor ist Legitimität, was bedeutet, dass die Integrationsbereitschaft in dem Maße wächst, wie ein Integrationsschritt mit nationalen Verfassungstraditionen in Einklang steht. Als letztes muss in den MS eine Resonanz für Integrationsschritte hinzukommen, um die Integrationsbereitschaft der Akteure zu fördern.
4.3 Intergouvernementalismus
In Reaktion auf die Erklärungsgrenzen des Neofunktionalismus und anderer supranationalistischer Theorien entwickelte sich als Gegenbewegung eine Theorienrichtung, die neben der Betonung der zentralen Rolle des Staates den Fortbestand staatlicher Souveränität und Autonomie, trotz Kooperation und Integration, für notwendig erachtet und als möglich ansieht.[31] Im Gegensatz zum Supranationalismus geht der Intergouvernementalismus davon aus, dass der Integrationsprozess der EU unter der Kontrolle der MS war und bleibt, da diese ihn hervorgebracht und nach ihren Interessen gesteuert haben.
Die intergouvernementalistischen Theorien teilen grundlegende Annahmen. So geht man davon aus, dass die europäische Integration Gemeinsamkeiten zur internationalen Politik aufweist, weil die EU anderen internationalen Institutionen hinreichend ähnlich ist und als internationales Regime zur Politikkoordination betrachtet werden kann. Deshalb ist europäische Integration Ausdruck allgemeiner Tendenzen in den Beziehungen zwischen demokratischen Staaten in der modernen Weltpolitik.[32] Die Staaten sind die zentralen Akteure in den internationalen Beziehungen und agieren dort im Kontext von der Abwesenheit von herrschaftlich oder hierarchisch gesetzten Regeln (Anarchie).[33]
Intergouvernementalismus geht von den Präferenzen der Staaten als Akteure aus und unterstellt ihnen, dass sie den Nutzen alternativer Handlungsoptionen kalkulieren und die Option wählen, die ihren Nutzen unter den jeweils gegebenen Umständen maximiert. Integration findet in den internationalen Beziehungen deshalb statt, weil in bestimmten Situationen bi- und multilateraler Verhandlungen Nicht-Kooperatives Verhalten für einen Staat vielleicht individuell erklärbar ist, für die Gesamtheit aller beteiligten Staaten aber die Gefahr birgt, dass sie dann insgesamt schlechter gestellt sind.[34] Um diesem Problem zu begegnen und ferner sicherzustellen, dass Kooperationsgewinne gerecht verteilt werden und sich jeder Akteur an getroffene Vereinbarungen hält, werden internationale Institutionen geschaffen. Diese können einerseits ein hohes Maß an vertrauenswürdiger Information und effektiver Kommunikation bereitstellen und andererseits effektive Überwachungs- und Sanktionsmechanismen installieren.[35] Demnach bleiben die Staaten die zentralen Akteure im Integrationsprozess und gestalten diesen nach ihren Zielen und Interessen. Die Grenzen der Integration liegen deshalb auch im nationalstaatlichen Interesse nach Selbstbestimmung, der Beharrungskraft nationalstaatlicher Bürokratien, der Diversität nationaler Situationen und Traditionen und der Dominanz nationalstaatlicher Identität sowie externen Akteuren und Einflüssen.[36] Die Weiterentwicklung der intergouvernehmentalistischen Theorien führte zur Herausbildung des Liberalen Intergouvernementalismus und des Realistischen Intergouvernementalismus.[37]
4.3.1 Liberaler Intergouvernementalismus
Der liberale Intergouvernementalismus versteht die EU-Integration als eine Folge rationaler Wahlhandlungen der Staats- und Regierungschefs der MS. Diese Wahlhandlungen sind wiederum Reaktionen auf Zwänge und Opportunitäten, auf ökonomische Interessen mächtiger gesellschaftlicher Gruppen, die relative Macht jedes Staates im internationalen System und die Rolle von Institutionen als Verstärkung der Glaubwürdigkeit zwischenstaatlicher Verpflichtungen.[38] Die Regierungspräferenzen sind generell vordefiniert, wenn die Regierungen in EU-Verhandlungen gehen. Der institutionelle Aspekt und der Interaktionsaspekt der EU beeinflusst lediglich die Durchsetzungsmöglichkeiten staatlicher Präferenzen, nicht aber deren Inhalt.
4.3.2 Realistischer Intergouvernementalismus
Die Grundannahme des realistischen Intergouvernementalismus ist, dass Regierungen in der Lage sind ihre außenpolitischen Präferenzen unabhängig vom Druck gesellschaftlicher Interessen zu formulieren und zu verfolgen. Die Regierungen haben sektorenübergreifende Ziele wie Maximierung ihrer Autonomie, ihrer Sicherheit und ihres Einfluss, die die ökonomischen Ziele gesellschaftlicher Interessengruppen überlagern. Je größer die Machtressourcen eines Staates sind, desto größer ist seine Verhandlungsmacht.[39]
5 Die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres (ZBJI) im Kontext der Terrorismusbekämpfung
5.1 Zielrichtung der Betrachtung
Um festzustellen, welcher Grad der Integration erreicht wurde und welche der vorgenannten Theorien ausreichende Erklärungsansätze bieten um das Voranschreiten der Entwicklung der ZBJI nach dem 11.09.2001 in den Gesamtzusammenhang der Entwicklung in diesem Politikfeld einzubetten, wird nachfolgend die Entwicklung vor und nach dem 11.09.2001 aufgezeigt. Hierbei liegt der Schwerpunkt der Betrachtungen auf den Aspekten der Terrorismusbekämpfung und der polizeilichen Zusammenarbeit, wobei grundlegende Entwicklungen nicht ausgespart werden können um ein realistisches Bild des Prozesses der Integration in diesem Politikfeld zu erhalten. Hierbei kann auch nicht auf die Darstellung einiger Aspekte verzichtet werden, die zwar für die polizeilich Arbeit keine direkt erkennbare Relevanz haben aber zumindest auf diese Ausstrahlen oder aber für die Veranschaulichung des Integrationsprozesses von Bedeutung sind.
5.2 Die ZBJI vor dem 11.09.2001
5.2.1 Anfänge der Zusammenarbeit außerhalb der EG
Die ersten Anfänge einer Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres zur Verhütung und Bekämpfung terroristischer Gewalt innerhalb der Europäischen Gemeinschaft finden sich in den 1970er Jahren. So sollte durch die 1972 im Rahmen des Europarates gegründete Pompidou-Gruppe und die 1975 ins Leben gerufene TREVI-Gruppe u.a. der zunehmenden grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nationaler terroristischer Gruppierungen und dem zunehmenden transnationalen Drogenhandel begegnet werden.[40]
Bei der auf Vorschlag des französischen Präsidenten Georges Pompidou 1971 ins Leben gerufenen Pompidou-Gruppe handelte es sich um ein informelles Kooperationsforum zur Bekämpfung des Drogenmissbrauchs und des illegalen Drogenhandels. An diesem Kooperationsforum nahmen anfangs die sieben europäischen Staaten Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien, Luxemburg, Niederlande und Großbritannien teil, um ihre Erfahrungen in der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs und –handels auszutauschen. Die Pompidou-Gruppe wurde sukzessive erweitert und umfasst nunmehr 35 MS. Im Jahr 1980 wurde die Gruppe in das institutionelle Gefüge des Europarates überführt und ist heute Teil des Generaldirektorates für Sozialen Zusammenhalt. Die Hauptaufgabe der Gruppe besteht in der Mitwirkung an der Entwicklung multidisziplinärer, innovativer, effektiver, beweisbasierter Drogenpolitiken in den MS sowie der Zusammenstellung und Harmonisierung von Informationen um Trends in der Drogenabhängigkeit schnell aufzudecken. Wenngleich die Gründung der Pompidou-Gruppe auf den ersten Blick auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zurückzuführen ist, kam und kommt ihr auch hinsichtlich der Terrorismusbekämpfung eine bedeutsame Aufgabe zu, da sie – zusammen mit der Trevi-Gruppe – als informelles Kooperationsforum durch MS der EG geschaffen wurde, um auch einer zunehmend grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nationaler terroristischer Gruppierungen entgegentreten zu können.[41]
Die auf dem Mailänder Ratsgipfel 1975 ins Leben gerufenen Trevi-Kooperation oder Trevi-Gruppe[42] ist eine erste Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit und speziell in der Terrorismusbekämpfung, wenn diese auch ausdrücklich außerhalb des EG-Regelwerkes stattfinden sollte und nicht einmal der Kommission (KOM) ein Beobachterstatus eingeräumt wurde.[43] Ein Grund für die Einrichtung von TREVI ist in der akuten terroristischen Gewalt zu sehen, die Ende der 1970er Jahre in vielen MS der EG vorherrschte. So waren z.B. in Deutschland die RAF (Rote Armee Fraktion), in Spanien die ETA (Euskadi Ta Askatasuna) und in Nordirland die IRA (Irish Republican Army) sehr aktiv. Ein sich abzeichnendes Zusammengehen verschiedener bewaffneter Gruppierungen in Europa machte ein transnationales Handeln erforderlich.[44] Die beteiligten Regierungen sahen jedoch Interpol nicht als angemessenes Forum für die Behandlung einer solchen Materie an[45], weshalb TREVI als Forum für den Erfahrungs- und Informationsaustausch im Terrorismusbereich konzipiert worden war.[46] Die erste TREVI – Sitzung fand am 29.06.1976 in Luxemburg statt.
Die Zusammenarbeit war streng intergouvernemental, die Treffen waren informell und die Entscheidungen unverbindlich.[47] Die per Beschluss der Innen- und Justizminister der MS 1976 eingerichteten TREVI Arbeitsgruppen TREVI I und TREVI II befassten sich vor allem mit Terrorismus und schwerwiegenden Störungen der öffentlichen Ordnung.[48] In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre trat das Thema Terrorismus hinter anderen zurück und es kam zur Ausweitung und Konkretisierung der Themenfelder mit denen sich TREVI befasste. Die 1985 eingerichtete Arbeitsgruppen TREVI III befasste sich unter dem Oberbegriff Organisierte Kriminalität mit Schwer- und Schwerstkriminalität sowie mit Ausgleichsmaßnahmen für die geplante Vollendung des gemeinsamen Marktes.[49]
TREVI entwickelte sich durch Themenausweitung und zunehmende Institutionalisierung einen Schritt weiter – weg von der Idee eines informellen Kooperationsforums. Dies lag darin begründet, dass erstmals eine von allen MS getragene Struktur, mit einem fest umrissenen Rahmen geschaffen worden war und die Gelegenheit bot, die Basis für ein vertrauensvolles Miteinander in einem sensiblen Politikfeld zu verbreitern.[50] Darüber hinaus bot Trevi den Anknüpfungspunkt für weitere Schritte zwischenstaatlicher Kooperation innerhalb des Politikfeldes. So ergänzte die 1979 ins Leben gerufene Police Working Group on Terrorism (PWGT)[51], in der die Leiter derjenigen Bereiche der nationalen Polizeiorganisationen zusammen kamen die für die innerstaatliche Terrorismusbekämpfung zuständig waren[52], die Arbeit von TREVI I und TREVI II. Die Hauptziele der PWGT sind ein Forum zum Austausch von Informationen und Erkenntnissen, zur Kooperation und zur operativen Zusammenarbeit bereitzustellen, terroristische und politisch gewalttätige Aktivitäten zu verhindern, relevante Erfahrungen und Fachkenntnisse zu teilen, internationale Polizeiermittlungen zu terroristischen Verbrechen oder gewalttätigen Aktionen zu harmonisieren und einen schnellen Informationsaustausch bei „Zwischenfällen“ zu gewährleisten.[53]
5.2.2 Schengener Abkommen
Kernbestandteil des von 1985 – 1992 laufenden Binnenmarktprogramms der EG war die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das im Jahr 1984 zwischen Deutschland und Frankreich geschlossene Saarbrücker Abkommen (Abbau der Grenzkontrollen zwischen den beiden Ländern) gab einen ersten Anstoß für einen bedeutenden Integrationsschub im Bereich des freien Personenverkehrs in der EG und letztlich auch der polizeilichen Zusammenarbeit in Europa.[54] Im Rahmen des Binnenmarktprogramms wurde im von der KOM vorgelegten „Weißbuch zur Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes“[55] der Vorschlag unterbreitet, die Personenkontrollen an den Binnengrenzen bis zum Ende des Jahres 1992 abzuschaffen. In der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28.02.1986 wurde ebenfalls das Ziel einen Raum ohne Binnengrenzen zu erreichen aufgestellt.[56] Diese Vorschläge hatten, aufgrund zu schaffender Ausgleichsmaßnahmen in Reaktion auf zukünftig offene Grenzen einen „Funktionswandel der Kooperation im Politikfeld innere Sicherheit“[57] zur Folge.
Das am 14.06.1985 zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden geschlossene Schengener Abkommen[58] war zwar zunächst eine Prinzipienerklärung ohne unmittelbare legislative und administrative Konsequenzen,[59] hatte aber konkret die schrittweise Beseitigung der Kontrollen an den gemeinsamen Binnengrenzen und den freien Personenverkehr der Staatsangehörigen der Signatarstaaten, anderer Staaten der EG und Drittstaaten zum Gegenstand.[60] Es handelte sich um einen multilateralen Vertrag außerhalb des EG-Rahmens, der jedoch zunächst nur EG-Mitgliedern offen stand. Aufgrund der sich aus dem Wegfall der Binnengrenzkontrollen ergebenden Sicherheitsverluste ergab sich für die MS ein verstärkter Zwang zur Kooperation um das Spannungsverhältnis zwischen Abbau der Grenzkontrollen auf der einen und der sich Staaten übergreifend ausbreitenden Kriminalität auf der anderen Seite zu lösen.
Um diesen Sicherheitseinbußen gerecht zu werden, wurde zur Umsetzung des Schengener Abkommens am 19.06.1990 das Schengener Durchführungsübereinkommen[61] (SDÜ), welches am 01.09.1993 in Kraft trat, unterzeichnet.[62] Aufgrund für die Umsetzung zu schaffender Voraussetzungen wurde es jedoch erst am 26.03.1995 in Kraft gesetzt.[63] Das SDÜ ergänzt das Schengener Abkommen und legt die Bedingungen für Anwendung und Garantien des freien Personenverkehrs fest. Es enthält Bestimmungen zu Ausgleichsmaßnahmen, die infolge der Abschaffung der Binnengrenzkontrollen einen einheitlichen Raum der Sicherheit und des Rechts gewährleisten sollen. Dies umfasst zum Beispiel Maßnahmen wie verstärkte Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen, die koordinierte Bekämpfung organisierter transnationaler Kriminalität aber auch erste Schritte in Richtung gemeinsame Visa- und Asylpolitik.[64] Mit dem SDÜ wurden erstmals Standards für einen obligatorischen Informationsaustausch festgelegt, Regeln für eine grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit und das Schengener Informationssystem[65] (SIS) - ein von Polizei, Zoll, Grenzschutz und Behörden die für Visa und Aufenthaltsbefugnisse zuständig sind gemeinsam genutztes Fahndungs- und Informationssystem - geschaffen.[66] Im Allgemeinen sind dem SDÜ Regelungen zu
- der Vereinheitlichung der Vorschriften für die Einreise und den kurzfristigen Aufenthalt von Ausländern im "Schengen-Raum" (einheitliches Schengenvisum),
- Asylfragen (Bestimmung des für einen Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats),
- Maßnahmen gegen grenzüberschreitenden Drogenhandel,
- polizeiliche Zusammenarbeit und
[...]
[1] Vgl. Holzinger Katharina, Knill Christoph, Peters Dirk, Rittberger Berthold, Schimmelpfennig Frank, Wagner Wolfgang: Die Europäische Union – Theorien und Analysekonzepte, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn, 2005, S. 22
[2] Kraus Vonjahr Martin: Der Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa – Die Innen- und Justizpolitik der Europäischen Union nach Amsterdam und Nizza, Verlag Lang Peter, Frankfurt am Main, 2002, S. 109
[3] Ebd., S. 109
[4] Vgl. Mäkelburg Tim: Theorie und Praxis im Integrationsprozess der europäischen Innen- und Justizpolitik, Westfälische-Wilhelms-Universität, Institut für Politikwissenschaft, Münster, 2004, S. 2
[5] Haas Ernst B.: The European and Universal Process, in: International Organisation, Vol. 15, No. 3, 1961, S. 366 – 392, S. 366
[6] Vgl. Holzinger, Knill, Peters, Rittberger, Schimmelpfennig, Wagner: Die Europäische Union – Theorien und Analysekonzepte, S. 20
[7] Vgl. Ebd., S. 20
[8] Vgl. Schwarzer Daniela, Lindstädt René: Annäherung an die EU, Studienbrief 2-010-0101 des postgradualen und weiterbildenden Fernstudiengangs Europäisches Verwaltungsmanagement, Fernstudienagentur des FVL, Sitz: FHTW Berlin, 2003, S. 36
[9] Vgl. Holzinger, Knill, Peters, Rittberger, Schimmelpfennig, Wagner: Die Europäische Union – Theorien und Analysekonzepte, S. 21 - 22
[10] Vgl. Ebd., S. 22
[11] Vgl. Schwarzer D., Lindstädt R.: Annäherung an die EU, S. 42
[12] Vgl. Holzinger, Knill, Peters, Rittberger, Schimmelpfennig, Wagner: Die Europäische Union – Theorien und Analysekonzepte., S. 22
[13] Vgl. Ebd., S. 22
[14] Vgl. Ebd., S. 23
[15] Vgl. Schwarzer Daniela, Lindstädt René: Annäherung an die EU, S. 35
[16] Vgl. Ebd., S. 35
[17] Vgl. Ebd., S. 35
[18] Vgl. Ebd., S .36
[19] Vgl. Ebd., S. 36
[20] Vgl. Brückner Ulrich: Europäische Integrationstheorien und ihre Erklärungsleistung, Studienbrief 2-010-0105 des postgradualen und weiterbildenden Fernstudiengangs Europäisches Verwaltungsmanagement, Fernstudienagentur des FVL, Sitz: FHTW Berlin, 2005, S. 35
[21] Vgl. Ebd., S. 36 – Unter Spill Over Effekt versteht man, dass eine politische Handlung in einem Bereich Auswirkungen auf einen damit direkt oder indirekt verbundenen Bereich hat.
[22] Vgl. Ebd., S. 36
[23] Vgl. Mäkelburg T.: Theorie und Praxis im Integrationsprozess, S. 3
[24] Vgl. Ebd., S. 3
[25] Vgl. Ebd., S. 4
[26] Vgl. Brückner U.: Europäische Integrationstheorien und ihre Erklärungsleistung, S. 38
[27] Vgl. Holzinger, Knill, Peters, Rittberger, Schimmelpfennig, Wagner: Die Europäische Union – Theorien und Analysekonzepte., S. 31
[28] Vgl. Ebd., S. 23
[29] Vgl. Ebd., S. 40
[30] Vgl. Ebd., S. 38
[31] Vgl. Brückner U.: Europäische Integrationstheorien und ihre Erklärungsleistung, S. 41
[32] Vgl. Holzinger, Knill, Peters, Rittberger, Schimmelpfennig, Wagner: Die Europäische Union – Theorien und Analysekonzepte., S. 24
[33] Vgl. Ebd., S. 25
[34] Vgl. Ebd., S. 25
[35] Vgl. Ebd., S. 26
[36] Vgl. Ebd., S. 27
[37] Vgl. Ebd., S. 28
[38] Vgl. Ebd., S. 27
[39] Vgl. Ebd., S. 30
[40] Vgl. Kleine Mareike: Die Reaktion der EU auf den 11. September – Zu Kooperation und Nicht-Kooperation in der inneren und äußeren Sicherheit, LIT Verlag, Münster, 2004, S. 70
[41] Ebd., S. 70
[42] TREVI steht für Terrorism, Radicalism, Extremism, Violence International
[43] Vgl. Glaeßner Gert-Joachim, Lorenz Astrid: Europäisierung der inneren Sicherheit – eine vergleichende Untersuchung am Beispiel von organisierter Kriminalität und Terrorismus, VS Verlag, Wiesbaden, 2005, S. 21
[44] Vgl. Online im Internet: Busch Heiner, Kaleck Wolfgang: Europas Polizei – Gefahr für Grundrechte und Demokratie, abrufbar unter: http://www.rav.de/download/rav_3_europol.pdf, letzter Zugriff: 22.06.2007
[45] Vgl. Mäkelburg T.: Theorie und Praxis im Integrationsprozess, S. 7
[46] Vgl. Knelangen Wilhelm: Die innen- und justizpolitische Zusammenarbeit der EU und die Bekämpfung des Terrorismus, in: Müller Erwin, Schneider Patricia: Die Europäische Union im Kampf gegen den Terrorismus – Sicherheit vs. Freiheit?, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2006, S. 140 - 162
[47] Vgl. Mäkelburg T.: Theorie und Praxis im Integrationsprozess, S. 7
[48] Vgl. Glaeßner, Lorenz: Europäisierung der inneren Sicherheit, S. 20
[49] Vgl. Mäkelburg T.: Theorie und Praxis im Integrationsprozess, S. 8
[50] Vgl. Knelangen Wilhelm: Die EU-Zusammenarbeit im Politikfeld innere Sicherheit an der Integrationsschwelle?, in: Janssen Manfred/ Sibom Frank: Perspektiven der europäischen Integration – sozioökonomische, politische und kulturelle Aspekte, Opladen, 2000, S 147 - 169
[51] Die PWGT tagt zweimal jährlich. Sie ist ein informelles Nicht-Regierungsorgan, dass von den Justiz- und Innenministern der Teilnehmerstaaten genehmigt wurde. Teilnehmer sind alle MS sowie Norwegen und die Schweiz. Die PWGT ist ein Gremium zur Zusammenarbeit europäischer Staatsschutzdienststellen auf dem Gebiet des Extremismus/ Terrorismus.
[52] Vgl. Online in Internet: Busch H., Kaleck W.: Europas Polizei – Gefahr für Grundrechte und Demokratie
[53] Vgl. Meomrandum of Understanding der PWGT
[54] Vgl. Mäkelburg T.: Theorie und Praxis im Integrationsprozess, S. 8
[55] In dem 1985 von der KOM vorgelegten und vom Europäischen Rat verabschiedeten Weißbuch wurde ein Katalog von 282 Vorschlägen und Maßnahmen aufgestellt, durch deren Verwirklichung die den gemeinsamenBinnenmarkt behindernden materiellen, technischen und steuerlichen Schranken beseitigt werden sollten. Die Einheitliche Europäische Akte im Jahr 1986 war die logische Folge dieses Weißbuchs. Durch sie wurde ein neuer Artikel 100 a in den EG-Vertrag aufgenommen, der auf Maßnahmen angewendet wird, die auf die Errichtung des Binnenmarkts abzielen. – Vgl. Online im Internet: http://www.eufis.de/eu-glossar.html?&type=0&uid=298&cHash=352bf9996c – letzter Zugriff: 24.06.2007
[56] Vgl. Mäkelburg T.: Theorie und Praxis im Integrationsprozess, S. 8 - 9
[57] Knelangen W.: Die EU-Zusammenarbeit im Politikfeld innere Sicherheit an der Integrationsschwelle?, S. 155
[58] Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den
gemeinsamen Grenzen – Online im Internet abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs
/cmsUpload/SCH.ACQUIS-DE.pdf - letzter Zugriff: 24.06.2007
[59] Vgl. Glaeßner, Lorenz: Europäisierung der inneren Sicherheit, S. 22
[60] Vgl. Online im Internet: http://europa.eu/scadplus/glossary/schengen_agreement_de.htm - letzter Zugriff: 24.06.2007
[61] Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen – Online im Internet abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/SCH.ACQUIS-DE.pdf - letzter Zugriff: 24.06.2007
[62] Vgl. Online im Internet: Entstehungsgeschichte und Entwicklung des Schengener Abkommens, abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/WillkommeninD/EinreiseUndAufenthalt/Schengen.html#t1, letzter Zugriff: 24.06.2007
[63] Vgl. Ebd.
[64] An dieser Stelle sei noch das Dubliner Übereinkommen aus dem Jahr 1990 erwähnt, das zur Implementation des sogenannten Eurodac-Systems führte. Eurodac ist eine Fingerabdruckdatenbank in der die Fingerabdrücke von Asylbewerbern gespeichert sind, die in einem EU-Mitgliedstaat Asyl beantragt haben. Ziel dieser Datenbank war ursprünglich zur Klärung von Prüfzuständigkeiten der Ausländerbehörden der MS beizutragen. Ein Mehrwert für die polizeiliche Zusammenarbeit wurde jedoch schnell erkannt und ein Zugriff der Polizeien der MS und Europols auf Eurodac verhandelt.
[65] siehe Art. 93ff SDÜ
[66] Vgl. Mäkelburg T.: Theorie und Praxis im Integrationsprozess, S. 9
- Arbeit zitieren
- Sven Dorn (Autor:in), 2007, Die Terrorismusbekämpfung der Europäischen Union im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit aus integrationstheoretischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81599
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