Schule ohne Noten? Leistungen, die nicht mit einer Zensur quittiert werden? Diese Fragestellungen gibt es nicht erst seit heute. Bereits vor zehn Jahren ging der damalige Bundespräsident davon aus, so ein Experiment müsse einfach schief gehen. Deshalb sah sich der oberste Repräsentant des deutschen Staates dazu gezwungen, sich in diese pädagogische Diskussion einzumischen und lautstark in seiner berühmten „Ruck-Rede“ zu intervenieren. Aus dem Bundespräsidialamt kam 1997 die Warnung vor „notenfreier Kuschelpädagogik“: „Wer die Noten aus den Schulen verbannt, schafft Kuschelecken, aber keine Bildungseinrichtungen, die auf das nächste Jahrtausend vorbereiten.“ (Herzog bei Spies 2007) Der Bundespräsident a.D. ist nicht der einzige Verfechter der Ziffernnoten. Unterstützung findet man vor allem dort, wo man es zunächst nicht erwartet. Schüler sind im Großen und Ganzen mit dem System zufrieden, auch Eltern lungern nach einem Feedback durch Noten (vgl. Valtin 2002). Dem aktuellen Forschungsprojekt NOVARA zufolge, sind Schüler mit ihren Benotungen in der sechsten Klasse weitgehend – 80 Prozent – zufrieden (Valtin 2002, S. 56). Viele Studien hingegen zeigen ein anderes Bild. Demnach gilt die Zensurengebung als höchst problematisch. Fragwürdig erscheinen Objektivität, Validität und Reliabilität. Ingenkamp - der Autor des Pädagogik-Bestsellers „Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung“ - spricht bei der Notengebung von einem „Glücksspiel“, anstelle eines fairen Wettbewerbes (vgl. Sacher 1994, S. 23). „Was wir wissen, muss uns höchst bedenklich stimmen“ (Ingenkamp 1989, S. 80), warnt der Pädagogik-Professor und belegt dies eindrucksvoll mit zahlreichen Studien. Die Pole in der Diskussion sind mitunter radikal und erinnern an einen Glaubenskrieg: So sieht Beck in den „Noten und Zeugnisse[n] [...] Instrumente der Herrschaftssicherung!“ (Beck bei Ingenkamp 1989, S. 36). Seine eindringliche Forderung: „Schafft die Noten ab!“ (ebd.)
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2. Zweck und Funktion von Ziffernnoten
2.1 Defintionsversuch Leistungsmessung
2.2 Funktionen von Leistungsmessung durch Ziffernzensuren
3. Das Dilemma im Sachunterricht: Wie soll dort bewertet werden?
4. Ziffernnoten als problematische, unzuverlässige Bewertungsinstrumente
4.1 Anforderungen an Noten
4.2 Forschungsbefunde
4.2.1 Objektivität
4.2.2 Reliabilität
4.2.3 Validität
5. Konsequenzen für die Leistungsbeurteilung im Sachunterricht - und anderen Schulfächern
5.1 Ablehnung der Note als Beurteilungsinstrument
5.2 Alternativen für den Sachunterricht
5.3 Fallbeispiel Portfolio
6. Synthese
7. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Schule ohne Noten? Leistungen, die nicht mit einer Zensur quittiert werden? Diese Fragestellungen gibt es nicht erst seit heute. Bereits vor zehn Jahren ging der damalige Bundespräsident davon aus, so ein Experiment müsse einfach schief gehen. Deshalb sah sich der oberste Repräsentant des deutschen Staates dazu gezwungen, sich in diese pädagogische Diskussion einzumischen und lautstark in seiner berühmten „Ruck-Rede“ zu intervenieren. Aus dem Bundespräsidialamt kam 1997 die Warnung vor „notenfreier Kuschelpädagogik“: „Wer die Noten aus den Schulen verbannt, schafft Kuschelecken, aber keine Bildungseinrichtungen, die auf das nächste Jahrtausend vorbereiten.“ (Herzog bei Spies 2007)
Der Bundespräsident a.D. ist nicht der einzige Verfechter der Ziffernnoten. Unterstützung findet man vor allem dort, wo man es zunächst nicht erwartet. Schüler sind im Großen und Ganzen mit dem System zufrieden, auch Eltern lungern nach einem Feedback durch Noten (vgl. Valtin 2002). Dem aktuellen Forschungsprojekt NOVARA zufolge, sind Schüler mit ihren Benotungen in der sechsten Klasse weitgehend – 80 Prozent – zufrieden (Valtin 2002, S. 56).
Viele Studien hingegen zeigen ein anderes Bild. Demnach gilt die Zensurengebung als höchst problematisch. Fragwürdig erscheinen Objektivität, Validität und Reliabilität. Ingenkamp - der Autor des Pädagogik-Bestsellers „Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung“ - spricht bei der Notengebung von einem „Glücksspiel“, anstelle eines fairen Wettbewerbes (vgl. Sacher 1994, S. 23). „Was wir wissen, muss uns höchst bedenklich stimmen“ (Ingenkamp 1989, S. 80), warnt der Pädagogik-Professor und belegt dies eindrucksvoll mit zahlreichen Studien.
Die Pole in der Diskussion sind mitunter radikal und erinnern an einen Glaubenskrieg: So sieht Beck in den „Noten und Zeugnisse[n] [...] Instrumente der Herrschaftssicherung!“ (Beck bei Ingenkamp 1989, S. 36). Seine eindringliche Forderung: „Schafft die Noten ab!“ (ebd.)
Dabei ist gerade der Sachunterricht der Primarstufe ein besonders heikles Feld. Mit seinen vielfältigen aber schwammigen Anforderungen, die er an die Schüler stellt, lässt sich hier sehr gut die Problematik der Notengebung erörtern und diskutieren. So beschreibt selbst eine bayerische „Handreichung zur Ermittlung und Beschreibung von Schülerleistungen“ aus dem Jahr 1987 den Sachunterricht als „Problemfach des beurteilenden Lehrers“ (Nuding 2004, S. 29). Kann ein Sachunterricht, in dem die „Anbahnung langfristig zu erwerbender Einstellungen, Verhaltensweisen und Fähigkeiten“ (Kutzner 1998, S. 28) Priorität besitzt, überhaupt durch herkömmliche schriftliche Arbeiten, die mit einer Ziffernnote quittiert werden, erfolgen? Können Ziffernnoten eine zuverlässige Quelle sein, um ihre Leistung im Sachunterricht (aber auch anderen Fächern) einzuschätzen?
Relevant für die vorliegende Hausarbeit wird es sein, dieser Problematik - bezogen auf den Sachunterricht und im Allgemeinen - nachzugehen. Da es zu wenige Studien gibt, die sich explizit mit der Zensurengebung im Sachunterricht beschäftigen, müssen für den Argumentationsgang allgemeine Studien herangezogen werden, die somit die Problematik kurzzeitig verallgemeinern.
Zum Ende der Hausarbeit wird anhand eines Beispiels versucht, Alternativen zur traditionellen Leistungsbeurteilung im Sachunterricht aufzuzeigen.
2. Zweck und Funktion von Ziffernnoten
Die Ziffernnote ist weit verbreitet. Auch im Sachunterricht wird sie häufig eingesetzt, um Schülerleistungen zu bewerten. Bevor auf die Probleme der Leistungsmessung eingegangen wird, soll aufgezeigt werden, welcher der Zweck Leistungsbeurteilung generell zukommen soll und wie Leistungsmessung überhaupt definiert werden kann. Diese Betrachtungen sind wichtig, um das allgemeine Verständnis von Leistungsmessung zu verdeutlichen.
2.1 Defintionsversuch Leistungsmessung
Möchte man Leistungsmessung untersuchen und kritisch betrachten, ist es notwendig, den abstrakten Begriff zunächst zu definieren. Dies ist insbesondere daher wichtig, da im pädagogischen Rahmen Leistung und Messung anders definiert werden als in technischen oder ökonomischen Denkmodellen (vgl. Nuding 2004, S. 7).
Sacher definiert demnach Leistung als „Handeln oder ein Handlungsergebnis mit ausdrücklichem Bezug auf einen Gütemaßstab“ (Sacher 1994, S. 1). Klafki formuliert es ähnlich. Er sieht Leistung „als Ergebnis und Vollzug einer Tätigkeit, die mit Anstrengung und gegebenfalls Selbstüberwindung verbunden ist und für die Gütemaßstäbe anerkannt werden“ (Nuding 1994, S. 12).
Im schulischen Geschehen ist Leistung nach Nuding eine „Relationsgröße“ (ebd.). Diese würde sich folglich an drei zentralen Bezugsgrößen orientieren: „Bezug zum Leistenden selbst, zu seiner vorangegangenen Leistung, Bezug zu den Mitleistenden und deren Leistungen sowie Bezug zum Gegenstand der Leistung“ (ebd.).
Will man Leistung hingegen individualisieren und konkret auf die individuelle Leistung eines Schülers beziehen, eignet sich die Defintion von Beck. Sein Verständnis von Leistung ist es, „Entwicklung von Leistungsfähigkeit und Förderung von Leistungstrieben bei jedem einzelnen Kind entsprechend seiner eigenen Lebensgeschichte“ (ebd., S. 13) anzusehen. Als Konsequenz aus diesem Leistungsverständnis müsste sich allerdings auch eine Individualisierung des Unterrichts sowie der Lernangebote ergeben (vgl. ebd.).
2.2 Funktionen von Leistungsmessung durch Ziffernzensuren
Der Zweck der Leistungsmessung mittels Zensuren ist vielfältig und richtet sich an unterschiedliche Adressaten. Ziffernnoten erfüllen laut Sacher vielfältige Aufgaben.
Demnach dient die Zensierung einerseits der Selektion und Stigmatisierung (vgl. Sacher 1994, S.13). Durch die Erteilung von Noten werden Bildungschancen vergeben und Bildungslaufbahnen festgelegt. Insbesondere die deutsche Dreigliedrigkeit des Schulsystems ist von dieser Funktion abhängig.
Gleichzeitig dient die Leistungsbeurteilung der Sozialisation heranwachsender Jugendlicher (vgl. ebd., S.14). Schon in der Schule kann durch dieses System die Einführung in die Leistungsgesellschaft erfolgen, ebenso das frühe Kennenlernen und Akzeptieren eines bürokratischen "Zertifikatenwesens" (ebd).
Auch politisch und administrativ macht man sich das Notensystem zunutze. Es dient der Legitimation bildungspolitischer Entscheidungen, da Noten eine (scheinbar) einfache Verständlichkeit in Wert und Aussage vorgeben (vgl. ebd., S.17). Entscheidungen lassen sich durch die Argumentation via Noten einfach rechtfertigen, da sie jeder versteht.
Weiterhin kann durch die Interpretation von Noten auch eine Kontrolle und Einschätzung pädagogischer Leistung erfolgen (vgl. ebd., S. 17). Die Qualität des Unterrichts wird laut Sacher auch am Zensurendurchschnitt gemessen.
Gleichzeitig dienen die Noten aber nicht nur als Information über die Lehrqualität, sondern auch als Information und Rückmeldung für die Schüler. Schüler können ihren erreichten Leistungsstand einschätzen und ihre Lage im Leistungskontinuum ermitteln (vgl. ebd., S. 18).
Zudem leiten Lehrkräfte eine Prognose und Erwartungen von den erreichten Noten eines Schülers ab (vgl. ebd., S. 19).
Sie sollen Aufschluss über das verfügbare Potenzial an Begabung liefern und aufgrund dessen eine Basis für weitere pädagogische Entscheidungen bilden.
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- Quote paper
- Marcus Sommer (Author), 2007, Ziffernnoten als geeignete Form der Leistungsbewertung im Sachunterricht?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81552
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