Es sollen zwei Hauptfragen untersucht werden: Wann beginnt die Liebe zwischen Tristan und Isolde? Und welche Funktion nimmt dabei der Minnetrank ein? Zur Klärung dieser Fragen werden anhand des Textfragments Gottfrieds von Straßburg zunächst die Szenen potentieller Minneentstehung bis zur Minnetranksequenz auf Anzeichen einer sich anbahnenden oder aufkeimenden Liebesbeziehung untersucht. Anschließend soll, in Auseinandersetzung mit den Thesen der Forschungsliteratur, die Funktion und der Charakter des Minnetrankes erläutert werden. Bei der Frage nach dem Entstehungszeitpunkt der Liebe lassen sich grob zwei unterschiedliche Forschungspositionen nach ihren Grundannahmen unterscheiden: ‚Es existiert Liebe vor dem Minnetrank’ gegen ‚Es gibt keine Liebe vor dem Minnetrank’. Die Problematik der Funktion des Minnetrankes wird wesentlich differenzierter diskutiert, doch auch hier kann man die Positionen vereinfacht auf einen Dualismus ‚Minnetrank als tatsächlicher Auslöser der Liebe’ vs. ‚Minnerank als symbolischer Auslöser der Liebe’ reduzieren.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
A. Wann beginnt die Liebe zwischen Tristan und Isolde?
1. Erste Irlandfahrt
a) Die erste Begegnung
b) Das Lehrer-Schülerin-Verhältnis
c) Die sirenengleiche Isolde
2. Zweite Irlandfahrt
a) Frauenpreis
b) Drachenkampf
c) Badszene
d) Gerichtsszene
B. Die Trankszene
1. Die Entstehung der Minne
2. Die Entwicklung der Minne
C. Welche Funktion hat der Minnetrank?
1. Magischer Auslöser der Liebe
2. Keine Trankfunktion – Atmosphäre der Szene als Auslöser der Liebe
3. Der Minnetrank als „Symbol“
4. Alibifunktion für Textkritiker
5. Stoff- bzw. Traditionszwang
6. Ambivalente Rolle des Minnetranks
III. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Von diu swer seneder mære ger, / der envar niht verrer danne her; / ich will in wol bemæren / von edelen senedæren, / die reine sene wol tâten schîn: / ein senedære und ein senedærîn, / ein man ein wîp, ein wîp ein man, / Tristan Isolt, Isolt Tristan V. 123 ff.
Die Geschichte von Tristan und Isolde ist eine der bekanntesten Liebesgeschichten der Weltliteratur überhaupt, ihr Hauptmotiv die unsterbliche Liebe bis zum Tod, trotz zahlreicher Schwierigkeiten und entgegenstehender Hindernisse. Solche begleiten von Anfang an, schon vor Beginn der Liebesbeziehung, die beiden Protagonisten und scheinen sie auch lange unvereinbar zu distanzieren. Es kommt keineswegs bei der ersten Begegnung der beiden später (untrennbar?) Verbundenen zur sofortigen Entstehung dieser Liebe. Der tatsächliche Zeitpunkt der Liebesentstehung ist ebenso umstritten, wie ihre genauen Umstände und Auslöser. Eine Schlüsselfunktion nimmt in der Diskussion der Minnetrank ein, gebraut von der älteren Isolde für Marke und (die jüngere) Isolde, versehentlich getrunken von Tristan und Isolde.
Im Folgenden sollen dazu zwei Hauptfragen untersucht werden: Wann beginnt die Liebe zwischen Tristan und Isolde? Und welche Funktion nimmt dabei der Minnetrank ein? Zur Klärung dieser Fragen werden anhand des Textfragments Gottfrieds von Straßburg zunächst die Szenen potentieller Minneentstehung bis zur Minnetranksequenz auf Anzeichen einer sich anbahnenden oder aufkeimenden Liebesbeziehung untersucht. Anschließend soll, in Auseinandersetzung mit den Thesen der Forschungsliteratur, die Funktion und der Charakter des Minnetrankes erläutert werden. Bei der Frage nach dem Entstehungszeitpunkt der Liebe lassen sich grob zwei unterschiedliche Forschungspositionen nach ihren Grundannahmen unterscheiden: ‚Es existiert Liebe vor dem Minnetrank’ gegen ‚Es gibt keine Liebe vor dem Minnetrank’. Die Problematik der Funktion des Minnetrankes wird wesentlich differenzierter diskutiert, doch auch hier kann man die Positionen vereinfacht auf einen Dualismus ‚Minnetrank als tatsächlicher Auslöser der Liebe’ vs. ‚Minnerank als symbolischer Auslöser der Liebe’ reduzieren.
Die Thematik des Minnetrankes wurde von unzähligen Autoren aus ebenso vielen verschiedenen Perspektiven untersucht, sodass eine umfassende Darstellung des Forschungsdiskurses hier weder möglich noch sinnvoll ist. Gänzlich verzichten kann man auf eine Auseinandersetzung gerade mit der aktuellen Forschung bei diesem Thema dennoch nicht. Im Folgenden sind in diesem Zusammenhang vor allem die neueren Thesen von Christoph Huber[1], Otfrid Ehrismann[2], Günther Schweikle[3], Herbert Herzmann[4], Rüdiger Schnell[5] und Christopher Young[6] zu berücksichtigen. Grundlage der Untersuchung muss und wird aber der Originaltext sein.
II. Hauptteil
A. Wann beginnt die Liebe zwischen Tristan und Isolde?
Die erste Frage, die sich bei der Untersuchung der Liebesentstehung zwischen Tristan und Isolde stellt, ist diejenige nach ihrem Zeitpunkt, die Frage, ob die Liebe mit dem ersten Zusammentreffen oder erst später beginnt, ob sie gängigen Minneentstehungsmustern folgt oder eher untypisch ist.
1. Erste Irlandfahrt
a) Die erste Begegnung
Die beiden Protagonisten treffen erstmals im Rahmen der ersten Irlandfahrt Tristans aufeinander: Tristan gelangt, getarnt als Spielmann Tantris, an den Hof König Gurmûns, um durch die Heilkräfte der Königin Isolde von seiner vergifteten Wunde aus dem Kampf gegen Môrolt geheilt zu werden. Aus Dank für die Aussicht auf Rettung durch die Königin spielt Tristan auf seiner Harfe, wozu auch (die jüngere) Isolde erscheint:
Ouch besande man zehant / die jungen küniginne. / daz wâre insigel der minne, / mit dem sîn herze sider wart / versigelt unde vor verspart / aller der werlt gemeiner / niuwan ir al einer, / diu schœne Isôt si kam ouch dar / und nam vil flîzeclîche war, / dâ Tristan harphende saz. V. 7814 ff.
Kann man hier von Liebe auf den ersten Blick sprechen? Isolde nimmt vil flîzeclîche Tristans Spiel wahr, sein Herz ist ihretwegen sider versiegelt und für alle Welt verschlossen. Dass Isolde von dem Harfenspiel angetan ist, muss angesichts der weit verbreiteten Begeisterung über Tristans Fähigkeiten nicht verwundern und ist alleine kein Indiz für beginnende Liebe. Wie ist es aber mit Tristan? Sider kann einerseits ‚seither’, andererseits aber auch ‚später’ heißen. Außerdem spielt er seit Isoldes Auftritt nicht länger alse ein lebelôser man, / er vieng ez lebelîchen an / und alse der wol gemuote tuot (V. 7829 ff.). Zu begründen ist das jedoch weniger mit spontaner Motivation durch die junge Königstochter, als mit seinem Eigeninteresse, nämlich Gunstgewinn am Hofe, was auch die unmittelbar folgende Textstelle belegt:[7] Er machte ez in sô rehte guot / mit handen und mit munde, / daz er in der kurzen stunde / ir aller hulde alsô gevienc, / daz ez im ze allem guote ergienc (V. 7832 ff.). Es ist also zu diesem Zeitpunkt noch kein übermäßiges Interesse Tristans an Isolde auszumachen. Sollte sider allerdings tatsächlich mit ‚seither’ zu übersetzen sein, müsste auch der folgende Handlungsverlauf den Beginn der Minne zu diesem frühen Zeitpunkt zeigen.
b) Das Lehrer-Schülerin-Verhältnis
Als Gegenleistung für seine Heilung erbittet Königin Isolde von Tristan Unterricht für ihre Tochter. Isolde lernte bereits zuvor mit großem Erfolg die buoch und dar zuo seitspil (V. 7851), Tristan soll nun ihre Fähigkeiten vervollkommnen. Nach seiner Genesung macht er sich auch mit großem Eifer daran, ihr seine besten Fähigkeiten, sô schuollist, sô hantspil (V. 7971), zu vermitteln und wird ir meister der spilmann (V. 8004). Neben allen anderen Fähigkeiten unterrichtet Tristan Isolde auch in morâliteit, also der Sittenlehre. Durch diese umfassende Ausbildung auf höchstem Niveau wird Isolde Tristan ihren Fähigkeiten nach quasi ebenbürtig, vor dem Leser entsteht das Bild eines höfischen Paares in musisch-pädagogischem Einklang und ethischer Perfektion:[8] Hie von sô wart si wol gesite / schône unde reine gemuot, / ir gebærde süeze unde guot (V. 8028 ff.). Doch anders als man, auch in Kenntnis der Liebesgeschichte zwischen dem Lehrer Abaelard und seiner Schülerin Héloïse, erwarten könnte, führt der enge tägliche Kontakt der beiden Protagonisten nicht zu einer Beziehung, die über das platonische Verhältnis zwischen Lehrer und Schülerin hinausführt.[9] Dem würde auch Tristans vorgeblicher Status als Spielmann widersprechen, welcher eine Beziehung für Isolde völlig unmöglich macht; Tristan steht in dieser Rolle ständisch so tief unter ihr, dass sich nach mittelalterlich-höfischer Weltsicht überhaupt kein weitergehendes Interesse entwickeln kann.[10]
c) Die sirenengleiche Isolde
Doch auch wenn Tristan zu tief für eine Liebesbeziehung zu stehen scheint, könnte er den Reizen der sirenengleichen Isolde verfallen, wie es anderen Männern unfreiwillig geschieht:
Wem mag ich sî gelîchen / die schœnen, sældenrîchen, / wan den Syrenen eine, / die mit dem agesteine / die kiele ziehent ze sich? / als zôch Îsôt, so dunket mich, / vil herzen und gedanken în, / die doch vil sicher wânden sîn / von senedem ungemache. / [...] sie sang in maneges herzen muot / offentlîchen und tougen / durch ôren und durch ougen.V. 8089 ff. & V. 8116 f.
Doch ganz offensichtlich dringt Isolde nicht über Ohren und Augen, also ihre äußeren und musikalischen Vorzüge, in Tristans Gefühlswelt ein, wirkt sie nicht wie ein Magnetstein auf ihn. Auch hier sprechen zwingende Gründe gegen das Entstehen einer Liebesbeziehung. Tristan muss, da seine Genesung nahezu abgeschlossen und deswegen auch seine Gestalt wieder ansehnlich und erkennbar geworden ist, mit baldiger Enttarnung rechnen und daher schnellstmöglich den Hof verlassen.[11] Es gelingt ihm, entlassen zu werden, indem er der Königin vortäuscht, er müsse zuhause seinen ehelichen Pflichten nachkommen. Wird kurz zuvor noch Isolde mit den Sirenen verglichen, die Schiffe unausweichlich in ihren Bann ziehen, besteigt jetzt ein davon ungerührter Tristan sein Schiff und lässt Isolde ohne erkennbare Anzeichen von Trauer oder Abschiedsschmerz zurück, ist keineswegs magnetisch angezogen.[12]
Während der ersten Irlandfahrt ergeben sich also Situationen, die eine Minneentstehung nach klassischem Vorbild denkbar erscheinen lassen. Aufgrund zwingender Hindernisse verlaufen diese Situationen jedoch ergebnislos, am Ende seines ersten Aufenthalts am Hof Gurmûns besteht keinerlei Liebesverhältnis zwischen Tristan und Isolde.[13]
[...]
[1] Christoph Huber, Gottfried von Straßburg: Tristan, Berlin 2001, S. 73-85.
[2] Otfrid Ehrismann, Isolde, der Zauber, die Liebe – der Minnetrank in Gottfrieds ‚Tristan’ zwischen Symbolik und Magie, in: Elisabeth Feldbusch (Hrsg.), Ergebnisse und Aufgaben der Germanistik am Ende des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Ludwig Erich Schmitt, Zürich u.a. 1989, S. 282-301.
[3] Günther Schweikle, Zum Minnetrank in Gottfrieds ‚Tristan’. Ein weiterer Annäherungsversuch, in: Waltraud Fritsch-Rößler (Hrsg.), Uf der mâze pfat. Festschrift für Werner Hoffmann, Göppingen 1991, S. 135-148.
[4] Herbert Herzmann, Nochmals zum Minnetrank in Gottfrieds Tristan. Anmerkungen zum Problem der psychologischen Entwicklung in der mittelhochdeutschen Epik, in: Euphorion 70 (1976), S. 73-94.
[5] Rüdiger Schnell, Causa Amoris – Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern 1985, S. 325-344.
[6] Christopher Young, Der Minnetrank als Literarisierungsprozeß bei Gottfried von Straßburg, in: Christoph Huber / Victor Millet (Hrsg.), Der ‚Tristan’ Gottfrieds von Straßburg, Tübingen 2002, S. 257–279.
[7] Weniger eindeutig Young (2002), S. 264 f.
[8] O. Ehrismann (1989), S. 284.
[9] O. Ehrismann (1989), S. 284.
[10] Schweikle (1991), S. 137.
[11] Siehe dazu Schweikle (1991), S. 138.
[12] Vgl. Schnell (1985), S. 338 f.
[13] So auch O. Ehrismann (1989), S. 284.
- Arbeit zitieren
- Lukas Strehle (Autor:in), 2007, Wann beginnt die Liebe zwischen Tristan und Isolde? Aspekte des Minnetranks bei Gottfried von Straßburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81416
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