In dieser Arbeit werden die kontextuellen Bedingungen der Massenmedienwirkung thematisiert. Die Rezeption von Medieninhalten findet in sozialen Gruppen statt. Soziale Kommunikation ist in der soziologischen Medienwirkungsforschung auf die interpersonale
und Massenkommunikation beschränkt. Beide Formen sind eng miteinander verschränkt.
Daher stellen sich die Fragen: Wie wirken Massenmedien auf die Meinungsbildung von Individuen in sozialen Gruppen, in denen interpersonale Kommunikation stattfindet? Wird der Rezipient direkt durch das Medium beeinflusst oder sind soziale Beziehungen
entscheidend für dessen Wirkung? Die Forschungsfrage bezieht sich auf die Verschränkung von massenmedialer und interpersonaler Kommunikation. Die Hypothese lautet: Im Prozess individueller Meinungsbildung wirken die Massenmedien nur verstärkend, während die interpersonale Kommunikation in sozialen Netzwerken das eigentlich entscheidende Element darstellt. Daraus ergibt sich die Frage, welche Strukturen diese Netzwerke haben und in welche Richtungen der Einfluss geht.
Gliederung
1. Einleitung
2. Der One-Step Flow of Communication
3. Medienwirkung auf Rezipienten in sozialen Gruppen
3.1 „The People’s Choice“
3.1.1 Forschungsdesign und Ablauf der Erie-Studie
3.1.2 Ergebnisse der Studie
3.1.3 Die Meinungsführer und der Zweistufenfluss der Kommunikation
3.1.4 Die Vorteile interpersonaler Kommunikation
3.1.5 Kritik am Zweistufenfluss-Modell
4. Die Folgestudien
4.1 Die Rovere-Studie
4.2 Die Decatur-Studie
4.3 Die Drug-Studie
4.4 Zusammenfassung
5. Weitere Modifikationen des Meinungsführerkonzepts
5.1 Die Diffusionsstudien
5.2 Der Persuaionsprozess
5.2.1 Die ‚Inaktiven’
5.2.2 Die Modifikationen der Zweistufenflusshypothese
5.3 Die virtuellen Meinungsführer
5.4 Die Netzwerktheorie
6. Resümee und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Macht der Medien ist heute in aller Munde. Massenmedien gelten als vierte Gewalt im Staat. Ihre Wirkung ist auch heute ein aktuelles und vieldiskutiertes Thema, wenn es Beispielsweise um Terrorismus oder andere Gewalttaten geht.
Die Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich mit der indirekten, durch Massenmedien vermittelten, öffentlichen Kommunikation und den damit verbundenen Produktions-, Verarbeitungs- und Rezeptionsprozessen (vgl. DGPuk Selbstverständnispapier 2001: 3). Als ein Teilgebiet untersucht die Medienwirkungsforschung die Bedingungen von starker und schwacher Medienwirkung (vgl. Bonfadelli 2004: 11). Der Wirkungsbegriff umfasst alle Veränderungen des Handelns und Erlebens von Individuen, die auf Medien und deren Mitteilungen zurückzuführen sind (vgl. Bonfadelli 2004: 18). Dabei schwankte die Medienwirkungsforschung lange zwischen den Polen Allmacht und Ohnmacht der Medien (vgl. Bonfadelli 2004: 16).
Abbildung 1: Paradigmenwechsel in der Medienwirkungsforschung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Frei nach Donsbach 1991: 19.
In dieser Arbeit werden die kontextuellen Bedingungen der Massenmedienwirkung thematisiert. Die Rezeption von Medieninhalten findet in sozialen Gruppen statt. Soziale Kommunikation ist in der soziologischen Medienwirkungsforschung auf die interpersonale und Massenkommunikation beschränkt. Beide Formen sind eng miteinander verschränkt.
Daher stellen sich die Fragen: Wie wirken Massenmedien auf die Meinungsbildung von Individuen in sozialen Gruppen, in denen interpersonale Kommunikation stattfindet? Wird der Rezipient direkt durch das Medium beeinflusst oder sind soziale Beziehungen entscheidend für dessen Wirkung? Die Forschungsfrage bezieht sich auf die Verschränkung von massenmedialer und interpersonaler Kommunikation. Die Hypothese lautet: Im Prozess individueller Meinungsbildung wirken die Massenmedien nur verstärkend, während die interpersonale Kommunikation in sozialen Netzwerken das eigentlich entscheidende Element darstellt. Daraus ergibt sich die Frage, welche Strukturen diese Netzwerke haben und in welche Richtungen der Einfluss geht.
Das Zusammenspiel von interpersonaler und Massenkommunikation wurde von einer Vielzahl von Wirkungsstudien untersucht und brachte zahlreiche Theoriekonzepte hervor. Die Hypothese des Zweistufenflusses der Kommunikation (Two-Step Flow of Communication) lieferte einen wichtigen und viel diskutierten Beitrag zum Thema der Massenmedienwirkung. Durch die Erie-Studie wurde erstmalig das Konzept der linear- kausal wirkenden Massenmedien in Frage gestellt. Es gibt demzufolge eine intervenierende Variable, den sozialen Kontext verbunden mit der Meinungsführerhypothese, die in den Prozess der Meinungsbildung eingreift und ihn beeinflusst. Diese klassische Hypothese wurde modifiziert und zu einem Multi-Step-Flow hin weiterentwickelt. Dieser wurde wieder modifiziert. Ich werde die Entwicklung anhand der Folgestudien nachzeichnen und anschließend auf den aktuellen Forschungsstand eingehen. Die Meinungsbildung in der modernen, globalisierten Informationsgesellschaft ist durch differenzierte Kommunikationsmodelle zu erfassen. Im ersten Schritt untersuche ich die Diffusionstheorie bezüglich ihrer Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Meinungsführerkonzept. Abschließend stelle ich die moderne Netzwerktheorie vor.
2. Der One-Step Flow of Communication
In den 20er und 30er Jahren war die amerikanische Gesellschaft von der Annahme allmächtiger Medien geprägt. Dazu trugen die erfolgreiche Propaganda im ersten Weltkrieg, die erfolgreiche Ausbreitung von Reklame und die neuen Medien Film und Hörfunk bei. Das bekannteste Beispiel ist Orson Wells' Buch „Krieg der Welten“. Die Übertragung durch CBS als Hörspiel unter dem Titel „The Invasion from Mars“ löste 1938 angeblich eine Massenpanik an der Ostküste der USA aus. Viele Hörer waren fest davon überzeugt, dass Außerirdische gelandet seien. Heutzutage ist diese Legende relativiert. Nur ein Bruchteil sei in echte Panik ausgebrochen (vgl. Jäckel 2002: 96-106).
Die Massenkommunikationsforschung ging zu dieser Zeit von einem mechanischen Stimulus-Response-Modell aus. Das Publikum war eine ‚Masse’ voneinander isolierter (atomisierter), heterogener und anonymer Rezipienten, auf die die Massenmedien direkten Einfluss ausübten (vgl. Schenk 2002: 307).
Abbildung 2: Das Stimulus-Response-Modell.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Frei nach Schenk 2002: 307.
3. Medienwirkung auf Rezipienten in sozialen Gruppen
In der Kommunikationswissenschaft gibt es vor allem Theorien mittlerer Reichweite. Sie sind „… generell mit dem Anspruch verbunden, Aussagen nur über begrenzte Phänomene der Wirklichkeit zu treffen und diese immer wieder zu prüfen“ (DGPuk 2001: 6). Schon frühzeitig gab es Hinweise darauf, dass die Rezipienten nicht als Masse zu betrachten sind (vgl. Schenk 2002: 307). Vielmehr sind „… individuelle Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen in zwischenmenschlichen Beziehungen verankert …“ (Schenk 2002: 308). Das sozialpsychologische Stimulus-Response-Modell wurde durch soziologische Ansätze abgelöst.
Das der soziologischen Forschung zugrunde liegende Menschenbild ist der Homo Sociologicus. Der Mensch hat durch seine Sozialisation Normen und Werte verinnerlicht. Und er weiß, dass die Gesellschaft ein bestimmtes Verhalten von ihm erwartet. Weicht er von dieser Norm ab, wird sein Verhalten sanktioniert. Außerdem schämt er sich bei unmoralischem Handeln. Es besteht eine soziale Interdependenz. Er ist auf andere Menschen angewiesen. Daher besteht ein hoher Abschreckungseffekt, der dazu führt, dass er sich entsprechend gesellschaftlichen Forderungen verhält. Der Mensch kann nicht anders handeln, als er es tut (vgl. Braun 1999: 41).
Paul Felix Lazarsfeld, Bernard Berelson und Hazel Gaudet wiesen bereits 1940 mit ihrer Wahlstudie „The People’s Choice“ den Einfluss von Gruppennormen auf die Meinungsbildung nach (vgl. Schenk 2002: 309).
3.1 „The People’s Choice“
Ziel der Studie war es den Entscheidungsfindungsprozess während des Präsidentenwahlkampfes zwischen Roosevelt und Willkie von Mai bis November 1940 zu analysieren und die verschiedenen Einflüsse auf die Wahlentscheidung zu ermitteln (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 14). Die Soziologen suchten dazu Erie County, Ohio als repräsentatives Gebiet des Wahlverhaltens aus. Die Gemeinde war übersichtlich und relativ homogen, die bisherigen Wahlergebnisse entsprachen den allgemeinen Wahltrends und es war ein Vergleich zwischen Stadt und Land möglich (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 38). Bis dahin war nie untersucht worden, „… wie sich das Wahlverhalten einer Person während eines Wahlkampfes von ihrer Einstellung vor Beginn der Kampagne über die Reaktionen auf den Propagandaschwall […] bis zur tatsächlichen Stimmabgabe am Wahltag entwickelt“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 36).
3.1.1 Forschungsdesign und Ablauf der Erie-Studie
Um diese Änderungen erfassen zu können, benutzte die Forschergruppe für ihre Längsschnittstudie die zu dieser Zeit neue Panelmethode. Bei dieser Methode werden mehrfach Interviews mit denselben Personen geführt (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 36). Zu Beginn wurde jedes vierte Haus der Gemeinde von ausgebildeten Interviewern besucht. So wurden etwa 3.000 repräsentative Personen ermittelt, die in vier wieder repräsentativen ‚Samples’ zu je 600 Personen geschichtet wurden. Nur das vierte ‚Sample’ stellte die Untersuchungsgruppe dar. Die drei anderen wurden als Kontrollgruppe benutzt, um den möglichen verzerrenden Einfluss der Mehrfachinterviews auf das ‚Hauptpanel’ untersuchen zu können (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 38). Während die Kontrollgruppen nach der Gesamtbefragung im Mai nur jeweils einmal interviewt wurden (Juli, August, Oktober), wurde die vierte Gruppe während der sieben Monate einmal monatlich interviewt. Dieser Anstand entsprach „… dem natürlichen Ablauf des Wahlkampfs …“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 38). Die letzten Interviews wurden kurz vor und nach der Abstimmung geführt (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 38).
3.1.2 Ergebnisse der Studie
Die Auswertung des Hauptpanels ergab zwei Gruppen zu je 50 %: Die ‚Wechsler’, die ihre Meinung mindestens einmal änderten, und die ‚Beständigen’. Bei den ‚Wechslern’ ließen sich drei Haupttypen unterscheiden: Parteiwechsler, Schwankende, Kristallisierer. Die 28 % Kristallisierer hatten im Mai noch keine Wahlabsicht, entschieden sich aber später für die Republikaner (14 %) oder für die Demokraten (14 %). Die 15 % Schwankenden hatten im Mai eine Wahlabsicht, wechselten zwischendurch zum anderen Kandidaten oder zu ‚Weiß nicht’ und kehrten schließlich zu ihrer Wahlabsicht zurück. Die 8 % Parteiwechsler waren anfangs von einer Partei überzeugt, stimmten aber für die andere Partei (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 102-103). Die Gruppe der ‚Wechsler’ wurde durch Sonderinterviews weiter untersucht, um zu erfahren, warum sie ihre Meinung änderten (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 32). „Während unserer Untersuchung fanden wir wiederholt Hinweise dafür, daß ‚in Gruppen’ gewählt wurde“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 176). Dieses Ergebnis erklärten die Forscher mit einem Index der politischen Prädisposition (IPP) aus sozioökonomischer Schicht, Konfessionszugehörigkeit und Wohnort (ländlich, städtisch) (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 177). Die drei Faktoren beeinflussten signifikant das Wahlverhalten (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 60-61). Es konnte festgestellt werden, dass sich ‚echte’ Meinungsänderungen höchst selten einstellten, sondern dass die Prädisposition häufiger aktiviert wurde (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 142).
Die Massenmedial-Propaganda erzeugte einen Verstärker- und Aktivierungseffekt. Rundfunk und Zeitungen brachten „… die politische Prädisposition des Wählers ans Licht […] Sie wandelte die latente politische Neigung in eine manifeste Stimmabgabe um“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 112). Zunehmende Propaganda verstärkte das Interesse am Wahlkampf, was zu einer stärkeren Aufmerksamkeit und dann zu einer größeren Aufgeschlossenheit gegenüber der Propaganda führte. In diesem Moment begann der interessierte Wähler selektiv aus dem Angebot auszuwählen (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 112-113). Die Parteiargumente „… verstärkten Bestätigung, Orientierung und Konsolidierung der ursprünglichen Entscheidung“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 130) indem sie den inneren Meinungskonflikt verringerten, nur bestimmte Meinungen untermauerten und die parteiische Einstellung verfestigten (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 130). Letztlich bestimmt also die Prädisposition die Wahlentscheidung (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 113).
Personen mit ähnlicher Prädisposition leben häufiger in engem Kontakt miteinander und ihre Gruppen sind relativ homogen (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 177-178). Dabei beeinflussen sich die Gruppenmitglieder wechselseitig (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 180). Damit bewies die Wahlstudie, dass persönliche Kontakte die wichtigste Ursache für den Meinungswechsel waren (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 18). Menschen wählen nicht nur mit ihrer Primärgruppe, sondern auch für sie (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 188). Daher sind auch Meinungsänderungen auf entgegengesetzte Einflüsse unterschiedlicher Gruppen zurückzuführen (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 97-98).
Die ‚soziale Gruppe’ besteht nun ebenfalls aus Individuen. Daher stellte sich die Frage: „Durch welche Mechanismen und Prozesse entwickelt die Gruppe gemeinsame Einstellungen“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 28)? Sie fanden heraus, dass es Meinungsführer (opinion leader) in der Gruppe gab, die zwischen den Massenmedien und den Meinungsfolgern (opinion followers) vermittelten (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 28). Die ‚Macht’ in der Gruppe war nicht gleich verteilt. Diese Erkenntnis erschütterte das bisherige Stimulus-Response-Modell.
3.1.3 Die Meinungsführer und der Zweistufenfluss der Kommunikation
Die Meinungsführer wurden über zwei Selbsteinschätzungsfragen identifiziert: „Haben sie neulich versucht, irgend jemand von Ihren politischen Ideen zu überzeugen? Hat neulich irgend jemand Sie um Rat über ein politisches Problem gebeten?“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 85). 21 % des Hauptpanels antwortete auf mindestens eine Frage mit ‚Ja’. Diese Personen galten als Meinungsführer (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 85).
Diese Personen nahmen am intensivsten am Wahlkampf teil. Sie interessierten sich stärker und nutzen vermehrt die Massenmedien, „… reagierten also in jeder Hinsicht am stärksten auf den Wahlkampf“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 87). Überraschend war für die Forscher, dass sich Meinungsführer in allen sozialen Schichten fanden (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 85). Dort beeinflussten sie horizontal und nicht vertikal (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 31). Die Meinungsführer gaben an, „… daß die Massenmedien ihre Entscheidung stärker beeinflußt hätten als persönliche Beziehungen“ (Lazarsfeld u.a. 1969: 191). Daraus wurde der Zweistufenfluss der Kommunikation abgeleitet. Demnach fließen die Ideen von den Massenmedien zu den Meinungsführern und erst von diesen zu den weniger aktiven Meinungsfolgern (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969: 191).
Abbildung 2: Der Zweistufenfluss der Kommunikation.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Frei nach Schenk 2002: 322.
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- Gesine Liersch (Autor), 2007, Wie wirken die Massenmedien auf die Meinungsbildung von Individuuen in sozialen Gruppen?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81348
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