Die Documenta 6 - auch die Mediendocumenta genannt - fand im Jahre 1977 statt. Nach der schrillen Pop-Art setzte nun das Reflektieren und in Frage stellen aller gewohnten Sehweisen ein. Anhand dreier kontroverser Künstler, die 1977 in Kassel vertreten waren, wird das Medienkonzept der Weltausstellung ebenso beleuchtet wie die Geschichte der vorangegangenen Documenten.
>George Trakas: Union Pass
>Hans-Peter Reuter: Documenta-Raumobjekt
>Jochen Gerz: Der Transsibirien-Prospekt
Inhalt
1. Einleitung
2. Zum Medienkonzept der documenta 6
3. Übereinkommen von Konzept und Exponaten
3. 1. George Trakas: Union Pass
3. 2. Hans-Peter Reuter: Documenta-Raumobjekt
3. 3. Jochen Gerz: Der Transsibirien – Prospekt
3. 3. 1. Aktion und Installation
3. 3. 2. Gerz’ Projekt vor dem Hintergrund des Medienkonzeptes
3. 3. 3. Schieferplatten als Mittel zur Wiederbelebung des Kultischen
4. Die documenta 6 vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte
4. 1. Umrisse der Entstehungsgeschichte
4. 2. Position in der Kunstszene
4. 3. Anklänge einer publikumsorientierten Ausstellungsmethodik
5. Schlussbetrachtungen
Bibliografie
1. Einleitung
„‚Weltkunst’ aus Kassel?“ – So lautet die Überschrift des Artikels von Jürgen Weber in Tendenzen 114 aus dem Jahre 1977. Kritisch setzt er sich in dieser Betrachtung mit dem Namen documenta auseinander und beleuchtet die Wandlung der Qualität bzw. des Anspruchs dieser anfangs vierjährig, mittlerweile fünfjährig stattfindenden Ausstellung. Seiner Meinung nach wurde sie dem Titelbezug, der „sachlichen und untendenziösen Repräsentation gegenwärtiger Kunst“[1] nur bei der d1 gerecht und stellte sich von da in den Dienst der Konzepte der jeweiligen Ausstellungsorganisatoren. Ob die Galeristen wirklich „suchten, die ihnen nicht Genehmen auszuschalten und versuchten, der Welt eine sogenannte ‚Weltkunst’ oder sonstige Zeitstile einzureden“[2], wird hier nicht gelingen, nachzuprüfen, da uns natürlich aus heutiger Sicht die nötigen Einblicke fehlen, was außerhalb dieser Exposition auf dem Kunstmarkt produziert aber nicht ausgestellt wurde[3].
Ziel dieser Ausführung hier soll sein, eine Stimmung der documenta 6 zu vermitteln. So soll eingangs das Konzept in seiner Abstraktion erläutert und danach der Versuch unternommen werden, es anhand einiger weniger Beispiele zu konkretisieren. Dabei wird kurz auf Georg Trakas und Hans Peter Reuter, intensiver auf Jochen Gerz eingegangen werden.
Weiterhin soll die d6 vor den Hintergrund der Geschichte der documenta gestellt werden, da es sich bei ihrer Entfaltung um einen Entwicklungsprozess handelt und z.B. die d6 nicht ohne die d5 denkbar gewesen wäre: „(...) Die Fragestellung der d6 ist erst durch die thematische Anlage ihrer Vorgängerin möglich geworden (...) In solcher Weise sind d5 und d6 als eine Einheit zu begreifen, auch wenn sich die Erscheinungsbilder kaum miteinander vergleichen lassen.“[4] Es soll jedoch nicht ein Abriss der Geschichte gegeben, sondern lediglich einige markante Punkte erwähnt werden. Besondere Aspekte sollen auf die Frage der Stellung der documenta als Institution auf dem Kunstmarkt sowie des Rezeptionsverständnisses des Publikums gerichtet werden. Daraus ergibt sich allgemein ein Diskurs der zeitgenössischen Kunst versus traditioneller, der hier jedoch lediglich angedeutet werden kann.
2. Zum Medienkonzept der documenta 6
Dem Documenta - Komitee um Manfred Scheckenburger ging es bei der 1977 stattfindenden d6 um den „Stellenwert und Standort der Kunst in einer Mediengesellschaft“. Der Titel wirft zunächst die Frage nach dem Begriff Medium auf. So hatte z.B. Joseph Beuys’ die Ansicht, Medien habe es schon immer gegeben, seit es Menschen gibt und diese mittels der Sprache als Kommunikationsmedium miteinander agieren. An diese Einstellung schließt sich in gewisser Weise auch Jochen Gerz an, der nur an den Menschen als Medium glaubt.[5]
Zur Definition des Medienbegriffes muss an dieser Stelle etwas weiter ausgeholt werden und zunächst die etymologische Bedeutung geklärt werden. Hinter dem Terminus Medium verbirgt sich das lateinische Wort „medius“, was soviel wie Mitte oder Mittelpunkt bedeutet. Hierbei ist die Mitte beziehungsweise der Vermittler zwischen Sender und Empfänger gemeint, das heißt also zwischen dem Künstler und dem Rezipienten. Vermittler ist hier das Kunstwerk. Die d6 schafft eine Verbindung zur d5, bei der man sich auch schon die Frage der medialen Vermittlung bezüglich des Zusammenhangs zwischen Realität und Abbildung stellte, sich schwerpunktmäßig allerdings noch inhaltlich mit Kunst beschäftigte, d. h. mit dem Zusammenhang zwischen Kunstwerk und Rezipient. Bei der d6 trat die Frage nach der Primärerfahrung[6] der Wirklichkeit in den Vordergrund. Untersucht wurde die Wirkungsweise, also die sogenannte Mediengrammatik[7]; das heißt das Medium an sich. Ziel war dabei, die Struktur der Medien zu erforschen, um den Mechanismus der einzelnen Vermittlungs -u. Kommunikationsformen zu erkennen. Somit stand der Satz von Mc Luhan wie ein Dach über dem Gerüst der documenta 6: „Das Medium ist die Botschaft.“ Die Veranstalter reagierten mit dieser Konzeptidee auf den Zeitgeist der 70er Jahre; die Entdeckung der Mediengrammatik richtete den Focus auf die Medienvermittlung: „Das Medienkonzept betont den Stellenwert einer Mediengrammatik.“[8]
Die Künstler setzten sich vermehrt mit ihrer von Medien beherrschten Umwelt auseinander und begannen, sich im Medium über das Medium auszudrücken (z. B. Bilder über Bilder zu malen), also das Medium an sich zum Thema der Kunst zu machen. An die Stelle der sekundär durch Medien vermittelten Wirklichkeit, die als reale vorgetäuscht wurde, sollte die körperliche Primärerfahrung z.B. in der Plastik gesetzt werden, in der der Betrachter die Erfahrung oder die Wirkung erst dadurch gewinnt, dass er das Exponat z.B. durchschreitet oder räumlich erfasst.
3. Übereinkommen von Konzept und Exponaten
Bei der Fülle der ausgestellten Exponate gestaltet es sich schwierig, in allen das Konzept der Medienkunst wiederzuerkennen. Auch beim Lesen zahlreicher Interviews bzw. in der Presse weisen viele Statements auf die Nicht-Identifikation beziehungsweise Unkenntnis oder auf das Unverständnis der Künstler in bezug auf das Medienkonzept hin. Vor allem stieß man sich an der vermeintlich induktiven[9] Vorgehensweise bei der Themenfindung.
Eine Ausstellung in diesem Umfang rein induktiv zu Wege zu bringen, ist allerdings nicht möglich. Bei ihrem ursprünglichen Anspruch auf wertungs-neutrale Dokumentation des Kunstschaffens kann man nicht behaupten, dass alle an einem Strang zögen und derselben Tendenz folgten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass viele Künstler, die mit dem erarbeiteten Konzept nicht konform gingen, ausgespart wurden (Shigeko Kubota) und uns heute deshalb unbekannt bleiben. Andere wurden unter diesem Motto präsentiert, waren sich zum Teil dessen aber nicht bewusst beziehungsweise einverstanden.
Trotz der eben erwähnten Kritikpunkte gab es natürlich Schöpfer, die sich mit ihren Exponaten wunderbar einfügten. In diesem Abschnitt sollen stellvertretend ganz kurz die Installationen von zwei Künstlern umrissen werden, bevor dann etwas intensiver auf Jochen Gerz eingegangen werden wird. Dass Gerz hier den Hauptteil der Arbeit bilden wird, ist mit der eigenartigen Faszination zu begründen, die sein Werk auslöst. Bei erster oberflächlicher Beschäftigung mit seiner Arbeit stößt sein Anliegen doch eher auf Unmut. Lässt man sich jedoch auf ihn ein, erweist sich seine Idee als ungemein interessant und vielschichtig.
3. 1. George Trakas: Union Pass
George Trakas versetzte den Besucher mit seiner Installation „Union Pass“ in eine primäre Raumerfahrung. Sein Environment besteht aus zwei voneinander unabhängigen Brücken: Eine Stahlbrücke (unorganisch), die sich auf die alte Barockachse der Karlsaue bezieht und eine ihr entgegengesetzte moderne Holzbrücke (organisch), die in ihrer starren Konstruktion ohne Flexibilität diese Achse sprengt. Über die Stahlbrücke wird der Betrachter in den Wald geleitet und erlebt durch das Laufen auf dem Steg ganz bewusst sein horizontales Voranschreiten. Im Wald wird die Brücke von einem festen Weg gekreuzt. Der Besucher muss von der Brücke absteigen und negiert somit die Barockachse. „In gewisser Weise richtet sich mein Werk nach der barocken Ordnung, ist jedoch sehr im Konflikt mit der ideologischen Funktion dieser barocken Achse, nämlich dadurch, dass meine Achsen direkt in den Wald führen, während die anderen Achsen dies nicht tun.“[10] Für Trakas bildet die Wiese, auf der sich die Brücken befinden, „eine Art Zwischenraum, der den Menschen, bzw. das Symbol der menschlichen Macht im Schloß vom Wald trennt, der Natur ist“[11]. Der Mensch macht sich die Natur zu Eigen und passt sie seinem Verständnis von Ordnung und Ästhetik an.
Es ist wirklich erstaunlich, dass Trakas das Konzept der Ausstellungs-macher nicht kannte[12], sich aber doch so passend einfügte. Denn mit seinem Environment setzte er genau auf die Primärerfahrung als direktes Erleben von Kunst, welche wie schon erwähnt ein wichtiger Punkt im Programm war. „Der Vorteil dieses Werkes ist, dass man sich wirklich darauf bewegen kann. Alle Sinne beginnen zu funktionieren und beziehen das Sehen, die Fuß-bewegungen, Geräusche, Zeit und Raum aufeinander. Alles fängt an, ineinanderzugreifen. Das verhilft dazu, auf eine metaphorische Weise zu verstehen.“[13]
Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Programmatik war die Ausweitung der Ausstellung in den städtischen Außenraum – auch ohne Eintritt zu bezahlen – von allen begehbar. Manfred Schneckenburger bemerkte, dass bei der d6 „die Kunst, ohne auf das Museum zu verzichten, dennoch auch das Museum verlässt.“[14] Trakas fügte sich mit seinem Werk in diesen neuen Modus wunderbar ein.
[...]
[1] Jürgen Weber in: Tendenzen Nr. 114, Juli / August 1977, S. 32
[2] Ebd.
[3] Als ein Beispiel für nicht ausgestellte Künstler lässt sich die Japanerin Shigeko Kubota erwähnen, die in einem Interview anmerkt: „Man hat mich ausgewählt, meine Freunde wurden nicht eingeladen – das ganze ist eine zufällige Sache.“ (Wackerbarth, S. 86)
[4] Lothar Romain, In: Schneckenburger, S. 146
[5] Zur näheren Erläuterung seiner Kunst und Medienidee wird später noch eingegangen werden.
[6] Bei der d5 beschränkte sich die Vermittlungsfrage weitgehend auf verbale Erörterung und nicht wie bei der d6 auf selbst erlebte Räumlichkeit wie bei z.B. der Plastik.
[7] Mediengrammatik bezeichnet „die Gesetzmäßigkeit, nach der mit dem jeweiligen Instrument künstlerische Inhalte vermittelt werden können...“ Sonderheft der Informationen, S. 2
[8] Wackerbarth, S. 134
[9] Induktion ist die Ableitung des Allgemeinen aus dem Besonderen, dem Einzelfall. Das heißt in diesem Kontext also das Sichten der Kunstwerke auf dem Markt und einer sich daraus ergebenden allgemeinen Tendenz.
[10] Interview mit George Trakas, In: Wackerbarth, S. 66 f.
[11] Ebd.
[12] Trakas im Interview: „Was ist eigentlich das Thema der documenta? Ich weiß es nicht ganz genau. Ich betrachte die documenta eigentlich nur als eine große, internationale Kunstausstellung.“ Ebd., S. 66
[13] Ebd.
[14] Schneckenburger: Schwerpunkt der Ausstellung und Unterschiede zur d5. In: Kunstforum international. Bd. 21. 3 / 1977. S. 37-49
- Citation du texte
- Britta Sommermeyer (Auteur), 2002, Anmerkungen zur documenta 6, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81249
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