Gab es schon über 100 Jahre vor Christi Geburt führende Mitglieder der Nobilität, deren edle Gesinnung so weit reichte, um das eigene Leben für das Wohl einer Stadt aufzuopfern? Tiberius Gracchus stammte aus einem hoch angesehenen Geschlecht und hatte beste Voraussetzungen, politisch aktiv und erfolgreich zu werden. Doch war er schlussendlich eines der ersten Opfer, dessen Opposition nicht davor scheute, gewaltvoll gegen den Feind vorzugehen. Nach seinem Tod wurde der Gracche zur Legende und eine Symbolfigur für den Kampf gegen die Willkür der Oberschicht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Tiberius’ Leben bis zur Wahl zum Volkstribun
3. Motivation und Ziele der Ackergesetze
4. Entstehung der Ackergesetze
4.1 Problematik der praktischen Durchsetzung
4.2 Ausmaße des Konflikts
5. Fazit
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen:
Sekundärliteratur:
1. Einleitung
Gab es schon über 100 Jahre vor Christi Geburt führende Mitglieder der Nobilität, deren edle Gesinnung so weit reichte, um das eigene Leben für das Wohl einer Stadt aufzuopfern? Tiberius Gracchus stammte aus einem hoch angesehenen Geschlecht und hatte beste Voraussetzungen, politisch aktiv und erfolgreich zu werden. Doch war er schlussendlich eines der ersten Opfer, dessen Opposition nicht davor scheute, gewaltvoll gegen den Feind vorzugehen. Nach seinem Tod wurde der Gracche zur Legende und eine Symbolfigur für den Kampf gegen die Willkür der Oberschicht.
Was muss ein Mann tun, um innerhalb weniger Monate entweder das Volk gebannt auf seine Seite zu ziehen, oder derart gegen die Interessen anderer zu agieren, um deren Hass ausgesetzt zu sein? Noch interessanter wird zudem die Frage, wer oder was einen adeligen Mann so stark bewegen und motivieren kann, Gesetzesanträge zu stellen, welche die Gesellschaft einer ganzen Halbinsel spalten werden. „Die wilden Tiere, welche in Italien hausen, haben ihre Höhle, jedes weiß, wo es sich hinlegen, wo es sich verkriechen kann – die Männer aber, die für Italien kämpfen und sterben, sie haben nichts außer Luft und Licht. […] Herren der Welt werden sie genannt und haben nicht eine Scholle Landes zu Eigen.“[1] So begründete Tiberius vor dem Volk seine Agrargesetze, durch welche der ager publicus zu Gunsten der römischen Bauern umverteilt werden sollte.
Nachdem ein Einblick in Tiberius’ Leben bis zum Beginn seiner politischen Karriere gegeben wird, sollen Beweggründe und Motive, die für die Initiative der Ackergesetze ausschlaggebend waren, erörtert werden. Welche Ereignisse und Eindrücke prägten Tiberius, brachten ihn auf die Idee, einfachen Bauern zu helfen? Warum ist es heute so schwer, genaue Aussagen über Tiberius’ Motivation zu treffen? Die Umsetzung seiner Gesetze geschah schließlich fern von römischer Tradition und Tiberius wurde bei der Durchführung seiner Vorschläge so risikobereit, dass er auch vor Verfassungsbruch nicht zurückschrak. An dieser Stelle wird es für uns interessant. Herauszufinden, weshalb ein Politiker so weit geht und nachzuvollziehen, warum er das eigene Leben in Gefahr bringt, ist heute schwer. Die Darstellung dieser Vorgänge soll verbunden werden mit der Problematik bei der praktischen Durchsetzung, die letztendlich zur Eskalation im römischen Staate und zu Tiberius’ Ende führte. Die Hauptquellen, Appian und Plutarch, sind für die heutige Forschung Grundlage und Ausgangspunkt zur Erörterung von Tiberius’ Reformversuchen.
2. Tiberius’ Leben bis zur Wahl zum Volkstribun
Die familiären Beziehungen des Tiberius Gracchus waren hervorragend, als er 162 v. Chr. geboren wurde und boten ihm eine große Chance, in Rom politisch erfolgreich zu werden. Er war der älteste Sohn des Tiberius Sempronius Gracchus und der Cornelia, Tochter von Publius Cornelius Scipio Africanus. Diese Verwandtschaft mütterlicherseits bedeutete, dass Tiberius mit seinem Bruder Gaius und seiner Schwester Sempronia als Enkel des Hannibalbezwingers Scipio zu einem hoch angesehenen Geschlecht gehörten. Die Autorität der Familie wurde auch durch die beispielhafte Karriere des Vaters definiert. Er bekleidete zweimal das Konsulat und amtierte als Zensor. Damit gehörten die Gracchen zweifelsohne zu der einflussreichen Schicht Roms.
Von der Heirat zwischen Sempronia und Scipio Aemilianus, dem Adoptivenkel des Scipio Africanus, profitierte Tiberius, als er im Alter von nur 15 Jahren den Militärdienst antrat. Unter dem Befehl seines Schwagers zog er in den Dritten Punischen Krieg, wo er emporstieg und sich durch eigene Leistungen verdient machte.[2] Als erster stand er beim Sturm auf Karthago auf den Stadtmauern, was von einem selbstbewussten, willensstarken Charakter zeugt. Dieses Verhalten begründet sich nicht zuletzt darin, dass er als nur zwölfjähriges Kind seinen Vater verlor.
Tiberius erhielt einen Platz im Augurenkollegium und heiratete eine Tochter aus patrizischem Adel. 137 v. Chr. erreichte er mit der Wahl zum Quaestor die erste Stufe der Ämterlaufbahn. Da nur das Volk ein Wahlrecht besaß, musste sich Tiberius auch als Gracchensohn der Gesellschaft durch eigene Leistungen als würdig erweisen. Seine Eingliederung in die Oberschicht verlief bis zu diesem Zeitpunkt wunschgemäß, doch das Unverständnis des Volkes schlug ihm entgegen, als er den Manciusvertrag mit seiner Unterschrift für gültig erklärte. Dieser besiegelte die Kapitulation der Römer vor den Keltiberern in Spanien. Da aber nur eine siegreiche Rückkehr für das römische Volk selbstverständlich war, sah Tiberius die eigene Ehre und seinen Ruf gefährdet. Die eingestandene Niederlage stellte folglich eine prekäre Lage für den Neuling in der Öffentlichkeitsarbeit dar. Sein für das Volk unangemessenes Verhalten sollte ein Wendepunkt im politischen Streben von Tiberius werden. Die Zukunft seiner Karriere verdankte er dem Eingreifen seines Schwagers Scipio Aemilianus, der ihn vor den Belangen des Senats schützte. Dadurch konnte sich Tiberius trotz seines Prestigeverlustes um das Volkstribunat für das Jahr 133 v. Chr. bewerben und fand im Volk ausreichend Anhänger,[3] um einen von den zehn Plätzen zu besetzen. Dieses Amt bot ihm die einzige Möglichkeit trotz seines jungen Alters mit dem Volk zu kommunizieren, denn ein Volkstribun hatte das Recht, eine Volksversammlung mit Beschlussrecht einzuberufen. Respektiert wurde das Volkstribunat von allen Schichten Roms mittels der lex sacrata, einem Eid, der die Unverletzlichkeit der Amtsinhaber sicherstellen sollte, um zum Schutz der Volkssinteressen zu fungieren. Weitere Kompetenzen von Tiberius waren fortan die Einberufung des Senats und ein Vetorecht, womit es ihm möglich war, sämtliche Staatshandlungen zu unterbinden. Für dieses Dazwischentreten gab es im römischen Staat keine Gegenmaßnahmen. Wegen diesen einflussreichen Machtkompetenzen versuchten Senatoren oft, mit den Volkstribunen zu kooperieren, um direkt an der Politik beteiligt zu sein. Gleichfalls rentierte sich die Zusammenarbeit für die Tribunen und war dienlich für ihre politische Karriere.
3. Motivation und Ziele der Ackergesetze
Für ein Mitglied der herrschenden Klasse wie Tiberius musste es einen schlagkräftigen Anlass gegeben haben, um sich so folgenschwer wie er für ein Vorhaben einzusetzen. Doch bis heute ist es schwierig seine Motive für die Agrargesetze zu analysieren und endgültig festzulegen. Mit Hilfe der Primärliteratur von Appian und Plutarch lassen sich weder harmonische noch explizite Aussagen treffen, sondern geben stattdessen Spielraum für verschiedene Interpretationsansätze.[4] Einerseits werden die menschlichen Züge von Tiberius aufgezeigt. Bei einer Reise nach Numantia sah er die Notlage der Bauern, denen er daraufhin beschloss zu helfen.[5] Wirtschaftliche Probleme gab es auch in der Stadt und Tiberius erkannte die landwirtschaftliche, ökonomische und schließlich soziale Krise.[6] Die Zahl der Unterprivilegierten wuchs, die Arbeitslosigkeit war groß, und Unruhen breiteten sich durch den wirtschaftlichen Tiefstand. im Land aus.[7] Zu dieser Ausgangssituation kamen hohe Getreide- und Brotpreise hinzu und die Gefahr einer tatsächlichen Hungersnot musste die Massen beunruhigen. Der Kampf um die eigene Existenz weitete sich auf dem Land dahingehend aus, dass es schließlich zur Landflucht kam, getrieben von einer Sehnsucht nach einem abgesicherten Leben.[8] Den einfachen Mann, der indessen auf dem Land zurückblieb, belastete die Krise so stark, dass seine Subsistenzwirtschaft in Gefahr geriet. Gewiss nahm die Zahl der Großgrundbesitzer zu, die ihre Flächen mittels eines wachsenden Sklaventums bewirtschaften ließen, doch geschah dies weniger auf Kosten der freien Bauernschaft, da diese wenig Anteil am Export hatten. Ihre Produktion musste vor allem für den Eigenbedarf ausreichen.[9] Trotz alledem sollte jedem Römer genügend Land zur Verfügung stehen, um die eigene Familie versorgen zu können. Genau das verhinderten aber bis zu Tiberius’ Gesetzesversuchen reiche Römer der Oberschicht, die sich öffentliches Land in die eigenen Hände spielten. Mehr und mehr freie Arbeiter wurden durch billige Sklaven ersetzt, wodurch sich ein Agrarkapitalismus entwickelte.[10] Ebendaher hatte der einfache Bauer weniger nutzbares Land zur Verfügung, wenn er nicht schließlich ganz seine wirtschaftliche Grundlage verlor.
Es wäre darum naiv anzunehmen, Tiberius hätte nur aus Affekt gehandelt, überwältigt von utopischen Träumen.[11] Zum Ziel deklarierte er die Gesundung des Staates durch eine Verbesserung auf dem wirtschaftlichen und sozialen Sektor. Die Volkskraft sollte gestärkt und der Einzelne entlastet werden. Dieses Leid der Bauern stellte Tiberius auch in den Mittelpunkt seines engagierten Einsatzes in der Öffentlichkeit. In einer Rede zeigte er sich betroffen von den Lebensbedingungen der Landbevölkerung: “[...] die Männer aber [...] haben nichts außer Luft und Licht”.[12] Seine rhetorische Begabung überzeugte Plutarch, dass die Betroffenheit, die Tiberius für die Bauern zeigt, Hauptmotiv für sein Handeln gewesen sein muss. Wunsch des Gracchen war folglich die Versorgung der besitzlosen Massen, die Lebensverhältnisse der kleinen Leute auf eine feste Grundlage zu stellen sowie die Republik aus der Krise zu erretten.
Appian hingegen stützt sich nicht auf den Aspekt einer plötzlich eingetretenen Agrarkrise, sondern nimmt Bezug auf den Rekrutierungsmangel. Rom kämpfte an mehreren Kriegsschauplätzen und die Besitztümer der Eingezogenen litten unter der Kriegsdienstlast. Wenn Bauern schließlich ihren Besitz verloren, waren sie nicht mehr rekrutierbar, da eine gewisse Vermögensgrundlage Voraussetzung dafür war. Unter diesem Gesichtspunkt wäre Tiberius hauptsächlich ein konservativer Staatsmann gewesen, der eine solide Rekrutierungsbasis schaffen wollte, um die Wehrkraft zu heben. Zu diesem Zeitpunkt war es undenkbar, dass Rom seine Stellung im Mittelmeerraum aufgibt.[13] Deshalb sollte nicht der Wohlstand des Bauern gehoben werden, sondern das militärische Potenzial. Das hieß, eine wehrkräftige Armee aufzubauen durch ein System der Landverteilung, welches gleichzeitig die wachsende Bedrohung durch die Großgrundbesitzer entschärfte. Im Endeffekt entsprach das vielmehr einer Reform, einer Rückkehr zu den ante-bellum Tagen, als einer Revolution.
[...]
[1] Auszug aus Plutarch: Große Griechen und Römer, eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler, BD. 3, Zürich, München 1955, 9.
[2] David L. Stockton: The Gracchi, Oxford 1979, S. 26.
[3] Klaus Bringmann: Die Agrarreform des Tiberius Gracchus. Legende und Wirklichkeit, Frankfurter Historische Vorträge 10, Stuttgart 1985, S. 21.
[4] Solomon Katz: The Gracchi: An Essay in Interpretation, The Classical Journal 38 (1942), 65-73, hier S. 66f.
[5] E. Badian: Tiberius Gracchus and the Roman Revolution, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt, BD I, Berlin, New York 1972, 668-731, hier S. 674.
[6] Henry C. Boren: Die Rolle der Stadt Rom in der Wirtschaftskrise der Gracchenzeit, Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Späten Römischen Republik, Darmstadt 1976, 80-97, hier S. 80.
[7] Ebd., S. 94.
[8] Ebd., S. 83.
[9] Bringmann: Agrarreform, S. 17.
[10] Katz: Summary, S. 66.
[11] Ebd., S. 67.
[12] Auszug aus Plut. 9.
[13] Donald C. Earl: A Politician and Not a Social Reformer, Tiberius Gracchus: Destroyer or Reformer of the Republic?, Lexington 1970, 60-64, hier S. 61.
- Citation du texte
- Carolin Günther (Auteur), 2006, Tiberius Sempronius Gracchus und die Agrarreformen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81244
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