Die Transformation der Architektur von einem ingenieurswissenschaftlich geprägten Prozessionsraum der trägen Steine zu einem informationstechnologischen CTRL_space der intelligenten Pixel ist einer der vielen folgenschweren Effekte des Computerzeitalters.
Jede neue Stufe der Medienevolution organisiert den Mensch-Maschine-Verbund, den mancher Spätromantiker noch Gesellschaft nennt, mit dem Datum seiner Implementierung grundlegend um. Durch die Computerisierung bzw. die Digitalisierung der Architektur wird der Wechsel der Leitkriterien von Energie zu Information in der Architektur vollzogen, die Ziegelsteine einer streng statischen Hardscience verwandeln sich in informative Bildelemente (Picture Elements oder eben Pixel) einer virtuellen Realität, die noch das große Unbekannte unserer Zeit ist.
Der Ausgang dieser Transformation ist ungewiss und nicht vorhersehbar, die ihr anhaftenden utopischen Hoffnungen sind wie immer groß, die Befürchtungen ebenso. Diese Arbeit wird sich deshalb nur ganz sparsam in architekturtheoretischer Futurologie versuchen und viel mehr den Blick zurück praktizieren, um die Strategien und Funktionsweisen einer computerbasierten Architektur ansatzweise aufzudecken.
Der CTRL_space des CAAD (Computer Aided Architectural Design) ist eine fröhliche Raumkontrollierungsstrategie. Fröhlich, weil er zum Spielen mit und Entwerfen von utopischen ArchiÄsthetiken einlädt, weil er die kalte Maschine und ihre GUIs zum tanzen bringt, weil er Materie verflüssigt und dekonstruiert und letztendlich auch deshalb fröhlich, weil er im Gegensatz zu seinem bekannteren Bruder Public CTRL_space keine orwell’schen Horrorszenarien evoziert.
CAAD CTRL_space ist also eine Kulturtechnik des Tanzens in Fesseln. Das Besondere an dieser Gattung des CTRL_space ist das Paradoxahle, dass sich im Spannungsfeld von „fröhlich“ vs. „-kontrolle“ aufbaut: Die ästhetischen Neuheiten und Freiheiten sind nur möglich durch einen Quantensprung in Sachen Kontrolle. CAAD verdeutlicht eine der spektakulärsten Eigenschaften von Simulation mit dem Computer. Simulation vereint zwei konträre Momente: Die absolute Freiheit bei gleichzeitig perfekter Kontrolle.
Inhaltsverzeichnis
1.0. Einführung: Digitale Architektur / CAAD
1.1. Ereignishorizont des CTRL_space
2.0. Historische Herleitung einiger kulturtechnischer Vorraussetzungen von CAAD-Programmen
2.1. Standards I Normierte Arbeitswelt und die Potenz der Standardisierung von Maschinenmitarbeitern
2.1.1. Taylors Scientific Management
2.1.2. Optimierte Mensch-Maschine-Systeme
2.1.3. Leitbild: Der intelligente Gorilla im Iconwald
2.1.4. Zerstückelung von Arbeitsabläufen, analog/digital
2.1.5. „Achtung! Beobachtet diesen Mann!“
2.1.6. Digitalisierung des Schreibtisches
2.2. Standards II
Normierte Baukultur und die Potenz der Standardisierung
gebauter Materie
2.2.1. Schlaglichter einer Geschichte der Standardisierung im
Bauwesen
2.2.1.1. Vermessung der frühen Standardisierung
2.2.1.2. Pistolen, die die Welt verändern
2.2.1.3. Globaler Siegeszug: Institutionalisierung der Standardisierung
2.2.1.4. Standardisierung in Deutschland: DIN
2.2.2. Ernst Neufert und seine BEL/BOL
2.2.2.1. Differente Standards, formales Chaos
2.2.2.2. Die Luftwaffe solls richten (DIN 4171)
2.2.2.3. „Das Chaos gezwungen, Form zu werden.“
2.2.2.4. Schwingungsordnungen von Leib und Seele
2.2.2.5. BEL > ein kaltes Medium
2.2.2.6. Neuferts Zeichenmaschine
2.2.2.7. Der Mann ohne Eigenschaften
2.2.2.8. Wie viel BEL ist in CAAD?
2.3. Ordnung
Gitternetze: Differenzmaschinen im Raum des
weißen Rauschens
2.3.1. Draw a distinction!
2.3.2. „Stile sind Lüge.“
2.3.3. Gitter, die die Welt bedeuten
2.3.4. Von Charakterköpfen und aufgeblähten Fischen
2.3.5. „Your map is about to go nova.”
2.3.6. Information Architecture
2.3.7. SNAP to grid
2.4. Implementierung: Digital CTRL_space
2.4.1. Sketchpad
2.4.2. Computing power by the acre
3.0. Technischer CTRL_space
Funktionsweisen moderner CAAD-Programme
3.1. NURBS: Von der mathematischen Eleganz der Kurven
3.1.1. Von ost-englischen Dialekten, eingespannten Enten
und feuchtem Papier
3.1.2. Hochkomplexe Oberflächen, wie von Geisterhand erschaffen
3.2. Smart Objects: Virtuelle Materie als Agent des Architekten
3.3. Autogenerative Systeme
3.4. Keyframing: Dynamisierte Materie
3.5. Materialisierte Träume: CAM
3.6 Infinitesimaler CTRL_space: MEMS
4.0. Poetischer CTRL_space
CAAD-Ästhetik
4.1. Blobmeister Zauberei
4.2. Topologische Deformationen
5.0. Beenden... Alt + F4
Literatur (analog)
Literatur (digital)
Abbildungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
„What is it?“
“This thing,” she gestured around the fireplace, the dark walls, the dawn outlining the doorway, “where we live. It gets smaller, Case, smaller, closer you get to it.”
Pausing one last time, by the doorway. “You ask your boy about that?”
“Yeah. He said I wouldn’t understand, an’ I was wastin’ my time. Said it was, was like … an event. An’ it was our horizon. Event horizon, he called it.”
The words meant nothing to him. He left the bunker and struck out blindly, heading – he knew, somehow – away from the sea. Now the hieroglyphics sped across the sand, fled from his feet, drew back from him as he walked. “Hey,” he said, “it’s breaking down. Bet you know too. What is it?”
William Gibson, Neuromancer[1]
Die Transformation der Architektur von einem ingenieurswissenschaftlich geprägten Prozessionsraum der trägen Steine zu einem informationstechnologischen CTRL_space der intelligenten Pixel ist einer der vielen folgenschweren Effekte des Computerzeitalters. Die Organisationsstrukturen und Funktionsmodi einer der elementarsten Kulturoptionen des Menschen, die Erbauung von Lebensraum, dürfte sich als Folge dieser Transformation fundamental ändern. Historisch gesehen ist „ein Dach über dem Kopf“ wohl eine der basalsten Grundvoraussetzung für die Kulturwerdung des Menschen. Der Mensch kann beispielsweise überhaupt erst massenhaft sesshaft werden, seitdem er die Fähigkeit hat, eine wetterresistente Ummantelung seines gebrechlichen Körpers künstlich zu erschaffen. Seit diesem ersten Schritt wirkt die Architektur in ihrer Funktion einer zweiten, künstlichen und hochflexiblen menschlichen Haut als ein Grundmedium des Menschen. Jede neue Evolutionsstufe organisiert dann automatisch den Mensch-Maschine-Verbund, den mancher Spätromantiker noch Gesellschaft nennt, mit dem Datum seiner Implementierung grundlegend um. Der aktuell letzte Schritt ist die Computerisierung bzw. die Digitalisierung der Architektur. Dadurch wird der Wechsel der Leitkriterien von Energie zu Information in der Architektur vollzogen, die Ziegelsteine einer streng statischen Hardscience verwandeln sich in informative Bildelemente (Picture Elements oder eben Pixel) einer virtuellen Realität, die noch das große Unbekannte unserer Zeit ist. Der Ausgang dieser Transformation ist sehr ungewiss und nicht vorhersehbar, die ihr anhaftenden utopischen Hoffnungen sind wie immer groß, die Befürchtungen ebenso. Diese Arbeit wird sich deshalb nur ganz sparsam in architekturtheoretischer Futurologie versuchen und viel mehr den Blick zurück praktizieren, um die Strategien und Funktionsweisen einer computerbasierten Architektur ansatzweise aufzudecken. John von Neumann, einer der wichtigsten Entwickler der Computergeschichte, erfand das Grundprinzip der heute noch gültigen Rechnerarchitektur. Der Aufbau der Neumann’schen Rechnerarchitektonik gießt die theoretische Vorleistung von Alan Turing, die Theorie einer universal diskreten Rechenmaschine, in eine funktionstüchtige und extrem potenzierbare Form. Circa ein halbes Jahrhundert später kassiert diese Maschine namens Computer die Architektur und verwandelt sie nun endgültig in eine medientechnologische Disziplin immaterieller Informationsvollzüge. Von Beginn an war die Architektur eine geniale Kombination aus roher Energie und geistiger Intelligenz. Zu der offensichtlichen Notwendigkeit, der Materie mit Hilfe von Energie eine neue Form abtrotzen zu müssen, gehörte schon immer auch die theoretische Vorüberlegung und die Planung. Ohne den Entwurf gibt es keine Architektur. Entwerfen aber ist immer das, was die Medientechnologien der jeweiligen Zeit möglich machen. Ohne das Aufzeichnen einer Form auf einem Blatt Papier oder (auf einem anderen Trägermedium) wäre die Architektur nie zu dem geworden, was sie heute ist.
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Die Architektur verfügt über ein ganzes Arsenal solcher Medientechnologien, die Wissen speicherbar, übertragbar und vor allem berechenbar machen. Wissen existiert überhaupt nur dank Träger- und Produktionsmedien. Es formiert sich in einem Möglichkeitsraum, der auch Raum des Wissens genannt werden könnte. Dieser wiederum ist auf die Materialitäten der Kommunikationsmedien angewiesen. Der Wissensraum der Architektur wird seit dem Aufkommen der ersten Computer-programme in den 60er Jahren komplett in den binär operierenden, streng mathematischen Befehlsstrukturen gehorchenden Raum der universal diskreten Maschine verlegt.
Die Zeichnung auf Seite 6 stammt von Nikolaus von Kues aus dem 15. Jahrhundert und trägt den Namen Himmelsmaschinerie. Man sieht einen Gelehrten (erkennbar an Gewand und Kappe), der sich durch den Horizont hindurchreckt und eine mechanische Himmelsmaschinerie erblickt. Er kniet zwar noch in einer Landschaft, die erfüllt ist mit den Wohltaten der Natur und des Menschen[2], sein Blick gilt aber den Funktionsweisen des Ganzen, die sich erst durch den Blick hinter den zunächst plausiblen Horizont erschließen. Hinter dem sichtbaren Raum steht bei von Kues also die Mechanik. Diese Arbeit hat einen ähnlichen Blick hinter den uns unmittelbar offensichtlichen Erfahrungshorizont zum Ziel. Allerdings steht heute hinter dem sichtbaren Raum der Code. Das dominierende Medium und zugleich die dominierende Technologie der Jetztzeit, der Computer, hat dafür gesorgt, dass die neuesten (Medien-)Technologien grundsätzlich einer streng mathematischen Codierung unterliegen, die das Speichern, Übertragen und Berechnen jeglicher Information erlauben. Eine dieser neuen Technologien ist das Computer Aided Architectural Design, kurz CAAD, was schlichtweg bedeutet, dass bis auf den konkreten Erbauungsprozess praktisch alle Phasen eines architektonischen Entstehungsprozesses im virtuellen und digitalen Raum des Computers stattfinden können. Bereits Vitruv merkte in seiner Abhandlung Über das Wesen der Architektur an, dass „die Baukunde selbst [...] aber begründet [ist] auf der technisch-gewerblichen Fachkenntnis ‚Fabrica’ und der ästhetisch-theoretischen Befähigung der ‚Rationcinatio’“.[3] Diese Ratiocinatio bedeutet wortwörtlich übersetzt nichts anderes als eben Berechnung. Und wo es etwas zu rechnen gibt, ist der Siegeszug des Computers in der Regel nicht aufzuhalten. Durch CAAD wird die Architektur zu einer der Digitalität ausgelieferten Disziplin. Der Ereignishorizont der Architektur wird zu einem computerdeterminierten CTRL_space.
Die Helden aus William Gibsons Sci-Fi-Klassiker Neuromancer im Eingangszitat sind genau dort gefangen: Im Event Horizon (Ereignishorizont) des Computers[4]. Und auch sie müssen den Regeln der Computer ihren Tribut zollen. Wer in einer codierten Welt lebt, kann nur noch durch decodieren verstehen. Die Blaupausen zu lesen[5] bedeutet heute, die Programmzeilen der Software zu decodieren.
„Because [...] media is created on computers, distributed via computers, and stored and archived on computers, the logic of a computer can be expected to significantly influence the traditional cultural logic of media; […] the ways in which the computer models the world, represents data, and allows us to operate on it; the key operations behind all computer programs […], the conventions of HCI [Human-Computer-Interface] – in short, what can be called the computer’s ontology, epistemology, and pragmatics – influence the cultural layer of […] media, its organization, its emerging genres, its contents.”[6]
Dabei verschwindet die „Welt“ zunächst einmal in den mikroskopisch kleinen Schaltkreisen der neuesten Chipgeneration, um in Form der Virtualität (also als eine wortwörtlich unendliche Möglichkeit) und als ein CTRL_space auf dem Computerbildschirm wieder aufzutauchen.
1.1. Ereignishorizont des CTRL_space
„In Fesseln tanzen, hätte Nietzsche gesagt.“ Friedrich Kittler[7]
Die Doppelstruktur dieses Zitats ist bewusst gewählt, denn Friedrich Kittler bildet die theoretische Brücke zwischen dem Philosophen der fröhlichen Wissenschaft, Friedrich Nietzsche, und einer fröhlichen Raumkontrollierungsstrategie der Jetztzeit, eben eingeführtem CAAD. Ausgangspunkt des Brückenschlag über die Jahrhunderte hinweg ist Nietzsches Beobachtung, dass das Schreibzeug mit an den Gedanken arbeitet, eine Einsicht, die wohl vor allem seiner Schreibkugel zu verdanken ist. Der Scheitelpunkt der Jahrhundertbrücke ist sein Namensvetter Kittler, der diesen Gedankenblitz bereitwillig eingefangen und mittels seiner medientheoretischen Schaltkreise in Textform in das Computerzeitalter implementiert hat. Nicht Subjekte, sondern Schaltungen bestimmen heute, was wirklich ist, so der radikale Abgesang Kittlers auf die Kategorie des souveränen Schöpfersubjekts. Endpunkt dieser den Menschen schrittweise abschaffenden Ideenbrücke sollen die CAAD-Tools des 21. Jahrhunderts sein, die in offensichtlicher Freundschaft mit McLuhan ihre Botschaft im Medium selbst tragen. CAAD radikalisiert die Idee des gedankeninfiltrierenden Schreibzeugs, denn der Möglichkeitsspielraum eines CAAD-Benutzers ist vollständig determiniert durch die programminternen Codes der jeweiligen Software und die Leistungsgrenzen und Prozessionsregeln der jeweiligen Hardware („in Fesseln“). Als Belohnung für diese Unterwerfung ist eine zuvor gar nicht denkbare, grenzver-schiebende Formensprache und ArchiÄsthetik im Entstehen („tanzen“).
Allerdings ist diese Entwicklung nicht so linear und stringent zu denken, wie es die Brückenmetapher fälschlicherweise signalisiert. Denn der Evolutionsschritt von Nietzsche zu CAAD ist ein großer und hat seinen Ursprung in den entscheidenden Leistungen des Computers: Der Computer hat es geschafft, die Sprache nicht nur einzukassieren und operationabel zu machen, er hat sie zugleich auch unsichtbar gemacht. Denn Programmcode, was ja nichts anderes als eben operationalisierte Sprache ist, läuft bei den mit graphischen Oberflächen und im WYSIWYG-Modus[8] operierenden modernen Rechnern zumeist für den Benutzer unsichtbar irgendwo in
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[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] den binären Tiefen des Rechners vor sich hin. Während zur Zeit Nietzsches also noch ein Mensch (wenn auch unter Einfluss) die Sprache niederschreibt, ist bei CAAD das Schreiben automatisiert und in der Maschine verschwunden. Der Mensch dirigiert nur noch mit kaltem Blick seine Maus über Vektorenfelder, Kontrollleisten und Menüstrukturen, im Hintergrund aber generiert das Programm automatisch, brav und machtvoll den Code. Es offenbart sich der doppelte Skandal dieser Arbeitsteilung, der zugleich seine größte Verheißung ist. Zum einen wird deutlich: Ingenieurswissenschaften (wie z. B. die Architektur) sind wohl auch nur eine konkrete Form von Poesie. Denn genau das ist Programmieren, wirklich funktionierende Poesie: Zeile für Zeile erzeugt die codierte Sprache genau das, was ihr Coder beabsichtigt hat.[9] Der vielleicht noch gravierendere Skandal ist ein allgemeiner des Computerzeitalters: Die Universalität von 0 und 1, Ein und Aus. Eine Universalität, die nicht nur alle möglichen Welten simulierbar macht, sondern sich nun daran macht, dank der Kopplung von CAD (Computer Aided Design) und CAM (Computer Aided Manufacturing) auch alle möglichen Welten zu erbauen.
Die Theorie des Computers als Medium und die damit verbundenen medientheo-retischen Implikationen[10] sollen als der nun hochgebootete RAM dieser Arbeit verstanden werden. Das erklärte Ziel (die noch zu schreibenden Codezeilen) dieser Arbeit ist die Beschreibung von CAAD als eine genuine Strategie der totalen Raumkontrolle. Die dafür gewählte Bezeichnung CTRL_space ist der Keybord-terminologie entlehnt, ist aber mehr als nur eine modische Wortspielerei. Die vokaleleminierte (plus ein n) Computerschreibweise zeigt exakt das entscheidende Charakteristikum moderner Raumkontrolle an: Die Tatsache, dass sie ausschließlich auf der Verwendung von Computern basiert und dem Computer immanente Strategien verwendet, folglich also ohne Computer überhaupt nicht existent wäre. CTRL_space soll als eine computerbasierte Mikrophysik der Kontrolle verstanden werden. Was aber genau ist CAAD-basierter CTRL_space? Mit welchen Strategien prozessiert er? In welchen Funktionsmodi operiert er? Was ermöglicht ihn, und welche Möglichkeitsräume eröffnet er? Diese Fragen sollen im Laufe der folgenden Kapital einige Antworten erhalten. Die Grundthese dieser Arbeitet ist, dass durch die Implementierung mathematischer Konstruktionsverfahren in das GUI (Graphical User Interface) des Computers ein visuell basierter Möglichkeitsraum eröffnet wurde, der praktisch unbegrenzte Raumkonstruktion, Raumtransformation und Raumsimulation ermöglicht. Die dahinterliegende Strategie beruht auf dem Willen, jedes einzelne Element der Materie bzw. des Raumes (egal ob ein einzelner Pixel des GUIs oder aber die Gesamtheit der im Endeffekt erbauten Materie) auf manipulatorische und effiziente Weise (die sich in der Rechenpower der Maschinen und den allgemeinen Vorteilen eines Computers in Sachen Speichern, Übertragen und Berechnen zeigt) zu kontrollieren.
Im Gegensatz zu dem durch Überwachungstechniken etablierten CTRL_space im öffentlichen Raum, der häufig als bedrohlich empfunden wird, ist der durch CAAD entstandene CTRL_space eine fröhliche Raumkontrollierungsstrategie. Fröhlich, weil er zum Spielen mit und Entwerfen von utopischen ArchiÄsthetiken einlädt, weil er die kalte Maschine und ihre GUIs zum tanzen bringt, weil er Materie verflüssigt und dekonstruiert und letztendlich auch deshalb fröhlich, weil er im Gegensatz zu seinem bekannteren Bruder Public CTRL_space keine orwell’schen Horrorszenarien evoziert. CAAD CTRL_space ist also eine Kulturtechnik des Tanzens in Fesseln. Das Besondere an dieser Gattung des CTRL_space ist das Paradoxahle, dass sich im Spannungsfeld von „fröhlich“ vs. „-kontrolle“ aufbaut: Die ästhetischen Neuheiten und Freiheiten sind nur möglich durch einen Quantensprung in Sachen Kontrolle. CAAD verdeutlicht eine der spektakulärsten Eigenschaften von Simulation mit dem Computer. Simulation vereint zwei konträre Momente: Die absolute Freiheit bei gleichzeitig perfekter Kontrolle.
Wenn in dieser Arbeit das Wort Kontrolle geschrieben steht, meine ich damit in der Regel 1. die technische Bedeutung des Wortes und 2. die facettenreichere Bedeutung des englischen Control (bzw. CTRL), und nicht die recht enge Definition, die dieses Wort im Deutschen trägt. So kann das englische Control im technischen Sinne ja nicht umsonst mit Steuerung, Regelung, Regulierung, Betätigung, Bedienung oder eben Kontrolle übersetzt werden. Begründen möchte ich diese Transferierung von Bedeutungsinhalten damit, dass gerade in sämtlichen Bereichen, die mit Computern zu tun haben, das englische Wort Control immer häufiger 1:1 ins Deutsche übersetzt wird. Ob dies nun eine tadelnswerte Unschärfe oder schlichtweg eine Bedeutungserweiterung der deutschen Sprache durch Impulsaufnahme aus anderen Sprachkreisen ist, sei dahingestellt. Allerdings möchte ich auch anregen, das englische Control, was ja schließlich der Ursprung von CTRL ist, einmal in seiner ganzen, geradezu epischen Bedeutungsbreite wirken zu lassen, auch abseits seines rein technischen Inhaltes. Denn auch das soll im Laufe der Arbeit deutlich werden: Selbst wenn die meisten der folgenden Begebenheiten ihren engeren Geburtsort in der (kultur-)technologischen Sphäre haben, ihre Ursprünge, Verflechtungen und Auswirkungen kommen aus, verknüpfen sich mit und wirken auf sämtliche(n) Bereiche(n) des menschlichen Lebensvollzugs.
control (1) ~ (of/over sb/sth) power of authority to direct, order or limit (2) management; guidance; restriction (3) ~ (on sth) means of limiting or regulating (4) standard of comparison for checking the result of an experiment (5) switches, levers, etc. by which a machine is operated or regulated (6) place from which orders are issued or at which checks are made[11]
Zwei letzte Fragen möchte ich zwar stellen, aber unbeantwortet lassen: 1. Wer kontrolliert hier eigentlich wen ? Und zweitens (und damit kommt auch noch der komplementäre Wortteil des CTRL_space in den Genuss einer reflektorischen Erwähnung): Was ist Raum? Die erste Frage zielt auf das Verhältnis des Menschen zur Technik (und vice versa), die Zweite ist eine der wohl meistdiskutierten Grundsatzfragestellung der abendländischen Geistesgeschichte. Beide stehen als großes Fragezeichnung und als eine Art kritische Differenzfolie dieser Arbeit zur Verfügung, sollen aber (in Verweisung auf die Philosophiegeschichte) unbeantwortet bleiben.
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2.0. Historische Herleitung einiger kulturtechnischer
Vorraussetzungen von CAAD-Programmen
Am Beginn des ersten Kapitels steht eine Hypothese: Die Potenz von CAAD speist sich aus der Implementierung diverser Soft-Strategies in den architektonischen Entwurfsprozess. Der Begriff Soft-Strategies soll die Fähigkeit von Software bezeichnen, diverse und zum Teil jahrtausend alte Kulturtechniken zu bündeln, zu implementieren oder zu potenzieren. So ließen sich in CAAD unter anderem Momente der Operationalisierung von Sprache, der Visualisierungsstrategien von Wissen, diverser Kontroll- und Steuervorgänge und der Implementierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in Raummodelle aufzeigen. Durch die Implementierung der Soft-Strategies in das GUI des Computers wird ein visuell basierter Möglichkeitsraum geschaffen, der praktisch unbegrenzte Raumkonstruktion, Raumtransformation und Raumsimulation ermöglicht. Die dahinterliegende Strategie beruht auf dem Willen, jedes einzelne Element der Materie bzw. des Raumes (egal ob das ein einzelner Pixel des GUIs oder aber die Gesamtheit der im Endeffekt erbauten Materie ist) auf effiziente und manipulatorische Weise durch die Vorgänge Speichern, Übertragen und Berechnen zu kontrollieren.
Die folgenden drei Unterkapitel, Standards I + II und Ordnung, greifen sich drei Teilbereiche aus dem rhizomatischen Bundle der SoftStrategies heraus und legen sie dezidiert dar. Der Untertitel dieser Arbeit lautet Der CTRL_space des CAAD. Die drei gewählten Bereiche haben deshalb zum Ziel, diesen CTRL_space in seiner vorläufigen Form aufzuzeigen. Welche Vorformen von digitalem CTRL_space werden wo eingeführt? Welche Operationsmodi und Funktionsweisen werden hier avant la lettre erdacht und getestet?
Wie wird Raum kontrolliert? Die einfachste Antwort lautet zunächst: Er wird vermessen. Das verbindende und hinter den Programmen laufende Plug-In der drei Teilbereiche trägt demnach auch den Namen Kulturtechniken des Messens. Doch die Vermessung des Raumes allein genügt noch nicht, um den CTRL_space des CAAD vorgreifend aufzudecken. Dafür bedarf es der Kreuzung mit ideologischen wie pragmatischen, soziologischen wie technologischen und psychologischen wie mathematischen (etc...) Momenten einer Geschichte, die so eigentlich nicht geschrieben werden dürfte. Geschichte kann immer nur das sein, was Medien von ihr aufgezeichnet haben. Insofern steckt insbesondere Mediengeschichte fast schon unausweichlich in einer tautologischen Argumentationsstruktur fest, die wohl niemals durchbrochen werden wird. In Gedenken an dieses Dilemma beginne ich nun einen Parforceritt durch den CTRL_space avant la lettre einiger der Maschinen, die der Universalmaschine und ihrem „Plätter“, dem Computer, vorläufig sind: Menschen, Architektoniken, Gitternetze.[12]
2.1. Standards I
Normierte Arbeitswelt und die Potenz der Standardisierung von Maschinenmitarbeitern
Als James Watt 1761 mit der Erfindung eines Fliehkraftreglers für Dampfmaschinen das thermodynamische Maschinenzeitalter einläutete, konnte er nicht ahnen, dass eines Tages die dadurch von nun an effizient steuer- und kontrollierbaren energetischen Maschinen nicht mehr Taktempfänger sondern Taktgeber werden sollten. Am Beginn der Industrialisierung steht die Idealvorstellung von einer dem Menschen dienenden Maschine. Der fauchende Donnerhall des Epochenschritts, der durch die erlangte Möglichkeit der Steuerung und Kontrollierung der Energie dank der Dampfmaschine erklang, ist bis heute zu hören. Doch die Befürchtungen der fast zeitgleich mit dem Siegeszug der thermodynamischen Dampfmaschinen auf den Plan tretenden Maschinenstürmer sollten sich bewahrheiten, wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen. Eine der Grundideen dieser Arbeit ist, dass längst die Maschinen den Takt vorgeben, denn der Mensch ist schon lange nicht mehr das Maß aller Dinge. Jedoch, und darin verbirgt sich das umgekehrte Vorzeichen, ist diese Vertauschung des Taktgebers nicht der befürchtete Untergang des Menschen, sondern ganz im Gegenteil Garant seines fortschreitenden Erfolges in der technologischen Sphäre.
Auch die Ingenieursdisziplin Architektur ist an der Umkehrung der Machtverhältnisse nicht vorbeigekommen. Im Jahre 1928 formuliert das Architekten-Kollektiv ABC in seiner Schrift ABC fordert die Diktatur der Maschinen folgende Technikphilosophie:
„Die Maschine ist weder das kommende Paradies der technischen Erfüllung aller unserer Wünsche, noch die nahende Hölle der Vernichtung aller menschlichen Entwicklung. Die Maschine ist nichts weiter als der unerbittliche Diktator unserer gemeinsamen Lebensmöglichkeiten und Lebensaufgaben.“[13]
Diesem Diktum schließen sich die folgenden beiden Abschnitte über Standardisierungstendenzen in den Bereichen Arbeitswelt und Baukultur an. Normative Fragestellungen im Sinne einer ethischen Morallehre wird der Leser vergeblich suchen. Vielmehr soll aufgezeigt werden, inwiefern und mit welchen Kulturtechniken das Konzept der Standardisierung inzwischen unsere Lebensmöglichkeiten und –aufgaben formt.
2.1.1. Taylors Scientific Management
Eine wichtige Evolutionsstufe dieser „Industrialisierung des Menschen“, die auch bereits den Keim der nächsten Revolution in sich trägt, markiert der Moment, an dem das Verhältnis des Menschen zur Maschine umgekehrt wird. Mit der zunehmenden Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche wird der Mensch immer mehr zu einer Funktionseinheit unter vielen, die möglichst effizient dem Takt der Maschine gehorchen soll und inzwischen muss. Will man heutige Softwareprogramme in ihren Fähigkeiten aber auch Grenzen verstehen, lohnt sich ein Blick zurück, der einiges über die direkten Geburtsstunden der ersten Softwareprogramme hinaus geht. Als Frederick W. Taylor zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Studien über Die Grundsätze der wissenschaftlichen Betriebsführung (The Principles of Scientific Management) veröffentlichte, war ein entscheidender Schritt hin zur Modulation des Menschen zu einem Maschinenmitarbeiter gemacht, das humanoide Betriebssystem war geboren. Dieser Übergang von einer analogen Maschinenkultur der Energie zu einer digitalen Maschinenkultur der Information gipfelt im Siegeszug des Computers. Auch die Architektur hat den Paradigmenwechsel von Energie zu Information längst vollzogen. Jedoch wäre es zu kurz gegriffen, diesen Wechsel schlicht mit der Einführung des Computers in den architektonischen Entwurfsprozess seit Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts gleichzusetzen. Auch geht in der konstruktivistisch-schroffen Gegenüberstellung der Epochenbegriffe Energie und Information oftmals der Umstand verloren, dass heutige IT (Information Technology) zu einem nicht geringen Anteil auf Erkenntnissen und Vorleistungen beruht, die wie im Fall der Taylor’schen Arbeitswissenschaft noch in der fordernden Präsenz der mechanischen Industriemonster des auslaufenden 19. Jahrhunderts entstanden. Das besondere an Taylor ist, wie er Probleme der Energieoptimierung bzw. Kraftersparnis mit einer Methode zu lösen weiß, die den Methoden moderner Informationssysteme nicht nur ähneln, sondern diese vielleicht sogar vorläufig überhaupt erst möglich gemacht haben. Diese Methode ist das Prinzip der Standardisierung bzw. Normierung.
2.1.2. Optimierte Mensch-Maschine-Systeme
Taylor hatte engen und produktiven Kontakt zu Henry Ford, seines Zeichen der Erfinder der Fließbandproduktion. Zwar hatte Ford bereits eine geniale Megamaschine zum Autobau erfunden und durch das die Werkstücke kontinuierlich dynamisierende Fließband bereits eine extreme Effizienzsteigerung erlangt, mit der Leistung seiner menschlichen Mitarbeiter war er aber so gar nicht zufrieden. Taylor schlug seinem Freund folgende Abhilfe vor: Genau wie industrielle Fertigungsstücke, die seit der epochalen Konzeption Eli Whitney der aus normierten Einzelstücken bestehenden Feuerwaffe im Jahre 1798[14] immer weitreichender und genauer normiert wurden, sollte nun auch die Arbeitsleistung des Menschen bzw. der „menschlichen Betriebssysteme“ der Fabrik allumfassend normiert werden: „Bisher stand die Persönlichkeit an erster Stelle, in Zukunft wird die Organisation und das System an erster Stelle treten.“[15] Das Programmieren von Betriebssystemen wird demnach lange vor dem ersten funktionstüchtigen Computer erfunden. Die Problemstellung bei Taylor gehorcht zwar noch dem Zeitalter der Thermodynamik, da es ursächlich darum ging, möglichst viel Energie zu sparen, aber die Lösungs-methode ist bereits informationstechnologisch fundiert: „[Die] Methoden sind räumliche und zeitliche Vermessungen von Mensch-Maschine-Systemen, die zur Optimierung und Normierung von Werkzeugen und Ausführungsmethoden führen.“[16] Zwar war das Konzept der Arbeitsteilung schon des längeren bekannt, aber das Wissen über Arbeitsabläufe zur Zeit der Studien Taylors beruhte immer noch hauptsächlich auf einer Arbeitswissenschaft des Einzelnen. Das vorhandene Wissen wurde mündlich weitergegeben und war somit von störendem Rauschen bei der Übertragung im Ausbildungsprozess beeinträchtigt. Taylor stellte fest, dass diese Art des Lernens noch sehr dem eines Kindes ähnelte, dass durch Ausprobieren und mimetische Handlungen geprägt ist. Taylor zielte hingegen auf die Erlangung klarer Regeln und Handlungsanweisungen für den Arbeitsprozess hin. Zunächst sollte ungeordnetes Erfahrungswissen in prozessierbare Daten verwandelt, dieses wiederum in einer Datenbank gespeichert und anschließend geordnet werden, und alles mit dem Ziel, aus den Datenmengen anschließend normierte Regeln ableiten zu können. Es ging also darum, „all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, und aus diesen Kenntnissen Regeln, Gesetze und Formeln zu bilden.“[17] Am Ende steht eine Art Programmbibliothek, die Routinen zur Steuerung des jeweiligen Arbeitsschrittes liefern kann.[18] Da diese Programmcodes aber von eigens dafür ausgebildeten „Kopfarbeitern“[19] erdacht werden, deutet sich bereits bei Taylor das an, was jedem PC-User als der Blindflug im Trial-and-Error Modus in komplexen WYSIWYG-Programmstrukturen bekannt sein dürfte: Die Tatsache, „dass auch die besten Arbeiter nie die Wissenschaft dessen verstehen werden, was sie tun“[20]. Der Arbeiter in seiner Rolle als Benutzer eines vorher festgelegten Programms hat von nun an nur noch die Optionen, die ihm das Programm anbietet, der Sourcecode aber bleibt unlesbar und unveränderbar. Diese gemeinsame Grundeigenschaft der Taylor’schen Arbeitswissenschaft und moderner Software wird insbesondere bei der Verhandlung CAAD-typischer Ästhetik in Kapitel 4 eine wichtige Rolle spielen.
2.1.3. Leitbild: Der intelligente Gorilla im Iconwald
Allerdings schlägt sie auch die Brücke zu der Fragestellung, warum eigentlich moderne Software aussieht und funktioniert, wie sie es quer durch sämtliche Betriebsysteme und Anwendungsbereiche in immer gleicher Weise tut. Es ist kein Zufall, dass sowohl bei Taylor wie auch bei Alan Kay, der als einer der Väter moderner Desktop-Systeme gilt, die Vorstellung des Arbeiters bzw. Benutzers als intelligenter Gorilla als Vorlage für ein optimales Betriebssystem fungiert. Das System soll intern höchstmöglich intelligent und an der Schnittstelle möglichst kinderleicht bedienbar sein. Zur Erlangung dieser Vorgabe erkennt Taylor in der allumfassenden Normierung von Werkzeugen, Arbeitsabläufen und Instruktionen den Königsweg. Normen lösen sich damit von ihrem zuvor rein technischen Wirkungsfeld und finden Einzug in den Sozialkörper durch die Normierung des Menschen. Normierung bedeutet seit Taylor auch „die Gesamtheit der Regulierungen und Diskurse, die an der Eichung des Subjekts auf einen historisch jeweils als normal geltenden Toleranzbereich arbeiten“[21]. Diese Subjekteichung ist das historische A priori für heutige PC-User und funktioniert besonders effektiv mit Hilfe von Iconigraphierung. Wenn in einer Entwurfssoftware ein Icon mit einem kleinen Pixelbild einer Linie jedem User wie selbstverständlich signalisiert, dass er durch Anklicken dieses Feldes seinen Mauszeiger zu einem Werkzeug zur Linienerzeugung mutieren lassen kann, liegt sehr viel mehr als die Kombination aus simpler Benutzerkonditionierung und einer Graphikmetapher vor. Der entscheidende Kunstgriff ist, dass durch die Zwischenschaltung einer Funktionsschicht zu jedem Zeitpunkt ein betriebssystemkonformes Verhalten jeglichen Benutzers garantiert werden kann. Diese Zwischenschicht ermöglicht die Ausführung nur einer bestimmten Tätigkeit, wobei die Funktionsweise des jeweiligen Tools selber vom User nicht beeinflussbar ist[22]. Genau diese Idee führt Taylor ein, wenn er für den Arbeitsprozess eine eigene Schicht fordert, auf der die Arbeitsparameter zwar ablesbar sind, die aber gleichzeitig eine Lektüre jener Formeln verhindert, die diese Parameter generieren.[23] Machtfragen ausblendend muss darauf hingewiesen werden, welche enorme Potenz in einer derartigen Vereinfachung und „Dummhaltung“ des Benutzers, die letztendlich die perfekte soziale Normierung sein dürfte, steckt.
2.1.4. Zerstückelung von Arbeitsabläufen, analog/digital
Der Potenz der Iconigraphierung bedient sich später auch der Taylor Schüler Frank B. Gilbreth. Die von Taylor begonnen Optimierungsstudien werden von Gilbreth auf breiter Front weiter geführt.[24] Sind für Taylor vor allem die rein zeitliche Optimierung das Hauptanliegen, so nimmt Gilbreth auch die räumliche Dimension hinzu und versucht, verschwenderische räumliche Bewegungen aufzuzeigen, die ausgemerzt werden könnten. Zu diesem Zweck werden Arbeiter bei verschiedenen Bewegungsabläufen aufs Genaueste beobachtet und die dabei anfallenden Daten werden in die von Gilbreth erfundene Simultanbewegungskarte eingetragen. Die Auswertung dieser Karten liefert dann nicht nur die Bewegungen, die optimiert oder weggelassen werden könnten, sie liefert auch eine Aufstellung einer Liste invariabler Bewegungszusammenhänge, „die gewissermaßen irrreduzible Elemente zusammengesetzter Bewegungen darstellen“[25]. In den Simo-Karten (Simultan-
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
bewegungskarten) verwendet Gilbreth für die Auflistung verschiedener Elemente wie zum Beispiel Suchen, Finden, Wählen eigens kreierte Symbole (sogenannte Therbligs). Dadurch werden Simo-Karten nicht nur formal sondern auch funktionell zu einem frühen Vorläufer jeder Funktionsauswahlpalette einer (CAAD-)Software. (Vgl. die Abbildungen oben) Zwar sind in den heutigen Programmen zumeist nur noch die Symbole bzw. Icons alleine zu sehen und die schriftliche Ebene versteckt sich verschämt in einem Moveover-Popup-Fenster[26], das funktionale Prinzip dahinter ist aber genau das selbe. So bieten zum Beispiel alle vorhandenen Aktionspaletten analog zu den Simo-Karten Icons für die Grundfunktionen wie Wählen und Greifen an. Die von Gilbreth vorgenommen Zerstückelungen bzw. Sequenzzierungen von Arbeitsabläufen zum Zwecke der Optimierung werden also im Prozessionsraum der Softwares perfekt umgesetzt und weiter automatisiert. Andersherum betrachtet ist die Gilbreth’sche Simo-Karte bereits eine frühe Form von Software. Für die Architektur ist die Untersuchung einer weiteren Funktionspalettenart interessant: Die Software ArchiCAD bietet eine sogenannte NURBS-Auswahlpalette an, die zur Erzeugung hochkomplexer, geschwungener Formen sehr nützlich ist. (Was genau NURBS sind, wird in Kapitel 3.1. Thema sein.) Wenn architektonische Formenerzeugung als eine Bewegung in Raum und Zeit verstanden wird, dann macht eine NURBS-Palette genau das, was Gilbreth mit Arbeitsabläufen gemacht hat: Sie stellt einen Symbolkanon für irrreduzible Elemente zusammengesetzter Bewegungen bereit mit dem Ziel, die Erzeugung selbiger zu optimieren. Als Folge kann selbst ein architektonischer Laie innerhalb kürzester Zeit unter Verwendung der NURBS-Palette in einer CAAD-Software auf geradezu spielerische Art und Weise hochkomplexe und abstrakte Formengebilde erzeugen.
2.1.5. „Achtung! Beobachtet diesen Mann!“
Zu etwa der gleichen Zeit wird im Rahmen der sogenannten Army Mental Tests von Robert M. Yerkes eine weitere Potenz der standardisierten Iconigraphierung entdeckt.[28] Die von Yerkes und anderen entwickelten Testreihen für die US-Army sollten dazu dienen, möglichst nur das beste Menschenmaterial für das Militär zu rekrutieren. Grundprämisse für das dafür entwickelte Auswahlverfahren war, die Intelligenz der in Frage kommenden Anwärter zu ermitteln. Das Militär hatte also bereits den Wechsel von Energie zu Information vollzogen, denn als am Wichtigsten für die Belange der Army wurde nicht mehr die körperliche Kraft sondern vielmehr die „mind or brain power“[29] der Kandidaten erachtet. Jedoch hatten die Tester das Problem, dass die bereits vorhandenen Intelligenztests fast ausschließlich auf schriftlicher Ebene konzipiert waren und somit für die Gruppe der Illiteraten, die die Masse der Bewerber ausmachten, unbrauchbar waren. Der Ausweg war die Verwendung einer streng standardisierten Bildsprache, also die Erfindung von visuellen Prüfungsaufgaben. Damit handelte man sich sogleich das nächste Problem ein: Wie sollten diese visuellen Prüfungsaufgaben ohne schriftliche Instruktionen erklärt werden? Der Ausweg war erneut die Iconigraphierung; die visuellen Prüfungsaufgaben wurden also, in Kombination mit simplen Handlungsanweisungen,[27]
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rein visuell erklärt. Zu diesem Zweck wurde der sogenannte Demonstrator erfunden, der die Aufgabe hatte, eine mögliche Prüfungsaufgabe vor der Gruppe so vorzuführen, dass die Prüflinge danach in der Lage waren, eine ähnliche Fragestellung selbstständig zu lösen. Bevor aber der eigentliche Demonstrator loslegen konnte, musste ein Metademonstrator der Gruppe erklären, was folgend der Demonstrator mit ihnen machen würde.
„Achtung ! Beobachtet diesen Mann (zeigt auf den Demonstrator). Er (zeigt wieder auf den Demonstrator) wird hier (tippt mit dem Stock auf die Tafel) machen, was ihr (zeigt auf verschiedene Teilnehmer der Gruppe) auf euren Papieren machen sollt. [...] Stellt keine Fragen. Wartet, bis ich sage ‚Fangt an!’“[30]
Das Zitat macht deutlich, wie schwierig es auf schriftlicher Ebene ist, räumlich-visuelle Strukturen zu erklären und „bedeuten zu bedeuten“[31]. Genau deshalb setzten graphische Benutzeroberflächen genau wie die Army Mental Engineers auf das Konzept der Selbstbeschreibungsfähigkeit. Die Rolle des Demonstrator hat heute das Tutorial übernommen. Ein Tutorial ist das effizienteste Mittel zur Erlernung eines Softwareprogramms und verfährt nach exakt dem gleichen Prinzip wie die Army Mental Tests. In einem Tutorial wird zunächst die Funktionsweise eines Programms demonstriert, und dann darf der Benutzer bzw. Rekrut des Programmierers das Erlernte nachmachen bzw. anwenden. Die Demonstration in Tutorials wird zumeist mit möglichst hohem Anteil an Visuellem und möglichst wenig schriftlichen Elementen vollzogen. Oft gibt es sogar vorproduzierte Videosequenzen, in denen sich der Mauszeiger wie von Geisterhand auf dem GUI bewegt und gewisse Aktionen vollführt, zumeist in dem er erst auf ein graphisches Icon klickt und dann die dadurch gewählte Funktion ausführt.[32] Das Konzept der Selbstbeschreibungs-fähigkeit kommt speziell auch auf der Ebene der Icons zum tragen, die im Idealfall so gewählt sind, das auch ein ungeschulter Benutzer vermuten kann, das z. B. durch das Anklicken eines kleinen Druckersymbols der Druckvorgang gestartet wird. Zwar kann man argumentieren, dass diese Art der Wissensvermittlung den meisten Menschen entgegen kommt, da sich ein Bild zumeist schneller und leichter einprägt als eine sprachliche Bezeichnung, jedoch wird hier andererseits der Benutzter einer erneuten sozialen Normierung unterzogen. Durch die Iconigraphierung von Befehlen in Softwareprogrammen wird dem Benutzter ein ganz bestimmter, normierter Möglichkeitsraum vorgelegt, in dem er nun möglichst effizient die erforderliche Arbeit erledigen soll. Das dabei die eigentliche Programmierebene verschlossen bleibt, wurde bereits angesprochen. Trotzdem ist der Siegeszug des Computerbenutzers als standardisierter Maschinenmitarbeiter nicht aufzuhalten, denn die darin liegenden Potenzen sind schlicht zu verlockend. Hier soll zunächst der Hinweis darauf genügen, welch elementaren Unterschied es plötzlich machte, als die ersten WYSIWYG-Programmen zur Erstellung einer Internetseite auftauchten: Musste man zuvor mühsam die Programmiersprache HTML erlernen und in Kleinstarbeit coden, genügten zur Erstellung einer standardisierten Webpage nun plötzlich einige Mausklicks und ein paar Cut’n’Paste und Drag’n’Drop Aktionen. Die Explosion der Inhalte im WWW seit dieser Evolution spricht eine deutliche Sprache. Ganz ähnlich ist die Entwicklung im CAAD-Bereich zu beurteilen. Zwar gab es bereits in den 60er Jahren erste Programme zur Erstellung von virtuellen Gebäuden, massenreif und vor allem wirklich praktikabel wurde digitale Architektur aber erst durch die Einführung von CAAD-Programmen auf WYSIWYG-Basis seit dem Ende der 80er Jahre.
[...]
[1] Gibson 1984, S. 234/235.
[2] Vgl. Robin 1992, S. 186.
[3] Vitruvius 1987, S. 5.
[4] Ein Event Horizon bezeichnet die Region um ein schwarzes Loch herum, ab dem die Wirkung selbigen einsetzt. Eine allgemeinere Definition wäre: „ The event horizon is a boundary beyond which information will never reach an observer.” (http://www.wikipedia.org/wiki/Event_horizon)
[5] Ein Vorschlag Kittlers bezüglich einer erstrebenswerten Funktionsweise einer materialistisch fundierten Medienwissenschaft.
[6] Manovich 2001, S. 46.
[7] Kittler 1996, S. 117.
[8] WSIWYG ist die Abkürzung für What You See Is What You Get. Die Wortwahl signalisiert bereits, dass in einem solchen Operationsmodus der Benutzter nur sehend ist, die Maschine aber automatisch den Programmcode erstellt und der Benutzter deshalb auch am Ende bekommt, was er da sehend erstellt hat.
[9] Aus diesem Umstand leitet sich auch die Namensgebung des 4. Kapitel ab: Poetischer CTRL_space.
[10] Theoretisch müsste einer wirklich vollständigen Analyse von CAAD CTRL_space eine ausführliche Reflektion und Archäologie des Computers als Medium voran gestellt sein. Da dies aber den verfügbaren Rahmen sprengen würde und auch an anderer Stelle bereits geleistet wurde, sei hier auf die einschlägige Literatur (Kittler, Manovich etc.) zu diesem Thema verwiesen.
[11] Oxford Advanced Learner’s Dictionary, Oxford University Press, 1989, S. 257.
[12] Vgl. auch die Abbildung auf Seite 15, die diese Teilbereiche zusammenbringt und in einen funktionalen Zusammenhang stellt.
[13] ABC 1928, S. 108.
[14] Der Beginn industrieller Standardisierung könnte evtl. auch schon zu einem früheren Zeitpunkt als gegeben geltend gemacht werden, er wird hier der Einfachheit halber und der geläufigen Geschichtsschreibung folgend aber mit Whitney gleichgesetzt. (Vgl. Berz 2001, S. 15ff.)
[15] Taylor 1913, S. 4.
[16] Pias 2002, S. 30.
[17] Taylor 1913, S. 38.
[18] Vgl. Pias 2002, S. 29ff.
[19] Taylor 1913, S. 41.
[20] Pias 2002, S. 30.
[21] Pias 2002, S. 31.
[22] Bei modernen Programmen wird diese Absolutheit teilweise zurückgenommen, indem z. B. Werkzeugspitzen variierbar oder sogar stufenlos definierbar werden. Der Sourcecode selbst verbleibt aber auch in diesem komplexeren Falle im Protected Mode.
[23] Vgl. Taylor 1913, S. 113.
[24] Vgl. Pias 2002, S. 33ff.
[25] Pias 2002, S. 37.
[26] Bei dem Herübergleiten (moveover) mit der Maus über den jeweiligen Icon erscheint (popup) ein kleines Fenster mit der sprachlichen Erklärung.
[27] Yoakum/Yerkes, zitiert nach Pias 2002, S. 24.
[28] Vgl. Pias 2002, S. 20ff.
[29] Pias 2002, S. 21.
[30] Yoakum/Yerkes, zitiert nach Pias 2002, S. 24.
[31] Pias 2002, S. 24.
[32] Zugegeben sei, dass diese Art der Wissensvermittlung beispielsweise an der Weitergabe von Short-Cut-Befehlen scheitern muss. Sie hat also nicht unwichtige Limitationen.
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