Der „Parzivâl“ des Wolfram von Eschenbach ist nicht allein wegen seines Umfangs und der tiefen kulturellen Verwurzelung des Stoffes bemerkenswert, sondern auch die durchkonstruierte doppelte Struktur der erzählten Vorgänge und die weit verzweigte Genealogie mit über 600 Orts- und Eigennamen erregen bei näherer Lektüre Aufmerksamkeit.
Wolframs Parzivalroman, der sich im Sozialisationsschema des ersten Kursus noch eng am Vorbild Chréstiens orientiert, gewinnt in seinem Verlauf nicht nur an Schärfe, er verleiht auch den Minnethesen des Autors durch den werkimmanenten Universalitätsanspruch weiterreichende Bedeutung. Die Modernität Parzivâls, der zwischen Artus- und Gralsgesellschaft seine eigene Identität sucht und auch findet, ergänzt sich mit der Öffnung der mittelalterlichen Epenwelt für den Orient.
Inhaltliche Gliederung
A. Einführung: Der „Parzival“ als höfischer Epos
B. Einfluss von Wolframs Minnekonzeption auf ausgewählte Frauengestalten (aus der arturisch-höfischen Sphäre) des „Parzival“
I. Frau Jeschûte
Exkurs: minne & ê im historischen Kontext
II. Obîe und Meljanz: Die feindlichen Liebenden
III. Orgeluse: Schöne Hexe oder ideale Minnedame?
IV. „rehte minne ist wâriu triuwe“
C. Ausblick
Literaturverzeichnis
Bumke, Joachim „Höfische Kulturen“ , München 1997 BHK
Bumke, Joachim „Wolfram von Eschenbach“, Stuttgart 1997 BWE
Brall, Helmut „Gralsuche und Adelsheil“ , Heidelberg 1983 GA
Karl, Emil „Minne und Ritterethik in WvEs Parzival", Freiburg 1952 MRP
Knecht, Peter „Parzival – Studienausgabe“, Berlin/NY 1998 **
Mohr, Wolfgang „Wolfram von Eschenbach“, Göppingen 1979 MWE
Pratelidis, Konstantin „Tafelrunde und Gral“ Würzburg 1994 Pra
Schnell, Rüdiger „Causa Amoris“, Bern 1985 CA
Schmid, Elisabeth, in: Brunner, Horst (Hrsg) „Mittelhochdeutsche Romane
und Heldenepen – Interpretationen“ S.173-196, Stuttgart 1993 Bru
Yeandle, David, „Commentary on the Sigûne and Jeschûte scenes
in WvE’s Parzival”, London 1984 Yea
Zimmermann, Gisela “Kommentar zum VII.Buch des
Parzival von Wolfram von Eschenbach”, Göppingen 1974 Zim
** Mittelhochdeutscher Text nach der 6.Auflage von Karl Lachmann
Verweise und Zitate aus diesem Werk werden im Folgenden in runden Klammern angegeben ® (Strophe,Vers) wie üblich
Der Einfachheit halber verwende ich für alle anderen Literaturverweise im Text jeweils die oben hintangestellten Kürzel.
Der „Parzival“ des Wolfram von Eschenbach ist nicht allein wegen seines Umfangs und der tiefen kulturellen Verwurzelung des Stoffes bemerkenswert, sondern auch die durchkonstruierte zeitliche Struktur der erzählten Vorgänge und die weitverzweigte Genealogie mit über 600 Orts- und Eigennamen erregen bei näherer Lektüre Aufmerksamkeit.
Letztere teilt sich im „Parzival“ in zwei Familienstammbäume, nämlich die Geschlechter von Mazadân und Titurel, den Urvätern der Artus- und der Gralsfamilie. Dies ist bezeichnend für die Gattungszuordnung zu den höfischen Romanen, da auch Wolframs Aufteilung in die eigentliche Parzival-Handlung und die Gawân-Bücher einen klaren doppelten Kursus, wie für das höfische Epos typisch, erkennen lässt.
Aufgrund des beschränkten Umfangs einer Seminararbeit habe ich mich dafür entschieden, meine Analyse von Wolframs Minneideal und den Auswirkungen auf den „Parzival“ auf einen der beiden angesprochenen Gesellschaftskreise, die Sphäre des Artushofs, zu konzentrieren, nachdem sich recht früh feststellen ließ, dass sich die hier vorherrschende Minnevorstellung in einigen Punkten fundamental von denen der Gralsgesellschaft unterscheidet.
Die herausgestellten Problemkreise der arturisch-höfischen Sphäre lassen sich letztendlich allesamt aus der menschlichen Unfähigkeit herleiten, die negative Wirkung übermächtiger Liebesgefühle zu kontrollieren, was bei den einzelnen Charakteren grundsätzlich zunächst zu ausgiebiger Erfahrung von Leid führt. Die Auflösung erfolgt generell durch die minne selbst, eingebettet in einen gesellschaftlich-rechtlichen Hintergrund, der von Wolfram in außergewöhnlicher Detailtreue geschildert wird.
I. Frau Jeschûte
Ein herausragendes Beispiel für die praktizierte Tugend der diemüete sind wohl die Szenen um Frau Jeschûte, dem angetrauten Weib des Herzogs Orilus de Lalander.
(129 – 138; 256 – 279; Yea)
Kurz nach dem Abschied Parzivâls von seiner Mutter Herzeloyde kommt er auf seiner Reise zum Artushof durch den Wald von Brizljân, wo er in einem Zelt die schöne Herzogin im Schlaf überrascht. Getreu den Regeln, die ihn seine Mutter in Soltâne gelehrt hatte, u.a. die Frauen zu lieben und sich daran zu erfreuen (127, 25ff), gilt sein Interesse zunächst einem Ring an ihrem Finger und einer Brosche, dann, nachdem die Herzogin erwacht ist, erzwingt er sich darüber hinaus noch Kuss und Umarmung von ihr.
Obwohl Parzivâls Verhalten keiner bösartigen Absicht entspringt, sondern vielmehr Ausdruck einer natürlichen Urtümlichkeit auch gegenüber den von Wolfram betonten, stark sinnlichen Reizen der Frau ist, vollzieht er dadurch unbewusst eine Entehrung ihrer weiblichen Würde. Insbesondere die körperliche Annäherung, aber auch der Ring als klassisches Liebespfand sind als Verletzung von Jeschûtes kiusche und triuwe dazu geeignet, die Herzogin in schwere Gewissensnöte zu bringen.
Das entstandene Problem hat seine Wurzel in Parzivâls Mangel an ritterlicher Erziehung, der, fern von höfischer Kultur in der Ödnis von Soltâne aufgewachsen und einzig auf den Rat der Mutter angewiesen, eine falsche, weil rein sinnliche, Vorstellung von minne hat. So legt er bei seinem ersten Kontakt mit einer fremden Frau eine kennzeichnende tumpheit an den Tag, die von Wolfram auch in gekonnt komischem Ton geschildert wird.
So unterstellt nun der kurz nach Parzivâls Aufbruch ankommende Herzog Orilus anlässlich der von ihm entdeckten Spuren seiner Gattin, sie habe „ein ander âmîs“ (133,10), also ein außereheliches sinnliches Verhältnis. Auch die Erwähnung von Parzivâls außergewöhnlicher Schönheit durch Jeschûte (133,18) bestärkt ihn in dieser Meinung, und so verhängt er, nachdem er ihr schwere Vorwürfe gemacht hat, drakonische Strafen. Nebst Gesellschaftsferne und Liebesentzug lässt er ihr Pferd ab sofort hungern und sie im einfachen Hemd weiterreiten, für eine Dame von Stand eine völlige Entwürdigung ihrer selbst. Jeschûtes Ansinnen nach einem gerichtlichen Entscheid lehnt er forsch ab (136,15ff), danach reiten sie los, um den vermeintlichen Frauenschänder zu stellen.
Wolfram zeigt den Herzog de Lalander hier von seiner schlechtesten Seite: Anstatt seiner Frau Glauben zu schenken, steigert er sich in grundlose Eifersucht hinein und verweigert ihr sogar einen möglichen Beweis ihrer Unschuld. Auch wenn Wolfram weder hier noch in der zweiten Jeschûte-Szene die Legitimität des schnellen Schuldspruchs von Orilus in Frage stellt, so ließe sich doch aus Sicht der Jeschûte, die Parzivâl zunächst für einen verrückt gewordenen Lakaien hält (132, 6f), zumindest der Versuch eines Gegenbeweises führen. Der Stolz des Herzogs treibt ihn jedoch dazu, Jeschûte als Geliebte wie als Menschen gleich gänzlich zu entwerten, und verhindert das Walten von Gerechtigkeit oder Gnade. Unter anderem seine Verwandtschaft, bei ihm handelt es sich um den Bruder von Parzivâls Erzfeind Lähelîn, ist für diesen Charakterzug verantwortlich zu machen.
Eigentlich möchte man vermuten, dass aufgrund der besonderen Konstellation von Minneverhältnis bei gleichzeitiger Ehe eine ungewöhnlich innige Verbindung vorhanden ist, die Orilus hier um eines bloßen Verdachts Willen opfert.
[...]
- Citation du texte
- Markus Koch (Auteur), 2003, Der Einfluss von Wolframs Minnekonzeption auf Frauengestalten im "Parzival", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81008
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.