Unter Reformpädagogik versteht man alle Theorien und Maßnahmen, deren Ziel eine Veränderung in Erziehung, Schule und Unterricht ist. Die Geschichte der Reformpädagogik beginnt mit dem Anbruch der Modernen, ihre Hochphase erlebt sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihre Grundkonzepte führen zu neuen schulischen Formen, die meist von privaten Schulträgern verwirklicht werden. Die Reformpädagogik ist eine internationale Strömung, die vor allem in der „westlichen Welt“ anzutreffen ist, d.h. in Europa und den USA. Die Geschichte der deutschen Reformpädagogik lässt sich in drei Phasen unterteilen, die durch die Preußischen Reformen, die Pädagogische Bewegung sowie 68er-Bewegung gekennzeichnet sind. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der zweiten Phase der deutschen Reformpädagogik, der Pädagogischen Bewegung, die einerseits durch die Theorien Dieserwegs und andererseits durch die Überlegungen Ellen Keys geprägt ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
1.1 Was ist Reformpädagogik?
1.2 Die drei Phasen der deutschen Reformbewegung
1.3 Grundlagen der Pädagogische Bewegung
1.4 Vorgehensweise
2. Beispiele verschiedener Schulkonzepte der Pädagogischen Bewegung
2.1 Die Arbeitsschule
2.1.1 Der Begründer: Georg Kerschensteiner
2.1.2 Das Konzept der Arbeitsschule
2.1.3 Kritik an der Arbeitsschule
2.2 Die Waldorf-Schule
2.2.1 Der Begründer: Rudolf Steiner
2.2.2 Das Konzept der Waldorfschule
2.2.3 Kritik an der Waldorfschule
2.3 Die Landerziehungsheim-Bewegung
2.3.1 Der Begründer: Hermann Lietz
2.3.2 Das Konzept des Landerziehungsheims (LEH)
2.3.3 Kritik an der Landerziehungsheim-Bewegung
3.Schlussbetrachtung
3.1 Zusammenfassung
3.2 Wirkung der Pädagogischen Bewegung
4. Literaturverzeichnis
1. Einführung
1.1 Was ist Reformpädagogik?
Unter Reformpädagogik versteht man alle Theorien und Maßnahmen, deren Ziel eine Veränderung in Erziehung, Schule und Unterricht ist. Die Geschichte der Reformpädagogik beginnt mit dem Anbruch der Modernen, ihre Hochphase erlebt sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihre Grundkonzepte führen zu neuen schulischen Formen, die meist von privaten Schulträgern verwirklicht werden. Die Reformpädagogik ist eine internationale Strömung, die vor allem in der „westlichen Welt“ anzutreffen ist, d.h. in Europa und den USA.
1.2 Die drei Phasen der deutschen Reformbewegung
Die Geschichte der deutschen Reformpädagogik lässt sich in drei Phasen unterteilen.[1] Die erste Phase setzt mit Beginn der Aufklärung ein. Sie ist gekennzeichnet durch den Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft. Ihren Höhepunkt erreicht die erste Phase Anfang des 19. Jahrhunderts mit den preußischen Reformen. Waren die Schulen zuvor Bildungseinrichtungen, die die Schüler auf ihr standesmäßig vorherbestimmtes Leben vorbereiteten, werden sie nun so aufgebaut, dass nach Abschluss der Schule der Schüler seine Zukunft selber bestimmen kann. In der neuen Form der Schule werden die Schüler in eine Konkurrenzsituation versetzt, in der sie durch ständiges Sich-Vergleichen motiviert werden sollen. Ziel ist die Vorbereitung auf die bürgerliche Leistungsgesellschaft. Kritisch betrachtet wird dabei die Gefahr, dass Konkurrenz und Ehrgeiz nicht nur leistungsfördernd, sondern einerseits entmutigend, anderseits aber auch schädlich für die sittliche Erziehung sein können. Letztlich ist die erste Phase der Reformpädagogik durch die Fragen geprägt, wie Schüler zur freien Selbsttätigkeit, zum freien Denken und Handeln gebracht, aber auch, wie sie möglichst allumfassend gebildet werden können. Wichtige Vertreter der ersten Phase sind Fichte, Fröbel oder Humboldt. Das Ergebnis dieser ersten Phase ist die Verbreitung der staatlichen Lernschule.
Die zweite Phase, in der Fachliteratur auch als „Pädagogische Bewegung“[2] bezeichnet, umfasst den Zeitraum ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Während die Reformbewegung zuvor für die Errichtung öffentlicher Schulen kämpfte, setzt sie sich nun kritisch mit diesen auseinander. Anstelle von Staat und Gesellschaft steht nun die individuelle Lebensform im Mittelpunkt, statt humanistischer Bildung stehen Exkursionen und Projekte im Vordergrund. Kennzeichnend für die Pädagogische Bewegung ist eine Unabhängigkeit vom politischen System, egal ob Kaiserreich oder Republik. Erst im Nationalsozialismus gerät sie unter ideologischen Einfluss der Politik und tritt in deren Dienst. Zu nennen sind in dieser Phase Namen wie Kerschensteiner, Steiner, Lietz oder Petersen.
Die dritte Phase beginnt mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland; sie dauert bis heute an. Aufgabe der heutigen Reformpädagogik ist es, die Schule auf die Neuordnung von Erziehungs-, Politik- und Beschäftigungssysteme einzustellen. Dabei zeichnet sich auf der Suche nach neuen Schulsystemen eine breite Diskussion zwischen Normal- und Reformpädagogik ab. Hervorgetreten sind dabei Reformpädagogen wie Helbig oder Oelkers.
1.3 Grundlagen der Pädagogische Bewegung
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der zweiten Phase der deutschen Reformpädagogik, der Pädagogischen Bewegung. Sie beruht vor allem auf zwei Grundpositionen:
Eine erste stammt von Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (1790-1866). Diesterweg fordert, dass ein Schüler einerseits zu selbständigem Lernen erzogen werden solle, andererseits der Lehrer dieses Lernen so lenken soll, dass den individuellen Grenzen des Schülers entsprochen wird. Dabei stellt er die Dialektik von „Natur“ und „Kultur“ auf: Obwohl der Lehrer den Schüler der Kultur angepasst erziehen soll, sei für den bestmöglichen Erfolg ein naturgemäßes Vorgehen notwendig, d.h. das Ideal der Schülerselbsttätigkeit muss in gesellschaftlich vorgegebene Normen eingepasst werden. In seinen „Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer“ kommt Diesterweg zu dem Ergebnis, dass „alles Hierarchische [...] der Gegensatz des modernen Unterrichtsprinzips“[3] ist. Diese Feststellung führt zu einer Schulpädagogik, die sowohl Zeitgenossen als auch eine Vielzahl späterer Reformpädagogen begrüßen.[4] Entsprechend groß ist die Wirkung der Theorien Diesterwegs auf die folgenden Reformbestrebungen.
Eine völlig neue Sichtweise liefert Ellen Key (1849-1926) in ihrem Buch „Das Jahrhundert des Kindes“ (1900). In diesem fordert sie eine „Pädagogik vom Kinde aus“, die auf darwinistischen und rassentheoretischen Überzeugungen beruht.[5] Key spricht von einer natürlichen Erziehung durch das Leben selbst: Traditionelle Formen des Unterrichts weichen, an deren Stelle treten Selbstbeobachtung und Selbstarbeit: Das Kind bekommt nicht mehr theoretisch erklärt, was Folge und Wirkung bestimmten Handelns ist, sondern soll dies durch Ausprobieren selber herausfinden. Ziel dieser Erziehung ist es, das „eigene Dasein zu einem Kunstwerk zu gestalten“[6], d.h. eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Key räumt ein, dass trotz allem ein gewisser Anteil Lehr-Lern-Unterricht notwendig ist, um elementare Dinge wie Lesen und Schreiben, die vier Grundrechenarten sowie Grundbegriffe der Geographie und Naturkunde zu vermitteln.
1.4 Vorgehensweise
Grundzüge der Prinzipien Diesterwegs und Keys werden von fast allen Vertretern der Pädagogischen Bewegung übernommen. Dennoch liefert die Pädagogische Bewegung eine außergewöhnliche Theorienvielfalt. Grund hierfür sind sehr vieldeutige Interpretationen der Prinzipien, die innerhalb der Bewegung sogar zu Spannungen führen.[7] Die Hausarbeit stellt in der Folge drei bedeutende Schulsysteme der Pädagogischen Bewegung vor, um so die unterschiedlichen Schwerpunkte und Ausprägungen aufzuzeigen. Dabei soll chronologisch nach der Entstehung der Systeme vorgegangen werden: angefangen mit der Arbeitsschule zur Jahrhundertwende über die Waldorfschule hin zum Konzept der Landerziehungsheime. Geliefert werden soll ein kurzer Überblick über Konzept und Ideologie des jeweiligen Schulentwurfs, ein Blick auf den Begründer der Bewegungsrichtung und abschließend jeweils eine kritische Wertung.
2. Beispiele verschiedener Schulkonzepte der Pädagogischen Bewegung
2.1 Die Arbeitsschule
2.1.1 Der Begründer: Georg Kerschensteiner
Als Begründer der Arbeitsschule kann Georg Kerschensteiner (1854-1932) angesehen werden. Kerschensteiner beginnt als zwölfjähriger eine Ausbildung zum Lehrer. Diese Zeit, geprägt von strenger Aufsicht und sturem Auswendiglernen, veranlasst ihn später dazu, sich für eine Reform des Schulsystems einzusetzen.[8] Nachdem er als 16-jähriger erstmals an einer Dorfschule unterrichtet hat, beschließt er, sein eigenes lückenhaftes Wissen zu verbessern. Er holt das Abitur nach, beginnt ein Studium und promoviert später in den Naturwissenschaften und der Mathematik. Dem folgen Stellen als Gymnasiallehrer in Nürnberg, Schweinfurt und München. 1895 zum Stadtschulrat in München gewählt, versucht er, seine Reformideen, v.a. das Schaffen einer praktischen Erziehung an den Volksschulen, zu realisieren. In dieser Zeit entwickelt sich dann auch seine Idee der „Arbeitsschule“. Als er 1918 schließlich eine Stelle als Honorarprofessor der Universität München erhält, widmet er sich ganz dem Ausbau seines reformpädagogischen Modells, dass seiner Ansicht nach Gültigkeit für alle staatlichen Schulen besitzt.
2.1.2 Das Konzept der Arbeitsschule
Kerschensteiner geht mit seinem Modell der Arbeitsschule von der Frage aus, wie eine gute Erziehung aussieht. Er definiert dafür zwei Arten des Wissens: das von anderen überlieferte und das durch Erfahrung selbst errungene Wissen. Entsprechend gibt es zwei Arten des Könnens: Können, dass sich der Mensch durch Fleiß aneignet, sog. mechanisches Können, und solches, dass er sich durch eigene Arbeit erarbeiten muss. Hier spricht Kerschensteiner von produktivem Können. Eine optimale Erziehung liegt seiner Ansicht nach vor, wenn beide Arten des Wissens und Könnens ausgeglichen angewandt werden. Darin sieht Kerschensteiner das Defizit des deutschen Schulsystems, in welchem mechanisches Können ein klares Übergewicht eingeräumt bekommt. Ein solches Übergewicht, so Kerschensteiner, bewirkt ein schnelles Wiedervergessen des Wissens. Nur ein Zusammenwirken beider Aneignungsmöglichkeiten führt zur gefestigten Fertigkeit, und diese ist nur zur erhalten, wenn sie immer wieder neu motiviert wird. Hier stößt das deutsche Schulsystem auf Probleme: Die Klassenverbände sind zu groß, es kommt zu Kollisionen bei den vorgegebenen Stoffmassen, die Lehrer sind nicht dafür ausgebildet.[9] Hinzu kommt, dass ein „produktives“ Vorgehen meist eine „Lebensaufgabe“[10] darstellt und somit in der herkömmlichen Schule nicht zu bewerkstelligen ist. Zusammenfassend gesagt, erwirbt der Schüler Gedächtniswissen statt wahrem Können. So ergibt sich die Forderung Kerschensteiners: Umwandlung des einen herrschenden pädagogischen Systems durch Anpassung des Verhältnisses von produktivem und mechanischem Können, d.h. mehr „Erfahren“ statt „Lernen“.
Diese Forderung setzt er in seiner „Arbeitsschule“ durch. Kerschensteiner geht von der Überzeugung aus, dass ein moderner Staat zwei Aufgaben habe: Das Wohl der Gesellschaft und die Weiterentwicklung dieser. Folglich muss die Erziehung vordringlich den Auftrag haben, Staatsbürger hervorzubringen, die beiden Ansprüchen dienen. Dieser „höchste Zweck“[11] bestimmt Normen für die Organisation der Arbeitsschule. Kerschensteiner nennt sie „Berufsbildung“, „Versittlichung der Berufsbildung“ und „Versittlichung des Gemeinwesens“.[12] Des Weiteren sind Richtlinien durch die „leibliche und geistige Entwicklung“[13] der Schüler vorgegeben. Berücksicht man diese Vorgaben, können alle anderen Aufgaben einer Erziehungsanstalt davon abgeleitet werden.
Doch wie genau sehen die von Kerschensteiner mit Namen belegten Normen konkret aus? Die wichtigste Aufgabe ist die Vorbereitung auf das spätere Berufsleben. Da die Mehrheit der Bevölkerung einen manuellen Beruf ausübt, ist es unverständlich, dass in den Schulen ausnahmslos geistige Betätigung erlernt wird. Kerschensteiner fordert verstärkt manuelle Tätigkeiten, die in Werkstätten, Laboratorien oder Gärten ausgeübt werden. Dies soll soweit gehen, dass Arbeitsunterricht als geschlossenes Unterrichtsfach gilt. Dabei soll kein bestimmter Beruf erlernt werden; die Schüler sollen sich „Methoden“ aneignen und sich an gängige Arbeitsprozesse gewöhnen. Geistige Grundkenntnisse spielen weiterhin eine wichtige Rolle; überhaupt lehnt Kerschensteiner eine rein geistige Erziehung nicht ab, sofern sie Berufen dient, die dies notwendig machen.[14] Durch eine Differenzierung der schulischen Bildungsgänge erhofft sich Kerschensteiner, die Schüler von praktischem Interesse zu theoretischem Interesse führen zu können – sofern sie entsprechend begabt sind.
Was soll den Schülern darüber hinaus vermittelt werden? Merkmale einer guten Bildung sind die Entwicklung einer geistigen Weitsicht, die Zugänglichkeit für neue Werte, das Streben nach Wissen, die Fähigkeit, das Verhältnis von Mittel und Zweck zu erkennen und letztlich eine seelische Zentralität, d.h. die Organisation eigener Werte auf der Grundlage eines unbedingt geltenden Wertes. Mit Hilfe einer so ausgeprägten Erziehung sollen die drei Grundsätze der Pädagogik Kerschensteiners erzielt werden: Sachlichkeit, Sittlichkeit und Selbstprüfung. Sachlichkeit fordert von den Schülern eine „Unterwerfung unter sachliche Anforderungen“[15]: Er soll eine Sache so gut wie möglich verwirklichen, ohne dabei Rücksicht auf seine persönlichen Interessen und Neigungen zu nehmen. Eng verbunden damit ist die Sittlichkeit – sie besagt, dass „unbedingt geltende“ Werte über „nur bedingt geltende“ Werte gestellt werden sollen. Kerschensteiner stellt die Sittlichkeit hier zur Verdeutlichung in einen Gegensatz zum Spiel: Während dieses um seiner selbst geschieht, fordert die Sittlichkeit eine Beschäftigung mit einer Sache auch einem fremden Zweck wegen.[16] In einem nächsten Schritt soll der Schüler zur Selbstprüfung gebracht werden – Selbstprüfung im doppelten Sinn: Zum einem empirisch, d.h. prüfend, ob seine Arbeit den Anforderungen gerecht wird. Diese „Außenschau“[17] ist messbar. Doch zum anderen spielt auch die rationale Erkenntnis eine große Rolle: Warum habe ich etwas gemacht? Diese „Innenschau“[18] ist Kennzeichen einer guten Arbeitsschule.
Hat die Erziehung Erfolg, soll der Schüler unter Arbeitsfreude schließlich die Freude darüber verstehen, „selbst Ursache der Verwirklichung“[19] zu sein. In einer weiteren Stufe erfolgt dann die „Versittlichung der Berufsbildung“: Die Schüler sollen sich freiwillig in Arbeitsgemeinschaften eingliedern, um hier die sittliche Idee hautnah zu erfahren und sie so in ihr Bewusstsein übernehmen zu können. Es entsteht ein Idealismus, der auch außerhalb der Schulzeit Wirkung zeigen soll. Als letzte Stufe schließlich erfolgt die „Versittlichung des Gemeinwesens“, indem die Schüler durch Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit an diesem aktiv mitarbeiten.
2.1.3 Kritik an der Arbeitsschule
Der Arbeitsschule muss bestätigt werden, dass sie die schulische Selektion der Schüler verbessert, da nicht mehr die Eltern durch die Wahlentscheidung des Schultyps die berufliche Zukunft ihrer Kinder bestimmen, sondern diese Aufgabe Lehrern und somit ausgebildeten Pädagogen zukommt. Ebenfalls positiv zu bewerten ist der Versuch, den „Abrichtmechanismus“[20] der traditionellen Buchschule mit sinnvollen, praxisorientierten Projekten und Versuchen zu lockern. Kerschensteiner erzielt mit diesem Ansatz schon recht bald Erfolge, ab der Jahrhundertwende werden nach und nach Schulküchen, Schulgärten und Laboratorien an den Schulen eingerichtet, 1903 kommt es zu einer Reform des Zeichenunterrichts, der in den „Dienst [...] der Produktivität des Kindes“[21] gestellt wird. Soweit liegen ohne Frage die Verdienste Kerschensteiners, und nicht wenige Pädagogen behaupten, die verhältnismäßig schwach ausgeprägte reformpädagogische Historiographie seiner Person werde seinen Verdiensten bei Weitem nicht gerecht.[22] Grund dafür könnten die zahlreichen Einschränkungen sein, die man bei genauerer Betrachtung seines Konzeptes machen muss. Denn die „Schule der Zukunft“[23], wie Kerschensteiner sie selbst nennt, ist für eine große Zahl von Kritikern schlicht eine „Schule von Gestern“, die keine Rücksicht auf moderne Differenzierungen der gesellschaftlichen Handlungsfelder nimmt. Stattdessen unternimmt Kerschensteiner eine altbekannte Differenzierung in eine Vielzahl Menschen, die „von Natur aus“ arbeiten müssen, und eine Minderheit, die zur Führung berufen ist, er fördert also soziale Ungleichheiten; sein Schulkonzept entspricht in keiner Weise den Anforderungen einer modernen, liberalen und später demokratischen Gesellschaft.
Problematisch ist für viele auch die angeblich in einer Einheit stehenden Begriffe von Sachlichkeit, Sittlichkeit und Selbstprüfung. Selbst Kerschensteiner gesteht ein: „Sachlichkeit ist Entpersönlichung“[24], er reduziert die Einzelnen zu „brauchbaren Funktionsträgern“[25] und unterdrückt jede kritische Reflexion. Dies stelle jedoch einen nicht lösbaren Konflikt zur „Selbstprüfung“ dar. Denn wie ist diese möglich, wenn kein Raum für „selbständig urteilende Subjektivität“[26] gegeben wird? Diese Spannung der Leitbegriffe entstehen vor allem, weil Kerschensteiner bei seinen Überlegungen moderne Unterscheidungen der Begriffe Gesellschaft, Staat, Nation und Öffentlichkeit außer Acht lässt.
Anzumerken bleibt, dass das Konzept der Arbeitsschule von mehreren Reformpädagogen übernommen und verändert wurde, so dass sich die Arbeitsschulbewegung wiederum in verschiedene Gruppen aufteilt. Die grundlegende und hier beschriebene gehört zur sog. „bürgerlichen Richtung“[27] ; ebenfalls von großer Bedeutung ist die zehn Jahre später anzusetzende „sozialistische Richtung“ unter der Führung von Hugo Gaudig.
[...]
[1] Vgl. Benner/Kemper, S. 13ff.
[2] Nohl lt. Benner/Kemper S. 9
[3] Diesterweg lt. Benner/Kemper, S. 49
[4] Vgl. Benner/Kemper, S. 49
[5] Vgl. Benner/Kemper, S. 57
[6] Key, S. 193
[7] Vgl. Benner/Kemper, S. 64f.
[8] Vgl. Beck/Schliep, Pkt. 2.2.1
[9] Vgl. Kerschensteiner in Reble, S. 41ff.
[10] Kerschensteiner in Reble, S. 48
[11] Kerschensteiner in Reble, S. 29
[12] Vgl. Kerschensteiner in Reble, S. 30f.
[13] Kerschensteiner in Reble, S. 29
[14] Vgl. Kerschensteiner in Reble, S. 31ff.
[15] Benner/Kemper, S.291
[16] Vgl. Kerschensteiner in Reble, S. 36f.
[17] Kerschensteiner in Reble, S. 38
[18] Kerschensteiner in Reble, S. 38
[19] Kerschensteiner in Reble, S. 37
[20] Kerschensteiner in Reble, S. 54
[21] Kerschensteiner in Reble, S. 56
[22] Vgl. Wiater, S. 39
[23] Kerschensteiner in Reble, S. 54
[24] Kerschensteiner in Reble, S. 36
[25] Benner/Kemper, S. 297
[26] Benner/Kemper, S. 297
[27] vgl. Beck/Schliep, Pkt 2.1.3
- Citar trabajo
- Christoph Baldes (Autor), 2003, Deutsche Reformpädagogik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80791
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