Täglich sieht man sie. Kleine Gruppen junger türkischer Migrantinnen. Sie huschen an einem vorbei, verschwinden im nächsten Hauseingang. Nie verweilen sie, sind scheinbar unsichtbar, verhüllt, versteckt.
Männliche jugendliche türkische Migranten dagegen dominieren und prägen das Straßenbild Kreuzbergs, sie haben im öffentlichen Raum eine starke Präsenz.
Wir fragten uns, woher kommt diese starke Unterrepräsentanz der weiblichen Migrantinnen? Wer sind diese Mädchen? Was tun sie in ihrer Freizeit, wo treffen sie sich, worüber reden sie? Sind sie, wie häufig in der Literatur beschrieben, die rechte Hand ihrer Mütter, müssen somit in ihrer Freizeit den häuslichen Pflichten nachkommen oder führen sie ein autonomeres Leben als wir annehmen? Was unterscheidet sie von deutschen Mädchen? Worin sind sie ähnlich? Was verbindet sie? ....
Gliederung:
Einleitung
Teil 1
1.1 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Implikationen für die Sozialisation von Jugendlichen
1.2 Peergroups- im speziellen Cliquen - bei der Sozialisation von Jugendlichen
1.3. Mädchen und Cliquen
1.4 Unterschiede zwischen gemischten und homogenen Cliquen
1.5. Merkmale weiblicher Sozialräume
Teil 2
2.1. Die Geschichte der türkischen Arbeitsmigranten
2.2. Transformation der Religion und der Wertvorstellungen in der Mehrheitsgesellschaft
2.3. Erziehung der Migrantenkinder
2.4. Zwischen Familie und Gesellschaft
2.5 Auswirkungen, Gefahren und Lösungsstrategien der Jugendlichen
3. Resumee
Einleitung
Täglich sieht man sie. Kleine Gruppen junger türkischer Migrantinnen. Sie huschen an einem vorbei, verschwinden im nächsten Hauseingang. Nie verweilen sie, sind scheinbar unsichtbar, verhüllt, versteckt.
Männliche jugendliche türkische Migranten dagegen dominieren und prägen das Straßenbild Kreuzbergs, sie haben im öffentlichen Raum eine starke Präsenz.
Wir fragten uns, woher kommt diese starke Unterrepräsentanz der weiblichen Migrantinnen? Wer sind diese Mädchen? Was tun sie in ihrer Freizeit, wo treffen sie sich, worüber reden sie? Sind sie, wie häufig in der Literatur beschrieben, die rechte Hand ihrer Mütter, müssen somit in ihrer Freizeit den häuslichen Pflichten nachkommen oder führen sie ein autonomeres Leben als wir annehmen? Was unterscheidet sie von deutschen Mädchen? Worin sind sie ähnlich? Was verbindet sie?
Und vor allem wie unterscheiden sich ihre alltäglichen Bewältigungsstrategien gegenüber den männlichen?
Männliche Migranten haben aufgrund ihrer männlichen Sozialisation gelernt, ihre Emotionen und Konflikte auszuleben, nach aussen zu bringen. Das ermöglicht ihnen, mit der Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen extrovertiert umzugehen. Ein gutes Beispiel hierfür sind türkische Jugendliche in ihrem Lebensraum Berlin- Kreuzberg. Sie entwickeln, ähnlich wie es seit den 70er Jahren aus den Ghettos der USA bekannt ist, mit Hip-Hop eine Strategie, Diskriminierung und Exklusion zu bewältigen, mit denen sie als „Ausländer“ der so genannten zweiten oder dritten Generation in Deutschland konfrontiert werden.
Mädchen dagegen lernen in ihrer Sozialisation, Konflikte mit sich selbst auszumachen bzw. diese gegen sich selbst bzw. ihren Körper zu richten oder Konflikte stillschweigend auszuhalten. Es ist wenig bekannt über die Bewältigungsstrategien junger Migrantinnen im Umgang mit ihrer kulturellen Zerrissenheit. Dabei konzentriert sich gerade in der Frauenrolle der Konflikt zwischen der Herkunfts- und der Dominanzgesellschaft, zwischen Moderne und Tradition.
Wie bewältigen sie also den Spagat zwischen zwei so konträren gesellschaftlichen Wertesystemen und deren Anforderungen an die Rolle heranwachsender Frauen?
Die Frage führt weiter: Wie gestalten sie ihre soziale Umgebung? Wie ist ihr Gruppenverhalten, sind sie wie die Jungen fest eingebunden in Cliquen? Welche Sozialräume schaffen sie sich? Gelingt es ihnen auf ihre eigene Weise „spielerisch“ die Wertesysteme zusammenzubringen?
Die Anzahl der Fragen macht deutlich, wie komplex das Thema sich gestaltet und wie wenig erforscht es ist.
Die Literatur zur Funktion von Cliquenbildung bezieht sich fast ausschließlich auf die Sozialisation deutscher Mädchen. Mädchen mit Migrationshintergrund scheinen auch in dieser Hinsicht kaum erforscht.
Aus diesem Grund wählten wir folgende Heransgehensweise: Wir beschreiben zunächst allgemein die Funktion von Cliquen für die Adoleszenz, differenzieren nach dem Geschlecht. In einem weiteren gedanklichen Schritt, betrachten wir fokussierter den Sozialraum von homogenen Mädchencliquen und deren Merkmale. Hier beziehen wir uns häufig auf die gerade erschienene Habilitationsschrift von Birgit Bütow, die durch biografisch, narrative Interviews Einblicke in die Cliquen von Mädchen gewonnen hat.
Im Zweiten Teil richtet sich unser Blick auf die Sozialisationsbedingungen junger Migranten in der BRD. Hierzu greifen wir erst auf die Migrationsgeschichte der Türken in Deutschland zurück, da der kulturelle Konflikt dort seinen Ursprung hat, um diesen dann in einem nächsten Schritt ausführlich darzustellen. In einem letzten Schritt werden dann auf dem Hintergrund der Historie mögliche Bewältigungsstrategien des Alltags in der Dominanzgesellschaft von Jugendlichen aufgezeigt.
Teil 1.
1. 1. Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Implikationen für die Sozialisation von Jugendlichen
Für die Sozialisation von Jugendlichen wohl bedeutendste Veränderung der Gesellschaft ist die Herauslösung des Menschen aus vormodernen Lebensformen, d.h. aus seinen ständischen, lokalen Traditionen und festen familiären Bindungen. Mit diesem Verlust traditioneller gesellschaftlicher Vorgaben, verliert die Familie ihre Monopolstellung bei der Erziehung des Nachwuchses. Die Funktion der Sozialisation wird durch die Pluralisierung der Lebensformen aufgeteilt. Der Verlust der familiären Beziehungen, der traditionellen Sicherheiten und Leitvorstellungen muss durch Selbstorientierung und Neustrukturierung von sozialen Bindungen ersetzt werden. Dieser Prozess wird als Individualisierung bezeichnet.
Lebensmodelle der Eltern können nicht mehr als geeignete Identifikationsmodelle dienen, neue und vielgestaltige Konzepte der Lebensplanung werden gesucht bzw. erprobt. Der Jugendliche muss also aus einer Vielzahl konkurrierender Modelle eines auswählen.
„ Eine wesentliche Besonderheit des Individualisierungsschubs in der Bundesrepublik liegt in seinen Konsequenzen: […] Die Familie […] zerbricht und die Individuen werden innerhalb und außerhalb der Familie zum Akteur ihrer Marktvermittelnden Existenzsicherung und ihrer Biographieplanung und- organisation“ (Beck, Ulrich: 1986, S. 209)
Dieses selbst gestaltete Lebenskonzept bietet zum einen die Chance einer individuellen Lebensgestaltung und Selbständigkeit, gleichzeitig entsteht dadurch aber auch der Zwang eigene Entscheidungen treffen zum müssen, was das Risiko des Scheiterns erhöht. Jeder muss die Konsequenzen für die getroffenen Entscheidungen alleine tragen. Um diese Verantwortung nicht allein tragen zu müssen, gewinnen soziale Vernetzungen mit Menschen in ähnlichen orientierungsunsicheren Lebensbewältigungsphasen eine ganz neue Qualität. Ein Grund weshalb die Gruppe der Gleichaltrigen, die sogenannte Peer-Group, an Bedeutung gewinnt. Man kann in diesem Zusammenhang feststellen, dass der Einfluss der Gleichaltrigen in dem Masse wächst, wie die innere Ablösung von den Eltern erfolgt.
1.2. Peergroups- im speziellen Cliquen- bei der Sozialisation von Jugendlichen
Obgleich der Begriff „peer“ gleichrangig bedeutet, sind heute damit eher die losen Gruppen von etwa gleichaltrigen gemeint. Innerhalb dieser Peer-groups existieren verschiedene kleine Untergruppen - oder Cliquen.
Bütow definiert in ihrer qualitativen Untersuchung Cliquen folgendermaßen:
„Cliquen sind selbst gestaltete Beziehungen zu Gleichaltrigen, die relativ stabil sind, zugleich aber Wandlungsprozessen in ihren Strukturen und ihrer Bedeutung für Jugendliche unterliegen. Sie sind bei der Entwicklung von sozialen Identitäten bedeutsam und haben eine immense biographische Relevanz: Jugendliche nutzen diese im Zusammenhang mit der Bewältigung biographischer Problemlagen und Entwicklungsprozesse (sic!). (Bütow, Birgit: Mädchen in Cliquen, Weinheim und München 2006, S. 14)
Eine Clique zeichnet sich dadurch aus, dass sie bedingt frei wählbar auf Grund von Ähnlichkeitsprinzipien ist. Sie ist eine überschaubare soziale Gruppe oder ein Freundeskreis, der ein starkes Wir-Gefühl nach innen und außen produziert. Das geschieht durch gemeinsame herausgebildete Werte, Normen oder moralische Maßstäbe, die sie von der sozialen Umwelt abgrenzen und eine Identifikation mit der Gruppe ermöglichen. Mitglieder einer Clique teilen den gleichen Alltag, gleiche altersspezifische Probleme, das Erleben von gleichen Unsicherheiten, Orientierungslosigkeit sowie gleichen Wünschen. Ein Beispiel ist die starke Relevanz der erotischen Bedürfnisse im Freizeitverhalten, die in der Familie nicht artikulierbar sind. Cliquen bilden ein eigenes Bezugssystem und geben damit die Orientierung und den sozialen Halt, die in der Jugendphase unabdingbar ist und für die einst die Familie allein verantwortlich war. Im Gegensatz zur strukturierten Familie und ihren festgelegten familiären Rollen können Freundschaften frei gewählt und auch beendet werden. In der Peer-group bzw. in Cliquen muss keine Anpassung an gesellschaftliche Rollenerwartungen erfolgen, die Mitglieder haben die Möglichkeit, aktiv ihre Beziehungen zueinander zu gestalten und übernehmen damit „familiäre“ Aufgaben, wie etwa die Vermittlung von Orientierung und sozialen Kompetenzen. [ Peer-groups] „ermöglichen sich vom Elternhaus abzulösen und die eigene Identität und Persönlichkeit zu entwickeln, bieten ritualisierte Übergänge in die Welt der Erwachsenen, fungieren als Familien- und Primärgruppenersatz und dienen der Entwicklung längerfristig wirkender Lebensstile der Biografisierung von Cliquenerfahrungen“ (Bütow, S. 14)
Wie Bütow eingehend beschreibt, tragen Cliquen somit weitgehend zur Bildung der Persönlichkeit von Jugendlichen bei. Teilnehmer in Cliquen identifizieren sich miteinander, dadurch wird die individuelle Identität zur sozialen Identität. Die eigene Clique ist die gemeinsame emotionale Basis, die es erlaubt, neue Rollen auszuprobieren und mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu experimentieren, ohne dafür die alleinige Verantwortung übernehmen zu müssen. Es ist die Gruppe, die, getragen durch Ähnlichkeit und moralische Unterstützung, Verantwortlichkeit übernimmt d.h. die Verantwortung für individuelle Handlungen wird gemeinsam getragen, es kann also auf den Einfluss der Gruppe hingewiesen werden. Bezeichnet wird dieser Experimentier- und Erprobungsraum als „Moratorium“ (vgl. Bütow S.200). Im Schutz dieses gesellschaftlichen Raums von Gleichaltrigen werden neue Erfahrungen in neuen Rollen gesammelt und deren Wirkung im geschützten Raum ausprobiert.
Damit hat die Clique vielfältige Sozialisationsaufgaben:
1. Sie unterstützt die Abnabelung von den Eltern bzw. die Verselbständigung des/r Jugendlichen
2. Sie bestimmt und prägt die freizeitkulturelle Beschäftigung
3. Sie übernimmt in vielen Fällen „Familienersatzfunktion“, gilt als Sammelbecken und Schutzraum vor allem für Jugendliche mit Problembiographien
(vgl. Bütow, S.189)
Diese Ausführungen sind in Bezug auf die emotionale Bedeutung für heranwachsende Menschen zu relativieren. Obgleich die moderne Familie einen Verlust ihrer Funktionen erlebt, bleibt für die meisten Jugendlichen eine emotionale Bindung an die Eltern bestehen. Sie vermitteln immer noch grundlegende emotionale Strukturen und Werte.
1.3. Mädchen und Cliquen
Während im Jahr 1962 Mädchen nur halb so häufig wie Jungen Mitglieder einer Clique waren, konnte 1983 kaum ein Unterschied zwischen Jungen und Mädchen in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zu Cliquen festgestellt werden. Sowohl die „Brigitte-Studie“ als auch die „Shell-Studie“ kommen hinsichtlich des Geschlechtervergleich zu ganz ähnlichen Zahlen: 80% der Jungen und Mädchen gehören einer Clique an.
Die jüngste Shell-Studie belegt die Bedeutung von solchen Cliquen oder „Netzwerkbeziehungen“ sowohl für eine gelingende Ablösung von den Eltern als auch für die Selbständigkeit der heranwachsenden Jungen und Mädchen. Intakte Netzwerkbeziehungen sind für das Durchstehen von individuellen Krisen und Problemen" danach notwendig. (Fritzsche, Y.: Jugend 2000, S.210)
Die auffällig starke Zunahme der Orientierung der Mädchen an außerfamiliären Netzwerken deutet darauf hin, dass die konventionellen, familienzentrierten Integrationsmuster auch für Mädchen an Bedeutung verloren haben. „ Mädchen haben in den letzten dreißig Jahren schrittweise das erlangt, was für Jungen schon zu Beginn des Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit wurde: Eine Jugend zu haben, d.h. ein gesellschaftlich erlaubten Freiraum des Probehandelns und des Experimentierens mit der eigenen Person“ (Wagner –Winterhager, 1986, S 527)
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- Citation du texte
- Annikki Heinemann (Auteur), Anna Piltz (Auteur), 2006, Die Clique als Familienersatz für Jugendliche in der Adoleszenz unter besonderer Berücksichtigung von jungen türkischen Migrantinnen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80406
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