Im Koalitionsvertrag von SPD und BÜNDNIS90/DIEGRÜNEN aus dem Jahre 2002 wird als Ziel der Bundesregierung die Verrechtlichung und Zivilisierung der internationalen Beziehungen mit dem Ziel der Entwicklung eines Systems globaler kooperativer Sicherheit formuliert. Das Instrument, mit dem die Bundesregierung dieses Ziel erreichen kann, ist ihre Außenpolitik. Daher ist die deutsche Außenpolitik und im Hinblick auf den Kontext des Seminargegenstandes insbesondere die Konformität deutscher Politik in den Vereinten Nationen (im folgenden: VN) mit den artikulierten Interessen, Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit.
Dabei ist das Ziel dieser Arbeit die Beantwortung der Frage, ob die Bundesregierung aus ihrer Interessenlage in den internationalen Beziehungen die adäquaten Konsequenzen gezogen und die außenpolitische Praxis entsprechend ausgerichtet hat, also, ob Kongruenz zwischen Zielen und praktischer Umsetzung in der VN-Politik vorliegt. Dazu werde ich in Punkt 2.1 zunächst die offizielle deutsche Interessenlage in den internationalen Beziehungen genauer darstellen, um so die verschiedenen Ansatzpunkte deutlich zu machen, mit denen das genannte Ziel erreicht werden soll. Es folgt eine kurze Darstellung der aktuellen wissenschaftlichen Debatte über die derzeitige deutsche Außenpolitik, die einen Eindruck davon vermitteln soll, wie unterschiedlich die aktuelle außenpolitische Praxis generell bewertet wird und mit welchen grundsätzlichen Problemen sie konfrontiert ist (Punkt 2.2). In Punkt 3 werde ich dann speziell auf die deutsche Politik in den VN eingehen, wobei in Punkt 3.1 ein Überblick über die bundesdeutsche Politik in den VN von 1973 bis 1998 erfolgen wird. Dies dient dem Ziel, feststellen zu können, ob nach 1998 eine der offiziellen Zielsetzung entsprechende Neuausrichtung der Schwerpunkte in der VN-Politik stattgefunden hat. Punkt 3.2 widmet sich dann der konkreten deutschen VN-Politik seit 1998. In Punkt 4 erfolgt neben einer Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte, die Beantwortung der Fragestellung sowie eine abschließende Bewertung.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Deutsche Interessen in den internationalen Beziehungen und die außenpolitische Praxis
2.1 Die offiziellen außenpolitischen Ziele der Regierung Schröder
2.2 Die aktuelle deutsche Außenpolitik – Zum Stand der Debatte
3. Deutschland in den Vereinten Nationen
3.1 Schwerpunkte deutscher VN-Politik bis 1998
3.2 Schwerpunkte deutscher VN-Politik seit 1998
4. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Koalitionsvertrag von SPD und BÜNDNIS90/DIEGRÜNEN aus dem Jahre 2002 wird als Ziel der Bundesregierung die Verrechtlichung und Zivilisierung der internationalen Beziehungen mit dem Ziel der Entwicklung eines Systems globaler kooperativer Sicherheit formuliert.[1] Das Instrument, mit dem die Bundesregierung dieses Ziel erreichen kann, ist ihre Außenpolitik. Daher ist die deutsche Außenpolitik und im Hinblick auf den Kontext des Seminargegenstandes insbesondere die Konformität deutscher Politik in den Vereinten Nationen (im folgenden: VN) mit den artikulierten Interessen, Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit.
Dabei ist das Ziel dieser Arbeit die Beantwortung der Frage, ob die Bundesregierung aus ihrer Interessenlage in den internationalen Beziehungen die adäquaten Konsequenzen gezogen und die außenpolitische Praxis entsprechend ausgerichtet hat, also, ob Kongruenz zwischen Zielen und praktischer Umsetzung in der VN-Politik vorliegt. Dazu werde ich in Punkt 2.1 zunächst die offizielle deutsche Interessenlage in den internationalen Beziehungen genauer darstellen, um so die verschiedenen Ansatzpunkte deutlich zu machen, mit denen das genannte Ziel erreicht werden soll. Es folgt eine kurze Darstellung der aktuellen wissenschaftlichen Debatte über die derzeitige deutsche Außenpolitik, die einen Eindruck davon vermitteln soll, wie unterschiedlich die aktuelle außenpolitische Praxis generell bewertet wird und mit welchen grundsätzlichen Problemen sie konfrontiert ist (Punkt 2.2). In Punkt 3 werde ich dann speziell auf die deutsche Politik in den VN eingehen, wobei in Punkt 3.1 ein Überblick über die bundesdeutsche Politik in den VN von 1973 bis 1998 erfolgen wird. Dies dient dem Ziel, feststellen zu können, ob nach 1998 eine der offiziellen Zielsetzung entsprechende Neuausrichtung der Schwerpunkte in der VN-Politik stattgefunden hat. Punkt 3.2 widmet sich dann der konkreten deutschen VN-Politik seit 1998. In Punkt 4 erfolgt neben einer Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte, die Beantwortung der Fragestellung sowie eine abschließende Bewertung.
2. Deutsche Interessen in den internationalen Beziehungen und die außenpolitische Praxis
2.1 Die offiziellen außenpolitischen Ziele der Regierung Schröder
Die Bundesregierung ist überzeugt, dass die aktuellen internationalen Herausforderungen, wie die gerechte Gestaltung der Globalisierung, der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die Bewältigung regionaler Konflikte nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden können. Aus diesem Grunde bekennt sich die Regierung ausdrücklich zum Multilateralismus und den daraus resultierenden Verpflichtungen innerhalb internationaler Institutionen wie den VN, der Europäischen Union, der NATO, der OSZE und des Europarates. Die Grundlagen für ihr außenpolitisches Handeln sind dabei die Beachtung des Völkerrechts, Eintreten für Menschenrechte, zivile Krisenprävention, Gewaltverzicht und Vertrauensbildung.[2]
Die im Rahmen der Globalisierungsgestaltung angestrebte Zivilisierung und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen wird nach Ansicht der Koalition zu einer nachhaltigen Stärkung der VN führen. Diese Stärkung ist ebenfalls erklärtes Ziel der Bundesrepublik, weil den VN bei der Erreichung oben genannter Ziele eine Schlüsselrolle zufällt. Diesen Standpunkt teilen neben der Bundesregierung im Wesentlichen alle im Bundestag vertretenen Parteien, die in der Charta der VN „(...) nach wie vor einen universellen Ansatz zur Verwirklichung eines friedlichen Zusammenlebens der Völker [und] einer nachhaltigen Entwicklung (...)“ sehen.³ In ihrem Streben nach Verrechtlichung der internationalen Beziehungen fördert die Bundesregierung unter anderem den Prozess der Konsolidierung des Internationalen Strafgerichtshofes (im folgenden: IStGH).
Im Bemühen um die internationale Sicherheit berücksichtigt die Bundesregierung wirtschaftliche, menschenrechtliche und entwicklungspolitische Aspekte, so dass neben der besonderen Betonung von Abrüstung, Rüstungskontrolle und restriktiver Rüstungsexportpolitik, der verbesserte Marktzugang für die Entwicklungsländer sowie aktive Menschenrechts- und Entwicklungspolitik ebenfalls Teile der offiziellen deutschen Interessenlage in den internationalen Beziehungen sind. Das zentrale entwicklungspolitische Ziel ist dabei die Stärkung der ökonomischen und sozialen Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften, insbesondere in den Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Die dahinterstehende Überzeugung ist, dass allein die nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und die Bekämpfung der Armut fördert, somit die beste Krisenprävention darstellt und daher am geeignetsten ist, zu einer sozial gerechten, ökologisch tragfähigen und damit nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung beizutragen. Daneben spielt die Umweltpolitik, insbesondere die Förderung erneuerbarer Energien, eine zentrale Rolle, da der Zugang zu Energie als zentrale Voraussetzung für die Bekämpfung der Armut angesehen wird.
Bei der Lösung regionaler Konflikte gibt die Bundesregierung kooperativen Ansätzen grundsätzlich den Vorzug und anerkennt die Notwendigkeit der konzeptionellen Weiterentwicklung von Konfliktpräventions- und Nachsorgestrategien.[3]
Bundesregierung und Bundestag betonen darüber hinaus die Notwendigkeit der Stärkung der finanziellen Grundlagen sowie der administrativen und politischen Strukturen der VN. Aufgrund seiner herausragenden Bedeutung für die Konfliktvermeidung und –verarbeitung sowie vor dem Hintergrund einer seit 1945 völlig veränderten weltpolitischen Realität, wird dabei die Reform der Zusammensatzung des Sicherheitsrates als besonders wichtig empfunden. Für die Bundesregierung ist ein gemeinsamer ständiger europäischer Sitz im Sicherheitsrat zwar wünschenswert. Sie will jedoch einen eigenen ständigen Sitz dann anstreben, wenn ein europäischer Sitz nicht erreichbar scheint und gleichzeitig eine Sicherheitsrats-Reform unter dem Gesichtspunkt größerer regionaler Ausgewogenheit realisiert werden kann.
2.2 Die aktuelle deutsche Außenpolitik – Zum Stand der Debatte
In der Debatte um die deutsche Außenpolitik herrscht nahezu Konsens darüber, dass der deutschen Außenpolitik infolge der Einigung der beiden deutschen Staaten und der damit verbundenen Erlangung der vollen außenpolitischen Souveränität sowie der im Ergebnis des Endes des Ost-West-Konfliktes veränderten internationalen Rahmenbedingungen neue Möglichkeiten eröffnet wurden.[4] Der Regierungswechsel im Jahre 1998 wird als neuerlicher Einschnitt betrachtet, dessen Folgen spätestens mit der rigorosen Ablehnung des Irak-Kurses der US-Regierung durch Bundeskanzler Schröder und seiner Rhetorik vom „deutschen Weg“[5] exemplarisch sichtbar wurden. Die Notwendigkeit einer veränderten Prioritätensetzung in der deutschen Außenpolitik infolge dieser Veränderungen wird generell anerkannt, Unterschiede werden jedoch hinsichtlich der Einschätzung deutlich, ob diese Neuausrichtung der Prioritäten in der Praxis tatsächlich erfolgt ist. Während von Bredow die stattfindenden Veränderungen in der deutschen Außenpolitik als beträchtlich einstuft[6], macht Risse zwar eine Veränderung hinsichtlich der angewandten außenpolitischen Mittel aus, stellt bei den außenpolitischen Zielen jedoch Kontinuität fest.[7] Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Maull, der kritisiert, dass die als Reaktion auf die veränderten internationalen Rahmenbedingungen dringend notwendige Neujustierung der Außenpolitik nicht stattgefunden habe.[8]
Die konfrontative Haltung im Vorfeld des Irakkrieges als stärkster Ausdruck „neuer“ deutscher Außenpolitik wird zwar von vielen Autoren als von der Sache her gerechtfertigt angesehen, kritisiert wird jedoch, dass sich die deutsche Regierung damit jeglicher Einflussmöglichkeit auf die US-Regierung beraubt hat. Die Ablehnung auch eines von der UNO legitimierten Krieges widerspreche außerdem der grundsätzlich multilateralen Ausrichtung der bundesrepublikanischen Außenpolitik.[9] Dieses Verhalten ist für einige Autoren Ausdruck einer tiefen außenpolitischen Krise[10], die sie vor allem auf die Vernachlässigung der Außenpolitik in Deutschland zurückführen und daher einen massiven Bedeutungsverlust der Außenpolitik im deutschen öffentlichen und politischen Leben identifizieren. So sind die prozentualen Ausgaben für internationale Aktivitäten, gemessen an den Budgets für Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit, seit den 80er Jahren kontinuierlich geschrumpft.[11] Diese Tendenzen werden durch die aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Deutschland, die der Außenpolitik noch mehr Ressourcen entziehen, weiter verstärkt. Zusammen mit einem fehlenden grundsätzlichen außenpolitischem Strategiediskurs, führe dies zur Erosion außenpolitischer Gestaltungsmacht.
Die allgemeine Bewertung der deutschen Außenpolitik, insbesondere der letzten zwei Jahre, fällt dementsprechend unterschiedlich aus. Während Schöllgen die Bundesrepublik unter anderem auch aufgrund ihres Verhaltens beim Irakkonflikt im Kreis der europäischen Großmächte verortet[12], stellt Maull fest, dass Deutschland in den letzten Monaten in allen wichtigen Kooperationszusammenhängen an Gewicht und Einfluss verloren hat. „Die Neuorientierung der deutschen Außenpolitik aus einer strategischen Perspektive heraus kann wohl kaum als erfolgreich betrachtet werden.“[13]
Nach Hellmann wird die Zivilisierung der internationalen Beziehungen nur mit dem zielstrebigen Einsatz deutscher Machtressourcen für eine Welt gelingen, in der regelgeleitetes Verhalten prämiert und Regelverletzung sanktioniert werden, um so die wechselseitige Erwartungsverlässlichkeit zu erhöhen. Die deutsche Außenpolitik lege aber tendenziell großmachtähnliche Verhaltensweisen an den Tag, wie neben dem deutschen Verhalten im Vorfeld des Irak-Krieges auch an den Versuchen Schröders exemplarisch deutlich wurde, Caio Koch-Weser als Chef des IWF zu installieren oder den „Blauen Brief“ aus Brüssel wegen Verstoßes gegen die Maastrichter Stabilitätskriterien zu verhindern. Die neue Herausforderung deutscher Außenpolitik bestünde darin, machtbewusstes und bescheidenes Verhalten zu versöhnen.[14]
Insgesamt gesehen dominiert also Skepsis bei der Beurteilung der derzeitigen deutschen Außenpolitik hinsichtlich der Kongruenz von offizieller und eigentlich notwendiger Zielsetzung einerseits und politischer Praxis andererseits. Fraglich ist, ob diese Skepsis auch hinsichtlich des deutschen Verhaltens in den VN angebracht ist.
3. Deutschland in den Vereinten Nationen
3.1 Deutsche VN-Politik bis 1998
Am 18. September 1973 wurden beide deutsche Staaten in die VN aufgenommen, nachdem von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, die auch ständige Mitglieder im VN-Sicherheitsrat sind, die Voraussetzungen für eine Doppelmitgliedschaft beider deutscher Staaten geschaffen worden waren. Brandt stellte nach der Aufnahme die Prinzipien der bundesdeutschen VN-Politik wie folgt dar:[15]
„ Wir sind (...) gekommen, um – auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten – weltpolitische Mitverantwortung zu übernehmen.“[16]
[...]
[1] Koalitionsvertrag zwischen SPD und BÜNDNIS90/DIEGRÜNEN aus dem Jahre 2002, Zugriff am 7.6.04 unter: http://www.spd.de/servlet/PB/menu/1023292/index.html
[2] Die Ausführungen dieses Punktes beziehen sich, sofern nicht anders vermerkt, auf Kapitel IX des Koalitionsvertrages (Anm. 1).
[3] http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/vn/vereinte_nationen/d_im_sicherheitsrat/index_html (Zugriff am 6.6.2004)
[4] Peters, Dirk (2001): The Debate About a New German Foreign Policy After Unification. In: Rittberger, Volker (Ed.): German Foreign Policy Since Unification: Theories and Case Studies. Manchester University Press, 2001, S. 11 sowie Bredow, Wilfried von (2003): Neue Erfahrungen, neue Maßstäbe, Gestalt und Gestaltungskraft deutscher Außenpolitik. In: Internationale Politik, 9/2003, S. 2.
[5] Hellmann, Gunther (2004): Von Gipfelstürmern und Gratwanderern. „Deutsche Wege“ in der Außenpolitik, APuZ B11/2004, S. 32.
[6] Bredow (Anm. 5), S. 1.
[7] Risse, Thomas (2004): Kontinuität durch Wandel. Eine „neue“ deutsche Außenpolitik. In APuZ B 11/2004, S. 24f.
[8] Maull, Hans W. (2003): Auf leisen Sohlen aus der Außenpolitik? In: Internationale Politik 9/2003, S. 26.
[9] Maull, Hans W. (2004): „Normalisierung“ oder Auszehrung? Deutsche Außenpolitik im Wandel, APuZ, B11/ 2004, S. 17.
[10] Hellmann, Gunther (2003): Agenda 2020. Krise und Perspektive deutscher Außenpolitik. In: Internationale Politik 9/2003, S. 39.
[11] Hellmann, 2004 (Anm. 6), S.35.
[12] Schöllgen, Gregor (2004): Die Zukunft der deutschen Außenpolitik liegt in Europa. In: APuZ, B11/2004, S. 15.
[13] Maull, 2004 (Anm. 10), S. 19.
[14] Hellmann, Gunther (2002): Der „deutsche Weg“. Eine außenpolitische Gratwanderung. In: Internationale Politik 9/2002, S. 7 f.
[15] Die Ausführungen dieses Punktes beziehen sich, sofern nicht anders angegeben auf: Knapp, Manfred (2003): Eine erfolgreiche außenpolitische Emanzipation. Drei Jahrzehnte deutsche Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. In: Vereinte Nationen 6/2003, S. 207 ff.
[16] zitiert nach: Knapp, 2003 (Anm. 16), S. 208.
- Citation du texte
- Martin Weber (Auteur), 2004, Interesse, Aktivitäten und Ergebnisse der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80237
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