Menschen reagieren auf fiktionale Ereignisse ebenso emotional wie auf das wirkliche Leben. Solche Gefühlsreaktionen bedeuten jedoch in den meisten Fällen keine Verwechslung von Realität und Fiktion, sondern sind ein Produkt angeborener sozialer Verhaltensweisen und komplexer neuronaler Vorgänge. Reaktionen wie Schrecken und Mitleid zum Beispiel geschehen spontan, fast reflexartig. Aber auch über Gedanken lassen sich Emotionen hervorrufen: Bestimmte literarische Textsorten, vorwiegend lyrische Texte, appellieren an das Einfühlungsvermögen des Lesers und lassen ihn an der Gefühlswelt fiktionaler Personen teilhaben.
Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ ist einer der bekanntesten und meist erforschtesten Romane der Literaturwissenschaft. Es stellte sich mir die Frage, warum das so ist. Dabei stieß ich auf zahlreiche Rezensionen zum Werk aus damaliger und heutiger Zeit, die immer wieder einen Ausdruck von Gefühlen spüren ließen. "Ja, die arme Effi!" schrieb Fontane selbst am 2. März 1895, nachdem der letzte Teil des Romans in der Deutschen Rundschau vorabgedruckt war, an den Verleger Hans Hertz.
Bei genauerer Betrachtung der Rezensionen kam es mir so vor, als wecke Fontanes Roman Emotionen jeglicher Art beim Leser. Es ist die Rede von Trauer und Tränen, aber auch von innerem Frieden.
Kann man nun davon ausgehen, dass „Effi Briest“ den Leser emotional gefangen nimmt, so wie es Tucholsky beschreibt? Wenn ja, wie erzeugt dieser Roman eine ästhetische Präsenz, die zugleich als messbare Emotion (Trauer, Glück o.ä.) erfahren wird? Und letztlich bleibt die Frage, wie ein literarischer Text auch bei wiederholter Lektüre oder in anderen zeitlichen Kontexten immer wieder die gleichen bzw. ähnliche Erregungszustände stimulieren kann?
Diese Arbeit soll anhand von sprachlichen und motivischen Besonderheiten im Werk darstellen, wie Theodor Fontane es geschafft hat, eine gewisse ästhetische Präsenz zu erschaffen, die beim Leser Emotionen bzw. Stimmungen hervorrufen. Dazu ist es vorab notwendig, den Begriff Emotion zu definieren. Anschließend möchte ich darstellen, welche literarischen Möglichkeiten es zum Auslösen von Emotionen gibt. Dabei beziehe ich mich im Kapitel 4.1. auf Simone Winkos Werk: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900. Diese Erläuterungen werden dann genutzt, um den Roman „Effi Briest“ auf seine ästhetisch-emotionale Präsenz zu untersuchen
Inhalt
1. Einleitung
2. Zum Begriff Emotion
3. Zum Roman „Effi Briest“
4. Die Gestaltung von Emotionen in „Effi Briest“
4.1. Die sprachliche Gestaltung
4.1.1. Präsentation von Emotionen8
4.1.2. Thematisierung von Emotionen
4.2. Die Erzählstruktur
4.3. Die Raumgestaltung
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„ Manchmal, o glücklicher Augenblick, bist du in ein Buch so vertieft, dass du in ihm versinkst- du bist gar nicht mehr da.[...] Dein Körper verrichtet gleichmäßig seine innere Fabrikarbeit- du fühlst ihn nicht. Du fühlst dich nicht. Nichts weißt du von der Welt um dich herum, du hörst nichts, du siehst nichts, du liest.[1] “ (Tucholsky)
Menschen reagieren auf fiktionale Ereignisse ebenso emotional wie auf das wirkliche Leben. Solche Gefühlsreaktionen bedeuten jedoch in den meisten Fällen keine Verwechslung von Realität und Fiktion, sondern sind ein Produkt angeborener sozialer Verhaltensweisen und komplexer neuronaler Vorgänge. Reaktionen wie Schrecken und Mitleid zum Beispiel geschehen spontan, fast reflexartig.[2] Aber auch über Gedanken lassen sich Emotionen hervorrufen: Bestimmte literarische Textsorten, vorwiegend lyrische Texte, appellieren an das Einfühlungsvermögen des Lesers und lassen ihn an der Gefühlswelt fiktionaler Personen teilhaben.
Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ ist einer der bekanntesten und meist erforschtesten Romane der Literaturwissenschaft. Es stellte sich mir die Frage, warum das so ist. Dabei stieß ich auf zahlreiche Rezensionen zum Werk aus damaliger und heutiger Zeit, die immer wieder einen Ausdruck von Gefühlen spüren ließen. "Ja, die arme Effi!" schrieb Fontane selbst am 2. März 1895, nachdem der letzte Teil des Romans in der Deutschen Rundschau vorabgedruckt war, an den Verleger Hans Hertz.[3]
Bei genauerer Betrachtung der Rezensionen kam es mir so vor, als wecke Fontanes Roman Emotionen jeglicher Art beim Leser. Es ist die Rede von Trauer und Tränen, aber auch von innerem Frieden. So schreibt Colmar Grünhagen 1895: „Sah mir die Augen aus dem Kopf, indem ich wieder „Effi“ las, eine Seite pro Tag, wieder unter Tränen [...].“[4] Peter Härtling schreibt ca. 70 Jahre später: „So kommt aus diesem Buch voll seelischer Unruhen schließlich doch der große Frieden über uns [..].“[5]
Kann man nun davon ausgehen, dass „Effi Briest“ den Leser emotional gefangen nimmt, so wie es Tucholsky beschreibt? Wenn ja, wie erzeugt dieser Roman eine ästhetische Präsenz, die zugleich als messbare Emotion (Trauer, Glück o.ä.) erfahren wird? Und letztlich bleibt die Frage, wie ein literarischer Text auch bei wiederholter Lektüre oder in anderen zeitlichen Kontexten immer wieder die gleichen bzw. ähnliche Erregungszustände stimulieren kann?
Diese Arbeit soll anhand von sprachlichen und motivischen Besonderheiten im Werk darstellen, wie Theodor Fontane es geschafft hat, eine gewisse ästhetische Präsenz zu erschaffen, die beim Leser Emotionen bzw. Stimmungen hervorrufen. Dazu ist es vorab notwendig, den Begriff Emotion zu definieren. Anschließend möchte ich darstellen, welche literarischen Möglichkeiten es zum Auslösen von Emotionen gibt. Dabei beziehe ich mich im Kapitel 4.1. auf Simone Winkos Werk: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900.[6] Diese Erläuterungen werden dann genutzt, um den Roman „Effi Briest“ auf seine ästhetisch-emotionale Präsenz zu untersuchen.
Es bleibt zu berücksichtigen, dass es sich beim Umfang dieser Arbeit nicht um eine umfassende und detaillierte Untersuchung handeln kann. Vielmehr möchte ich einige Aspekten darstellen, die es schaffen beim Lesen von Fontanes „Effi Briest“, Emotionen zu vermitteln und vielleicht auch zu erwecken.
2. Zum Begriff Emotion
Es sei zu Beginn erwähnt, dass in der literaturwissenschaftlichen Forschung eine Vielzahl von Begriffen zum Thema Emotion existieren: Gefühl, Empfindung, Eindruck, Affekt, Leidenschaft oder Stimmung. Die Bandbreite an Begrifflichkeiten erschwert eine klare Definition, deshalb möchte ich als Grundlage, um den Emotionsbegriff präzise zu definieren, den Aufsatz Geist oder Automat: Spekulationen über das fühlende Gehirn (1994) von Ernst Florey[7] nutzen, weil u.a. auch die Verbindung von Sprache und Emotionen berücksichtigt wird.
Florey unterscheidet in seinem Aufsatz zwischen den Begriffen Gefühl und Emotion. Emotionen sind nach Florey etwas ichbezogenes. Sie werden durch die subjektive Befindlichkeit einer Person reguliert bzw. bestimmt. Gefühle hingegen seien objektbezogen, d.h., jede Wahrnehmung oder Handlung wird bewertet.[8] Er schränkt diesen vermeintlichen Unterschied jedoch dadurch ein, dass Emotionen „durchaus auch Gefühle sind“[9]. Jedes Gefühl drücke sich jedoch anders aus. Es gibt demnach mehrere Arten von Gefühlen, die Florey jedoch nicht genauer beschreibt. Vielmehr schreibt er jedoch, dass jedes Denken von Gefühlen begleitet und geleitet wird. Sie bestimmen demnach unser Verhalten.[10] Folglich ist also jedes Gefühl auch ichbezogen. Deshalb werde ich im weiteren Verlauf der Begriffserklärung beide Termini als Emotionen zusammenfassen. Ich möchte erläutern, warum ich das tue: Emotionen und Gefühle werden laut Florey als Zustände erfahren, die nicht extra herbeigeführt werden können und sich nicht beeinflussen lassen. Der Erfahrende ist in beiden Fällen passiv. Wenn jemand z.B. einen Roman liest, hat er zwar Einfluss darauf, was er liest, aber er kann seine Empfindungen auf das Gelesene nicht beeinflussen. Er reagiert passiv auf das, was er liest.
An dieser Stelle möchte ich einen kurzen Exkurs zum Stimmungsbegriff machen, weil er für die weitere Analyse von Bedeutung und vom Emotionsbegriff abzugrenzen ist.
Wesentliche Unterschiede zwischen Stimmung und Emotion sind die Intensität und die Dauer. Während Emotionen in der Regel als mentaler Zustand betrachtet werden, der nur für eine kurze Zeit andauert, intensiv empfunden wird (z.B. körperlich: Herzklopfen, Schweißausbrüche etc.), einen Auslöser hat und auf ein Objekt gerichtet ist, gilt das für die Stimmung nicht. Stimmungen werden als lang anhaltende Zustände aufgefasst, die meist unbewusst verlaufen, aber bewusst gemacht werden können, deren Auslöser unspezifischer und deren Objektbezüge unklarer sind oder sich auf gar keine Objekte beziehen lassen. Stimmungen werden von körperlichen, kognitiven und emotionalen Zuständen hervorgerufen.[11]
Bei der folgenden Analyse muss demnach immer berücksichtigt werden, ob es sich wohlmöglich eher um eine Stimmung oder Emotionen handelt, die beim Leser hervorgerufen werden.
Abschließend möchte ich noch einmal auf den Aufsatz von Ernst Florey zurückkommen, um die Verbindung von Sprache und Emotionen zu erläutern. Er schreibt, dass jeder Mensch über seine Emotionen reden kann. Dieser Aspekt ist für die weitere Betrachtung von großer Bedeutung, da somit auch jedes Individuum durch Selbsterfahrung Emotionen beim Zuhören bzw. Lesen empfinden könne, d.h., Sprache drückt Emotionen aus und stößt gleichzeitig auf Resonanz.[12] Florey spricht an dieser Stelle von „ureigensten Emotionen“.
[...]
[1] www.textlog.de/tucholsky-moment-lesen.html
[2] Florey, Geist und Automat, S. 95ff.
[3] Vgl. http://www.derkanon.de/romane/roman_briest.html
[4] Vgl. Schafarschik, Erläuterungen und Dokumente, S. 110.
[5] Ebd., S. 137.
[6] Zwar betrachtet Simone Winko nur lyrische Texte, dennoch sind die zur Untersuchung herangezogenen Elemente auch auf epische Texte anzuwenden.
[7] Professor der Neurophysiologie und Geschichte der Naturwissenschaften
[8] Vgl. Florey, Geist oder Automat, S. 93.
[9] Ebd., S. 93.
[10] Ebd.
[11] Winko, Kodierte Gefühle, S. 77.
[12] Vgl. Florey, Geist oder Automat, S. 103.
- Citar trabajo
- Monique Schwertfeger (Autor), 2006, „Ja, die arme Effi“ - Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ als Vermittler und Auslöser von Emotionen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80210
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