Die Aktualität der Energiemarktliberalisierung, welche sich in Österreich durch die 100%ige Öffnung des Strommarktes per 1. Oktober 2001 zeigt, veranlasst viele Unternehmen, sich mit diesem Thema näher zu befassen. Aber nicht nur in Österreich, sondern auch in der Europäischen Union steht das Thema Energiemarktliberalisierung und derzeit insbesondere das „Unbundling“ ganz oben auf der Tagesordnung. Es erfolgte eine grundlegende Umorientierung der Elektrizitätsversorgungsgesellschaften von gemeinwirtschaftlich orientierten Versorgungsunternehmen zu modernen Dienstleistungsbetrieben. Dieser Umstand galt natürlich als Herausforderung für Elektrizitätsunternehmen, weshalb Zusammenschlüsse und strategische Allianzen gebildet wurden. Diese Vereinigungen von Unternehmen hatte einerseits den Zweck der Marktfestigung, andererseits den Zweck, den Wettbewerb auch gegen ausländische Stromanbieter zu bestehen. Um in diesem Wettbewerb zu gewährleisten, dass jeder Anbieter diskriminierungsfreien Zugang zu jedem Kunden im Leitungsnetz der Versorgungsunternehmen erhält, welches ein natürliches Monopol darstellt, muss eine hinreichende Transparenz geschaffen werden. Dies wird durch Entflechtung der Unternehmensaktivitäten des Netzbetreibers von anderen Aktivitäten erreicht. Auch in deutschsprachigen Ländern hat sich für die Entflechtung der englische Begriff des „Unbundling“ eingebürgert.
Diese Entflechtung von Unternehmen stellt derzeit eine sehr aktuelle Thematik dar, welche in dieser Arbeit aus Sicht der Unternehmensführung dazustellen versucht wird. Einleitend wird ein theoretischer Hintergrund zum Thema Energiemarktliberalisierung vorgestellt, welcher sich im Kapitel 2 mit den Besonderheiten von Elektrizitätsmärkten auseinandersetzt. Im nachfolgenden Kapitel 3 wird auf die Entwicklung der Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft eingegangen, wo die historische Entwicklung der Richtlinie 96/92/EG bis zur Beschleunigungsrichtlinie 2003/54/EG und deren Umsetzung in Österreich dargestellt wird. Im Kapitel 4 wird die Auswirkung der Liberalisierung auf die Elektrizitätsunternehmen in Österreich beschrieben, wobei ein direkter Praxisbezug zur LINZ AG hergestellt wird. Das Legal Unbundling wird im Kapitel 5 besonders beleuchtet und die möglichen Modelle der Umsetzung versucht zu beschreiben, wobei ebenfalls ein Praxisbezug zur LINZ AG /LINZ STROM GmbH hergestellt wird. Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung des behandelten Themas.
Inhalt
Gesetze und Rechtsverordnungen
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Vorwort
2 Besonderheiten der Elektrizitätswirtschaft
2.1 Physikalische Eigenschaften von Energie
2.2 Wirtschaftliche Eigenschaften des Produktes Strom
3 Die Entwicklung der Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft
3.1 Die EU-Binnenmarktrichtlinie 96/92/EG
3.2 Gründe für die Liberalisierung
3.2.1 Grundlagen und historische Entwicklung bis zur Richtlinie
3.2.2 Zentrale Punkte der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie
3.3 Das ElWOG 1998
3.3.1 Ziele und gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen
3.3.2 Entflechtung und Transparenz
3.3.3 Organisation des Netzzugangs
3.3.4 Umsetzung in den Ländern
3.3.5 Umsetzung in den Betrieben
3.4 Das ElWOG 2000
3.4.1 Energieliberalisierungsgesetz
3.4.2 Ziele des Bundesgesetzes
3.4.3 Die vollständige Marktöffnung
3.4.4 Regelzonen, Regelzonenführer
3.4.5 Bilanzgruppe, Marktteilnehmer, Marktregeln
3.4.6 Marktmodell
3.4.7 Umsetzung in den Betrieben
3.5 Die Regulierungsbehörden
3.5.1 Einführung einer Regulierungsbehörde
3.5.2 Die Energie-Control GmbH
3.5.3 Die Energie-Control Kommission
3.6 Liberalisierung des Strommarktes im EU-Vergleich
3.7 Die Beschleunigungsrichtlinie 2003/54/EG
3.7.1 Zentraler Punkt der neuen Richtlinie
3.7.2 Stand der Umsetzung der Richtlinie in Österreich
4 Auswirkungen der Liberalisierung auf die EVU in Österreich
4.1 Konzentration am europäischen Strommarkt
4.2 Vom Versorgungsunternehmen zum Dienstleister
4.2.1 Wettbewerb und Marktentwicklung
4.2.2 Synergieeffekte durch Konzentration
4.2.3 Veränderung des Beschäftigtenstandes
4.3 Umstrukturierung der österreichischen Stromlandschaft
4.3.1 Zusammenschlüsse, Beteiligungen und Kooperationen
4.3.2 Die „österreichische Stromlösung“ – Energie Austria
4.4 Auswirkungen der Liberalisierung bei der LINZ AG
4.4.1 Zusammenschlüsse und Kooperationen
4.4.2 Veränderung der IT-Landschaft
4.4.3 Trennung von Netzbereich und Vertrieb
5 Legal Unbundling
5.1 Der Begriff Unbundling
5.2 Vorgaben und Motive der Europäischen Union
5.3 Rechtliche Grundlagen
5.3.1 Europäische Union
5.3.2 Österreich
5.4 Die Entflechtungsregelung der Europäischen Union
5.4.1 Buchhalterisches Unbundling
5.4.2 Informatorisches Unbundling
5.4.3 Organisatorisches Unbundling
5.4.4 Rechtliches Unbundling (Legal Unbundling)
5.5 Mögliche Umsetzungen des „Legal Unbundling“
5.5.1 Umsetzungsmodell 1: Ausgliederung
5.5.2 Umsetzungsmodell 2: Betriebsverpachtung
5.5.3 Umsetzungsmodell 3: Betriebsführung
5.6 Legal Unbundling bei der LINZ AG
5.6.1 Voruntersuchung
5.6.2 Umsetzung Pachtmodell
6 Schlussbetrachtung
Quellenverzeichnis
Anhang1 – LINZ AG Konzern
Anhang2 - LINZ STROM GmbH
Gesetze und Rechtsverordnungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Wertschöpfungskette der Elektrizitätswirtschaft (Prisching 2003, 34).
Abb. 2: Vergleich vertikaler Integration und Unbundling (Lechner 2005).
Abb. 3: Die geplante Marktöffnung in der EU (vgl. Daxler 1997, 149).
Abb. 4: Beispiel einer Transportdurchleitung (vgl. Derler 2005).
Abb. 5: Vollständige Marktöffnung nach dem Liberalisierungsgesetz (vgl. Grubich / Krottenthaler 2001, 216).
Abb. 6: Regelzonen in Österreich (Thuma 2003, 3).
Abb. 7: Beziehungsgeflecht der Marktteilnehmer (Derler 2002, 10).
Abb. 8: Kommunikation zwischen den Marktteilnehmern (Benckendorff / Schwarz 2004).
Abb. 9: Organisation der Energie-Regulierungsbehörden in Österreich.
Abb. 10: Aktueller Stand der Marktöffnung in der EU (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2005a).
Abb. 11: Vergleich Strommarkt vor und nach der Liberalisierung (E-Control 2003, 6).
Abb. 12: Beschäftigtenstand der Energie/Stadtbetriebe (Kraus 2005, 31).
Abb. 13: Marktanteile der größten Stromunternehmen in Europa (E-Control 2004, 60).
Abb. 14: Struktur der Österreichischen Stromlösung (o. V. 2005a).
Abb. 15: Beteiligungsstruktur der Energie Allianz Austria (o. V. 2005b).
Abb. 16: Das Versorgungsgebiet der Energie Allianz Austria (o. V. 2005d).
Abb. 17: Vergleich integriertes EVU und entflochtenes EVU (vgl. Derler 2005).
Abb. 18: Rechtliche Grundlagen zur Entflechtung (vgl. Derler 2005).
Abb. 19: Anwendung der Entflechtungsregeln auf ÜNB/FNB und VNB (Vermerk der GD Energie und Verkehr 2004).
Abb. 20: Freistellung von den Entflechtungsregeln (Derler 2004, 7).
Abb. 21: Typische Struktur eines integrierten EVU (vgl. Derler 2005).
Abb. 22: Mögliche Variante mit eigenständiger Netzgesellschaft (vgl. Derler 2005).
Abb. 23: Mögliche Variante – Verpachtung (vgl. Derler 2005).
Abb. 24: Umsetzungsstrategien Legal Unbundling (Oehler / Haderer 2005,5).
Abb. 25: Mögliche Variante – Betriebsführung (vgl. Derler 2005).
Abb. 26: Pachtmodellvariante LINZ AG (vgl. Derler 2005a).
Abb. 27: Detailprozess Pachtmodell LINZ AG (vgl. Derler 2005a).
Abb. 28: Organigramm der LINZ STROM Netz GmbH (Derler 2005a).
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Zeitplan der EU-Binnenmarktrichtlinie 96/92/EG (o. V. 2005e).
Tab. 2: Zusammenfassung der Haupthemmnisse für den Wettbewerb (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005, 5).
Tab. 3: Europäische Elektrizitätsunternehmen im Vergleich – Jahr 2001 (E-Control 2004, 37).
Tab. 4: Marktkonzentration am österreichischen Strommarkt (vgl. E-Control 2004, 63).
Tab. 5: Zusammenschlüsse und Beteiligungen seit dem Jahre 2000 (E-Control 2004, 70f.).
Tab. 6: Fristen zur Umsetzung des Legal Unbundling (vgl. Derler 2004, 7).
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Vorwort
Die Aktualität der Energiemarktliberalisierung, welche sich in Österreich durch die 100%ige Öffnung des Strommarktes per 1. Oktober 2001 zeigt, veranlasst viele Unternehmen, sich mit diesem Thema näher zu befassen. Aber nicht nur in Österreich, sondern auch in der Europäischen Union steht das Thema Energiemarktliberalisierung und derzeit insbesondere das „Unbundling“ ganz oben auf der Tagesordnung. Die Öffnung dieses Marktes führte zu tief greifenden Veränderungen in der Elektrizitätswirtschaft, einer Branche, der eine volkswirtschaftliche Schlüsselstellung zukommt. Es erfolgte eine grundlegende Umorientierung der Elektrizitätsversorgungsgesellschaften von gemeinwirtschaftlich orientierten Versorgungsunternehmen zu modernen Dienstleistungsbetrieben. Dieser Wechsel von Gemeinwirtschaft zur Marktwirtschaft wurde in Österreich durch das Eletrizitätswirtschafts- und
–organisationsgesetz 1998 als Grundlage der EU-Binnenmarktrichtlinie zum Elektrizitätsmarkt 1996 umgesetzt. Dies war aber durch das ElWOG 1998 in der ursprünglichen Fassung nur begrenzt möglich, da es lediglich einem beschränkten Verbraucherkreis möglich war, den Strombezug frei zu wählen. Erst die Novellierung des ElWOG 1998 durch das Energieliberalisierungsgesetz im Jahre 2000 ermöglichte eine vollständige Liberalisierung auf diesem Sektor. Somit war es ab 1. Oktober 2001 in Österreich jedem Verbraucher möglich, seinen Stromlieferanten frei zu wählen.
Dieser Umstand galt natürlich als Herausforderung für Elektrizitätsunternehmen, weshalb Zusammenschlüsse und strategische Allianzen gebildet wurden. Diese Vereinigungen von Unternehmen hatte einerseits den Zweck der Marktfestigung, andererseits den Zweck, den Wettbewerb auch gegen ausländische Stromanbieter zu bestehen. Um in diesem Wettbewerb zu gewährleisten, dass jeder Anbieter diskriminierungsfreien Zugang zu jedem Kunden im Leitungsnetz der Versorgungsunternehmen erhält, welches ein natürliches Monopol darstellt, muss eine hinreichende Transparenz geschaffen werden. Dies wird durch Entflechtung der Unternehmensaktivitäten des Netzbetreibers von anderen Aktivitäten erreicht. Auch in deutschsprachigen Ländern hat sich für die Entflechtung der englische Begriff des „Unbundling“ eingebürgert.
Diese Entflechtung von Unternehmen stellt derzeit eine sehr aktuelle Thematik dar, welche in dieser Arbeit in einem beschränkten Umfang aus Sicht der Unternehmensführung dazustellen versucht wird. Einleitend wird ein theoretischer Hintergrund zum Thema Energiemarktliberalisierung vorgestellt, welcher sich im Kapitel 2 mit den Besonderheiten von Elektrizitätsmärkten auseinandersetzt. Im nachfolgenden Kapitel 3 wird auf die Entwicklung der Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft eingegangen, wo die historische Entwicklung der Richtlinie 96/92/EG bis zur Beschleunigungsrichtlinie 2003/54/EG und deren Umsetzung in Österreich dargestellt wird. Im Kapitel 4 wird die Auswirkung der Liberalisierung auf die Elektrizitätsunternehmen in Österreich beschrieben, wobei ein direkter Praxisbezug zur LINZ AG hergestellt wird. In den Bereichen Umsetzung und Auswirkung der Binnenmarktrichtlinie wird versucht, einen Vergleich zu anderen EU-Ländern herzustellen. Das Legal Unbundling wird im Kapitel 5 besonders beleuchtet und die möglichen Modelle der Umsetzung versucht zu beschreiben, wobei ebenfalls ein Praxisbezug zur LINZ AG /LINZ STROM GmbH hergestellt wird. Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung des behandelten Themas.
2 Besonderheiten der Elektrizitätswirtschaft
Zu Beginn meiner Arbeit stelle ich die Grundlagen der Elektrizitätswirtschaft dar und gehe auf die charakteristischen Merkmale dieses Wirtschaftssektors ein, welcher durch seine Besonderheiten, wie Leitungsgebundenheit und Nichtspeicherbarkeit, einen Vergleich mit anderen liberalisierten Wirtschaftsbereichen, wie der Telekommunikation, Gasversorgung oder des Schienenverkehrs, nicht zulässt. Daher können auch Erfahrungen anderer liberalisierter Bereiche nicht uneingeschränkt auf die Elektrizitätswirtschaft übertragen werden. Diese Merkmale seien im Folgenden kurz erklärt.
Die Elektrizitätswirtschaft ist durch zwei charakteristische Merkmale gekennzeichnet:
- die physikalischen Eigenschaften von elektrischem Strom
- die wirtschaftlichen Eigenschaften des Produktes Strom
2.1 Physikalische Eigenschaften von Energie
Maßeinheiten der Elektrizität
Als Maßeinheiten der Elektrizität gelten:
- Volt (V) (Spannung)
- Ampere (A) (Stromstärke)
- Watt (W) (Leistung)
- Wattstunde (Wh) (Elektrische Arbeit = Leistung (W) mal Zeit (h)
(vgl. Strebl 1993, 5).
Zusätzlich zu den Maßeinheiten werden auch Vorsätze zur Größenordnung angegeben. In dieser Arbeit beschränkt sich das auf folgende Abkürzungen:
- Kilo (k) (=1.000)
- Mega (M) (=1.000.000)
- Giga (G) (=1.000.000.000)
(vgl. Rennert, Schmiedel 1995, 15).
Besondere Eigenschaften der Elektrizität
Der wesentlichste Unterschied zwischen elektrischem Strom und anderen Gütern ist der Umstand, dass diese in dem Moment erzeugt werden muss, wenn sie nachgefragt wird. Eine Speicherung erfolgt im Netz nur in den angeschlossenen rotierenden Massen in geringem Umfang (vgl. Weingartner 2002, 22).
Ein Abweichen von diesem Gleichgewicht führt unweigerlich zu einer unzulässigen Veränderung der Netzfrequenz, zu Ausfällen von Kraftwerken oder kann sogar zu einem Black-Out führen. Ein Verbundsystem muss demzufolge unter alleiniger Verantwortlichkeit eines System Operators stehen, um stets in einem optimalen Zustand gehalten zu werden (vgl. Strebl 1993, 34).
Die weiteren grundlegenden Eigenschaften lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
- Elektrische Energie hat keinen stofflichen (materiellen) Charakter, wird aber rechtlich als Sache qualifiziert.
- Elektrische Energie kann aus allen Energiezuständen und Energiequellen gewonnen werden.
- Elektrische Energie lässt sich mit hohem Wirkungsgrad in jede andere Energieform umwandeln.
- Elektrische Energie lässt sich schadstofflos verwenden.
- Elektrische Energie ist beinahe masse- und volumenlos und somit sehr gut steuer-, regel- oder dosierbar.
- Elektrische Energie ist leitungsgebunden. Die Voraussetzung für den Transport des Stromes ist elektrisch leitfähiges Material.
- Elektrische Energie geht immer den Weg des geringsten Widerstandes über die vorhandenen Übertragungseinrichtungen (Kirchhof´sches Gesetz). Der Strom sucht sich seinen Weg vom Erzeuger zum Konsumenten selbst, ungeachtet der vertraglichen Vereinbarungen. Ein direktes physikalisches Lieferverhältnis findet somit im Allgemeinen nicht statt (Ausnahme: Die Lieferung erfolgt über eine einzige Leitung zwischen Erzeuger und Abnehmer)
(vgl. Grubich / Krottenthaler 2001, 18f).
2.2 Wirtschaftliche Eigenschaften des Produktes Strom
Elektrische Energie ist ein homogenes Gut (Commodity). Diese Energieform zeichnet sich dadurch aus, dass von jedem Energieversorgungsunternehmen diese Leistungserstellung erbracht werden kann, ohne dass der Kunde unterschiedliche Ausgestaltungen wahrnehmen kann.
Das Produkt Strom ist demzufolge schwierig mit besonderen Vorteilen, Qualitätsmerkmalen und Markenelementen zu beurteilen. Eine Erweiterung des Angebots durch Dienstleistungen ist eine Möglichkeit, in einem begrenzten Umfang Wettbewerbsvorteile zu erlangen (vgl. Kloubert 2003, 7).
Eine weitere Möglichkeit zur Produktdifferenzierung bietet auch der Ökostrommarkt. Allerdings könnte das stark ausgebaute Fördersystem für erneuerbare Stromerzeugung in Österreich gerade auch das Besetzen dieser Nische deutlich erschweren. Trotzdem erscheint eine deutlich abgehobene Positionierung der Ökoenergie als derzeit augenfälligste Chance einer aussichtsreichen Differenzierung (vgl. Haberfellner u.a. 2002, 29).
3 Die Entwicklung der Deregulierung der Elektrizitätswirtschaft
3.1 Die EU-Binnenmarktrichtlinie 96/92/EG
Seit die Binnenmarktrichtlinie in Kraft getreten ist, sind große Veränderungen am europäischen Energiemarkt geschehen. Eine essentielle Zielsetzung der EU-Binnenmarktrichtlinie liegt im Aufbau eines europaweiten Wettbewerbs im Bereich Handel mit Energie. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten besteht darin, die nationalen Elektrizitätsmärkte in einem bestimmten Mindestausmaß zu öffnen, ohne dass die Richtlinie vorgibt, welche Arten von Verbrauchern Adressaten des Wettbewerb im Strombinnenmarkt sind und welchen Kundenkategorien Netzzugang zu gestatten ist. Die Verpflichtung zur Marktöffnung eines Mitgliedstaates ist dann erfüllt, wenn er durch erforderliche Rechtsvorschriften sicherstellt, dass die nationale Marktquote erreicht wird. Die EU-Binnenmarktrichtlinie sieht eine stufenweise Anhebung des Mindestmarktöffnungsgrades vor (vgl. Stockinger 2001, 19).
3.2 Gründe für die Liberalisierung
Art. 14 Abs. 2 EGV definiert den Binnenmarkt als einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist (vgl. Streinz 2001, 382).
Obgleich elektrische Energie als Ware zu qualifizieren ist und daher die Warenverkehrsfreiheit und die Wettbewerbsregeln des EGV auch für Strom gelten und obwohl eine sichere, preisgünstige Stromversorgung eine bedeutende Vorraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft am Weltmarkt darstellt, haben sich die europäischen Instanzen erst sehr spät mit dem Problem der national abgeschlossenen Märkte in der Energiewirtschaft auseinandergesetzt (vgl. Wimmer / Arnold 1998, 272).
Im Weißbuch 1988 „Der Binnenmarkt für Energie“ forderte der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft die Versorgung auf den Weltmärkten mit kostengünstiger Energie, insbesondere mit Gas und Elektrizität. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten vor allem Wettbewerbselemente in die geschützten Märkte für Strom und Gas eingeführt werden (vgl. Schanda 1999, 23).
Primäres Ziel der Liberalisierung des Strommarktes war es, einen Rahmen zu schaffen, in dem die effiziente Produktion und Verteilung der Ware Strom ermöglicht wird und in dem die Marktteilnehmer für ihre Entscheidungen richtige Preissignale erhalten. Als Sekundäreffekt der Liberalisierung traten wettbewerbsbedingte Preissenkungen ein, die auf die beteiligten Unternehmen einen nicht unbedeutenden Kosten- und Anpassungsdruck ausübten (vgl. Hujber 2002, 1).
3.2.1 Grundlagen und historische Entwicklung bis zur Richtlinie
Bereits mit dem Strategiepapier „Binnenmarkt für Energie“ und dem Richtlinienvorschlag für einen Binnenmarkt für Elektrizität und Erdgas im Jahr 1991 begann in der EU die Diskussion über die Einführung von Wettbewerbselementen in die Elektrizitätswirtschaft. Die entsprechende Richtlinie wurde erst Anfang 1997 erlassen. Auf Basis dieser EU-Binnenmarktrichtlinie (Richtlinie 96/92/EG), die am 19. Februar 1997 in Kraft trat, wurde begonnen, die Strommärkte in Europa zu liberalisieren. Der grundlegende Inhalt dieser Richtlinie und somit auch die Bedeutung der Strommarktliberalisierung der EU Mitglieder liegt in folgenden Zielsetzungen:
- Stärkung der Versorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit
- Monopole von staatlichen EVU zu brechen,
- Stromkunden die freie Wahl ihres Stromlieferanten zu gewähren,
- durch Wettbewerb die Effizienz (Produktivität) und die Strompreise zu senken
- die Effizienz bei Erzeugung, Übertragung und Verteilung zu heben.
Durch diese Punkte wird eindeutig festgestellt, dass in der Richtlinie ökonomische Ziele im Vordergrund stehen (vgl. Mader 2003, 21f / Schaefer 2005, 1f).
Die nachstehende Tabelle zeigt den Zeitplan der EU-Binnenmarkt-richtlinie.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Zeitplan der EU-Binnenmarktrichtlinie 96/92/EG (o. V. 2005e).
Den Mitgliedstaaten wurde längstens ein Zeitraum von zwei Jahren (bis 19. Februar 1999) nach Inkrafttreten gewährt, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Nur Belgien, Griechenland und Irland wurde aufgrund der technischen Besonderheiten ihrer Elektrizitätssysteme eine zusätzliche Frist eingeräumt. Für Belgien und Irland beträgt diese jeweils ein, für Griechenland zwei Jahre (vgl. BMWA – Sektion Energie 2001, 1).
Dem Grundgedanken der EU von einem Binnenmarkt ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist, wurde mit dieser Richtlinie entsprochen (vgl. Richtlinie 96/92/EG 1996).
In den nachfolgenden Ausführungen wird häufig von einem vertikal integrierten Unternehmen gesprochen, deswegen vorweg die Erklärung, was eigentlich in der Energiewirtschaft damit gemeint ist:
- das Unternehmen ist gleichzeitig in der Erzeugung oder in der Versorgung mit Elektrizität tätig und der Netzbetrieb erfolgt innerhalb der gleichen Rechtsstruktur,
oder
- der Netzbetrieb erfolgt in einem rechtlich getrennten Netzunternehmen, das jedoch unter der „Kontrolle“ des Versorgungs-/Erzeugungsunternehmen oder einer Holding-Gesellschaft, die ein Versorgungs-/Erzeugungsunternehmen ist, steht,
oder
- das getrennte Netzunternehmen kontrolliert das Versorgungs-/Erzeugungsunternehmen und ist daher gleichzeitig eine Holding-Gesellschaft
(vgl. Derler 2004, 5).
3.2.2 Zentrale Punkte der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie
3.2.2.1 Energieerzeugung
Art. 4 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie lautet:
„[…]Für den Bau neuer Erzeugungsanlagen können die Mitgliedstaaten zwischen einem Genehmigungsverfahren und/oder einem Ausschreibungsverfahren wählen. Bei den Genehmigungen sind ebenso wie bei den Ausschreibungen objektive, transparente und nichtdiskriminierende Kriterien anzuwenden[…]“ (Richtlinie 96/92/EG 1996, Art. 4).
Für alle Erzeuger sollte die Errichtung von Kraftwerken, zumindest theoretisch, in allen europäischen Staaten möglich werden. Der Bau von Erzeugungsanlagen soll aber weiterhin genehmigungspflichtig sein, wobei diese Genehmigung abhängig von der Erfüllung objektiver und nicht–diskriminierender Kriterien ist. Weiters soll Erzeugungsanlagen, in denen erneuerbare Energieträger eingesetzt werden, aus Umweltschutzgründen (Reduktion der Aussenabhängigkeit) der Vorzug gegeben werden (vgl. Daxler 1997, 147f.).
Die Richtlinie lässt dem Mitgliedsstaat für die Errichtung neuer Kraftwerke die Wahl zwischen Ausschreibungs- und (weniger wettbewerbsintensiven) Genehmigungsverfahren.
Ausschreibungsverfahren
In der Binnenmarktrichtlinie wurde für den Fall der Ausschreibung in Art. 6 eine Verfahrensrichtlinie formuliert. In regelmäßigen Zeitabständen, mindestens aber im Abstand von 2 Jahren ist eine Vorausschau über die Erzeugungs- und Übertragungskapazitäten, die an das Netz angeschlossen werden können, den Bedarf an Verbindungen mit anderen Netzen, die Übertragungspotentiale und die Elektrizitätsnachfrage zu erstellen. Das Ausschreibungsverfahren ist im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen. Im Lastenheft sind Verfahrensregeln, Leistungsspezifikationen und Bewertungskriterien niederzulegen, und das Verfahren selbst ist von einer definierten Institution des Mitgliedslandes zu überwachen (vgl. Richtlinie 96/92/EG 1996, Art. 6).
Genehmigungsverfahren
Mitglieder der Union, die sich für das Genehmigungsverfahren entscheiden, können sich diesem einschränkenden Verfahren entziehen, wobei die Gründe zur Verweigerung trotzdem objektiv und nicht-diskriminierend sein müssen. Hinsichtlich Auswahl und Bewertung der Kriterien herrscht aber ein ausgedehnter Spielraum. Die Kriterien können sich auf Aspekte wie Umweltschutz, Energieeffizienz, Art der Primärenergieträger oder Flächennutzung beziehen (Richtlinie 96/92/EG 1996, Art. 4).
3.2.2.2 Entflechtung (Unbundling)
Der Begriff „Unbundling“ benennt in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft die Trennung der Marktbereiche Erzeugung, Vertrieb und Handel von den weiterhin bestehenden natürlichen Monopolbereichen Übertragung und Verteilung. Dies bedeutet die Trennung jener Aktivitäten der gesamten Wertschöpfungskette, die als natürliches Monopol reguliert werden müssen, von jenen Bereichen, bei denen ein Wettbewerb entstehen kann.
Die Wertschöpfungskette der Elektrizitätswirtschaft teilt sich in folgende Aufgabenbereiche:
- Erzeugung (Umwandlung einer Energieform in elektrische Energie)
- Handel (Kauf und Verkauf von elektrischer Energie auf Höchstspannungsebene)
- Übertragung (Transport der elektrischen Energie auf Höchstspannungsebene)
- Verteilung (Transport der elektrischen Energie auf Mittel- und Niederspannung)
- Vertrieb (Verkauf und Verrechnung der elektrischen Energie an Endverbraucher)
(vgl. Prisching 2003, 34).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Wertschöpfungskette der Elektrizitätswirtschaft (Prisching 2003, 34).
Manche EVU verfügen neben Kraftwerksanlagen auch über Transport- und Verteilernetzanlagen. Unternehmen, die mindestens zwei der Funktionen Erzeugung, Verteilung oder Übertragung wahrnehmen, nennt man „vertikal integrierte Elektrizitätsunternehmen“ (vgl. Richtlinie 96/92/EG 1996, Art. 2).
Derartige vertikal integrierte Unternehmen besitzen einen Informationsvorteil gegenüber einem anderen Erzeuger oder Vertrieb, der Verbraucher in ihrem Netzgebiet beliefern möchte. Dieser Vorteil darf nun nicht mehr genützt werden, da die Erzeugung dem Wettbewerb unterstellt wird und nur die Übertragung und Verteilung als Monopol bestehen bleibt. Diese verbleibenden Transport- und Verteilfunktionen sind jedenfalls buchhalterisch von der Erzeugung zu trennen. (vgl. Bodenhöfer / Wohlgemuth 1998, 373ff.).
Die Richtlinie 96/92/EG (1996, Art. 14) besagt, dass integrierte Elektrizitätsunternehmen zur Vermeidung von Diskriminierung, Quersubventionen und Wettbewerbsverzerrungen getrennte Konten in ihren internen Büchern für Erzeugung, Übertragung und Verteilung zu führen haben. Diese Trennung ist so durchzuführen, als wenn die betreffenden Tätigkeiten von separaten Firmen ausgeführt würden. Für jede Aktivität haben sie eine Bilanz sowie eine Ergebnisrechnung in den Anhang ihres Jahresabschlusses aufzunehmen. In der nachfolgenden Abb. 2 wird der Übergang von der vertikalen Integration zum entflochtenen Unternehmen grafisch dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Vergleich vertikaler Integration und Unbundling (Lechner 2005).
In Fällen, in denen für die Versorgung ein Alleinabnehmer zuständig ist, muss diese getrennt von der Verteilung und Erzeugung geführt werden. Es muss weiters sichergestellt werden, dass außer den erforderlichen Informationen für den Alleinabnehmer zur Erfüllung seiner Tätigkeit keine Informationen zwischen der Tätigkeit als Alleinabnehmer und seinen Erzeugungs- und Verteilungstätigkeiten übermittelt oder zugänglich gemacht werden (vgl. Bödenhöfer / Wohlgemuth 1998, 373ff.).
3.2.2.3 Organisation des Netzzugangs
Ein wesentliches Element der Einführung von Wettbewerb ist der Zugang des Kunden zum Markt. Die verschiedenen Netzzugangsmodelle müssen somit zu einer direkt vergleichbaren Marktöffnung über den Zugang zum Elektrizitätsmarkt führen. Die Mitgliedsländer müssen sich zwischen dem „Third Party Access“ (Netzzugang auf Vertragsbasis) und dem „Single Buyer System“ (Alleinabnehmermodell) entscheiden (vgl. Grubich / Krottenthaler 2001, 201).
Third Party Access
Man unterscheidet beim Third Party Access-Modell (TPA) zwischen dem geregelten Netzzugang (regulated Third Party Access, rTPA) und zwischen dem verhandelten Netzzugang (negotiated Third Party Access, nTPA).
Beim TPA-Modell mit geregeltem Netzzugang wird der Zugang zum Netz zu veröffentlichten Tarifen gewährt – so wie in Österreich. Die zugelassenen Kunden haben einen Anspruch auf freien Netzzugang zu den festgesetzten Tarifen.
Beim verhandelten Netzzugangsmodell (nTPA) basiert der Stromhandel auf freiwilligen, kommerziellen Verträgen zwischen Erzeugern und zugelassenen Kunden und zwischen Netzbetreibern und zugelassenen Kunden. Bei einem Versorgerwechsel zahlt der zugelassene Kunde den mit seinem neuen Versorger vereinbarten (Energie-)Preis plus den mit seinem bisherigen Versorger ausgehandelten Preis für den Netzzugang (vgl. Grubich / Krottenthaler 2001, 201).
Single Buyer System
Eine weitere Möglichkeit zur Regelung des Netzzuganges stellt das Single Buyer System dar. Als Single Buyer gilt ein Energieversorger oder eine Gesellschaft eines solchen Unternehmens, welches unabhängig von der Erzeugungs- und Verteilungstätigkeit des integrierten Unternehmens verwaltet wird.
Ein Single Buyer kann dazu verpflichtet werden, die zwischen Versorger und zugelassenen Kunden abgemachte Strommenge abzunehmen und den zugelassenen Kunden weiterhin zu beliefern. Der Single Buyer hat für die Systemnutzung einen Tarif festzulegen, welcher zu veröffentlichen ist. Dessen ungeachtet ist dem Single Buyer der ausgehandelte Preis zwischen Stromerzeuger und Kunden nicht bekannt. Er erhält für die Lieferung weiterhin den verlangten Preis. Der Systemnutzungstarif verbleibt dem Single Buyer, der Rest wird dem Stromerzeuger erstattet. Die Differenz zwischen diesem Betrag und dem vereinbarten Tarif zwischen Energieerzeuger und Kunden, also die Ersparnis aufgrund des Lieferantenwechsels, geht zurück an den Kunden. Der Netzbetreiber soll dadurch motiviert werden, die Lieferungen zu einem marktgerechten Preis anzubieten, um möglichst alle Kunden weiterhin selbst beliefern zu können. Dem Single Buyer muss keine Abnahmeverpflichtung auferlegt werden. Der Single Buyer muss in diesem Fall jedoch den Netzzugang gewähren. Auf Basis eines Systemnutzungstarifes oder auf Vertragsbasis kann dies realisiert werden (vgl. Grubich / Krottenthaler 2001, 201).
3.2.2.4 Regulative Mechanismen
Die Elektrizitätsrichtlinie sieht im Art. 20 vor, dass die Mitgliedstaaten eine von den Parteien unabhängige zuständige Stelle benennen. Die Aufgabe dieser Stelle soll darin bestehen, Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Verhandlungen und Verträgen betreffend Stromdurchleitungen, Zugangs- und Abnahmeverpflichtungen beizulegen. Zur Erfüllung ihrer Kontrollaufgaben hat diese Regulierungsstelle außerdem das Recht auf Einsichtnahme in die Buchführung der Erzeugungs-, Übertragungs- und Verteilergesellschaften. Die Mitgliedstaaten müssen zusätzlich geeignete und wirksame Mechanismen für die Regulierung, die Kontrolle und die Sicherstellung von Transparenz schaffen, um den Missbrauch von marktbeherrschenden Stellungen zu verhindern. Die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung und einer etwaigen Verdrängungspraktik soll diese Rechtsvorschrift vermeiden helfen (vgl. Richtlinie 96/92/EG 1996, Art. 20).
3.2.2.5 Marktöffnung
Die Mitgliedstaaten haben die erforderlichen Maßnahmen zur Öffnung ihrer Elektrizitätsmärkte sicherzustellen, so dass Lieferverträge nach den Bedingungen wie unter 3.2.2.3 beschrieben zwischen Erzeugern und zugelassenen Kunden abgeschlossen werden können (vgl. Richtlinie 96/92/EG 1996, Art. 19).
Unter zugelassenen Kunden versteht man solche Stromabnehmer, die einen Jahresverbrauch über dem Schwellenwert der aus der Gemeinschaftsquote errechneten nationalen Marktquote liegt. Der Schwellenwert dieser Gemeinschaftsquote wird in der Richtlinie mit 40 GWh festgesetzt, was – bezogen auf das gesamte Unionsgebiet – im Jahre 1996 einen Marktöffnungsgrad von 22,6% ergäbe. Nach 3 Jahren soll der Schwellenwert auf 20 GWh, nach weiteren 3 Jahren auf 9 GWh reduziert werden, was eine Marktöffnung von 27% bzw. 33% entsprechen würde, wie es in Abb. 3 dargestellt ist (vgl. Daxler 1997, 149).
Die Liberalisierung der Elektrizitätsmärkte ging jedoch in einigen Ländern schneller voran als die EU-Binnenmarktrichtlinie wie in Tab. 1 dargestellt, vorsah. So kam es in Deutschland, Schweden, Finnland, Großbritannien und in Österreich schon frühzeitig zu einer 100%igen Liberalisierung. Einige Länder – voran Frankreich – orientierten sich aber lediglich an den Mindestanforderungen der EU-Richtlinie. Der Marktöffnungsgrad lag im EU-Durchschnitt am „Starttag“ der Liberalisierung (19. Februar 1999) bereits bei etwa 60% (vgl. Lechner 1999).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Die geplante Marktöffnung in der EU (vgl. Daxler 1997, 149).
3.2.2.6 Verbot von marktbeherrschender Stellung, Zeitrahmen
Um auf dem Strommarkt einen wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, wurde folgende Bestimmung in die Richtlinie aufgenommen:
„[…]Die Mitgliedstaaten schaffen geeignete und wirksame Mechanismen für die Regulierung, die Kontrolle und die Sicherstellung von Transparenz, um den Mißbrauch [!] von marktbeherrschenden Stellungen zum Nachteil insbesondere der Verbraucher und Verdrängungspraktiken zu verhindern […]“ (Richtlinie 96/92/EG 1996, Art. 22).
Den Mitgliedstaaten wurde bis zum 19. Februar 1999 Zeit gegeben, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
3.3 Das ElWOG 1998
Am österreichischen Strommarkt begann die erste Liberalisierungsphase mit dem In-Kraft-Treten des Elektrizitätswirtschafts- und organisationsgesetzes (ElWOG) am 19. Februar 1999, mit dem das seit 1947 gültige 2. Verstaatlichungsgesetz als bisherige Rahmenordnung für die österreichische Stromwirtschaft abgelöst wurde (vgl. Mader 2003, 25). Durch das Elektrizitätswirtschafts- und –organisationsgesetz (ElWOG BGBl I 143/1998) erfolgte die Umsetzung der Binnenmarktrichtlinie 96/92/EG vom Gemeinschaftsrecht ins innerstaatliche Recht (vgl. Bundeswettbewerbsbehörde 2004, 8).
3.3.1 Ziele und gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen
Beim österreichischen ElWOG 1998 handelt es sich um ein Rahmengesetz, das die essentiellen Grundsätze für die Elektrizitätswirtschaft festlegt. Nach §3 des ElWOG 1998 sind die Ziele dieses Bundesgesetzes:
- „[…]der österreichischen Bevölkerung und Wirtschaft kostengünstige Elektrizität in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen;
- Eine Marktorganisation für die Elektrizitätswirtschaft gemäß dem EU-Primärrecht und den Grundsätzen des Elektrizitätsmarktes […] zu schaffen;
- Den hohen Anteil erneuerbarer Energien in der österreichischen Elektrizitätswirtschaft weiter zu erhöhen;
- Einen Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Allgemeininteresse zu schaffen, die den Elektrizitätsunternehmen auferlegt wurden und die sich auf die Sicherheit, einschließlich der Versorgungssicherheit, die Regelmäßigkeit, die Qualität und den Preis der Lieferungen sowie auf den Umweltschutz beziehen.“
(ElWOG 1998, §3).
Aus diesen Zielen leiten sich die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Elektrizitätswirtschaft ab, wie die generelle Anschluss- und Versorgungspflicht, die Gleichbehandlung von Kunden bei gleicher Abnahmecharakteristik, Umweltschutzverpflichtungen und die Verringerung von Energieimporten aus Drittstaaten. Die Erfüllung dieser auferlegten Aufgaben soll durch Kooperation und Koordination zwischen den Elektrizitätswirtschaftsunternehmen untereinander, wie auch mit den sonstigen Marktteilnehmern sichergestellt werden (vgl. Heidinger u.a. 1998, 35).
3.3.2 Entflechtung und Transparenz
Im 2. Teil des ElWOG 1998 werden die vorgesehenen Regelungen über Entflechtung und Transparenz der Buchführung von Elektrizitätsunternehmen umgesetzt, wie in Kapitel VI Art. 13 und Art. 14 der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL vorgesehen. Alle Elektrizitätsunternehmen haben gemäß §8 ElWOG 1998, unabhängig von ihrer Größe und Rechtsform, Jahresabschlüsse zu veröffentlichen, und in ihrem Anhang Geschäfte größeren Umfangs mit nahe stehenden Unternehmen gesondert anzuführen. Weiters haben integrierte Elektrizitätsunternehmen in ihrem Anhang für jede elektrizitätswirtschaftliche Aktivität (Erzeugung, Übertragung und Verteilung) eine Bilanz sowie eine Ergebnisrechnung aufzunehmen. Diese Vorgabe impliziert, dass sie für jede dieser Aktivitäten getrennte Konten derart zu führen haben, als würden separate Firmen diese Aktivitäten ausführen („getrennte Buchführung“; „funktionelles Unbundling“).
Durch diese Entflechtung und Transparenz soll verhindert werden, dass vertikal integrierte Elektrizitätsunternehmen ihre eigene Stromerzeugung bevorzugen.
Das Mindesterfordernis der Binnenmarktrichtlinie ist folglich für alle EVU und integrierte Elektrizitätsunternehmen (ausgenommen Alleinabnehmer) eine rechnerische, auf Grundlage der Bilanz und auf Grundlage der Gewinn- und Verlustrechnung beruhende Aufsplittung auf die jeweiligen Tätigkeitsbereiche („funktionelles Unbundling“) sowie die Verpflichtung, diese Ergebnisse zu publizieren (vgl. Heidinger u.a. 1998, 91ff.).
3.3.3 Organisation des Netzzugangs
Die Regeln für den Betrieb der Übertragungs[2] - und Verteilernetze[3] werden im vierten Teil des ElWOG 1998 festgelegt. Es handelt sich dabei um die Regelungen, dass Betreiber von oben genannten Netzen verpflichtet werden, zugelassenen Kunden den Netzzugang zu bestimmten Systemnutzungstarifen zu gewähren. Als zugelassene Kunden gelten Endverbraucher, deren Verbrauch im vorangegangenen Jahr höher als 40 GWh (ab 19.2.1999) bzw. 20 GWh (ab 19.2.2000) bzw. 9 GWh (ab 19.2.2003) war. Weiters dürfen die Bedingungen für den Zugang zum Netz nicht diskriminierend sein und weder missbräuchliche Praktiken noch ungerechtfertigte Beschränkungen enthalten, noch die Versorgungs-sicherheit gefährden.
Sollten die Leitungskapazitäten nicht ausreichen, um allen Anträgen auf Netzzugang zu entsprechen, ist der Netzzugang nach der in §19 ElWOG 1998 festgelegten Reihenfolge zu gewähren (Reihung nach Prioritäten). Es ist auch möglich, den Netzzugang zu verweigern, wenn außergewöhnliche Netzzustände (Störfälle) vorliegen oder die Netzkapazitäten nicht ausreichen. Jede Verweigerung der Zugangsberechtigung ist gegenüber dem Netzzugangsberechtigten zu begründen (vgl. Heidinger u.a. 1998, 39f.).
Anders als in Deutschland, wo der ausgehandelte Netzzugang (nTPA) bevorzugt wurde, entschied man sich in Österreich für das Modell des regulierten Netzzuganges (rTPA), bei dem aufgrund vorher veröffentlichter (und genehmigter) Tarife („Allgemeiner Bedingungen“) der Netzzugang gewährt wird (vgl. Bundeswettbewerbsbehörde 2004, 8).
Es schien zweckdienlich, ein Zugangssystem auszuwählen, welches auch in den meisten anderen Mitgliedstaaten verwirklicht wurde. Die marktwirtschaftlichen Grundsätze sind somit erfüllt:
- Die Durchleitung (Netzbetrieb) ist eine Dienstleistung
- Erzeuger stehen im Wettbewerb
- Die Übersichtlichkeit der Preise ist gegeben
Die Bedingungen und Tarife zur Netznutzung müssen reguliert werden, da bei verhandeltem Netzzugang Marktverzerrungen zum Schutz von bestehenden und vertikal integrierten Strukturen vorstellbar wären (vgl. Heidinger u.a. 1998, 101).
3.3.4 Umsetzung in den Ländern
Bei der Umsetzung des ElWOG 1998 sind die Landesgesetzgeber in ihrem Gestaltungsspielraum weitgehend eingeschränkt. Der Bundesgesetzgeber hat auf Grund der im Bundesverfassungsgesetz geregelten Kompetenzen neben Verfassungsbestimmungen und unmittelbar anwendbarem Bundesrecht Grundsatzbestimmungen erlassen, welche von den Ländern ausgestaltet werden können. Der Großteil der Grundsatzbestimmungen ist bereits soweit konkretisiert, dass diese Bestimmungen wörtlich in die Landesgesetze übernommen werden können. Die wesentlichen Bestimmungen werden vom Grundsatzgesetzgeber vorweg genommen und weitgehend ausgestaltet.
Dies betrifft vor allem die Kernpunkte des ElWOG 1998:
- Stufenweise Öffnung des Elektrizitätsmarktes
- Modell des geregelten Netzzuganges (rTPA)
- Preisbestimmung durch Strompreisaufsichtssystem
- Unbundling
- Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen
Ein gewisser Freiraum bzw. ein Handlungsspielraum bei der Umsetzung bleibt den Ländern nur für:
1. Die Regelung der Bewilligungsvoraussetzungen und das Verfahren für die Genehmigung von Elektrizitätserzeugungsanlagen
(§12 Abs. 1 und 2 ElWOG 1998).
2. Die nähere Bestimmung über die Ausgestaltung und Genehmigung der Allgemeinen Bedingungen des Netzzuganges (§18 ElWOG 1998).
3. Die Regelung der Konzessionsvoraussetzungen und des Konzessionsverfahrens für den Betrieb von Verteilernetzen (§26 Abs. 2 ElWOG 1998).
4. Die Regelung der Ausnahmen von der Allgemeinen Anschlusspflicht der Verteilernetzbetreiber (§30 ElWOG 1998).
5. Die Regelung, ob und in welchem Ausmaß Betreiber von Verteilernetzen Elektrizität aus Kleinwasserkraftwerken abnehmen müssen (§31 Abs. 2 ElWOG 1998).
6. Die Festlegung des Stufenplans für die Abnahme von Elektrizität aus Erzeugungsanlagen, in denen bestimmte erneuerbare Energieträger eingesetzt werden (§31 Abs. 3 ElWOG 1998)
(vgl. Pauger / Pichler 2000, 5ff.).
Die Umsetzung des Bundesgesetzes in Landesrecht wurde am 19. Februar 1999 durch das ElWOG 1999 in Oberösterreich durchgeführt.
3.3.5 Umsetzung in den Betrieben
Nachdem ab 19.2.1999 Endverbraucher, deren Jahresverbrauch an elektrischer Energie größer 40 GWh war, als zugelassene Kunden galten, haben solche Verbraucher natürlich versucht, ihre Energie kostengünstiger zu beschaffen. Als Energielieferanten standen ihnen alle Erzeuger und Händler innerhalb und später auch außerhalb der Regelzone zur Verfügung. Diese Energielieferungen wurden transaktionsorientiert quer durch Österreich mittels so genannter Transportdurchleitungen (TDL) realisiert.
Solche Transportdurchleitungen waren für die betroffenen Netzbetreiber ein erheblicher Aufwand, da alle Netzbetreiber, deren Netze genutzt wurden, informiert und ihre Zustimmung zur Durchleitung geben mussten. Dies bedeutete, dass der Netzbetreiber an dessen Netz der Verbraucher angeschlossen ist, einen Fahrplan für die geplante Lieferung erstellen musste, dieser dann an alle Netzbetreiber gesendet wurde, die von der Übertragung betroffen waren, bis zu dem Netzbetreiber, der den Kraftwerkseinspeisepunkt in seinem Netz hatte. Wenn alle betroffenen Unternehmen zustimmten, konnte die Durchleitung laut Fahrplan erfolgen.
In der folgenden Abb. 4 wird ein Beispiel dargestellt, wo ein Großkunde von einem entfernten Kraftwerk Energie bezieht. Der Kunde ist im Netzgebiet der LINZ AG (Oberösterreich) und das Einspeisekraftwerk ist im Netzgebiet der STEWEAG-STEG (Steiermark). Die weiteren betroffenen Netzbetreiber sind die VERBUND Gesellschaft und die ENERGIE AG. Zuerst erstellt die LINZ AG einen Fahrplan der geplanten Energielieferung, welcher die Leistung und den Zeitbereich der Lieferung beinhaltet. Dieser Fahrplan muss danach allen betroffenen Netzbetreibern zugesandt und von diesen genehmigt werden. Anschließend kann die Energielieferung zum geplanten Zeitpunkt durchgeführt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Beispiel einer Transportdurchleitung (vgl. Derler 2005).
[...]
[1] siehe Kapitel 3.5
[2] Ein „Übertragungsnetz“ ist ein Hochspannungsverbundnetz mit einer Spannungshöhe von mindestens 110 kV, das dem Transport von Elektrizität zum Zweck der Stromversorgung von Endverbrauchern und Verteilern dient.
[3] Der Begriff der „Verteilernetze“ umfasst Transportleitungen mit mittlerer und niedriger Spannung zum Zweck der Stromversorgung von Kunden.
- Arbeit zitieren
- Dipl.-Ing.(FH) Siegfried Pfannhauser (Autor:in), 2005, Die Strommarktliberalisierung in Österreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80174
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