Die folgende Arbeit über „Kapital und Sozialisation nach Pierre Bourdieu“ gibt einen Überblick über die Grundbegriffe, die Bourdieu für seine Gesellschaftstheorie gebraucht. Hierbei stehen die Kapitalsorten im Mittelpunkt der Darstellung. Anschließend an die Begriffserklärungen der grundlegenden Kapitalsorten werden die Zusammenhänge zwischen diesen und den Aspekten der individuellen Sozialisation dargestellt. Die Abhängigkeiten und Überschneidungen der unterschiedlichen Kapitalsorten von- und miteinander, ebenso wie wechselseitige Voraussetzungen werden im Hinblick auf ihre Bedeutung untersucht. Die ebenfalls von Bourdieu verwendeten Begriffe Feld, Sozialer Raum und Habitus finden in der Betrachtung der Funktionsweise der Sozialisationsprozesse ihre Beachtung.
Die Fragestellung, ob eine Übertragung der Theorie der Sozialisation von Bourdieu, die in den 1960er Jahren entworfen wurde, in das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts möglich ist, wird wiederholt aufgegriffen und vor dem Hintergrund dieser Ausführungen beantwortet.
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Begriff der Kapitalsorten nach Bourdieu
2.1 Das Ökonomische Kapital
2.2 Das Kulturelle Kapital
2.2.1 Inkorporiertes Kapital
2.2.2 Objektiviertes Kapital
2.2.3 Institutionalisiertes Kapital
2.3 Das Soziale Kapital
2.4 Das Symbolische Kapital
3 Transformation und Zusammenspiel der Kapitalsorten
4 Sozialer Raum
5 Feld
6 Sozialisation als Habitualisierung
7 Schlussbetrachtung
8 Literatur und Quellenverzeichnis
9 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Die folgende Arbeit über „Kapital und Sozialisation nach Pierre Bourdieu “ gibt einen Überblick über die Grundbegriffe, die Bourdieu für seine Gesellschaftstheorie gebraucht. Hierbei stehen die Kapitalsorten im Mittelpunkt der Darstellung. Außerdem soll anschließend an die Begriffserklärung der grundlegenden Kapitalsorten versucht werden, einen Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen. Die Abhängigkeiten und Überschneidungen der unterschiedlichen Kapitalsorten von- und miteinander, ebenso wie wechselseitige Voraussetzungen werden im Hinblick auf ihre Bedeutung untersucht. Die ebenfalls von Bourdieu verwendeten Begriffe Feld, Sozialer Raum und Habitus finden in der Betrachtung der Funktionsweise der Sozialisationsprozesse ihre Beachtung.
Die Fragestellung, ob eine Übertragung der Theorie der Sozialisation von Bourdieu, die in den 1960er Jahren entworfen wurde, in das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts möglich ist, wird wiederholt aufgegriffen und versucht vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zu beantworten.
Eine Auseinandersetzung mit der Person Pierre-Félix Bourdieu findet im Rahmen dieser Arbeit nicht statt. Bourdieus persönliche Sozialisation eröffnet noch einmal ganz neue Bereiche, deren Bearbeitung über den aufgestellten Rahmen hinausgehen würde. Die Quellenlage stellte sich breitgefächert dar, es wurden einführende Werke und zusammengefasste Literatur verwendet, um dem Grundlagencharakter dieser Arbeit gerecht zu werden.
2 Der Begriff der Kapitalsorten nach Bourdieu
Ausgehend von dem Standpunkt der bestehenden sozialen Ungleichheiten innerhalb von Gesellschaften, gingen Bourdieus Überlegungen vor allem von Mechanismen der Anhäufung beziehungsweise Entstehung und der Verwendung von Macht innerhalb eines sozialen Systems aus. Zur Erklärung der ungleichen Machtverteilung innerhalb eines sozialen Systems verwendet Bourdieu den Begriff des Kapitals und definierte diesen neu, indem er ihn in seinem Wirkungskreis erweitert und in einen anderen Kontext stellt. Nun fallen unter diesen Begriff nicht mehr nur Geld und Sachwerte, sondern auch alle Bereiche der Gesellschaft, die von sozialen Beziehungen durchzogen sind. Der Begriff Kapital wird von ihm nicht auf die Wirtschaftswissenschaften beziehungsweise wie von Marx auf Ökonomie beschränkt gebraucht. Der Marxsche Kapitalbegriff wird durch Bourdieu generalisiert und für alle (materiellen) Tauschakte verwendet und somit in allen Erscheinungsformen abgebildet (vgl. Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.217f).
„Auf das Kapital ist es zurückzuführen, daß die Wechselspiele des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere des Wirtschaftslebens, nicht wie einfache Glücksspiele verlaufen, in denen jederzeit eine Überraschung möglich ist: [...]“
(Zitat nach Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.217)
Gewissen Regelmäßigkeiten der Bestückung mit Kapital unterworfen, bedarf es also nicht (nur) des Glücks, um bestimmte Dinge im Leben zu erreichen. Für Bourdieu basiert die Gesellschaft wie er sie vorgefunden hat insbesondere auf dem Geschehenen also auf der Geschichte. Sämtliche Erfahrungen und Güter wurden transformiert, wobei dem Faktor Zeit eine wichtige Rolle zukommt. Die Akkumulations- und Transformationsmechanismen denen das Kapital unterworfen ist, können nur im Laufe der Zeit durch Entwicklung entstehen und ablaufen. Durch Voraussetzungen, beruhend auf Vererbungsvorgängen und der Arbeit des Einzelnen, ist die jeweilige Ausprägung und Höhe des Kapitals individuell verschiedenartig und vor allem ungleich ausgeprägt (Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.217).
Eine abgesonderte Betrachtung einzelner spezieller Personen nimmt Bourdieu jedoch nicht vor. Er betrachtet und beschreibt die Wechselwirkungen von Personen mit ihrem Umfeld und die je nach Konstellation anders wirkenden Beziehungsgeflechte zu anderen Subjekten und Objekten. Diese Wechselwirkungen treten nun aber nicht immer offen zutage, sondern finden oft im Verborgenen statt, ohne jedoch an Macht und gegenseitigen Begünstigung oder an Potenzierungsmechanismen zu verlieren. Die soziale Ungleichheit steht im Mittelpunkt von Bourdieus Theoriebetrachtung, die von ihm als ungleiche Verteilung von Macht angesehen wird. Kapital soll nicht nur durch Geld und Sachwerte festgelegt sein, sondern auch durch alle Vorgänge, die soziale Bindungen durchziehen. Er sieht Kapital als Summe aus Ökonomischem, Sozialen und Kulturellem Kapital. Des weiteren verwendet er teilweise den Begriff des Symbolischen Kapitals. Im Folgenden werden diese in ihrem Bedeutungszusammenhang erklärt und in Beziehung zueinander gesetzt.
2.1 Das Ökonomische Kapital
Das Ökonomische Kapital ist unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts. Zum Beispiel lassen sich Arbeitserträge ansammeln um sie (oder einen Teil von ihnen) gleich wieder einzusetzen um noch mehr Gewinne[1] zu machen. Wird dieses Kapital nun nicht direkt dem weiteren Konsum zugeführt, sondern angesammelt, so handelt es sich um Ökonomisches Kapital. Es muss nicht zwangsläufig auf eigener Arbeit beruhen; so können beispielsweise Kinder von Eltern, die über eine geeignete monetäre Ausstattung verfügen, also im herkömmlichen Sinne reich sind, dieses nicht ihnen direkt gehörende Geld ausgeben. Diese Kapitalsorte entspricht dem traditionell verwendeten Begriff des Kapitals, wie ihn Bourdieu in den sechziger Jahren, unter anderem durch Marx geprägt, vorfand (Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.218f).
Auch heute wird dieser Begriff sowohl in der Umgangssprache als auch in bezug auf wirtschaftliche Aspekte in diesem Sinne gebraucht und bildet ein geeignetes Mittel, um die beschriebenen Vorgänge adäquat zu beschreiben.
Zur näheren Klärung einzelner Aspekte sei auf die nachfolgenden Ausführungen zu den anderen beiden Kapitalsorten Kulturelles und Soziales Kapital verwiesen.
2.2 Das Kulturelle Kapital
Das Kulturelle Kapital wird in der Familie und zum Teil auch in der Schule erworben. Es handelt sich ebenfalls wie beim Ökonomischen Kapital um akkumulierte also angesammelte Arbeit. Es wird Geld aufgebracht, um bevorzugte Ressourcen im Individuum zu vereinen, damit diese später zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt wieder in weiteres Ökonomisches Kapital konvertiert werden können.
Die Besonderheit bei Bourdieu, die seinen Kulturellen Kapitalbegriff, ausgehend von dem oben beschriebenen unter dem Namen Humankapital auch in Wirtschaftskreisen üblichen Bezeichnung, ausmacht und erweitert, ist die, dass er ihn um weitere Formen der Investition erweitert. Deutlich wird dies vor allem an der Investition von Zeit, die zwangsläufig zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt werden muss. Als augenfälliges Beispiel sei hier die langfristige Erziehungsarbeit, die beim Großziehen von Kindern geleistet werden muss, angeführt. Die weitere Auffälligkeit ist nun die, dass innerhalb des Schulsystems der Erfolg des einzelnen Schülers deutlich von dessen sozialer Herkunft abhängig zu sein scheint. Eine Erklärung lässt sich finden, indem man eine unterschiedliche Ausstattung mit Kulturellem Kapital des Schülers bedingt durch sein familiäres Umfeld annimmt (vgl. Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.218f).
Das Kulturelle Kapital wird von Bourdieu in folgenden drei unterscheidbaren Zuständen beschrieben:
2.2.1 Inkorporiertes Kapital
Das Inkorporierte Kapital besteht aus Wissen und Fertigkeiten, die vom Individuum durch aktiv und passiv durchgeführte Erziehungs- und Bildungsaktivitäten erworben werden. Diese Akkumulation bedarf der Zeit und kann nur vom Individuum selbst durchgeführt werden. Das Inkorporierte Kulturelle Kapital zeichnet sich eben dadurch aus, dass es nicht direkt an andere Personen weitergegeben oder der Erwerb delegiert werden kann. Das Individuum bildet sich selbst anhand der ihm/ihr gebotenen Möglichkeiten und entwickelt sich dadurch. Je länger die Nachkommenschaft einer Familie frei ist von ökonomischen Hinderungsgründen, desto länger kann Kulturelles Kapital angesammelt werden (Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.219f).
Eine Bereitschaft zur Bildung dieser Art muss natürlich vorhanden sein, man muss vielleicht Entbehrungen oder Unannehmlichkeiten, wie etwa das Lernen oder Schreiben an einem schönen Sonnentag, in Kauf nehmen. Diese Bereitschaft bildet die Basis für diese Sorte des Kapitals.
Der Grad der Akkumulation lässt sich dementsprechend an der Qualität des Umgangs mit kulturellen Gütern wie zum Beispiel der Lektüre schwieriger Literatur, bestimmter Zeitungen, Theater- und Museumsbesuchen und auch der Rezeption bestimmter Musik ablesen. Auch das Nichtbesitzen eines Fernsehers oder der zielgerichtete Einsatz dieses Mediums kann ein Indiz für ein ausgeprägtes Inkorporiertes Kulturelles Kapital sein.
“[...] die Übertragung von Kulturellem Kapital [ist] zweifellos die am besten verschleierte Form erblicher Übertragung von Kapital[...]. Deshalb gewinnt sie in dem System der Reproduktionsstrategien um so mehr an Gewicht, je mehr die direkten und sichtbaren Formen der Übertragung sozial missbilligt und kontrolliert werden.”
(Zitat nach Bourdieu 1192a, in Baumgart 2000, S.221)
Eine Verschleierung dieser Prozesse kann auch dadurch zustande kommen, dass diese Aneignungsprozesse zum Teil völlig unbewusst stattfinden und nicht direkt beeinflusst werden können, sie finden zum größeren Teil im Verborgenen statt. Akkumulationen dieses Typus kommen vor allem innerhalb der Familie vor. Es besteht ein proportionales Verhältnis zur Größe des Kulturellen Kapitals innerhalb einer Familie zur Möglichkeit der Vererbung beziehungsweise des Weitergebens an die Nachkommenschaft. Des weiteren ist eine noch bessere, weiterführende Aneignung gewährleistet, je größer das bereits verinnerlichte Kulturelle Kapital ist. Auch andere Kapitalarten können dann besser und schneller auf/in dieser so bevorzugten Person vereint werden (Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.219 und 221).
Der Wert dieser Kapitalsorte wird erst durch die Abgrenzung zu anderen Individuen deutlich und tritt dann aber um so mehr und um so deutlicher zutage. Der Seltenheitswert einer Eigenschaftsausprägung zusammen mit der Ausnutzung der Nachfrage befähigt den Inhaber zu weiterem Aufstieg und es lassen sich weitere Profite erwirtschaften. Es sei aber von der jeweiligen Gesellschaft in der man lebe abhängig, welche Eigenschaften als wünschenswert betrachtet werden und somit das Kulturelle Kapital steigern (vgl. Bourdieu 1992a, in: Baumgart 2000, S.221f).
Gebräuchlich ist dieser Begriff nicht mehr in seiner von Bourdieu gemeinten Intention, er findet aber seine Entsprechung im Humankapital, welches innerhalb von Wirtschaftsunternehmen als Oberbegriff für die Fähigkeiten der beschäftigten Menschen gebraucht wird.
[...]
[1] Die Begriffe Gewinn, Profit, Ertrag, Erfolg, Einnahmen, Erlös und Steigerung und deren Antonyme werden hier im folgenden nicht in erster Linie nach volks- beziehungsweise betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gebraucht. Sie dienen lediglich der Beschreibung der Vergrößerung (x) einer Menge (n) und lassen sich ohne weitere Variablen mathematisch als (n+x) bezeichnen. Selbiges gilt wie oben erwähnt für Begrifflichkeiten wie Verlust, Misserfolg etc.
- Arbeit zitieren
- Oliver Lehrbaß (Autor:in), 2005, Kapital und Sozialisation nach Pierre Bourdieu, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80173
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