Im Fokus dieser Hauptseminararbeit steht – mit Birgit Hausperger gesprochen - das "Nichts" . Interessanterweise möchte ich in dieser linguistischen Untersuchung einmal etwas behandeln, das durch bloße Abwesenheit glänzt.
Mit diesem ganz eigenen Untersuchungsgegenstand rekurriere ich auf nichts Geringeres als auf das facettenreiche linguistische Phänomen, das der deutsche Sprachpsychologe und – theoretiker Karl Bühler symptomatisch als die "zweimal tausendjährige Ellipsenplage" charakterisiert hat.
Mit dieser viel zitierten Sentenz verweist Bühler darauf, dass das sprachliche Phänomen der 'Ellipse' und die aus ihr resultierenden 'fragmentarischen Äußerungen' eine lange Forschungstradition aufweisen und in der aktuellen linguistischen Grundlagendiskussion eine exponierte Stellung einnehmen. In seinen sprachtheoretischen Überlegungen kritisiert Bühler die ursprüngliche Geringschätzung knapper Ausdrucksformate und befürwortet die "Hochkultur des Elliptischen", die in der gesprochenen und sekundär auch in der geschriebenen Sprache vorherrscht:
"Solch lautarmer Verkehr darf nicht summarisch und für alle Umstände als armseliges, primitives, unvollendetes Sprechen gekennzeichnet werden. Denn das wäre genau so falsch, wie wenn man z.B. den bargeldlosen und bargeldarmen Güterverkehr summarisch als den Ausdruck einer primitiven und unvollkommenen Wirtschaftsordnung betrachten wollte. […] [Ellipsen, Anakoluthe usw. ] erfüllen ihren Zweck vorzüglich; ein Dummkopf der sie ausrotten wollte."
Mit diesen pathetisch anklingenden Phrasen verweist Bühler implizit auf die sprachökonomischen Tendenzen, die das elliptische Sprechen als funktionales Stilmittel kausal bedingt und etabliert haben.
Die elliptische Sprache lässt sich in unserer alltäglichen Schreib- und Redepraxis als ein essentielles und allgegenwärtiges Phänomen entlarven, das in schriftlich fixierten Texten und im Verlauf von spontanen mündlichen Diskursen seine soziale Dimension entfaltet. Sowohl öffentliche als auch private Schrift- und Redepraktiken sind von einer Fülle von Ellipsen durchdrungen.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitende GedankeN
1.1 Forschungsstand: Das sprachwissenschaftliche Phänomen der Ellipse in der zeitgenössischen Rezeption
1.2 Ziel und Zweck der Arbeit
2. Sprachökonomische Tendenzen in Grammatik und Pragmatik
2.1 Die handlungstheoretische Semantik von H. Paul Grice
2.2 Elliptizität in der Oralität und in der Literalität
3. Satz und Ellipse – Der Versuch einer definitorischen Begriffsbestimmung
3.1 Konkretisierung des Satzbegriffs
3.1.1 Eine definitorische Annäherung an den Satzbegriff im Spiegel der linguistischen Diskussion
3.1.2 Der Satzbegriff aus grammatisch-syntaktischer Perspektive
3.1.3 Der Satzbegriff aus pragmatisch-kommunikativer Perspektive
3.2 Das Interdependenzgefüge zwischen Satz und Ellipse
3.3 Problematisierung des Ellipsenbegriffs
3.3.1 Etymologische Rechtfertigung des Begriffs Ellipse
3.3.2 Der Ellipsenbegriff in der vorliegenden Arbeit
3.4 Ein exemplarischer Blick auf die Ellipse in der alltäglichen Kommunikationspraxis
4. Die Sprachökonomische Dimension der Ellipse in Grammatik und Pragmatik
4.1 Der grammatisch-syntaktische Aspekt der Ellipse
4.1.1 Koordinationsellipsen
4.1.2 Komparationsellipsen
4.1.3 Adjazenzellipsen
4.2 Der pragmatisch-kommunikative Aspekt der Ellipse
4.2.1 Empraktische Ellipsen
4.2.1 Situative Ellipsen
5. Abschließende Gedanken
Literaturverzeichnis
1 Einleitende Gedanken
Im Fokus dieser Hauptseminararbeit steht – mit Birgit Hausperger gesprochen - das "Nichts"[1]. Interessanterweise möchte ich in dieser linguistischen Untersuchung einmal etwas behandeln, das durch bloße Abwesenheit glänzt.
Mit diesem ganz eigenen Untersuchungsgegenstand rekurriere ich auf nichts Geringeres als auf das facettenreiche linguistische Phänomen, das der deutsche Sprachpsychologe und – theoretiker Karl Bühler symptomatisch als die "zweimal tausendjährige Ellipsenplage" charakterisiert hat.
Mit dieser viel zitierten Sentenz verweist Bühler darauf, dass das sprachliche Phänomen der 'Ellipse' und die aus ihr resultierenden 'fragmentarischen Äußerungen' eine lange Forschungstradition aufweisen und in der aktuellen linguistischen Grundlagendiskussion eine exponierte Stellung einnehmen. In seinen sprachtheoretischen Überlegungen kritisiert Bühler die ursprüngliche Geringschätzung knapper Ausdrucksformate und befürwortet die "Hochkultur des Elliptischen", die in der gesprochenen und sekundär auch in der geschriebenen Sprache vorherrscht:
"Solch lautarmer Verkehr darf nicht summarisch und für alle Umstände als armseliges, primitives, unvollendetes Sprechen gekennzeichnet werden. Denn das wäre genau so falsch, wie wenn man z.B. den bargeldlosen und bargeldarmen Güterverkehr summarisch als den Ausdruck einer primitiven und unvollkommenen Wirtschaftsordnung betrachten wollte. […] [Ellipsen, Anakoluthe usw. ] erfüllen ihren Zweck vorzüglich; ein Dummkopf der sie ausrotten wollte."[2]
Mit diesen pathetisch anklingenden Phrasen verweist Bühler implizit auf die sprachökonomischen Tendenzen, die das elliptische Sprechen als funktionales Stilmittel kausal bedingt und etabliert haben.
Die elliptische Sprache lässt sich in unserer alltäglichen Schreib- und Redepraxis als ein essentielles und allgegenwärtiges Phänomen entlarven, das in schriftlich fixierten Texten und im Verlauf von spontanen mündlichen Diskursen seine soziale Dimension entfaltet. Sowohl öffentliche als auch private Schrift- und Redepraktiken sind von einer Fülle von Ellipsen durchdrungen.
1.1 Forschungsstand:
Das sprachwissenschaftliche Phänomen der Ellipse in der zeitgenössischen Rezeption
Vor dem Hintergrund einer grammatischen und pragmatischen Analyse der elliptischen Sprache sind der signifikante sprachökonomische Stellenwert der Ellipse und die damit verbundene 'Ellipsenproblematik' zunehmend in das linguistische Forschungsfeld gerückt.
Aus der Retrospektive lässt sich feststellen, dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der menschlichen Sprache ein konstantes Phänomen der Geschichte ist. Die theoretische Beschäftigung mit dem Phänomen 'Ellipse' weist in unserem Kulturkreis eine zweitausendjährige Geschichte auf, was zweifelsohne auf die herausragende Position dieser rhetorischen Figur innerhalb unserer Sprache referiert.
Die signifikante Relevanz der Ellipse in unserer alltäglichen Kommunikationspraxis ist der Ausgangspunkt für zahlreiche sprachwissenschaftliche Bemühungen gewesen, die die Ellipsenproblematik auf der Basis eines grammatik- oder sprachtheoretischen Paradigmas oder eines ethnolinguistischen bzw. konversationsanalytischen Methodenapparates behandelt haben.
Das Gros der wissenschaftstheoretischen Untersuchungen zielte primär darauf ab, die spezifische syntaktische Struktur von elliptischen Sequenzen zu beschreiben und ihre Abweichung von der linguistisch antizipierten, syntaktischen Normstruktur herauszustellen. Die Divergenz von der so genannten 'Normstruktur' von Sätzen, die am Modell der traditionellen Schulgrammatik orientiert ist, verleiht der sprachlichen Elliptizität eine Art 'Markiertheitsstatus', die zahlreiche potentielle linguistische Forschungsfelder eröffnet.
Die Triebfeder für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der elliptischen Sprache erscheint im Rahmen dieser Untersuchung geradezu evident.
Die immense Attraktivität der Ellipse als Forschungsgegenstand basiert auf der Vermutung, dass eine Entschlüsselung des Ellipsenbegriffs eine neue Sicht auf unsere alltägliche Rede- und Argumentationspraxis zulässt. So leisten die zahlreichen Forschungsbeiträge zur elliptischen Sprache einen signifikanten Beitrag für eine stetige Steigerung der Transparenz alltagssprachlicher Schreib- und Redestrukturen. Vor diesem Hintergrund kristallisiert sich die Ellipse zu einem essentiellen Kriterium im kritischen Bewusstsein sprachlichen Gestaltungsvermögens heraus.
1.2 Ziel und Zweck der Arbeit
Diese Seminararbeit soll vorrangig dazu dienen, das in der aktuellen linguistischen Diskussion kontrovers diskutierte Phänomen der 'Sprachökonomie' durch eine methodisch-stringente und zielgerechte Analyse der 'elliptischen Sprache' zu erfassen.
Aufgrund der kategorialen und stilistischen Differenz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache sollen der Aspekt der Sprachökonomie und die verschiedenen Arten von Ellipsen sowohl aus grammatisch-syntaktischer als auch aus pragmatisch-kommunikativer Perspektive umfassend untersucht und systematisch dargestellt werden. Vor diesem Hintergrund sollen einige konkrete Fälle elliptischer Sprache in unterschiedlichen Kommunikationsdomänen und Handlungsfeldern unserer Sprachgesellschaft aufgeführt werden.
Es wird deutlich, dass sich ein theoretischer Erklärungsansatz zum Wesen und Gebrauch der elliptischen Sprache nicht nur an den syntaktischen Basiskategorien der traditionellen Grammatikmodelle, sondern auch an den empirischen Diskursanalysen ausrichten sollte. In diesem Kontext soll unter anderem die Frage fokussiert werden, welche Anwendung die konventionellen Beschreibungsparameter der Grammatiktheorie bei der Skizzierung und Analyse von praktischen Kommunikationsereignissen haben.
Gemäß den Mitte der sechziger Jahre in der 'pragmatischen Wende'[3] vertretenen diskursanalytischen Ansätzen soll in dieser Arbeit die Verbindung zwischen 'Grammatik' und 'Pragmatik' und den Phänomenen 'Satz' und 'Äußerung' aufgezeigt werden. In diesem Sinn ist die Grammatik nicht nur ein bloßes Beschreibungsmodell morphosyntaktischer Merkmale. Vielmehr erfordern grammatische Analysen auch zunehmend die Berücksichtigung semantischer und kommunikativ-pragmatischer Gesichtspunkte.
Auf der Grundlage des gegenwärtigen Forschungsstandes werde ich zunächst den Versuch unternehmen, den linguistischen Terminus 'Ellipse' theoretisch zu fundieren und die wesentlichen Typen und Funktionen des 'elliptischen Sprachhandelns' herauszustellen.
Im Zentrum meiner Untersuchungen stehen demnach primär die formaltheoretische Deskription und die funktionale Analyse von Ellipsen.
Vor diesem Hintergrund gilt es, die Varietäten des Ellipsen-Phänomens in den beiden medialen Erscheinungsformen unserer Sprache zu skizzieren und ihre ökonomische Gebrauchsfunktion an einigen ausgewählten Beispielen zielgerichtet darzulegen.
Auf dieser wissenschaftstheoretischen Grundlage möchte ich schließlich Erklärungsansätze dafür liefern, warum das sprachliche Phänomen der Ellipse das linguistische Forschungsinteresse in den letzten Dekaden zunehmend bestimmt hat und warum dieses 'Nichts' vermutlich auch noch in den nächsten Jahren elementare Forschungsimpulse setzen wird.
Die eingangs provokant formulierte These, dass sich diese Ausführungen auf das "Nichts" konzentrieren, sollte demnach dahingegen revidiert werden, dass dieses "Nichts" in der alltäglichen Kommunikationspraxis eine signifikante Bedeutung aufweist. Dementsprechend ist der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit doch ein "Sehr Viel", dessen Wesen in den folgenden Ausführungen systematisch beschrieben werden soll.
2. Sprachökonomische Tendenzen in Grammatik und Pragmatik
2.1 Die handlungstheoretische Semantik von H. Paul Grice
In unserer modernen Informationsgesellschaft ist die Fähigkeit zu einer situationsadäquaten sprachlichen Prägnanz eine signifikante Schlüsselqualifikation, die die Sprecherkompetenz entscheidend ausmacht. Im 'Zeitalter der Rationalisierung' ist ein gewisser Grad an 'sprachökonomischer Rhematisierung' (nur das Neue oder Wichtige wird erwähnt) ein wichtiger Garant dafür, dass sich der einzelne Sprecher in seinem sozialen Umfeld orientieren und verständigen kann.
Damit die Alltagskommunikation gelingt, müssen die Interaktionspartner ihre Aussageabsicht möglichst ökonomisch gestalten und das Verstehen substanziell aushandeln. Ein sprachliches Mittel, das vorwiegend zu diesem Zweck eingesetzt wird, ist neben Deixis und Paraphrase sicherlich auch die Ellipse.
Um den zentralen Fragestellungen meiner Hausarbeit gerecht zu werden, bedarf es zunächst eines theoretischen Nährbodens, auf dem sich die sprachökonomische Funktionalität der Ellipse beschreiben lässt.
In diesem Kontext bildet die Theorie der Diskursmaximen und der Konversationsimplikaturen von Herbert Paul Grice den Analyserahmen, den ich in meinen weiteren Ausführungen präzisieren werde.
Im Bereich der Sprachökonomie propagiert die 'handlungstheoretische Semantik' von Grice die Verwendung elliptischer Sprache als effiziente Diskursstrategie, die in der lebensweltlichen Rationalität der Schreib- und Redepraktiken eine herausragende Stellung einnimmt.
Nach Grice verhalten sich die Diskurspartner unter sprachökonomischen Gesichtspunkten rational, wenn sie durch die strategische Verwendung von Ellipsen mit einem Minimum an sprachlichem Aufwand ein Maximum an sprachlicher Effektivität erzielen und gemäß den vorliegenden sprachrelevanten Aspekten ihre Kommunikationsabsicht erfüllen.
Nach Grice ist die sprachliche Kommunikation ein ganzheitlicher (zweck-) rationaler Handlungsprozess, bei dem sich die Gesprächsteilnehmer prinzipiell kooperativ verhalten:
"Our talk exchanges do not normally consist of a succession of disconnected remarks, and would be rational if they did. They are characteristically, to some degree at least, cooperative efforts; and each participant recognizes in them, to some extent, a common purpose or set of purposes, or at least a mutually accepted direction. This purpose or direction may be fixed from the start (e.g., by an initial proposal of a question for discussion), or it may evolve during the exchange; it may be fairly definite, or it may so indefinite as to leave very considerable latitude to the participants (as in casual conversation). But at each stage, some possible conversational moves would be excluded as conversationally unsuitable. We might then formulate a rough general principle which participants will be expected (ceteris paribus) to observe, namely: Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged. One might label this the Cooperative Principle."[4]
Auf der Basis des Kooperationsprinzips formuliert Grice die vier grundlegenden Untermaximen der Konversation, an denen die Sprecher ihr Verhalten ausrichten sollen. In diesem Sinn dienen die 'Maxime der Quantität', die 'Maxime der Qualität', die 'Maxime der Relation' und die 'Maxime der Modalität' als Leitfaden für ein zweckrationales sprachliches Handeln.
Die Obermaxime gesprächsförmiger Interaktion fordert, dass die Kommunikationspartner den jeweiligen Gesprächsbeitrag in der Form gestalten, "wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs […] gerade verlangt wird."[5]
In diesem Zusammenhang hat Maciej Grochowski sein "Gesetz der Nicht-Wiederholung der Bestandteile"[6] formuliert, dass auf der Grundannahme beruht, dass "[d]ie Menschen, die sich auf gewöhnliche Weise einer Sprache zum Zweck der Informationsübertragung bedienen, […] den schon früher einmal geäußerten Ausdruck nicht [unnötig wiederholen]"[7].
Nach Grice lässt sich Grochowskis Anspruch mit der Untermaxime der Modalität gleichsetzen, die unter anderem festlegt, dass sich die Gesprächsteilnehmer möglichst kurz fassen sollen.
Bei einem Verstoß gegen die Griceschen Konversationsmaximen entstehen komplizierte Sätze, die dem alltäglichen Textverständnis nicht entsprechen:
"Isabelle lief zum Bahnhofschalter, Isabelle kaufte einen neuen Fahrschein und Isabelle warf den alten Fahrschein weg."
Dieser Satz würde in der alltäglichen Kommunikationspraxis negativ auffallen und gleichfalls suggerieren, dass dem Sprecher eine gewisse Inkompetenz zu attestieren ist. Auf Akzeptanz würde hingegen ein entsprechend umformulierter Satz stoßen, der die Gricesche Untermaxime der Modalität in seiner Syntax reflektiert:
"Isabelle lief zum Bahnhofschalter, kaufte einen neuen Fahrschein und warf den alten weg."
Vor diesem Hintergrund lässt sich konstatieren, dass die Ellipsen im pragmatisch-kommunikativen Bereich weitaus mehr Bedeutung entfalten als im grammatisch-syntaktischen Bereich, in dem die Ellipsen primär auf ihre syntaktische Funktion und das tatsächliche Wortmaterial reduziert werden.
Eine wichtige Erkenntnis der Kommunikationstheorie ist zweifelsohne, dass sprachliche Beiträge auf den jeweiligen Dialogpartner und den situativen Kontext abgestimmt werden sollten. Erfolgreiches und kooperatives Kommunizieren, wie es in einem natürlichsprachlichen Interaktionssystem angestrebt wird, setzt demnach voraus, dass die Elliptizität der Sprache dem in der jeweiligen Situation gültigen Standard entspricht und vom Dialogpartner auch verstanden werden kann.
2.2 Elliptizität in der Oralität und in der Literalität
Das Phänomen Sprache begegnet uns stets in zwei differenten Ausdrucksformen: man kann Sprache hören oder lesen, Sprache erscheint als Abfolge von Lauten oder von Schriftzeichen. Das markanteste Unterscheidungskriterium dieser beiden medialen Erscheinungsformen ist der Umstand, dass die gesprochene Sprache lautlich und die geschriebene Sprache graphisch realisiert ist.
In diesem Kontext bildet das Inventar und die Kombinatorik der lautlichen Einheiten das 'phonologische System' einer Sprache und das Inventar und die Kombinatorik der graphischen Einheiten das 'graphematische bzw. das Schriftsystem' einer Sprache.
Auf der Basis dieser Überlegungen lässt sich konstatieren, dass die grammatische Information im Geschriebenen eine andere Kodierung erfährt als im Gesprochenen und perzeptuell unterschiedlich, nämlich visuell statt primär auditiv, aufgenommen wird.
Vor dem Hintergrund, dass die gesprochene und die geschriebene Sprache durch verschiedenartige Produktions- und Rezeptionskonditionen bestimmt werden, haben sich für die Oralität und die Literalität gemäß ihren Funktionen und ihren Situationsbedingungen eigene Normen der Realisierung entwickelt. Diese finden ihre Verkörperung in der 'Aussprachenorm' und der 'Orthographie'. Auf die kategoriale Differenz zwischen oraler und literaler Sprache wies auch Johannes Schwitalla in seinem Werk 'Gesprochene Sprache – dialogisch gesehen.' hin:
"Sprachwissenschaftler haben ungefähr seit der Mitte der 60er Jahre die Besonderheiten der gesprochenen Sprache (GS) untersucht, weil mit der Erweiterung des Untersuchungsobjekts ‚Sprache’ über Satzgrenzen hinaus und mit dem Interesse an den pragmatischen Eigenschaften der Sprache immer deutlicher wurde, daß gesprochene Äußerungen anders produziert werden, als es in den Grammatiken steht, ohne dass diese Besonderheiten beim Sprechen als fehlerhaft und korrekturbedürftig empfunden würden."[8]
Wenn man die elliptische Sprache als eine spezifische, kommunikative Handlungsstrategie begreift, so muss die Dichotomie von Oralität und Literalität verstärkt berücksichtigt werden. Denn das Problem 'unvollständiger Ausdrücke' findet sich sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Sprache, wenn man auch gleich darauf referieren sollte, dass die Frequenz sprachlicher Kurzformen in der gesprochenen Sprache deutlich höher ist.
In der geschriebenen Sprache werden die unvollständigen elliptischen Ausdrücke in speziellen Textsorten, wie beispielsweise in literarischen Textformen und in Telegrammen, ziemlich häufig appliziert.
Vor diesem Hintergrund ist besonders interessant, dass die elliptische Sprache in ihrer oralen und literalen Ausprägung jeweils anderen Bewertungskriterien zu unterliegen scheint. So zeigen empirische Diskurs- und Textkorpora – Untersuchungen, dass Ellipsen in der oralen Sprache als konversationelle Regularitäten oder Routineformeln gedeutet werden, während Ellipsen im Text oft als Norm- oder Regelverstoß eingestuft und klassifiziert werden[9].
Im grammatisch-syntaktischen Bereich lässt sich die Ellipse primär als ein markantes 'Defizienzphänomen' des Satzes deuten, das sich in 'Unvollständigkeit' oder 'Reduktion' manifestiert.
Dahingegen wird die Verwendung der Ellipse im pragmatisch-kommunikativen Bereich als eine konventionelle und erfolgsorientierte Diskursstrategie eingestuft, die unter Einbeziehung von kontextuellen Faktoren wie Sprechsituation und Alltagswissen und unter Annahme des Griceschen Kooperationsprinzips und der Konversationsmaximen informative und 'pragmatisch vollständige' Äußerungsakte hervorbringt.
3. Satz und Ellipse - der Versuch einer definitorischen Begriffsbestimmung
3.1 Konkretisierung des Satzbegriffs
3.1.1 Eine definitorische Annäherung an den Satzbegriff im Spiegel der linguistischen Diskussion
Um das sprachökonomische Phänomen der Ellipse aus grammatisch-syntaktischer Perspektive angemessen darzustellen und linguistisch zu erklären, bedarf es einer differenzierten Definition des Satzbegriffs.
In der linguistischen Forschung der letzten Dekaden sind zahlreiche Bemühungen unternommen worden, den sprachtheoretischen Status des Satzes zu bestimmen und eine präzise und sprachadäquate Definition zu finden.
So hat das linguistische Phänomen des Satzes als primärer Gegenstandsbereich und elementarer Grundbegriff der Syntax in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine lebhafte Forschungsdiskussion und einen hohen Definitionsbedarf kultiviert, die jedoch in der letzten Zeit aus Mangel an hinreichenden definitorischen Lösungskonzepten ersten Ermüdungserscheinungen unterlegen und nahezu stagniert sind.
In dieser Arbeit werde ich von einer vollständigen chronologischen Abhandlung der Geschichte der Satzdefinitionen absehen, da es zu diesem Themenkomplex bereits eine Fülle aussagekräftiger wissenschaftstheoretischer Publikationen gibt. In diesem Kontext verweise ich explizit auf die Ausführungen von Beat Louis Müller, der mit seinem Werk "Geschichte der Satzdefinition" die verschiedenen definitorischen Ansätze chronologisch auflistet und einen Überblick über den Forschungsstand der letzten Dekaden gibt.
Im Folgenden möchte ich aber dennoch kurz auf einige der wichtigsten Definitionsansätze referieren, die die vehemente wissenschaftstheoretische Diskussion substantiell bereichert und vorangetrieben haben.
Aus der Retrospektive lässt sich feststellen, dass bis 1930 kein einziger Beitrag zur Grundlegung der Syntax eine verbindliche definitorische Satzbestimmung hervorgebracht hat, die das allgemeine Satzverständnis sprachadäquat und differenziert spiegelte. Eine erste zielstrebige theoretische Reflexion über die Syntax und eine definitorische Annäherung an den Satzbegriff erreichte erstmals John Ries[10], der 1931 in seinem Buch "Was ist ein Satz?" festlegte, dass „[…] [der] Satz […] eine grammatisch geformte kleinste Redeeinheit [ist], die ihren Inhalt im Hinblick auf sein Verhältnis zur Wirklichkeit zum Ausdruck bringt.“[11]
Der Wiener Psychologe Karl Bühler ordnete 1934 vor dem Hintergrund der 'langue-parole-Dichotomie' von de Saussure in seiner 'Sprachtheorie' den Satz auf der Ebene der 'langue' an und lehnte erstmals einen philosophischen Satzbegriff für die Grammatik kategorisch ab.
Die wohl populärste Satzdefinition stammt von Ries Kritiker, dem Behavioristen Leonard Bloomfield, der folgendes Satzverständnis formulierte: „[…] each sentence is an independent linguistic form, not included by virtue of any grammatical construction in any larger linguistic form.“[12]
Die unterschiedlichen definitorischen Ausführungen zum Satzbegriff lassen sich auf das gemeinsame Kriterium herunter brechen, dass der Satz als sprachliche Einheit ein wichtiger Gegenstandsbereich und Grundbegriff der Syntax ist. So fokussiert die vollständige Grammatikkonzeption einer Einzelsprache seit jeher das 'Wort' und den 'Satz' als kommunikative Grundeinheiten, wobei der 'Satz' (unterhalb der Textebene) die größte zu beschreibende syntaktische Einheit darstellt.
Das traditionelle und unreflektierte Schulgrammatikverständnis legt zunächst nahe, dass sich der Satz als grammatische Grundeinheit beinahe intuitiv definieren und von anderen Bezugsgrößen wie 'Wort' und 'Text' klar abgrenzen lässt. Ein solches Verständnis berücksichtigt allerdings lediglich die grammatisch-syntaktische Komponente der sprachlichen Oberflächenstruktur und vernachlässigt dabei die kohärenzstiftenden, semantischen und pragmatischen Korrelationsgrößen auf der Ebene der Tiefenstruktur.
Die Dichotomie von gesprochener und geschriebener Sprache tritt auch bei der definitorischen Bestimmung des Satzbegriffs wieder in den Vordergrund, da die Strukturmerkmale beider sprachlichen Ausdrucksformen variieren.
Im Folgenden sollen die konstitutiven Charakteristika des Satzes unter grammatisch-syntaktischem und pragmatisch-kommunikativem Aspekt aufgelistet werden.
[...]
[1] Hausperger 2003: 1
[2] Bühler 1965: 168
[3] Böhler 1986
[4] Grice 1967: 26
[5] Grice 1975: 248
[6] Grochowski 1985: 302
[7] Ebda.
[8] Schwitalla 1994: 17
[9] Schwitalla 2003: 101
[10] Ries 1931
[11] Bühler 1965: 358
[12] Bloomfield 1933: 170
- Citation du texte
- Andrea Elisabeth Schildgen (Auteur), 2007, Die Relevanz der Ellipse in der alltäglichen Kommunikationspraxis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79978
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