Viele Opfer des Holocausts sprechen angesichts des Völkermordes an den Sinti und Roma, der leider im unrühmlichen Schatten des schrecklichen sechsmillionenfachen Mordens an die Juden steht, von einem vergessenen Holocaust. Gegen das Vergessen soll hier ein Beitrag geleistet werden. Im Vordergrund dieser Abhandlung wird die Frage beantwortet, inwieweit das Schicksal der Zigeuner im südöstlichen Europa vom nationalsozialistischen Deutschland mitbestimmt wurde, ob die Nazis ihre Rassenutopie auf die zum Teil besetzten, zum Teil verbündeten Staaten, Ungarn, Rumänien, Kroatien, Bulgarien und der Slowakei, übertragen konnten und die Zigeuner im Südosten, ähnlich wie in Deutschland, kategorisch und so gut wie ausnahmslos schikaniert, denunziert, bekämpft, entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Zur Beantwortung der Frage soll zunächst umfassend die Verfolgung der Zigeuner in Deutschland darstellt werden, um in einem zweiten Schritt zu der Verfolgung der südosteuropäischen Sinti und Roma vergleichend Bezug nehmen zu können. Das Augenmerk ist hierbei einerseits auf die rechtliche Verfolgung und andererseits auf den Völkermord an den Zigeunern in Südosteuropa gelegt. Dabei gilt es, auch kritisch faschistische Quellen auszuwerten, um Thema adäquat und umfassend auszuleuchten.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Hauptteil
1.1 Sinti- und Romaverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1945
1.2 Gesetzgeberische Maßnahmen gegen Sinti und Roma
1.2.1 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
1.2.2 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
1.2.3 Nürnberger Gesetze
1.3 Nationalsozialistische Sinti- und Romaverfolgung bis zum Holocaust
2 Sinti- und Romaverfolgung im Südosten 1933-1945
2.1 Nationalsozialistisches Bild über die Zigeuner im Südosten
2.1.1 Nationalsozialistisches Bild über die Zigeuner in Rumänien
2.1.2 Nationalsozialistisches Bild über die Zigeuner in Ungarn
2.1.3 Nationalsozialistischer „Lösungsversuch der Zigeunerfrage“ im Südosten
2.2 Gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Sinti und Roma im Südosten
2.2.1 Gesetzliche Maßnahmen in Rumänien
2.2.2 Gesetzliche Maßnahmen in Ungarn
2.2.3 Gesetzliche Maßnahmen in der Slowakei/ Protektorat Böhmen und Mähren
2.2.4 Gesetzliche Maßnahmen in Kroatien
2.2.5 Gesetzliche Maßnahmen in Bulgarien
2.3 Der Weg bis zum Völkermord an den Sinti und Roma im Südosten
2.3.1 Völkermord an den Sinti und Roma in Rumänien
2.3.2 Völkermord an den Sinti und Roma in Ungarn
2.3.3 Völkermord an den Sinti und Roma in der Slowakei/ Protektorat Böhmen und Mähren
2.3.4 Völkermord an den Sinti und Roma in Kroatien
2.3.5 Völkermord an den Sinti und Roma in Bulgarien
Schlusswort
Verzeichnis der Quellen und Literatur
Quellen
Literatur
Einleitung
Viele Opfer des Holocausts sprechen angesichts des Völkermordes an den Sinti und Roma, der leider im unrühmlichen Schatten des schrecklichen sechsmillionenfachen Mordens an die Juden steht, von einem vergessenen Holocaust. Diese Hausarbeit soll dagegen einen Beitrag leisten. Weit darüber hinaus, stelle ich mir jedoch zur Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit das Schicksal der Zigeuner im südöstlichen Europa vom nationalsozialistischen Deutschland mitbestimmt wurde, ob die Nazis ihre Rassenutopie auf die zum Teil besetzten, zum Teil verbündeten Staaten, Ungarn, Rumänien, Kroatien, Bulgarien und der Slowakei, übertragen konnten und die Zigeuner im Südosten, ähnlich wie in Deutschland kategorisch und so gut wie ausnahmslos schikaniert, denunziert, bekämpft, entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Dazu bediene ich mich der Aufsplittung der Hausarbeit in zwei Teile. Der erste Teil soll das Ausmaß der Verfolgung der Zigeuner in Deutschland darstellen, um letztendlich im zweiten Teil zu der Verfolgung der südosteuropäischen Sinti und Roma vergleichend Bezug nehmen zu können. Aus Platzmangel beschränke ich mich – zwangsweise – auf die zwei Vergleichskriterien der rechtlichen Verfolgung und des Völkermordes an den Zigeunern in Südosteuropa. Dabei versuche ich zur adäquaten Untersuchung auch insbesondere den schmalen Grad mit faschistischen Quellen zu meistern. Im Schlusswort möchte ich die Erkenntnisse meiner Recherche zusammenfassend darlegen.
1 Hauptteil
1.1 Sinti- und Romaverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland
1933-1945
Im ersten Teil werden die gesetzlichen Maßnahmen gegen die Zigeuner und der Weg zum Holocaust an den Sinti und Roma im nationalsozialistischen Deutschland aufgezeigt.
1.2 Gesetzgeberische Maßnahmen gegen Sinti und Roma
Mit Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 lebten zirka 20.000 Zigeuner innerhalb der damaligen Grenzen Deutschlands. Die Zigeuner waren keinen nationalen Sondergesetzen unterworfen, jedoch verbot man ihnen beispielsweise in Bayern und auch anderswo das Umherziehen in Gruppen[1].
1.2.1 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
Zu den ersten gesetzgeberischen Maßnahmen, die rassische Züge trugen, zählt das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. Mai 1933. Dieses sah vor, dass Beamte, die nicht „arischer Abstammung“ waren, in den Ruhestand zu versetzen seien und betraf somit Sinti und Roma, genauso wie Juden[2]. Döring argumentiert nun, dass dieses Gesetz für die Zigeuner gar keine Bedeutung hatte, da diese auch vor 1933 erst gar nicht zu den sozial höheren Stellungen gelangt seien, anders, so verweist er, als beispielsweise die Zigeuner im Balkan. Er erkennt zumindest aber in der Konsequenz, dass durch dieses Gesetz den Zigeunern auch für die Zukunft die Beamtenlaufbahn verweigert wurde[3]. Nach heutigem verfassungsmäßigen Verständnis, so muss der Verfasser feststellen, wäre allein diese gesetzgeberische Maßnahme doch ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines jedermann, immerhin wurde doch die Berufswahl und Berufsausübungsfreiheit der Sinti und Roma eklatant eingeschränkt. In der Folgezeit kam es zu Ausschlüssen aus Berufsgenossenschaften für Sinti und Roma, ebenso zu der Verweigerung der Arbeitsämter, jungen Sinti und Roma nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zu ermöglichen[4], auch wenn Kenrick andeutet, dass die Bestimmung über den Ausschluss der Zigeuner aus dem öffentlichen Dienst und vom Militärdienst nicht immer strikt befolgt wurden[5].
1.2.2 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
Eine weitere rechtliche Handhabe gegen Sinti und Roma wurde mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 erwirkt. Zigeuner, die von Rassenhygienikern vor allem den „Schwachsinnigen“, „Kriminellen“ und „Asozialen“ zugeordnet wurden[6], konnten wegen schwerem Alkoholismus, angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem Irresein, Blindheit, Taubheit oder schwerer körperlicher Missbildung gegen ihren Willen sterilisiert werden[7]. 1937 formulierte der NS-Bürgermeister Dr. Günther die Frage: „Wird es gelingen, die seßhaften Zigeuner kolonieweise örtlich und gesellschaftlich so zu isolieren und abzukapseln, daß durch Inzucht Erbschäden entstehen und damit umfassende Maßnahmen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses notwendig werden?“[8]. Die hier auf einen erwünschten Genozid hindeutende Aussage verdeutlicht, inwieweit unter dem Begriff rassenhygienischer Maßnahmen die nationalsozialistischen Gedanken liefen.
1.2.3 Nürnberger Gesetze
Unzweifelhaft galten die zwei Nürnberger Gesetze, die im September 1935 erlassen wurden, obwohl die Zigeuner nicht ausdrücklich erwähnt wurden, auch für diese Minderheit und machten sie auch formal zu Bürgern minderen Rechts[9]. Das Reichsbürgergesetz bestimmte, dass den Reichsbürgerstatus nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes bekommen konnte, der seinem Verhalten nach auch gewillt und geeignet ist, dem deutschen Volk und dem Reich treu zu dienen[10] und dabei waren nach Stuckart-Globke „artfremden Blutes [...] in Europa nur Juden und Zigeuner“[11]. Das zweite Nürnberger Gesetz, das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, welches rassisch begründet die Trennung der Völker, über den öffentlich-rechtlichen Status hinaus, nun auch die persönlichen Gebiete umfasste, kommentierte Reichsminister Dr. Frick, wie folgt: „Es muß unter allen Umständen verhütet werden, daß dem deutschen Volke neues jüdisches Blut zugeführt wird [...] ist die eheliche wie die außereheliche Verbindung von Juden und deutschblütigen Personen verboten und unter Strafe gestellt. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig“[12]. Der Zitierte spricht hier vom Juden, impliziert den Zigeuner aber ausdrücklich, „da deren Blut dem deutschen Blut nicht artverwandt ist“[13]. Frick endet seinen Kommentar mit den Worten: „Die Lebensmöglichkeit soll den Juden in Deutschland nicht abgeschnitten werden. Das deutsche Schicksal aber gestaltet in Zukunft lediglich das deutsche Volk“[14]. Gerade durch Erlassen der Nürnberger Gesetze, so ist der Verfasser der Ansicht, wurden doch die Zigeuner aus der deutschen Gesellschaft ausgegrenzt und wörtlich genommen, zwar bis dahin – noch – nicht ihrer Lebensmöglichkeit beraubt, jedoch in erheblichem Maße in ihren Lebensgestaltungsmöglichkeiten beschnitten. Somit kann der Verfasser auch nicht die Auffassung Riecherts teilen, dass die Folgen der Nürnberger Gesetze für die Verfolgung der Sinti und Roma weithin allgemein überschätzt werden[15].
1.3 Nationalsozialistische Sinti- und Romaverfolgung bis zum Holocaust
Die Schikanen gegen die Sinti und Roma erstreckten sich darüber hinaus weiter in den gesellschaftlichen Bereich hinein. So verlangte man von ihnen überhöhte Mieten, stattete die Lagerplätze der Zigeuner schlecht aus, oft durch Stacheldraht eingezäunt in der Nähe von Friedhöfen oder bei Kläranlagen, löste die Lagerplätze plötzlich auf oder führte Polizeirazzien durch[16]. 1936 wurde durch die Nationalsozialisten die Rassenhygienische und Bevölkerungs-biologische Forschungsstelle unter Leitung von Dr. Robert Ritter eingerichtet. In Pamphleten und Artikel wurden Anschuldigungen gegen die Zigeunerrasse erhoben. So schilderte Ritter beispielsweise die Zigeuner als „sittenlos, verwahrlost, misstrauisch, hinterhältig, arbeitsscheu und räuberisch“, als „Bastardpopulation“, als „form- und charakterloses Lumpenproletariat“[17]. 1938 wurde Ritters Forschungsstelle mit der Zentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens vereinigt. Ziel war neben der Registrierung, die Klassifizierung aller Zigeuner. So erhielten reinrassige Zigeuner einen braunen Pass, Zigeunermischlinge einen mit einem blauen Streifen. Die Rasseforscher hatten innerhalb von drei Jahren Stammbäume von 20.000 Personen zusammengestellt[18]. Mit Beginn des Frühjahres 1938 wurden Sinti und Roma verfolgt und unter „Schutzhaft“, d.h. Freiheitsentzug im Konzentrationslager ohne zeitliche Begrenzung und vor allem ohne Rechtsverfahren, gestellt.
Dabei diente als Vorwand der schon traditionelle Vorwurf, sie seien „asozial“, da sie keine geregelte Arbeit nachweisen könnten[19]. Im Jahre 1940 entwickelten die Naziführer Pläne großangelegter Deportationen der Zigeuner. 30.000 Zigeuner sollten aus „Großdeutschland“ deportiert werden, ihre Erfassung war 1941 fast vollständig durchgeführt[20]. Mit Befehl und Dekretunterzeichnung Himmlers am 16.12.1942 waren „Zigeunermischlinge, Róm-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion weniger Wochen [...] ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz“[21] einzuweisen. Drei Monate später hatten die Nationalsozialisten 10.000 Sinti und Roma zusammengetrieben und in KZs gesteckt. Dort dienten sie den Nationalsozialisten als „menschliche Versuchstiere für pseudowissenschaftliche Experimente“ mit Typhusbazillen, Senfgas und Fleckfiberviren an Zigeunern durchgeführt[22]. Allein die Tatsache, dass in einer einzigen Nacht im August 1943 das ganze „Zigeunerlager“ Auschwitz liquidiert wurde, zeigt den nationalsozialistischen Zigeunerwahn und -hass. Die Opferzahlen des Völkermordes an den Sinti und Roma schwanken in der Literatur zwischen mehreren Hunderttausenden. Benz geht „mit Sicherheit“ von mehr als 200.000 ums Leben gekommenen Zigeunern aus, verweist aber auch auf andere Schätzungen von bis zu 500.000 Zigeuneropfern[23].
[...]
[1] Donald Kenrick, Grattan Puxon, Tilman Zülch: Die Zigeuner. Verkannt – Verachtet – Verfolgt, Hannover
1980, S. 37.
[2] Romani Rose: Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma, Heidelberg 1995, S. 17.
[3] Hans-Joachim Döring: Die Zigeuner im Nationalstaat, Husum 1964, S.34.
[4] Romani Rose: Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma, S. 17.
[5] Donald Kenrick, Grattan Puxon, Tilman Zülch: Die Zigeuner, S. 37.
[6] Hans-Jörg Riechert: Im Schatten von Auschwitz. Die nationalsozialistische Sterilisationspolitik gegenüber
Sinti und Roma, Münster, New York 1995, S. 25.
[7] Antje Gerlach: Erbgesundheit; in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hrsg. von Wolfgang Benz, Hermann
Graml, Hermann Weiß, München 2001, S. 448.
[8] Zitiert nach: Michael Zimmermann: Verfolgt, Vertrieben, Vernichtet. Die nationalsozialistische
Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma, Essen 1989, S. 20.
[9] Wolfgang Benz: Der Holocaust, München 1995, S. 94.
[10] Hans-Joachim Döring: Die Zigeuner im Nationalstaat, S. 35.
[11] Zitiert nach: Hans-Joachim Döring: Die Zigeuner im Nationalstaat, S. 35.
[12] Wilhelm Frick: Das Reichsbürgergesetz und das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der
deutschen Ehre vom 15. September 1935; in: Deutsche Juristen-Zeitung, Jg. 40, Heft 23, 1. Dezember 1935,
Spalte 1392 f..
[13] Wilhelm Frick: Das Reichsbürgergesetz, Spalte 1391.
[14] Wilhelm Frick: Das Reichsbürgergesetz, Spalte 1394.
[15] Hans-Jörg Riechert: Im Schatten von Auschwitz, S. 6.
[16] Wolfgang Benz: Der Holocaust, S. 93.
[17] Robert Ritter: Die Zigeunerfrage und das Zigeunerbastardproblem, in: Fortschritte der Erbpathologie.
Rassenhygiene und ihre Grenzgebiete, 3. Jg./1939, S. 3, 13 und 15.
[18] Donald Kenrick, Grattan Puxon, Tilman Zülch: Die Zigeuner, S. 39.
[19] Wolfgang Benz: Der Holocaust, S. 96.
[20] Donald Kenrick, Grattan Puxon, Tilman Zülch: Die Zigeuner, S. 42f.
[21] Zitiert nach: Wolfgang Benz: Der Holocaust, S. 99.
[22] Donald Kenrick, Grattan Puxon, Tilman Zülch: Die Zigeuner, S. 44 und 72f.
[23] Wolfgang Benz: Der Holocaust, S. 99f.
- Quote paper
- Marc Castillon (Author), 2001, Zigeunerfrage im Südosten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7928
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