Die Türkei steht seit Jahren als Kandidat auf der Beitrittsliste zur Europäischen Union. Die Verhandlungen sind in vollem Gange, doch wird es tatsächlich zu einem Beitritt kommen? Diese Magisterarbeit beschäftigt sich mit der Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Vollmitgliedschaft der Türkei zur EU im Hinblick auf Alternativen. Diese sind die Privilegierte Partnerschaft, die Beibehaltung des Status quo, aber auch die relativ unbekannte Variante der Abgestuften Integration. In den Schlussbetrachtungen kommt es dann zu einer ambivaltenen Beantwortung der Fragestellung und die realistische sowie die rationale Lösung der Beitrittsverhandlungen werden mit Begründung dargestellt.
Alle Modelle werden nacheinander dargestellt, mit Vor- und Nachteilen für die EU und die Türkei. Im Anschluss erfolgt eine Aufarbeitung diverser Diskussionspunkte mit Argumenten pro und contra Beitritt. Im nächsten Schritt wird untersucht, wie der tatsächliche Stand der Entwicklungen in der Türkei ist. Werden die Auflagen der EU zur Beitrittsvorbereitung erfüllt oder kommt das Kandidatenland den Forderungen nicht nach? Das folgende Kapitel untersucht drei Beispielländer: Großbritannien als Befürworter der Vollmitgliedschaft, Österreich als Gegner und Deutschland in einer Art Zwitterposition. Wie argumentieren Parteien, Bevölkerung und gegebenenfalls auch Verbände über die Türkei als eventuell baldigen Mitgliedstaat? Auch das Internationale Umfeld hat Auswirkungen auf Entscheidungen von solch großer Tragweite. Daher wird ein Blick auf etwa die Terror- und Islamistenproblematik geworfen.
Inhaltsverzeichnis
1) Einleitung
2) Darstellung der plausibelsten Modelle
2.1) Vollmitgliedschaft
2.2) Privilegierte Partnerschaft
2.3) Abgestufte Integration
2.4) Status quo der Beziehungen EU-Türkei
2.5) Zwischenresümee
3) Streitpunkte bei den Verhandlungen mit der Türkei
3.1) Finalität der EU
3.2) Geographische Lage
3.3) Wertedebatte im Zusammenhang mit religiösen und kulturellen Aspekten
3.4) Handlungsfähigkeit der EU
3.5) Wirtschaftliche Aspekte
3.6) Geostrategische Lage
3.7) Migration und Integration
3.8) Kopenhagener Kriterien und Anerkennung Zyperns
3.9) Zwischenresümee
4) Momentaner Entwicklungsstand der Türkei
4.1) Politischer Stand
4.2) Wirtschaftlicher Stand
4.3) Zypern-Problematik als weiterer Diskussionspunkt bei den Verhandlungen
4.4) Stimmung in der Türkei
4.5) Zwischenresümee
5) Interessen und Meinungen einzelner Mitgliedstaaten und der jeweiligen gesellschaftlichen Diskurse aufgezeigt an ausgewählten Beispielen
5.1) Deutschland
5.1.1) Parteien
5.1.2) Bevölkerung
5.1.3) Deutscher Gewerkschaftsbund und Bundesverband der Deutschen Industrie
5.2) Großbritannien
5.2.1) Parteien
5.2.2) Bevölkerung
5.3) Österreich
5.3.1) Parteien
5.3.2) Bevölkerung
5.4) Zwischenresümee
6) Einfluss der internationalen Umwelt auf Beitrittsentscheidung
7) Schlussbetrachtungen
8) Literaturverzeichnis
1) Einleitung
Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei haben eine lange Tradition. Bereits vor über 40 Jahren stellte die Türkei einen Antrag auf Assoziierung mit der damaligen EWG. Am 12. September 1963, nach mehreren Verhandlungsrunden, wurde das Abkommen in Ankara unterzeichnet. Es trat am 1. Dezember 1964 in Kraft. Schon zu dieser Zeit wurde die Türkei als europäischer Staat anerkannt. So wird Walter Hallstein, der damalige EWG-Kommissionspräsident, heute mit folgenden Worten zitiert: „Die Türkei gehört zu Europa. (...) Und eines Tages soll der letzte Schritt vollzogen werden: Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein.“ (Hallstein 1963:
S. 439f.) Das Assoziierungsabkommen war demnach bereits darauf ausgelegt, der Türkei später einmal den Beitritt zu ermöglichen. In Art. 28 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (Ankara-Abkommen) heißt es: „Sobald es das Funktionieren des Abkommens (...) gestattet, (...) werden die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft prüfen.“
Am 14. April 1987 stellte die Türkei ihren Beitrittsgesuch. Allerdings lehnte der EG-Ministerrat diesen am 18. Dezember 1989 mit dem Hinweis auf die damalige instabile politische und ökonomische Situation durch den Ost-West-Konflikt ab. Knapp zehn Jahre später, am 10./11. Dezember 1999, wurde der Türkei in Helsinki dann doch der Beitrittskandidatenstatus verliehen, am 3. Oktober 2005 die Verhandlungen eröffnet.
„Die Verhandlungen sind in insgesamt 35 Teilkapitel von Kultur bis Verkehr gegliedert und jedes dieser Kapitel muss von den 25 und bald 27 EU-Mitgliedsstaaten einstimmig geöffnet und geschlossen werden.“ (Frankfurter Rundschau 2006b: S. 5) Der Zeitpunkt des möglichen Beitritts richtet sich nach der Geschwindigkeit dieser Verhandlungen. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass dieser frühestens 2014 sein wird. „Die Beitrittsverhandlungen, die noch mit Ländern einzuleiten sind, deren Beitritt erhebliche finanzielle Auswirkungen haben könnte, können (..) erst abgeschlossen werden, wenn der Finanzrahmen für den Zeitraum nach 2014, gegebenenfalls zusammen mit Finanzreformen (...) festgelegt ist.“ (Europäischer Rat 2004: S. 7) Auch der Ausgang der Verhandlungen wurde nicht definiert. Die Vollmitgliedschaft wird zwar als Ziel angestrebt, doch werden von politischer Seite und in der Bevölkerung immer wieder Alternativen dazu diskutiert. Beitrittsgegner und –befürworter stehen sich in der Diskussion um die Vor- und Nachteile eines Beitritts um nichts nach. „Die Diskussion ist keineswegs neu. Sie wurde auch in der Vergangenheit immer wieder aus gegebenem Anlass geführt, allerdings nicht mit der gegenwärtigen Intensität und nie so entscheidungsorientiert.“ (Kramer 2003: S. 7)
Diese Magisterarbeit beschäftigt sich mit den geläufigsten Szenarien. Neben der Vollmitgliedschaft ist dies die Privilegierte Partnerschaft, die Abgestufte Integration, sowie die Rückkehr zum Status quo der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU. Es wird folgende Frage aufgeworfen: Wie wahrscheinlich ist eine Vollmitgliedschaft in Bezug auf ihre Alternativen?
Dazu werden zunächst die vier Szenarien erläutert. Danach werden die verschiedenen Streitpunkte aufgeführt. In diesem Zusammenhang werden die unterschiedlichen Positionen der Beitrittsbefürworter und in Abgrenzung dazu die Argumente der Beitrittsgegner dargestellt. Zur Überprüfung der Richtigkeit und Relevanz der verschiedenen Meinungen wird im Anschluss der Blick auf die Türkei und ihren Stand der Entwicklung sowie ihrer Erfüllung der Kopenhagener Kriterien gerichtet. Auch die Stimmung in der Türkei und die Zypern-Problematik als mögliches Hindernis des Beitritts werden dargestellt. Im nächsten Punkt werden die Interessen und Meinungen von drei ausgewählten Mitgliedstaaten betrachtet: Deutschland vertritt bezüglich einer Stellungnahme für oder wider den Beitritt eine Art Zwitterposition, Österreich hat eine ablehnende, Großbritannien eine zustimmende Haltung. Es wird nicht nur ein Augenmerk auf die Parteien geworfen, sondern auch auf die Bevölkerungen, um herauszufinden, ob es gegenseitige Beeinflussungen des Meinungsbildes gibt. Bevor abschließend im Resümee die Fragestellung beantwortet wird, soll die internationale Umwelt betrachtet werden. Dabei wird herausgearbeitet, ob und wenn ja welchen Einfluss diese Umwelt auf die Entscheidung über die künftige Beziehung der Türkei zur EU hat.
Diese Arbeit wurde Mitte Oktober 2006 beendet. Daher konnten danach veröffentliche Dokumente, Artikel und Stellungnahmen für die Analyse nicht mehr berücksichtigt werden.
2) Darstellung der plausibelsten Modelle
Seit dem 3. Oktober 2005 verhandelt die EU mit der Türkei über deren Beitritt. Bei den vorangegangenen Beitrittsverhandlungen anderer Länder war der Ausgang klar: Das Ziel war die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Doch bei der Türkei ist die Situation anders. Zum ersten Mal in der Geschichte der Erweiterung wurde vom Europäischen Rat beschlossen, dass zwar der Beitritt als Ziel der Verhandlungen angestrebt wird, es sich aber um einen „Prozess mit offenem Ende, dessen Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt“ handelt. Die Verhandlungen könnten bei Nichtachtung der europäischen Vorgaben unterbrochen oder gar abgebrochen werden. Kommt es nicht zu einem Beitritt, „so muss sichergestellt werden, dass das betreffende Bewerberland durch eine möglichst starke Bindung vollständig in den europäischen Strukturen verankert wird.“ (Europäischer Rat 2004: S. 6f.)
Dennoch tauchen immer wieder neben der zu verhandelnden Perspektive der Vollmitgliedschaft Alternativen auf. Vor allem werden dabei das Modell der Privilegierten Partnerschaft und das der Abgestuften Integration diskutiert. Beim Erstgenannten würden der Türkei hauptsächlich wirtschaftliche Integrationsmöglichkeiten angeboten, politische blieben weitestgehend außen vor. Die von der CDU eingebrachte Alternative wird jedoch von Seiten der Türkei abgelehnt. Das Besondere am zweitgenannten Modell ist die Beibehaltung der Beitrittsperspektive. Es könnte somit einen fortwährenden Anreiz zur Weiterentwicklung des muslimischen Landes bieten.
Als weiteres Szenario käme durchaus auch der Nicht-Beitritt und folglich die Rückkehr zum Status quo der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU in Frage. Dieser Ausgang ist vor allem vor dem Gesichtspunkt interessant, dass sich eben jene Beziehungen zum Negativen wandeln könnten. So lässt sich der türkische Außenminister Abdullah Gül über eine Änderung der seit über 40 Jahren feststehenden Perspektive eines Beitritts vernehmen: „Es wird keine annehmbare Haltung sein, die Natur, die Struktur und das Ziel (...) zu ändern.“ (Gül 2004: S. 6)
Laut Heinz Kramer[1] könne alternativ zum Beitritt nur das Szenario der Nichtaufnahme eintreffen, denn es sei „nach dem Beschluss des Europäischen Rats ausgeschlossen, bei den Verhandlungen offen über etwas anderes als den Beitritt zu sprechen (...). Konkret heißt das: In den Verhandlungen können alle für den Beitritt relevanten, insbesondere die mit der Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes zusammenhängenden Fragen behandelt und geklärt werden, nicht aber Szenarien für den Fall, dass es nicht zum Beitritt kommt.“ (Kramer 2005a: S. 19) Die Gesetzestexte, in denen Kramer dies belegt sehen könnte, sind einerseits Artikel I-58 Europäische Verfassung sowie Artikel 49 des EU-Vertrages, die sich zwar beide mit dem Beitritt von Staaten befassen, aber keinerlei Anzeichen für Alternativen zur Vollmitgliedschaft aufweisen.[2]
2.1) Vollmitgliedschaft
Die Türkei strebt seit nunmehr über 40 Jahren eine Mitgliedschaft in der EU an. Am 10./11. Dezember 1999 in Helsinki wurde ihr schließlich der Beitrittskandidatenstatus verliehen.[3] Der Europäische Rat stellte damals folgendes fest: „Die Türkei ist ein beitrittswilliges Land, das auf der Grundlage derselben Kriterien, die auch für die übrigen beitrittswilligen Länder gelten, Mitglied der Union werden soll.“ (Europäischer Rat 1999: S. 5)
Am 16./17. Dezember 2004 erklärte der Europäsche Rat in Brüssel, „dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen hinreichend erfüllt“, so dass am 3. Oktober 2005 die Beitrittsverhandlungen eröffnet werden konnten. (Europäischer Rat 2004: S. 6) Allerdings gab es erstmals die Besonderheit, dass das Ende offen, also nicht absehbar ist. Dennoch wird im Laufe der Verhandlungen auf eine Vollmitgliedschaft hingearbeitet. Es kann jedoch zu Aussetzungen kommen, sollte die Türkei sich nicht strikt an die Vorgaben halten. Darüber hinaus hält sich die EU selbst eine Hintertür offen. So ist ebenfalls in den Schlussfolgerungen des Rats vom Dezember 2004 festgehalten, dass die Union nur so viele Staaten aufnehmen soll, wie sie verkraften kann. (vgl. ebd.: S. 2) Daher ist die noch lange Periode bis zur Aufnahme der Türkei, frühestens 2014, nicht nur für dieses Land bestimmt, um sich zu reformieren und der EU anzugleichen. Auch die EU selbst könnte die Zeit nutzen, um sich für weitere Beitritte vorzubereiten.
Die Türkei ihrerseits richtet ihre Anstrengungen voll auf den Beitritt aus. Türkische Politiker lassen auch immer wieder verlauten, dass für sie keine Alternative in Frage kommt. So äußert sich Außenminister Gül in der Tageszeitung „Die Welt“ zu diesem Thema folgendermaßen: „Die "privilegierte Partnerschaft" ist für uns inakzeptabel. Unser Ziel ist Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Die "privilegiert Partnerschaft" wäre eine große Ungerechtigkeit gegenüber der Türkei.“ (Bakirdögen 2004: S. 1) Der frühere österreichische Botschafter in der Türkei, Hans Plattner, erklärt außerdem, dass die Türkei es nicht verstehen könne, dass Staaten wie beispielsweise Polen, Tschechien, Slowenien und auch Bulgarien und Rumänien vor ihr Mitglied der EU sind bzw. sein werden. Denn noch vor einiger Zeit habe der muslimische Staat als NATO-Partner Seite an Seite mit den westlichen Staaten gegen die Länder des Ostblocks gestanden. Doch nun bestehe die Möglichkeit, dass dem Bündnispartner der Beitritt verwehrt bliebe. (vgl. Plattner 1999: S. 207)
Die Türkei muss, um Mitglied der EU zu werden, die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen, die sich in politische und wirtschaftliche Kriterien aufsplitten. Die politischen Kriterien müssen bereits vor der Aufnahme der Verhandlungen erfüllt sein, die wirtschaftlichen dann beim Beitritt selbst. Die politischen zielen vor allem auf die institutionelle Stabilität des Beitrittskandidaten ab. Darüber hinaus muss in den Ländern eine demokratische und rechtstaatliche Ordnung herrschen. Außerdem müssen die Menschenrechte gewahrt und Minderheiten geschützt und geachtet werden. Die wirtschaftlichen Kriterien umfassen zum Einen eine funktionsfähige Marktwirtschaft. Zum Anderen muss das Beitrittsland in der Lage sein, sich dem Wettbewerb innerhalb der Union zu stellen und dabei nicht zu Schaden zu kommen, sondern partizipieren zu können. Des weiteren müssen die Beitrittskadidaten den Acquis communautaire, den Gemeinschaftlichen Besitzstand, übernehmen. Dieser umfasst alle gültigen Verträge und Rechtsakte der EU. Laut einer Dokumentation des Interkulturellen Rats in Deutschland und dem Förderverein PRO ASYL aus dem Jahr 2004 lassen sich die Verordnungen und Richtlinien auf „etwa 80.000 Seiten“ abbilden. (Jäger / Stewart 2004: S. 6)
Hat die Türkei alle Kriterien erfüllt und den Acquis communautaire vollständig übernommen, muss zunächst das Europäische Parlament mit der absoluten Mehrheit seiner Stimmen für das Beitrittsabkommen votieren. Anschließend muss der Europäische Rat einstimmig für den positiven Ausgang der Verhandlungen stimmen. Schließlich ist es Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten sowie der Beitrittsländer das Abkommen zu unterschreiben, sowie es als völkerrechtlichen Vertrag zu ratifizieren. Somit würde das Veto eines Landes ausreichen, um die Verhandlungen scheitern zu lassen. Dies könnte vor allem mit Hinblick auf die Zypern-Problematik entscheidend sein.
Sollte die Türkei schließlich Vollmitglied der EU sein, so würde dies im Einzelnen bedeuten, dass sie sowohl politisch, rechtlich, wirtschaftlich als auch militärisch in die EU eingebunden wird. Demnach wären nach dem Beitritt türkische Vertreter als gleichberechtigte Partner in allen europäischen Organen präsent. Türkische Parlamentarier würden als Volksvertreter für das Europäische Parlament gewählt, die Türkei würde wie jedes andere Mitgliedsland den Ratsvorsitz innehaben. Des weiteren gäbe es türkische Kommissare und auch im Minister- und dem Europäischen Rat säßen Vertreter aus der Türkei. In Zahlen würde dies nach dem jetzigen Stand, also ohne die Neuerungen durch die Europäische Verfassung, bedeuten, dass der Türkei zwischen 78 und 99 Sitze des EPs zuständen und sie wie alle anderen Mitgliedstaaten zwei Kommissare entsendet.[4]
Sollte die Europäische Verfassung bei dem Beitritt der Türkei von jedem Mitgliedstaat ratifiziert und in Kraft sein, würde dies für die Türkei konkret bedeuten, dass ihr ebenfalls eine beträchtliche Anzahl von Sitzen im Europäischen Parlament zuständen.[5] Jedes Mitgliedsland bekäme zwischen sechs und 95 der insgesamt 750 Sitze. Da davon ausgegangen werden kann, dass die Türkei dann zu den größten und bevölkerungsreichsten Ländern der EU zählt, wird sie wahrscheinlich die Höchstzahl an Parlamentariern entsenden dürfen. Auch im Rat könnte die Türkei ein bedeutendes Gewicht erlangen. Die neue Regelung für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen würde mit sich bringen, dass mit dem Prinzip der doppelten Mehrheit entschieden wird. Es müssten demnach nicht nur mindestens 55 Prozent der Ratsmitglieder für eine Entscheidung stimmen. Diese müssten außerdem aus mindestens 15 Mitgliedstaaten stammen, die wiederum 65 Prozent der europäischen Bevölkerung in sich vereinen müssten. Für eine Sperrminorität bedarf es dann mindestens vier Mitglieder. In der Europäischen Kommission wird die Türkei das gleiche Gewicht erlangen wie jedes andere Mitgliedsland auch. Die Kommission setzt sich dann aus zwei Dritteln ihrer Mitgliedstaaten zusammen. Die Kommissare, exklusive des Präsidenten und des europäischen Außenministers, werden nach einem Prinzip der gleichberechtigten Rotation aus den Reihen der Mitgliedsländer ausgewählt. (vgl. Vertrag über eine Verfassung für Europa 2004: Art. I-20 bis Art. I-27)
In militärischer Hinsicht bedeutet der Beitritt für die Türkei, dass ihre Truppen in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft aufgenommen werden. Im Falle eines Einsatzes der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) erledigen dann türkische Soldaten mit den übrigen europäischen Soldaten ihren Auftrag Seite an Seite.
Die wirtschaftliche Einbindung ist die Umfangreichste. Die Türkei wird vollständig in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) integriert. Darunter fällt unter anderem der freie Warenverkehr, die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungsverkehr sowie der freie Kapitalverkehr. Die seit 1996 bestehende Zollunion wird auf momentan noch nicht erfasste Bereiche wie die Landwirtschaft ausgeweitet, indem auch dort die Zölle fallen. Außerdem werden durch die Übernahme und anschließend die Anwendung des Gemeinschaftlichen Besitzstandes noch bestehende nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut.
Um die Einbindung in die wirtschaftlichen Strukturen zu erleichtern, wären für den Übergang Sonderregelungen beispielsweise im Bereich der Freizügigkeit denkbar. Somit könnte Bedenken entgegen gewirkt werden, dass mit der Öffnung der Grenzen ganze Ströme von türkischen Bürgern in die EU-Staaten ziehen und dort die Arbeitslosensituation verschärfen oder die Integration der bereits Ansässigen durch Ghettobildung erschweren.
Weitere Einbindungen in europäische Strukturen finden mittel- oder langfristig in den Bereichen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), Schengener-Abkommen oder in der Justizpolitik statt.
Über kurz oder lang würde die Türkei der WWU beitreten. Sie müsste zwar den Euro nicht sofort übernehmen, aber dafür sorgen, dass ihre Wirtschaft auch nach dem Beitritt stabil bleibt. Sie muss die Maastrichter Kriterien im Auge behalten, aber auch ihren Wechselkurs.
Dem Schengen-Gebiet könnte der muslimische Staat nicht sofort nach seinem Beitritt angehören, aber zu einem späteren Zeitpunkt. Zunächst müsste er beweisen, dass die Grenzkontrollen und –überwachungen fehlerfrei funktionieren, dann würde der Europäische Rat die Partizipation beschließen. Somit müssten sowohl türkische, als auch andere EU-Bürger bei einer Reise von der Türkei in ein anderes europäisches Land an den Grenzkontrollstellen ihren Reisepass oder Personalausweis vorzeigen. Für Drittstaatsangehörige, die den gleichen Weg zurück legen möchten, würden weiterhin uneingeschränkte Einreisekontrollen gelten.
Die Zusammenarbeit in der Justiz würde sich beispielsweise bei Strafrechtsangelegenheiten bemerkbar machen. So könnten im Zuge des Europäischen Haftbefehls Personen, die in einem Mitgliedstaat inhaftiert sind, sowohl in die Türkei überliefert werden als auch umgekehrt.
Bereits jetzt, noch vor dem Beitritt, erfährt die Türkei die ersten Vorzügen der Europäischen Union. Seit sie offiziell zum Beitrittskandidaten ernannt wurde kommt sie in den Genuss von Heranführungsstrategien. Das sind zum Einen die CARDS-Verordnungen (Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation), die der Türkei auch schon als potenziellem Beitrittskandidat zur Verfügung standen. Sie werden zum Institutionenaufbau und der Demokratisierung verwendet. Außerdem dienen sie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie der regionalen und grenzübergreifenden Zusammenarbeit. Darüber hinaus kommen die finanziellen Mittel der Angleichung an den Gemeinschaftlichen Besitzstand zugute. Die CARDS-Verordnungen werden noch bis 2007 gewährt. Danach wird das neue Instrument IPA (Instrument for Pre-Accession Assistance) eingeführt. Es fasst alle Heranführungs- und Finanzinstrumente in sich zusammen, um eine bessere Koordination zu gewähren.
Neben den CARDS-Verordnungen erhält die Türkei als Beitrittskandidat zum Anderen Förderungen, um sie auf ihre Rechte und Pflichten als Vollmitglied vorzubereiten. So soll etwa die Durchführung der Strukturfonds und des Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums ermöglicht und dafür passende Strukturen etabliert werden. Außerdem muss sichergestellt werden, dass der Gemeinschaftliche Besitzstand unproblematisch umgesetzt werden kann.
Eine spezifische Heranführungsstrategie für die Türkei wurde im Dezember 2001 entwickelt. Diese finanzielle Hilfe dient der Kofinanzierung und bezieht sich auf technische Hilfsprojekte, Partnerschaften und Investitionsprojekte zur Unterstützung des muslimischen Staates bei der Übernahme des Besitzstands. Für das Jahr 2002 errechnete die Kommission eine Mittelzuweisung von 149 Millionen Euro, das Jahr darauf von 144 Millionen Euro. 2003 wurde eine Erhöhung der Heranführungshilfe beschlossen, so dass sich die Mittel 2004 auf 235,6 Millionen Euro beliefen. (vgl. Europäische Kommission 2005a: S. 1)
Laut dem Auswärtigen Amt haben sich die Zuwendungen in den letzten Jahren erneut erhöht. Sie beliefen sich auf 300 Millionen Euro im Jahre 2005 und auf 500 Millionen Euro in diesem Jahr. (vgl. Auswärtiges Amt 2006a: S. 1)
Darüber hinaus stellt auch die Europäische Investitionsbank dem muslimischen Land Gelder zur Verfügung. Für den Zeitraum 2000 bis 2007 gewährt sie in der Summe 6,425 Milliarden Euro. „Im Rahmen der EIB kommt das Land in den Genuss von fünf Instrumenten: EuroMed II, Mechanismus der Mittelmeer-Partnerschaft, besonderes Aktionsprogramm für die Türkei, Heranführungsmechanismus und Hilfeprogramm für den Wiederaufschwung und Wiederaufbau nach den Erdbeben.“ (Europäische Kommission 2005a: S. 1)
Darüber hinaus bedeutet eine Vollmitgliedschaft in der EU auch, dass die Türkei später als schwächster Mitgliedstaat Zahlungen von der EU erhält, einerseits aus dem Agrar-Topf für ihre Landwirtschaft, andererseits im Rahmen von Strukturfondsförderung. Da die Türkei als sehr förderungswürdig gilt, würde dies zwangsläufig bedeuten, dass andere Staaten weniger Mittel zur Verfügung gestellt bekämen. Genaue Zahlen für die Mittelzuweisungen können zum jetzigen Zeitpunkt nicht genannt werden, da noch kein Beitrittsdatum der Türkei existiert. Folglich steht auch nicht fest, in welcher Haushaltsperiode die Türkei zur EU stößt. In dem betreffenden Haushalt muss zu gegebener Zeit erst ausgehandelt werden, wie viele Gelder für welche Posten zur Verfügung stehen. Demnach ist der Zuweisungsrahmen ebenfalls noch offen. Außerdem sollte davon ausgegangen werden, dass bei einem Beitritt der Türkei zumindest bezüglich der Agrarsubventionen Reformen durchgeführt wurden, die sich ebenfalls heute noch nicht einkalkulieren lassen. Dies lässt sich auch für die Kosten des Beitritts an sich feststellen. Letztlich ist auch ungewiss, wie der Entwicklungsstand der Türkei zu jener Zeit sein wird, in wie weit sie förderbedürftig sein wird.
Nichtsdestotrotz existieren Modellrechnungen, von denen drei hier zitiert werden sollen. So geht das Osteuropa-Institut München bei einem Beitritt der Türkei im Jahre 2013 davon aus, dass sich die Kosten auf maximal 14 Milliarden Euro belaufen würden. Die genaue Höhe sei abhängig von Umfang und Art der EU-Politiken, sowie der Art der Finanzierung. (vgl. Quaisser / Reppegather 2004: S. 17) Die Deutsche Industrie- und Handelskammer zu Istanbul habe einen Wert von „bestenfalls 8 Milliarden Euro“ errechnet. (Hermann 2004: S. 131) Auch die Europäische Kommission stellte Berechnungen an bezüglich der Ausgaben der Union für die Landwirtschaft und die Regionalpolitik. Doch sie verwies ebenfalls darauf, dass aus den oben angeführten Gründen diese Zahlen höchst spekulativ seien. Vorausgesetzt die Türkei trete 2015 bei, würden sich die Kosten für die Ausweitung der bestehenden Gemeinsamen Agrarpolitik innerhalb der zehn darauffolgenden Jahre auf 8,2 Milliarden Euro belaufen. Die Finanzierung der ländlichen Entwicklung würde dabei 2,3 Milliarden Euro beanspruchen, die Direktzahlungen 5,3 Milliarden Euro und die Marktausgaben schließlich 600 Millionen Euro. Für die Regionalpolitik stellt sie unter dem Vorbehalt einer geschätzten Modellrechnung folgendes fest: Es „lässt sich so rechnen, dass die als Regionalhilfe geleisteten jährlichen Transferzahlungen, gestützt auf ein fortgesetztes jährliches BIP-Wachstum von vier bis fünf Prozent, bis 2025 für jeden Prozentpunkt des türkischen BIP knapp über 5,6 Milliarden (...) betragen würden.“ (Europäische Kommission 2004: S. 53) 5,6 Milliarden sei genau der Betrag, den die Türkei dann 2025 im Zuge der Zahlungen an die Union an den EU-Haushalt überführen müsse.
2.2) Privilegierte Partnerschaft
Das Modell der Privilegierten Partnerschaft ist ein Vorschlag, der hauptsächlich aus Kreisen der christlich-konservativen Parteien aus Deutschland stammt. Es stellt eine der geläufigsten Alternativen zu der bislang üblichen Vollmitgliedschaft als Ausgang der Beitrittsverhandlungen dar. Bemerkenswert ist, dass dieses Szenario, wie auch die Anderen, bei den vorhergegangenen Beitritten nicht diskutiert wurde. Demnach kam die Privilegierte Partnerschaft erst bei den Verhandlungen mit der Türkei auf. Gründe dafür werden im Verlauf des nächsten Kapitels durch die Argumente der Beitrittsgegner deutlich.
Die Privilegierte Partnerschaft „ist (..) umstritten, da sie weder ein klares konzeptionelles Design vorweise kann, noch eine eindeutige Rechtsgrundlage hat.“ (Karakas 2005: S. 8) Die Fürsprecher stützen sich aber auf die Verfassung und fühlen sich durch Artikel I-57 EVV bestätigt, der folgendes besagt: „(1) Die Union entwickelt besondere Beziehungen zu den Ländern in ihrer Nachbarschaft, um einen Raum des Wohlstands und der guten Partnerschaft zu schaffen, der auf den Werten der Union aufbaut und sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 kann die Union spezielle Übereinkünfte mit den betreffenden Ländern schließen. Diese Übereinkünfte können gegenseitige Rechte und Pflichten umfassen und die Möglichkeit zu gemeinsamen Vorgehen eröffnen. (...)“
Im Europamanifest 2004 der CDU finden sich erste Hinweise darauf, welche Bereiche das Modell der Privilegierten Partnerschaft umfassen könnte. (vgl. CDU 2004: S. 9) So denkt die CDU an einen Wirtschaftsraum, der alle Gütergruppen umfasst. Die Zusammenarbeit könnte ausgebaut werden, um den Umweltschutz zu stärken, klein- und mittelständische Unternehmen zu fördern, das Forschungs- und Innovationspotential zu steigern, sowie im Bildungs- und Gesundheitsbereich Fortschritte zu erzielen. Außerdem ist denkbar die Türkei in die ESVP mit einzubeziehen. So ist ein verbessertes Vorgehen gegen Terrorismus, Extremismus und organisiertes Verbrechen möglich. Hierfür könnte ebenfalls eine Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik hilfreich sein, wie auch der Geheimdienste. Außerdem wird befürwortet, dass die Türkei weiterhin finanzielle Hilfe erhält. Diese soll zwar die jetzigen Fördermittel übersteigen, jedoch nicht die Teilnahme an den europäischen Strukturfonds und der Agrarpolitik ermöglichen.
Karl-Theodor zu Guttenberg[6] hat sich nähere Gedanken über eine mögliche Ausgestaltung der Privilegierten Partnerschaft gemacht. (vgl. Guttenberg 2004) Dazu hat er drei Bereiche herausgearbeitet, in denen es zu Annäherungen zwischen der Türkei und der EU kommen könnte und die Beziehungen zwischen ihnen ausgebaut werden könnten: Zum Einen soll es eine verbesserte institutionelle Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei geben. Im Zuge dessen sollen die vorhandenen Strukturen ausgebaut oder gar neue geschaffen werden. Zum Anderen zielt die Privilegierte Partnerschaft auf eine intensivere Kooperation in bestimmten Politikfeldern ab und vorhandene Beschränkungen sollen gelockert werden. Schließlich wird der Türkei eine Gleichberechtigung in den europäischen Strukturen wie der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik angeboten.
Zum ersten Punkt lässt sich näher ausführen, dass zunächst die Zusammenarbeit des Assoziationsrates zwischen EU und Türkei, der mit dem Ankara-Abkommen beschlossen wurde, intensiviert werden sollte. Des weiteren bietet die Privilegierte Partnerschaft die Möglichkeit der Erweiterung der Zollunion, aber nicht die Aufnahme in den EWR, sowie eine Übernahme von oder zumindest eine Anlehnung an Regelungen für die EFTA (European Free Trade Association)-Staaten.[7] Damit würde die Türkei bei gewissen EU-Entscheidungen Konsultationsrechte erlangen. So könnte die Kommission die Türkei beispielsweise zu internen Vorbereitungsarbeiten in den Bereichen Bildung, Konsumentenschutz, Sozialpolitik oder Tourismus hinzuziehen.
Des weiteren empfiehlt Guttenberg einen „Gemeinsamen Ausschuss EU/Türkei“, der „die Aufnahme und die Überwachung der Umsetzung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften der Privilegierten Partnerschaft“ verwaltet und dafür verantwortlich ist. (ebd.: S. 6) Außerdem könnte dies ein Ort sein, an dem Meinungen ausgetauscht werden, die Beteiligten sich beraten und einvernehmliche Entscheidungen treffen. Diesem Ausschuss sollten nicht nur Vertreter der Kommission und der Mitgliedstaaten angehören, sondern auch ein türkischer Vertreter. Daneben könnte ein „Rat EU/Türkei“, gebildet aus den Außenministern, existieren, der allgemeine Leitlinien festlegt und somit Richtungen weist und Perspektiven eröffnet. In einem „Gemeinsamen Parlamentarischer Ausschuss“ schließlich wäre auch eine Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen und dem Türkischen Parlament zur besseren Abstimmung oder gemeinsamen Beratung von Richtlinien denkbar. Dieser Ausschuss könnte außerdem Stellungnahmen, aber auch Entschlüsse abgeben. Ein letzter Bereich innerhalb des ersten Punktes könnte eine Beraterrolle der Türkei bei den Kommissionskomitees sein.
Der zweite Punkt bezieht sich beispielsweise auf die Zollunion, die zwischen der Türkei und der EU besteht. Es existieren einige Ausnahmen, von denen im Rahmen der Privilegierten Partnerschaft abgesehen werden könnte. So wären Erleichterungen im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs denkbar, wie zunächst die vereinfachte Vergabe von Visa. Die Privilegierte Partnerschaft sieht zwar von einer vollständigen Freizügigkeit der Arbeitnehmer ab, aber unter auszuhandelnden Bedingungen könnten visumsfreie Regelungen ausgedehnt werden. Des weiteren sollen die Beschränkungen der ausländischen Investitionen aufgehoben werden, so dass alle Sektoren der türkischen Wirtschaft geöffnet sind. Außerdem soll es EU-Bürgern und juristischen Personen möglich sein in der Türkei Grundstücke zu kaufen. Schließlich wäre in einigen Feldern der Politik die Übernahme bzw. die Erweiterung des EU-Besitzstandes möglich, wie in folgenden Bereichen: „Wettbewerb, Steuern, v.a. Mehrwert- und Verbrauchssteuern, Statistik, Beschäftigung und Soziales, Energie, Industriepolitik und KMU (Klein- und Mittelunternehmen), Forschung und technologische Entwicklung (...), Telekommunikation und Informationstechnologien, Kultur und audiovisuelle Medien, Umwelt, Verbraucherschutz, Handlespolitik und Finanzkontrolle“. (ebd.: S. 21f.)
Darüber hinaus gibt es innerhalb der Privilegierten Partnerschaft Zugeständnisse bei den Politikfeldern Landwirtschaft, Justiz und Inneres, Verkehr, Währungsunion, Gesellschaftsrecht und Kulturpolitik. Im Einzelnen bedeutet das für die Landwirtschaft, dass das EU-Recht bei der Lebensmittelsicherheit, bei Hygiene, öffentlicher Gesundheit, Veterinärmedizin und Pflanzenschutz übernommen wird. Im Bereich Justiz und Inneres wird es eine Kooperation beim Datenschutz und einen Austausch personenbezogener Daten zu Vollzugszwecken geben. Außerdem soll die Türkei bei Europol und am Schengen-Informationssystem beteiligt werden. Auch an Eurojust ist es der Türkei möglich teilzunehmen, demnach kommt es zu einer Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen. Schließlich sollen Rückführungsübereinkommen zwischen der EU und der Türkei ausgehandelt werden. Die Privilegierte Partnerschaft bietet darüber hinaus die Möglichkeit, dass die türkischen Rechtsvorschriften für den Straßen-, Bahn- und Luftverkehr europäischen Standards angepasst werden. Schließlich schlägt Guttenberg vor, dass die finanziellen Hilfeleistungen, die die Türkei bereits jetzt im Rahmen der Beitrittsverhandlungen erhält, in einen „Partnerschaftsfonds“ überführt werden. „Ziel dieses Partnerschaftsfonds ist es, die anderen Finanzinstrumente der EU, an denen die Türkei teilnimmt, zu ergänzen (...). Die Hilfe sollte sich auf den Institutionenaufbau und –erhalt und Investitionen konzentrieren.“ (ebd.: S. 24f.)
Für seinen letzten Punkt, der sich auf die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bezieht, bescheinigt Guttenberg der Türkei mit Blick auf die Zusammenarbeit in der NATO und der Einbeziehung in die ESVP bereits eine privilegierte Beziehung. Dennoch sei diese ausbaufähig. So schlägt er folgendes vor: „Im Rahmen des zu schaffenden Rates EU/Türkei könnte die Etablierung eines regelmäßigen sicherheitspolitischen Dialoges auch auf Ministerebene stehen. Vor einer umfassenden Einbindung in die GASP/ESVP wäre eine "Assoziierung" mit Konsultationen vor jedem Treffen der Außenminister und des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees vorstellbar.“ (ebd.: S. 7) Denkbar wäre darüber hinaus eine Abstimmung der Positionen vor Sitzungen internationaler Organisationen wie beispielsweise der Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. In den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklungspolitik, Menschenrecht und Demokratie, sowie Konfliktverhütung oder auch Beziehungen zu Drittstaaten schlägt Guttenberg eine Kooperation oder gar die Übernahme des EU-Rechts vor.
Eine Kooperation ist auch im Bildungsbereich angedacht. So sollen türkische Studenten die europäischen Programme Erasmus und Socrates nutzen können. Außerdem solle es eine finanzielle und materielle Unterstützung von Universitätslehrstühlen geben, die sich auf die EU beziehen. (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags 2005: S. 13)
Für die Türkei stellt das Modell der Privilegierten Partnerschaft keine Alternative zur Vollmitgliedschaft in der EU dar. Das Modell bietet der Türkei nichts, was über ihre bisherigen Rechte und Annehmlichkeiten hinausgeht. Daher lehnt sie dieses Modell ab. (vgl. Atilgan / Klein 2006: S. 13f.) Sie hat „die bereits bestehende enge Partnerschaft immer als letzte Stufe vor der Mitgliedschaft, nicht aber als Ersatz für sie betrachtet.“ (Schmidt 2004: S. 144)
Ein bedeutendes Problem des Konzepts der Privilegierten Partnerschaft ist laut Herfried Münkler[8], dass es lediglich eine Alternative für die Vollmitgliedschaft der Türkei darstellt. Besser wäre es gewesen, diesen Vorschlag der Beitrittsgegner auch anderen Kandidaten zu unterbreiten oder ihn als perspektivische Lösung für beispielsweise Nordafrikanische Staaten wie Marokko zu handeln.[9] (vgl. Münkler 2005: S. 94)
2.3) Abgestufte Integration
Eine weiteres Beitrittsszenario stellt die Abgestuften Integration dar. Dieses Modell wird hauptsächlich von Cemal Karakas[10] beschrieben. (vgl. Karakas 2005) Es zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Kombination aus Vollmitgliedschaft und Privilegierter Partnerschaft darstellt. Die Rückkehr zum Status quo könnte bei einem negativen Ausgang der Beitrittsverhandlungen mit dieser Alternativmöglichkeit effektiv verhindert werden. Dies ist vor allem darin begründet, dass bei diesem Modell die Beitrittsperspektive weiterhin gegeben ist. So würde es sich bei der Türkei auch ferner um einen Beitrittskandidaten handeln und nicht um einen Drittstaat. Da die Zurückweisung des muslimischen Staates nicht so stark wäre wie bei der Privilegierten Partnerschaft oder bei einer vollständigen Verneinung der Anbindung an die EU, wäre sie sowohl für die türkischen Politiker, als auch für die türkische Bevölkerung leichter annehmbar.
Das Modell der Abgestuften Integration ist dreistufig und beinhaltet eine sich anpassende „sektorale Teilintegration“. (ebd.: S. 5) Zunächst würde die Türkei in die erste Stufe eingeordnet werden. Da diese Position aber nicht statisch ist, könnte durch eine weitere Angleichung an die EU und Erfüllung ihrer Forderungen die Integration gesteigert werden. Das Tempo hierfür würde sich individuell ergeben. So ist nicht von vornherein festgelegt, wann es zum Übergang in die nächst höhere Stufe kommt. Diese Zeitpunkte werden durch Verhandlungen festgelegt, können aber herausgezögert, wie auch verkürzt werden. Es beseht kein Automatismus. Dies trifft auch auf den Umstand zu, dass es nicht zu einem Übergang in die nächst höhere Stufe kommen muss. Sollte es einer Partei genügen auf der derzeitigen Stufe zu verharren, so ist das möglich. Am Ende der Verhandlungen sieht dieses Modell den Beitritt in die EU vor, aber auch dieses angestrebte Ziel wird nicht automatisch erreicht.
Die Entwicklungen in der Türkei würden wie beim Modell der Vollmitgliedschaft regelmäßig überwacht. Ebenso besteht die Möglichkeit die Gespräche zu unterbrechen, sollte die Türkei nicht wie vereinbart handeln.
Entscheidender Unterschied und auch Vorteil zu den anderen Beitrittsalternativen, so Karakas, sei die politische (Teil-)Integration in die EU. Diese bezieht sich auf ein Mitspracherecht in Bereichen, in denen die Türkei bereits integriert ist. Ein Veto hat sie jedoch nicht.
Denkbar ist außerdem, dass die Türkei an solchen Ratssitzungen teilnimmt, die sich mit Themen beschäftigen, in die die Türkei involviert ist. Darüber hinaus spricht der Politikwissenschaftler die Möglichkeit an, dass ein um das muslimische Land „Erweiterter Rat“ gegründet werden könnte, der sich mit türkeispezifischen Problemen und Fragen beschäftigt. Als Alternative schlägt er vor, dem Assoziationsrat von EU und Türkei sowie dem Gemeinsamen Parlamentarischen Ausschuss, beides aus Zeiten des Ankara-Abkommens, mehr Kompetenzen und Mitentscheidungsrechte zu verleihen.
Schließlich ist für das Modell der Abgestuften Integration vorstellbar, dass dem Beitrittskandidaten Türkei ähnlich wie bei der Heranführung an die Vollmitgliedschaft eine Beobachterrolle zugeteilt wird. So könnte die Türkei eine vorher vereinbarte Delegiertengruppe in das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen sowie zum Europäischen Gerichtshof entsenden. Dort hätten sie Mitspracherecht, dürften aber nicht mit abstimmen.
Karakas bestückt die drei Stufen seines Modells auch mit Themen. Für die erste Stufe ist es zunächst nötig, etwaige Defizite in den Bereichen Menschenrechte, Minderheitenschutz, Demokratie und Rechtstaat auszumerzen. Darüber hinaus ist denkbar, die Zollunion zwischen EU und Türkei auf weitere Produkte auszuweiten. Dies könnte vor allem im Sinn der Türkei liegen, da momentan nur 30 Prozent ihrer Waren von der Zollunion betroffen sind und sie daher weitaus größeren Umsatz erzielen könnte. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass die Türkei auf ein Mitentscheidungsrecht bei Fragen die Höhe der Schutzzölle oder der Importquoten betreffend fordern wird. In Bereichen wie Kultur, Forschung und Bildung könnte es zu einer verstärkten Zusammenarbeit kommen.
Schließlich kämen auch EU-Förderprogramme beispielsweise für die Infrastruktur des muslimischen Landes in Frage. Diese sind in der Abgestuften Integration mit dem Vorteil behaftet, dass sie die Mitgliedstaaten im Vergleich zu einem Vollmitglied Türkei nicht so teuer zu stehen kämen.
In der zweiten Stufe könnten die Bereiche aus der vorherigen Stufe intensiviert werden. So könnte ein gemeinsamer Markt als Vorstufe zum Binnenmarkt etabliert werden. Die verbliebenen Handelshemmnisse könnten aufgehoben, die Zusammenarbeit in Bereichen der Bekämpfung von Organisiertem Verbrechen oder internationalem Terrorismus ausgeweitet werden.
In der letzten Stufe schließlich, die auf den Beitritt hinwirken und vorbereiten könnte aber nicht zwingend müsste, wäre es möglich den Binnenmarkt für die Türkei zu öffnen. Dies müsste nicht auf einen Schlag geschehen. Übergangsregelungen, vor allem für die Personenfreizügigkeit, sind auch in diesem Modell vorgesehen. Außerdem könnte die Türkei ebenfalls in die Strukturen der ESVP integriert oder schrittweise in die Wirtschafts- und Währungsunion und den Bereich Inneres und Justiz eingebunden werden.
Die lange Zeitperspektive des Modells und die andauernden Verhandlungen sowie Anpassungen an die gegebenen Umstände bergen Vorteile aber auch Gefahren in sich. Von Vorteil wäre zum Einen, dass die Türkei ihren Weg der Demokratisierung in einem ihr passenden Tempo gehen kann und nichts übereilen muss. Außerdem kann das Land den politischen Eliten der EU sowie deren Bevölkerung ihre Fortschritte über die Zeit beweisen und Vertrauen aufbauen. Zum Anderen hat auch die Union ausreichend Zeit sich zu reformieren und sich ihre Zukunft zu verdeutlichen. Andererseits beseht bei großer Zeitspanne die Gefahr, dass die reformistischen Kräfte in der Türkei ihre Macht verlieren und der Prozess dadurch zum Stocken kommt. Auch blieben den EU-Gegnern mehr Zeit und Gelegenheit beispielweise über Anti-Türkei-Kampagnen vor Referenden oder Wahlen die europäische Bevölkerung gegen die Türkei aufzubringen.
Obwohl sich Karakas dafür ausspricht, dass die Türkei „abgestuft integriert und nicht privilegiert ausgegrenzt“ wird, weist er dennoch auf Probleme hin. ( ebd.: S. 15) Zum Einen stellt sich die Frage was im Falle einer Nichteinigung zwischen EU und Türkei passieren würde. Da es sich bei der Abgestuften Integration um ein dynamisches Modell handelt, das auf Konsens beruht, ist es unbedingt notwendig, dass sich Türkei und Union einigen. Aber es ist sicherlich nicht immer leicht die 25, bald 27 Meinung der EU mit der des muslimischen Landes zu vereinen. Sollte dies einmal nicht gelingen, ist fraglich wie sich die Beziehung zwischen den beiden Partner weiterentwickelt.
Zum Anderen sieht Karakas eine Unsicherheit in der rechtlichen Verankerung des Modells. Er schlägt eine Erweiterung des Artikels I-57 EVV oder Artikels 310 EUV, in denen von „speziellen Übereinkommen“ mit „gegenseitigen Rechten und Pflichten“ bzw. von „Abkommen“ mit „gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren“ die Rede ist. (Vertrag über ein Verfassung für Europa 2005; Vertrag über die Europäische Union 1992) Möglich wäre aber auch ein Zusatzprotokoll für das Assoziationsabkommen von 1964.
2.4) Status quo der Beziehungen EU-Türkei
Sollten die Verhandlungen frühzeitig abgebrochen werden oder es zu einem negativen Ausgang kommen, ist auch das Szenario der Rückkehr zum Status quo möglich. Jedoch ist hierbei fraglich, ob dies in einem solchen Fall tatsächlich möglich ist und die erreichten Annäherungen beizubehalten sind. Das hängt wahrscheinlich davon ab, von welcher Seite die Vollmitgliedschaft verhindert wurde.
Die Gründe für eine Ablehnung des Beitritts der Türkei von Seiten der EU bestehen hauptsächlich in der Nichterfüllung der Kopenhagener Kriterien. So könnte die Kommission in ihren jährlichen Fortschrittsberichten oder während den Verhandlungen zu der Erkenntnis kommen, dass die Türkei ihren Vorgaben nicht nachkommt oder diese missachtet. Auch die Zypern-Problematik stellt ein Hindernis dar.
Jedoch könnten die Verhandlungen auch von türkischer Seite beendet werden. Diese Möglichkeit war bereits des öfteren im Gespräch. Gerade durch die Diskussion über Alternativen für den Beitritt verhärtet sich für die türkischen Bürger, aber auch für deren politische Führer der Verdacht, dass sie in der EU nicht Willkommen sind. Als eine Art Trotzreaktion werden Stimmen für den Abbruch der Verhandlungen laut. Außerdem erachten einige türkische Politiker die Hürden, die für den Beitritt zu nehmen sind, als zu hoch. Sie sind auch nicht bereit alle Bedingungen der Union in Kauf zu nehmen. So hat Außenminister Abdullah Gül kurz vor dem Treffen der Außenminister in Newport im September 2005 damit gedroht, die Verhandlungen „für immer“ zu beenden, sollten weitere Forderungen als vom Europäischen Rat im Dezember 2004 festgelegt auf die Türkei zukommen. (Kramer 2005a: S. 3)
Fraglich ist, das sollte an dieser Stelle angemerkt werden, warum Beitrittsgegner wie Österreich bei einer solchen Gelegenheit nicht ihre Chance nutzten und ein von ihnen gewünschtes Ende der Verhandlungen, wie Gül es angekündigt hatte, provozierten. Hätten sie ihre Vorbehalte gegenüber dem Beitrittskandidaten öffentlich geäußert und weitere Auflagen für den Beitritt der Türkei gefordert, wäre der türkische Außenminister nicht umhin gekommen seine Drohung wahr zu machen.
Welche Optionen sich der Türkei bieten, wenn sie der EU nicht beitreten dürfte oder wollte und auch die Privilegierte Partnerschaft oder die Abgestufte Integration nicht zustande kommt, soll nun dargestellt werden. Herfried Münkler geht davon aus, dass sich die Türkei bei einer Nichtkooperation mit der Union entweder einer „großtürkischen Option“ zuwendet oder die „islamische Karte“ gespielt wird. (Münkler 2005: S. 97f.) Die erstgenannte Option beinhaltet eine nähere Zusammenarbeit mit den mittelasiatischen Turkvölkern.[11] Diese zielt auf ein „großtürkisches Reich in Mittelasien“ ab. (ebd.) Zwar hält Münkler dieses Szenario für kaum wahrscheinlich, dennoch befürchtet er einen neuen Krisenfaktor in einer Region, die schon jetzt als konfliktträchtig und labil gilt. Das sei keinesfalls eine wünschenswerte Situation für die EU.
Auch die zweite Option wäre für die Union nicht zuträglich. Hierbei würde die Türkei versuchen, Einfluss auf die arabischen Staaten zu nehmen. Gestützt auf die gemeinsame Religion würde sie ein Zusammenrücken mit den östlichen Partnern anstreben. Ziel wäre eine imperiale Machtposition im arabischen Raum, wie sie die Türkei einst über mehrere Jahrhunderte in Form des Osmanischen Reiches inne hatte. Doch dieses Ziel sei nur schwer realisierbar.
Letztlich kommentiert Münkler diese beiden Optionen mit folgendem Statement: „Die dadurch ausgelösten Krisen und wahrscheinlich auch Kriege in der Region dürften die Europäer in summa teurer zu stehen kommen als die jetzt projektierten Kosten des EU-Beitritts der Türkei.“ (ebd.: S. 98)
Welche dieser Optionen zum Tragen kommt, wie schnell und in welcher Intensität hängt davon ab, von wem die Verhandlungen beendet werden und aus welchen Gründen. So ist zu erwarten, dass die Enttäuschung auf türkischer Seite bei einer Absage von der EU groß ist, gerade auch bei nicht nachvollziehbaren Begründungen. Bei einem Nichtzustandekommen der türkischen Mitgliedschaft besteht die Gefahr, dass zum Einen der religiöse Fundamentalismus, zum Anderen der extreme Nationalismus wieder erstarkt. Die Islamisten hätten dann nach Jahren wieder die Chance, viele Wählerstimmen auf sich zu vereinigen. Wahlspruch könnte die provokante Frage sein, ob die Türken ihr Land eher als „das Schlusslicht im Westen oder die führende Nation in der islamischen Welt“ sehen würden. (Güngör 2004: S. 141)
Wenn die Türkei sich von der Möglichkeit einer Privilegierten Partnerschaft zurückzieht, muss dies nicht zwangsläufig eine Radikalisierung der fundamentalen Kräfte bedeuten. Doch auch bei diesem Szenario wird sich die Türkei andere Staaten suchen, an die sie sich binden und mit denen sie zusammenarbeiten kann. Viele Wissenschaftler vermuten außerdem, dass bei jedwedem Nichtzustandekommen der Vollmitgliedschaft die Entwicklung der Türkei zumindest gestoppt würde, wenn sie nicht gar rückläufig wäre. Dies stellt in jedem Fall ein Risiko für die Union dar, die auf stabile und Frieden suchende Nachbarn setzt. Gerade nach dem Ost-West-Konflikt, an dessen Stelle heutzutage ethische und regionale Konflikte in alten, aber auch neuen Krisenregionen stehen, lege die Union nach Meinung Sabine Voglrieders[12] besonders Wert auf die Festigung von jungen Demokratien und Ausbreitung von demokratischen Werten. Dies geschehe einerseits aus idealistischen Vorstellungen, andererseits aber auch aus dem Eigeninteresse der Union. (vgl. Voglrieder 2001: S. 192)
Darüber hinaus könnten auch die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei an sich gefährdet werden. Die Möglichkeit besteht, dass auch sie der ungeplanten Situation eines Verhandlungsabbruchs oder eines negativen Ausgangs nicht Stand halten könnten.
Die derzeitigen Beziehungen zwischen der Türkei und der EU gründen sich hauptsächlich auf das Assoziierungsabkommen von 1963. Schon unter den heutigen Bedingungen kommt es regelmäßig zu Konsultationen zwischen der EU und der Türkei. So ist beispielsweise ein mindestens halbjährlich auf Ministerebene zusammentreffender Assoziationsrat vorgesehen. Dieser ist laut Artikel 22 Abs. 1 und 2 des Ankara-Abkommens befugt Beschlüsse zu fassen, Empfehlungen abzugeben und die Auswirkungen des Assoziationsregelungen zu überprüfen. Artikel 23 legt fest, dass der Assoziationsrat sowohl aus Vertretern der türkischen Regierung, als auch aus Vertretern der Mitgliedstaaten sowie des Rates und der Kommission der Gemeinschaft besteht und einstimmig handelt. Darüber hinaus kann er nach Artikel 24 des Abkommens Ausschüsse einsetzen, die den Rat in der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützen und das Fortbestehen des Assoziationsabkommens sicherstellen. Dies übernimmt seit 1964 der sogenannte Assoziationsausschuss.
Außerdem treffen sich auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments und der Großen Türkischen Nationalversammlung im Rahmen des Gemischten Parlamentarischen Ausschusses. Darüber hinaus besteht ein Kooperationsausschuss, der sich mit dem Zollwesen befasst, und ein Gemischter Beratungsausschuss beim Wirtschafts- und Sozialausschuss.
Des weiteren wird auch auf Grundlage der Schlussakte des Europäischen Rates von Helsinki 1999 kooperiert. So existiert beispielsweise auf jener Basis ein politischer Dialog zu Themen politischer Reformen, Menschenrechten, der Zypern-Frage oder auch zur friedlichen Beilegung von Grenzstreitigkeiten.
Bevor EU-Eingreiftruppen zu Einsätzen berufen werden, wird die Türkei informiert. Jedoch sind ihre Kompetenzen stark beschränkt. In der Regel besitzt sie kein Mitspracherecht. Sind ihre Sicherheitsinteressen durch die Einsätze jedoch betroffen, muss sie diesen zustimmen. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die Türkei Mitglied der NATO ist und sich an Einsätzen dieser Organisation beteiligt.
Neben der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kooperieren die westlichen Staaten auch im Rahmen des Europarates seit Jahrzehnten mit dem muslimischen Staat.
Es existiert ebenfalls ein regelmäßiger politischer Dialog im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Dieser Dialog wurde im Zuge der Heranführungsstrategie etabliert. Es könnte also sein, dass dieser bei einem Abbruch der Verhandlungen oder einer negativen Beitrittsentscheidung nicht Stand halten würde. Darüber hinaus beteiligt sich die Türkei an der Arbeit des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees sowie verschiedener Arbeitsgruppen des Rates. (vgl. Guttenberg 2004: S. 7)
Ebenfalls im Rahmen der Zollunion nimmt die Türkei an Sitzungen des Rates teil. Allerdings hat sie kein Mitsprache- oder gar Mitentscheidungsrecht. Diese Rechte strebt sie an, da sie selbst Einfluss ausüben möchte. (vgl. Atilgan / Klein 2006: S. 14)
Zur Zeit arbeiten Türkei und Union hauptsächlich im wirtschaftlichen Bereich zusammen. Durch die Zollunion, die seit 1995 besteht, nimmt die muslimische Republik zumindest im Bereich gewerblicher Waren am Binnenmarkt der EU teil.[13] „Im Rahmen der Zollunion ist die Türkei zur Angleichung an Teile des Besitzstands im Binnenmarktbereich, darunter der freie Verkehr gewerblicher Waren, die Rechte an geistigen und gewerblichen Eigentum, die Wettbewerbspolitik (...), und zur Annahme des gemeinsamen Außenzolltarifs verpflichtet.“ (Europäische Kommission 2004: S. 18) Näheres zu der Zusammenarbeit im Rahmen der Zollunion sowie über die Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen wird in Kapitel 4.1 dargestellt.
2.5) Zwischenresümee
Bei einer Gegenüberstellung der vier oben dargelegten Modell sollen noch einmal deutlich die unterschiedlichen Anforderungen an und Auswirkungen für die Türkei aufgezeigt werden. Dies geschieht für vier unterschiedliche Ebenen und unter Zuhilfenahme sowohl einer Übersicht des Osteuropa-Instituts München als auch einer Gegenüberstellung von Cemal Karakas. (vgl. Karakas 2005: S. 12; vgl. Quaisser 2004: S. 5)
Aus ökonomischer Sicht betrachtet, bedeutet die Vollmitgliedschaft für die Türkei die Aufnahme in den Binnenmarkt. Später steht ihr auch die Option offen in die Währungsunion einzusteigen. Bei einer Privilegierten Partnerschaft steht ihr nur die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft offen. Dafür sind bei diesem Modell die Anforderungen an die muslimische Republik geringer. Bei der Vollmitgliedschaft muss sie neben einer funktionierenden Demokratie auch eine stabile Marktwirtschaft aufweisen und demonstrieren, dass sie wettbewerbsfähig ist und dem Druck der Konkurrenz Stand halten kann. Die Voraussetzungen für einen Beitritt sind neben der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien und der Übernahme des Gemeinschaftlichen Besitzstands auch die Erfüllung und Annahme der Verpflichtungen von Schengen. Politisch ist die Türkei bei einem uneingeschränkten Beitritt voll integriert. Ihr stehen die vollen Rechte der Mitgliedsländer zu, aber auch die Pflichten. Außerdem ist sie Teil der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und würde bei Schengen eine mit den restlichen Mitgliedstaaten ebenbürtige Rolle spielen.
Bei der Privilegierten Partnerschaft gibt es auch eine politische Kooperation, jedoch weit unterhalb der eben aufgezeigten Möglichkeiten. Über einen regelmäßigen, intensiven politischen Dialog geht die Zusammenarbeit nicht hinaus. Schließlich zeigt auch die Betrachtung der Finanztransfers, dass zwischen den Modellen deutliche Abstufungen existieren. So werden der Türkei bei der CDU-Alternative lediglich individuelle Unterstützungsprogramme angeboten werden. Bei einer vollständigen Integration in die europäischen Strukturen hingegen stehen der Türkei Gelder aus unterschiedlichen Töpfen wie etwa der Strukturfonds oder dem EU-Haushalt für die Agrarpolitik zu.
Bei der Abgestuften Integration bleibt die Beitrittsperspektive erhalten. Eine Teilnahme an dem EU-Fonds für strukturschwache Landwirtschaft und Regionen ist eingeschränkt vorgesehen. Es existiert die Möglichkeit der politischen Integration. So könnte die Türkei beispielsweise im Rat bei integrierten Bereichen mitentscheiden, hätte allerdings kein Veto-Recht. Schließlich besteht die Möglichkeit, auch zunächst teilweise am Binnenmarkt, der WWU sowie anderen Bereichen wie der Justiz- oder Verteidigungspolitik mitzuwirken.
Im Fall der Rückkehr zum Status quo verfügt die Türkei hauptsächlich über wirtschaftliche Beziehungen zu der EU. Außerdem existiert auf Grundlage des Assoziierungsabkommens von 1963 eine Kooperation, die auch auf politischer Ebene stattfindet. Somit ist die Türkei zumindest theoretisch nicht voll von der Union isoliert. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass es bei Abbruch der Verhandlungen oder negativem Ausgang tatsächlich zu einer Rückkehr zu den Beziehungen vor den Verhandlungen kommen wird und nicht zu einer Abkehr der Türkei.
3) Streitpunkte bei den Verhandlungen mit der Türkei
Spätestens seit der Kandidatenstatus der Türkei beschlossen ist, ist eine breit angelegte Diskussion über den möglichen Beitritt entflammt. Auch wenn EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn der Ansicht ist, dass der Beitritt “is also in our best interest, and it can be beneficial to our own citizens“, sind sich einige Diskutanten darin nicht so sicher. (Rehn 2005: S. 58)
Im Laufe der Diskussion kommen immer wieder bestimmte Streitpunkte auf, in denen sich Beitrittsgegner und Beitrittsbefürworter uneins sind. Die Befürworter ziehen die Streitpunkte als Begründung für eine Vollmitgliedschaft heran. Die Gegner hingegen interpretieren die gleichen Punkte anders und sprechen sich in Folge dessen für die Rückkehr zum Status quo der Beziehungen aus. Wahrscheinlich würden beide Seite auch mit der jeweils abgeschwächten Version ihrer Position sympathisieren, mit der Abgestuften Integration respektive der Privilegierten Partnerschaft. Ihre Argumente sind für die Beantwortung der Fragestellung dieser Magisterarbeit und der Abwägung der Szenarien im letzten Kapitel sehr hilfreich.
In den einzelnen Unterkapiteln werden die Streitpunkte aufgezeigt, über die am Häufigsten diskutiert wird. Letztlich soll die Darstellung dazu dienen, sich einen guten und vollständigen Überblick über die kursierenden Argumente für oder wider einen Beitritt der Türkei in die EU zu erlangen.
Für dieses Kapitel muss an dieser Stelle eine Anmerkung gemacht werden: Im Verlauf der Darstellung der einzelnen Streitpunkte wird immer wieder auf nachfolgende Kapitel vorgegriffen. Demnach werden gewisse Punkte zunächst nur angeschnitten, aber erst später ausführlich erklärt, um Doppelungen zu vermeiden.
3.1) Finalität der EU
Die Definition der EU und ihrer Grenzen ist einer von vielen Streitpunkten in der Diskussion um den Beitrittsgesuch der Türkei. Die Frage nach der zukünftigen Gestalt geht einher mit der Problematik der Aufnahmefähigkeit der Union. So zielt die Diskussion auch darauf ab, ob weiterhin Länder beitreten dürfen und wenn ja, welche.
Diese Fragen sind begründet durch den Europäischen Rat, der in der Schlussfolgerung vom 16./17. Dezember 2004 vermerkt, dass die EU durch weitere Beitritte nicht überlastet werden dürfe. Die Union muss sich also darüber im Klaren sein, wie viele Mitglieder sie verkraften kann und welche Reformen dafür gegebenenfalls notwendig sind. Dafür hat sie ausreichend Zeit, denn bis es tatsächlich zu einer Entscheidung über den Beitritt der Türkei kommt, zumindest wenn alles planmäßig verläuft, dauert es noch mindestens acht Jahre.
In der Diskussion über die Finalität der EU sind sich Beitrittsbefürworter und –gegner der Vollmitgliedschaft der Türkei in einem Punkt einig: Die Union muss sich entscheiden, ob sie auf ihrem heutigen Stand verharren möchte, sich weiterentwickelt oder aber sich zu einer Freihandelszone zurückbilden will oder gar muss. Allerdings sind die Motive der beiden Gruppen andere. Sie streiten sich um die Aspekte der Erweiterung und der Vertiefung der Union.
So sind die Befürworter der Ansicht, dass es möglich ist die EU einerseits zu erweitern, demnach weitere Staaten aufzunehmen. Dies ist nach ihrer Meinung geradezu eine Pflicht der Union. Denn all jene europäischen Staaten, so hat es sich die EU selbst in Art. 49 EUV auferlegt, die die gemeinsamen Werte nach Art. 6 Abs. 1 EUV, demnach Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtstaatlichkeit, beachten und gerne Mitglied der Union sein möchten, dürfen einen Antrag stellen und ihr somit auch zumindest theoretisch beitreten. Darüber hinaus besitzt die EU eine moralische Verantwortung gegenüber den Ländern das ehemaligen Ostblocks oder jenen, die wirtschaftlich schlechter gestellt sind.
Dies wiederspricht aber andererseits nicht dem Aspekt der Vertiefung der Union. Auch mit über 25 Mitgliedern können gemeinsame politische Leitziele vereinbart und diese auch verfolgt werden. Vertiefung bei gleichzeitiger Erweiterung ist kein Widerspruch.
Die Beitrittsgegner hingegen gehen davon aus, dass nur einer der beiden Aspekte möglich ist. Entweder die Union entscheidet sich für eine Vertiefung, dann ohne eine weitere Aufnahme von Staaten, oder für die Erweiterung. Dies hat zur Folge, so warnen sie, dass die politische Vertiefung des Integrationsprozesses gestoppt wird. Somit wird die EU in ihrer Entwicklung gehindert oder sogar ein rückläufiger Trend einsetzen.
Heinrich August Winkler, ein Historiker der sich vehement gegen eine Vollmitgliedschaft ausspricht, befürchtet sogar, dass eine Aufnahme der Türkei „früher oder später zur Auflösung der Europäischen Union und damit zum Scheitern des Projektes Europa führen“ wird. (Winkler 2002: S. 13)
Johannes Varwick[14] beschäftigt sich ebenfalls mit der zukünftigen Form der EU und setzt Erweiterung und Vertiefung zueinander in Beziehung. Er bietet drei mögliche Entwicklungsszenarien an: Staatswerdungsszenario, Erosionsszenario und Muddling-Through-Szenario. (vgl. Varwick 2004: S. 68ff.)
Das Staatswerdungsszenario ist dasjenige, bei dem sich die EU am Meisten entwickeln würde. Es hängt zusammen mit der Abgabe von weiteren Kompetenzen und staatlicher Souveränität. Gerade bei diesem Schritt ist es wichtig, dass sich Erweiterung und Vertiefung die Waage halten, um ein Funktionieren der Union zu gewährleisten und Auseinanderbrechen zu verhindern. „Alleine als gehobener Binnenmarkt würde eine erweiterte EU kaum funktionieren. So müsste von der Erweiterung früher oder später ein starker Druck in Richtung auf weitere Vertiefung ausgehen.“ (ebd.: S. 69)
Mit der Staatswerdung würden eine Verfassung, klare Abgrenzung von Kompetenzen sowie Kontroll- und Legitimationsverfahren, die auf dem Prinzip der Demokratie beruhten, einhergehen. Außerdem benötigt ein supranationaler Staat starke und vollwertige Gemeinschaftsorgane. Allerdings merkt Varwick an, dass bei diesem Szenario einige Fragen offen blieben, beispielsweise mit wie vielen Staaten sich tatsächlich eine solche Entwicklung praktikabel durchführen ließe.
Während es sich bei dem Staatswerdungsszenario um eine Fortentwicklung und Vertiefung der EU trotz Erweiterung handelt, geht das Erosionsszenario davon aus, „dass die EU unter der Last der Erweiterung und den wachsenden Interessenunterschieden ihrer Mitgliedstaaten zusammenbricht oder schleichend erodiert.“ (ebd.: S. 70) Dies geschieht vor allem dadurch, dass die Union durch interne Machtrivalitäten unsicher und instabil wird. Die Gemeinschaftsinstitutionen sind zu schwach um dies aufzufangen.
Das Muddling-Through-Szenario schließlich bescheinigt der Union eine gleichbleibende Gestalt. An ihrer Situation würde sich nichts ändern, auch weiterhin würde sie reformbedürftig sein und für wichtige Fragen wie beispielsweise die nach der Erweiterung keine eindeutigen Antworten gefunden haben. „Innerhalb dieses Szenarios bleibt offen, ob das integrationspolitische Pendel zu mehr gemeinschaftlichen Lösungen oder zu einer Abkehr von der Integration ausschlagen wird. So wäre eine gewisse Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten (...) ebenso denkbar wie die engere Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten diesseits oder jenseits des EU-Vertrags.“ (ebd.: S. 70f.)
Abschließend bemerkt Varwick, dass die EU an einer Art Scheideweg stehe. Alle drei Szenarien würden ihr offen stehen. Finalität sei nichts Statisches, würde nicht bedeuten, dass es nie wieder zu Veränderung oder Weiterentwicklungen komme. Dennoch sollte bei der Diskussion um die zukünftige Gestalt der EU zumindest eine klare Richtung als Handlungshilfe festgelegt werden.
Stefan Baron[15] sieht die Aufnahmefähigkeit der EU spätestens mit dem Beitrittsgesuch der Türkei erreicht. Er spricht hinsichtlich der Perspektive eines Vollmitglieds Türkei von einem politischen, ökonomischen und kulturellen „Selbstmord Europas“. Baron vermutet, dass die europäischen Entscheidungsträger durch eine insgeheime „Angst vor dem Tod“, den der islamistisch-fundamentalistische Terror bringen könne, geleitet würden. (Baron 2002: S. 3) Das sei die Begründung, warum sie nicht schon längst der Türkei entsagt hätten.
3.2) Geographische Lage
Eine Möglichkeit, wie sich die EU definieren kann, ist durch ihre geographische Lage. Dies ist allerdings nicht einfach, denn es steht zumindest für den Osten nicht eindeutig fest, wo der europäische Kontinent endet. Demnach können Länder an den östlichen Grenzregionen auch schwer als Europa oder schon Asien zugehörig bestimmt werden.
Für die Diskussion über den Türkei-Beitritt bedeutet dies konkret, dass die Gegner argumentieren, dass 97 Prozent des türkischen Staatsgebietes außerhalb der EU liegen. Würde man die Türkei also in die Union eingliedern, hätte beispielsweise auch Russland das Recht ein Mitgliedstaat zu werden. Dies sei eine undenkbare Situation.
Beitrittsbefürworter hingegen weisen zum Einen darauf hin, dass sich Grenzen nicht dadurch bilden „wie viele Staaten hinein wollen, sondern wie viele sie verkraften kann.“ (Hänsch 2000: S. 11) Zum Anderen argumentieren sie, dass nicht einmal in der Verfassung die geographischen Grenzen der Europäischen Union festgelegt sind. Darüber hinaus sind sie einerseits der Ansicht, dass es sehr wohl einen Unterschied gibt zwischen der Zugehörigkeit der Türkei oder Russlands zu Europa. Die Türkei ist seit vielen Jahren Mitglied in unterschiedlichen europäischen Organisationen wie der NATO und dem Europarat. Dies unterscheidet die Türkei eindeutig von anderen, auch arabischen Ländern, die sich ebenfalls das Recht auf einen Beitritt ausmalen könnten. Andererseits liegt Zypern ebenfalls nicht mehr auf europäischem Gebiet, sondern gehört geographisch zu Asien. Dennoch ist zumindest der griechische Teil seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der EU. Dies lässt sich eventuell auf die zumindest „gefühlte“ Zugehörigkeit zu Griechenland zurück führen. Doch da Zypern ein autonomer Staat ist, hat es de facto den gleichen Stand wie die Türkei auch.
[...]
[1] Autor der Stiftung Wissenschaft und Politik und Spezialist für die Türkei-Beitrittsperspektive
[2] Die europäische Verfassung wurde am 29. Oktober 2004 von den Staatsoberhäuptern der
Mitgliedstaaten unterzeichnet. Der Vertrag tritt jedoch erst in Kraft, wenn alle Länder ihn
ratifiziert haben. Dies haben bis heute nur 15 Staaten. In Frankreich und Holland kam es im
Mai bzw. Juni 2005 durch Bürgerentscheide zu negativen Voten. Seit dieser Zeit liegt der
Vertrag auf Eis. Aktuell wird darüber diskutiert, was mit dem vorliegenden
Verfassungsvertrag geschehen soll. Da die Verfassung noch nicht in Kraft ist, werden zwar
einige Artikel zitiert. Grundlage der Arbeit sind jedoch die bestehenden Verträge.
[3] Die Türkei hatte bereits 1987 ihren Beitrittsgesuch eingereicht. Jedoch wurde er zunächst
abgelehnt, da das Militär erstarkte und die EU dies nicht tolerierte.
[4] Frankreich und England haben mit weniger Einwohnern als die Türkei bereits jeweils 78
Sitze, Deutschland mit mehr Einwohnern die größtmögliche Anzahl von 99 Sitzen.
[5] Unterstellt wird, dass sich inhaltlich an der Europäischen Verfassung nichts ändert.
[6] Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist Mitglied des Bundestages sowie des Auswärtigen
Ausschusses.
[7] Seit 1995 gehören der EFTA nur noch Liechtenstein, Island, Norwegen und die Schweiz an.
[8] Professor für Theorie der Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-
Universität zu Berlin
[9] Marokko hatte 1987 einen Beitrittsantrag gestellt. Im gleichen Jahr wurde dieser abgelehnt.
[10] wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
[11] Unter den Turkvölkern sind diejenigen Völkergruppen zusammengefasst, die einerseits
Turksprachen sprechen, andererseits im eurasischen Großraum leben. Außer in der Türkei
leben Turkvölker heute hauptsächlich in Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan,
Turkmenistan und Usbekistan.
[12] 2001 war Sabine Voglrieder Doktorandin am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften
der Freien Universität Berlin.
[13] Bestimmte Stahlerzeugnisse sind von der Zollunion ausgeschlossen.
[14] Seit Oktober 2003 ist er Professor für Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-
Universität zu Kiel.
[15] Chefredakteur der „WirtschaftsWoche“
- Citar trabajo
- M.A. Susanne Ayen (Autor), 2006, Wackelkandidat Türkei. Szenarien des Beitritts zur EU, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79281
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