Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Entwicklung der EU-ASEAN-Beziehungen, also zweier supranationaler Organisationen, von 1967 bis 1994. Zusätzlich werden die besonderen Beiträge der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Kooperation herausgestrichen und ein umfangreiches Fazit gezogen.
Die Grundlage der folgenden Arbeit ist die Theorie des demokratischen Friedens. Die Theorie des demokratischen Friedens ist eine der wichtigsten Theorien der internationalen Beziehungen der letzten 30 Jahre und entfaltet über die Theorie hinaus erhebliche Wirkungsmacht. Im Kern geht es um die These, dass die Art eines Regimes Rückschlüsse auf sein außenpolitische Aggressivität oder Friedfertigkeit zulässt. Der so genannte „empirische Doppelbefund“ oder „dyadische Separatfrieden“ beschreibt die Tatsache, dass zwar als gesichert gilt, dass Demokratien untereinander keine Kriege führen, dass aber Zweifel bestehen, ob Demokratien gegenüber autoritären Regimen signifikant friedfertiger sind. Als Erklärung für dieses Phänomen bietet Harald Müller sein Konzept der Antinomien des demokratischen Friedens an. Es „untersucht die Brüche und inneren Widersprüche der Theorien vom demokratischen Frieden“ .
Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und den Anschlägen vom 11. September haben sich große Umwälzungen in der Art wie Konflikte im internationalen System ausgetragen werden vollzogen. Die Theorie von den „neuen Kriegen“ beschreibt diese Entwicklung als zunehmend „entstaatlichte, privatisierte und ökonomisierte Formen der Gewaltanwendung im globalisierten Zeitalter jenseits klassischer Staaten- oder Bürgerkriege.“
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Institution und Institutionalisierung
2 Die EU und die ASEAN als Institutionen
2.1 Europäische Gemeinschaft/Europäische Union 0
2.1.1 Gegenwärtiger Stand der Entwicklung
2.2 ASEAN
2.2.1 Gegenwärtiger Stand der Entwicklung
3 EU-ASEAN-Beziehungen von 1967 bis 1994
3.1 1967-1972: Ausgangslage
3.2 1972-1980: Begründung des EU-ASEAN-Dialogs
3.3 1980: Kooperationsvertrag
3.4 Die Struktur der interregionalen Beziehungen von 1967-1994
3.5 1990er Jahre: Paradigmenwechsel
4 Deutsche Interessen im EU-Kontext: Vom Asienkonzept zur Asienstrategie
4.1 Interessenlage der Bundesrepublik
4.2 Politische Gestaltungsräume der Bundesrepublik
4.3 Außenpolitische Einbettung
Schlussbetrachtung: EU-ASEAN-Beziehungen zwischen Dynamik und Konflikt
Einleitung
Als die Außenminister der Staaten der Europäischen Union und der südostasiatischen ASEAN-Gemeinschaft am 14./15. März 2007 in Nürnberg zu ihrem 16. Treffen zusammenkamen, konnten sie zufrieden auf drei Dekaden gemeinsamer Konsultationen zurücksehen. Gleichzeitig verabschiedeten sie, unter deutscher EU-Präsidentschaft, die so genannte Nürnberger Erklärung. Darin heißt es, man wollte, „aufbauend auf der Dynamik, die aus dem 30-jährigen Bestehen der Dialogbeziehungen […] für die nachhaltige Förderung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand erwächst“, dem beidseitigen Wunsch einer weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit nachkommen[1]. In seinem Grußwort anlässlich der Eröffnung des Treffens sagte Gastgeber Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, das Zeitalter der Nationalstaaten sei vorbei; zumindest insofern, als überregionaler Dialog heute – angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel – einem Imperativ folge[2].
Ein Unterfangen wie die EU-ASEAN-Beziehungen, das heute beinahe wie selbstverständlich und mit der Triebkraft eines Perpeetum Mobile erscheint, blickt auf eine langjährige Entwicklung zurück, ebenso auf mehrere für sie ausschlaggebende Paradigmenwechsel. War das Verhältnis zwischen EG und ASEAN während des Kalten Kriegs von Zögerlichkeiten und Zurückhaltung geprägt – vor allem von europäischer Seite –, erfuhr es nach Aufhebung der Ost-West-Klammer einen gravierenden Wandel, der immer noch andauert. Der Grund hierfür ist nicht zuletzt in der verstärkten wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung zu sehen, welche die ASEAN-Staaten seit Anfang der 1990er Jahre verzeichnen. Die kleinen New Industrializing Countries, auch als ‚Tigerstaaten’ bezeichnet, zogen die Aufmerksamkeit der Europäer auf sich und führten in der Folge zu einem gewachsenen Selbstbewusstsein Asiens im Allgemeinen und der ASEAN im Speziellen.
Heute wird der Stellenwert der Kooperation „sowohl in der Literatur als auch von Vertretern der beiden Gemeinschaften sehr hoch eingeschätzt“[3]. Gelegentlich wird ihr sogar ein Modellcharakter zugesprochen[4]. Außenminister a.D., Hans Dietrich-Genscher, findet dafür klare Worte: Die zwischen EG und ASEAN begründete interregionale Institutionskooperation stelle „eine neue Form und Qualität der Diplomatie dar“, durchaus imstande, zwischenstaatliche Zusammenarbeit und klassische Konferenzdiplomatie abzulösen[5]. Andere Stimmen urteilen weit skeptischer über den Gruppendialog. Sie tragen vor allem Argumente vor, wonach die Bilanz hinsichtlich einer Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ernüchternd ausfalle. Vor allem gegen die ASEAN und ihre Leistungsfähigkeit richtet sich nicht selten Kritik. So sind Kommentare auffällig, in denen sie als „bisslose Schwatzbude“ bezeichnet wird, die bestenfalls regungslos überlebe oder längst politisch irrelevant geworden sei[6].
Angesichts dieser anhaltenden Kontroverse soll die vorliegende Hausarbeit nach Anfängen und Verlauf der EG/EU-ASEAN-Beziehungen bis zum Jahr 1994 fragen. Dies aus folgenden Gründen: Zum einen würde eine Beschäftigung mit dieser Thematik bis in die aktuelle Gegenwart den Rahmen der Arbeit sprengen, zum anderen zeichneten sich mit der Verabschiedung der europäischen Asienstrategie 1994 bereits die zentralen Herausforderungen für das 21. Jahrhundert ab. Zu diesem Zweck soll in einem ersten Schritt das grundsätzliche Wesen der Institution bzw. Institutionalisierung erfasst werden, welche für die betrachtete Zusammenarbeit so außerordentlich bedeutsam ist. Im weiteren Verlauf werden die Institutionen EG/EU und ASEAN, jede für sich, abrissartig vorgestellt, um schließlich den Fokus auf das Interaktionsverhältnis seit Anfang der 1970er Jahre legen zu können. Hierbei ist anzumerken, dass die europäische bzw. deutsche Perspektive eingenommen wird. Der letzte Abschnitt betrachtet die Bundesrepublik Deutschland als Akteur innerhalb der EU-ASEAN-Relation am Beispiel der Ausarbeitung einer Asienstrategie.
Zum Aufbau der Arbeit lässt sich sagen, dass von einem innerstaatlichen Institutionalismus im politologischen Diskurs der Bogen geschlagen werden soll zu einem überstaatlichen, interregionalen Institutionenkorporatismus in der Praxis. Des Weiteren soll geklärt werden, inwieweit ein einzelstaatlicher Akteur, exemplarisch anhand der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb dieser Zusammenarbeit Einfluss zu nehmen vermag.
Die beiden zentralen Forschungsfragen lauten ergo wie folgt: Ist die Qualität der Zusammenarbeit zwischen EU und ASEAN wirklich zufrieden stellend und in diesem Sinne fortschreitend? Inwiefern spielte die Bundesrepublik Deutschland in die Beziehungen in den Jahren 1993/94 durch eigene Akzente hinein?
Hinsichtlich der verwendeten Literatur wurde der Schwerpunkt v.a. gelegt auf: Dreis-Lampen, B., ASEAN und die Europäische Union, Dahm, B./Harbrecht, W. (Hg.), ASEAN und die Europäische Gemeinschaft, sowie Loewen, H., Theorie und Empirie transregionaler Kooperation am Beispiel des Asia-Europe-Meeting.
1 Institution und Institutionalisierung
Der Terminus der Institution ist nicht neu. Seit der Herausbildung moderner Flächenstaaten und leistungsfähiger Bürokratien spielt er in Hinsicht auf die grundlegende Verfasstheit von Staatswesen eine zentrale Rolle. Damit ist gleichsam angedeutet, von welchem Fachbereich der Politischen Wissenschaft der Institutionenbegriff ursprünglich rührt: nämlich der Innenpolitik.
Womit genau hat man es im Falle einer Institution zu tun? Die Antworten, welche verschiedene Wissenschaftsdisziplinen darauf geben, sind ebenso mannigfaltig wie widersprüchlich. Bedient man sich der Definitorik der Soziologie, so lässt sich die Institution in Anspruch und Wirkung als „Leitidee“ auffassen[7]. Ganz im Sinne der Weber’schen Rationalitätskultur vermag eine Institution durch ihr dichtes Regel- und Normengeflecht Sinngebung und Orientierung zu verschaffen. In der Konsequenz ist dem so, weil es sich um „Regelsysteme menschlichen Verhaltens“ handelt[8]: Die Kontinuität kollektiver Handlungen tritt in den Vordergrund.
In diesem Zusammenhang leistet Schreiner für den Institutionenbegriff eine kompakte Definition:
Institutionen begründen Dauer. Sie reduzieren die Unbegrenztheit möglicher Verhaltensweisen; sie verhindern die Beliebigkeit persönlichen und kollektiven Handelns und machen Handlungsabläufe, die für die Funktionstätigkeit und den Bestand sozialer Systeme grundlegend sind, vorhersehbar. Institutionalisierung verweist auf die Bildung dauerhafter sozialer Beziehungen, die sich von der je aktuellen Situ-ation ablösen, so daß soziale Realitäten eigener Art entstehen, die Kommen und Gehen, Leben und Tod der einzelnen Individuen überdauern. Institutionalisierung strebt als Prozeßergebnis eine sinnhafte Ordnung von Verhaltensregeln an, die einem Sozialgebilde Bestand geben.[9]
Heute beschränkt sich das Institutionswesen beileibe nicht mehr ausschließlich auf innerstaatliche Vorgänge. Gerade an der Schaltstellte zum neuen Jahrtausend hat die Globalisierung als Prozess, der die „Kompression von Raum und Zeit“ vorantreibt, zu einer Katalysierung von Institutionenbildung beigetragen[10]. Angesichts dieser Entwicklung ist es nur bezeichnend, dass die Politische Wissenschaft über keine gesamtheitliche Theorie verfügt, welche das Zustandekommen internationaler Organisationen zu erklären sucht. Genauso verwunderlich ist es, dass eine andere soziologische Institutionentheorie bei der politologischen Rezeption „weitgehend auf der Strecke geblieben“ ist[11]: „Jede Institution entwickelt für die darin Befaßten unvorhergesehene Resultate, die gerade aus (…) ihrer Eigengesetzlichkeit folgen“[12]. Diese Eigendynamik ist ein in der Praxis ablesbares Proprium des Institutionenbegriffs und findet, bezogen auf die jeweilige Institution, eine entsprechende Manifestierung.
Sofern geklärt wurde, was eine Institution im Prinzip ausmacht, schließt sich die Frage an, wer die Handelnden sind, die Institutionalisierung schaffen? Generell sind es Akteure, deren Bestrebungen weltweites Handeln bedingen: Regierungen, multinationale Unternehmungen sowie transnationale Organisationen. Gemäß der grundlegenden Annahme idealistischer wie realistischer Ansätze der Internationalen Beziehungen befinden sich die Staaten der Welt in einem internationalen Umfeld, das prinzipiell „anarchisch strukturiert“ ist[13]. Dieser für den einzelnen Staat höchst unverlässliche „‚Urzustand’ der internationalen Beziehungen“ legt eine macht- und interessenbezogene Zusammenarbeit von Staaten durchaus nahe[14].
Weil diese außenpolitische Kooperation, mehr noch als im innenpolitischen Raum, „keinen Anfang und kein zu fixierendes Ende kennt“, wird in dieser Hausarbeit wert darauf gelegt, anstelle des Begriffs ‚Institution’ jenen der ‚Institutionalisierung’ vorzuziehen[15]. Institutionalisierung ist ein „ubiquitärer Prozess“ im Rahmen friedlicher Umgangsverregelung weltpolitischer Akteure, weil sich jederzeit Verschiebungen von Präferenzen bei den beteiligten Staaten verzeichnen lassen[16].
Rekurrierend auf die dem internationalen System eigene Anarchie, bezeichnet Institutionalisierung einen Prozess zunehmender Berechenbarkeit weltpolitischer Akteure, sowohl für die in ihr beteiligten selbst als auch aus Sicht von Drittstaaten. Damit wird ein unabgestimmtes Verhalten tendenziell ausgeschlossen.
2 Die EU und die ASEAN als Institutionen
Die Zusammenarbeit zweier verschiedener Institutionen auf internationaler Ebene stellt einen logischen nächsten Schritt der Institutionalisierung dar. Um diese Kooperation am Beispiel der Europäischen Union und ASEAN festmachen zu können, bedarf es allerdings vorweg einer Vorstellung dieser beiden institutionellen Akteure.
2.1 Institution: Europäische Gemeinschaft/Europäische Union
Der Dreh- und Angelpunkt europäischer Integration ist eine Reihe großer Verträge. Erst mit der Ratifikation des Maastrichter Vertrages im Jahr 1992 kam die Europäische Union (EU) zustande. Davor galt die Europäische Gemeinschaft (EG), welche heute Bestandteil der EU ist. Die EG wiederum entstand im Zuge einer Verschmelzung der Organe der Europäischen Gemeinschaften durch einen Fusionsvertrag am 1. Juli 1967. Aus juristischer Sicht existieren damit verschiedene Rechtssubjekte innerhalb der EG[17]. Bei ihnen handelt es sich um die Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS/Montanunion), die Europäische Atomgemeinschaft (EAG/Euratom) sowie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Im Gefolge dieser knappen Dekonstruktion des ‚Baukastens’ EU ergibt sich eine wichtige Frage: Was war der Gründungsimpetus europäischer Institutionalisierung?
Am 9. Mai 1950 unterbreitete der französische Außenminister Schuman im Rahmen einer Pressekonferenz dem bundesdeutschen Kanzler Konrad Adenauer den Vorschlag um eine gemeinsame deutsch-französische Stahl- und Kohleproduktion. Andere westeuropäische Länder wurden aufgefordert, sich diesem Unterfangen anzuschließen. Bereits ein knappes Jahr darauf, am 18. April 1951, wurde in Paris der EGKS-Vertrag von den Regierungen der Niederlande, Belgiens, Luxemburgs, Italiens, Frankreichs und der Bundesrepublik unterzeichnet, auf dass er am 23. Juli 1952 planmäßig in Kraft treten konnte. Unter der Administration der Hohen Behörde, welche Exekutivrechte besaß und unabhängig von den Weisungen der Mitgliedsstaaten agieren konnte, wurden nationale Rechte im Rahmen dieser beschränkten Wirtschaftszusammenarbeit zum ersten Mal auf eine supranationale Ebene transferiert[18]. Erklärtes Primärziel der EGKS war dabei, „zur Ausweitung der Wirtschaft, zur Steigerung der Beschäftigung und zur Hebung des Lebensstandards in den Mitgliedsstaaten beizutragen“[19]. Dieser rein zweckrationalen Ausrichtung der neu geschaffenen Institution lag keine gemeinsame Zielperspektive zugrunde, sondern – im Gegenteil – höchst komplementäre nationalstaatliche Interessen[20]. Während sich Frankreich durch den EGKS-Vertrag Zugang zum rohstoffreichen Ruhrgebiet und in der Folge eine Vitalisierung und Modernisierung der eigenen Industrie erhoffte, war die Montanunion für die Bundesrepublik vor allem eine Plattform, die helfen mochte, außenpolitische Isolation zu überwinden. Gemein war allen beteiligten Staaten gewiss die Bestrebung, gegenüber der in Osteuropa aggressiv auftretenden Sowjetunion ein ökonomisches Gegengewicht zu setzen, wobei sicherheitspolitisch weiterhin Abhängigkeit von den USA bestand. Es ist wenig überraschend, dass die historische Forschung den Auftakt europäischer Integration als „Instrumentalisierung der Supranationalität im Sinne nationalstaatlicher Politik“ interpretiert[21].
Das Erfolgsmodell Montanunion zog rasch den Wunsch nach einer Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit sich. Nach dem Fehlschlag, eine europäische Verteidigungsgemeinschaft zu gründen, entstanden so im Rahmen der Römischen Verträge vom 25. März 1957 zwei weitere europäische Gemeinschaften mit entsprechender Kompetenzausstattung: die EWG und die EAG. Während letztere als Kooperation im zivilen Nuklearbereich weitgehend sekundär war, hat sich die EWG-Gründung bis heute als das „wichtigste Ereignis in der Geschichte der europäischen Einigung“ erwiesen[22]. Im Unterschied zur EGKS stand hier nicht der Integrationsgedanke einer intervenierenden Hohen Behörde im Vordergrund, sondern die Idee eines gemeinsamen Binnenmarktes durch den Verzicht auf Zollschranken und Kontingentierungen sowie einer Stärkung des freien Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs[23]. Des Weiteren wurde die Institutionalisierung vorangetrieben, um in Zukunft gemeinsame Handelspolitik lancieren zu können. Die Gemeinschaft war für Neumitglieder grundsätzlich offen. Jedoch war die implizite Bedingung für einen beitrittswilligen Staat, dass es sich bei ihm um eine Demokratie mit marktwirtschaftlichen Strukturen handelte[24]. Die EWG- und EAG-Verträge wurden samt dem EGKS-Vertrag 1967 in den Europäischen Gemeinschaften zusammengefasst. Damit wurde die EG zusehends attraktiver für andere Länder, entwickelte sich der innergemeinschaftliche Handel doch dynamischer als der Welthandel insgesamt[25]. Der Fusionsvertrag vom 8. April 1965 etablierte eine gemeinsame Kommission und einen gemeinsamen Rat der damals drei Europäischen Gemeinschaften.
Stahl macht drei Faktoren für die Eigendynamik des EG-Systems in den siebziger und achtziger Jahren ausfindig: „die Bildung eines bürokratischen europäischen Zentrums, die Eröffnung weiterer Politikfelder sowie die qualitative Ausweitung des europäischen Rechtsbestandes“[26]. Legitimatorisch flankiert wird die Bildung eines europäischen Zentrums durch das Europäische Parlament, welches 1979 zum ersten Mal direkt von den Bürgern gewählt wurde. Demgegenüber vereinbarten die EG-Mitgliedsstaaten im Laufe der siebziger Jahre zusehends eine Zusammenarbeit in außenpolitischen Fragen. Liberalisierungserfolge am Binnenmarkt reichten so weit, dass 1985 im Rahmen des Schengener Abkommens ein Teil der Mitgliedsstaaten sich bereiterklärte, ganz auf Grenzanlagen zu verzichten. Der bei externen Ländern gehegte Wunsch nach positiven Synergien führte 1973 zur ersten EG-Erweiterung um das Vereinigte Königreich, Dänemark und Irland. 1981 folgte Griechenland sowie 1986 Spanien und Portugal. Die dritte Erweiterung um Österreich, Finnland und Schweden wurde nach Abschluss der Maastrichter Verhandlungen realisiert, welche die EG auf eine neue Grundlage stellte. Der am 7. Februar 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht markiert den bislang umfassendsten Ausbau europäischer Integration, weil er den Komplexitätsgrad der Organe, Institutionen und Zuständigkeiten deutlich erhöhte. Mit diesem Vertragswerk wurde die Europäische Union als übergeordneter Dachverbund gegründet und kann sich seitdem auf drei Standbeine stützen. Zum einen besteht die EG als supranationale Kooperation fort, zum anderen kamen mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) zwei intergouvermentale Pfeiler hinzu. Sie bedingten zumindest eine verstärkte Synchronisierung auf europäischer Ebene. Ein direkter Verantwortlichkeitstransfer für nationalstaatliche Politik bestand in den Bestimmungen zur Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Dies zog die Gründung einer entsprechenden Institution wie der Europäischen Zentralbank (EZB) konsequenterweise mit sich. Später wurde der EU-Vertrag mit dem Vertrag von Amsterdam (1997) und dem Vertrag von Nizza (2001) erweitert, z.B. wurde darin die Stellung des Europäischen Parlaments durch eine Verbesserung des Mitentscheidungsverfahrens und dessen Ausweitung weiter gestärkt. Die Einigung auf eine europäische Verfassung am 29. Oktober 2004 sollte „das bisherige Vertragssystem und den Ausbau der EU deutlichen vereinfachen“[27]. Durch die negativen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden wurde der Ratifikationsprozess jedoch bis auf weiteres eingefroren.
2.1.1 Gegenwärtiger Stand der Entwicklung
Das Selbstverständnis europäischer Integration hat sich im Laufe der Dekaden seit dem EGKS-Vertrag massiv gewandelt. Ging es zunächst um die Befriedigung einzelstaatlicher Partikularinteressen – ob sie nun auf ökonomischen Nutzen oder Zügelung von Machtpolitik hinausliefen – im Rahmen einer übernationalen Institution, hat sich daraus ein gemeinsamer Markt entwickelt. Im weiteren Verlauf kristallisierten sich sogar Ansätze einer politischen Wertegemeinschaft heraus, die im Maastrichter Vertrag erstmals verankert wurden. Weiterhin ist bemerkenswert, dass kleine Staaten zu „Subjekten der Integrationspolitik“ wurden[28]. Heute ist die EU, mittlerweile mit 27 Mitgliedsstaaten und mehr als 480 Millionen Einwohnern, „weder Staatenbund noch Bundesstaat“[29]. Trotz zunehmender bürokratischer und Subsidiaritätsprobleme zwischen EU- und Nationalebene und einem damit einhergehenden „Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in die europäische Union“ lässt sich konstatieren[30]: „In keiner anderen Region der Welt haben souveräne Staaten ihre Hoheitsrechte in diesem Ausmaß und in so vielen für ihre Bürger wichtigen Bereichen zusammengelegt“[31]. Damit ist die europäische Integration ein Kontrastmodell zur ASEAN.
[...]
[1] Nürnberger Erklärung zur vertieften Partnerschaft zwischen EU und ASEAN, Bundesrepublik Deutschland, 15. März 2007.
[2] Grußwort von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier anläßlich der Eröffnung des 16. EU-ASEAN Außenminister Treffen, 14. März 2007.
[3] Feske 2002: 309.
[4] Vgl. Hull 1984: 15-26.
[5] Genscher 1987: 15.
[6] Clad 2000: 2.
[7] Waschkuhn 1987: 87.
[8] Berg-Schlosser/Maier/Stammen 1974: 40.
[9] Schreiner 1992: 296f.
[10] Joffe 2007: http://www.zeit.de/2007/23/Globalisierung (15.06.2007).
[11] Stahl 1998: 21.
[12] Gehlen 1963: 198.
[13] Menzel 2001: 20.
[14] Stahl 1998: 102.
[15] ebd.: 107.
[16] ebd.: 107.
[17] Vgl. Stahl 1998: 128.
[18] Weidenfeld 2002: 375.
[19] Art. 2, EKGS-Vertrag.
[20] Vgl. Stahl 1998: 131.
[21] Stahl 1998: 129.
[22] Schmuck 2005: 15.
[23] Vgl. Weidenfeld 2002: 376.
[24] Vgl. Stahl 1998: 130.
[25] ebd.: 137f.
[26] Stahl 1998: 232.
[27] Schmuck 2005: 18.
[28] Janning 2002: 167.
[29] Joffe 2007: http://www.zeit.de/2007/13/01-Europa?page=all (25.05.2007).
[30] Piepenschneider 2005: 6.
[31] ebd.: 6.
- Quote paper
- Julian Wangler (Author), 2007, Die EU-ASEAN-Beziehungen von 1967 bis 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Bundesrepublik Deutschland - Eine Erfolgsgeschichte?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79214
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