Während in der heutigen Zeit die Bestrafung für ein begangenes Verbrechen fast automatisch mit einem Gefängnisaufenthalt assoziiert wird, stellte diese Art der Strafe noch vor etwas über 200 Jahren die Ausnahme dar: es war die Marter, die öffentliche Folter, die von der Justiz als die am besten geeigneteste und daher am häufigsten praktizierte Strafmethode angesehen wurde.
Doch wie kam es dazu, dass diese besonders brutale Form der öffentlichen Bestrafung innerhalb weniger Jahre fast vollständig durch eine im geheimen durchgeführte Überwachungsstrafe ersetzt wurde? Dass die Gründe hierfür nicht nur in der neuen, im Zuge der Aufklärung gewonnenen Humanität und der Abschaffung menschenverachtender Foltermethoden zu suchen sind, sondern das Resultat viel tief schürfenderer Veränderungen in Gesellschaft und Ökonomie der Macht sind, will ich in dieser Arbeit belegen.
Als Hauptreferenz dient mir hierzu das soziologische Hauptwerk „Überwachen und Strafen“ von Michel Foucault, dessen umfangreiche Analyse der Entwicklung der Bestrafungsstrukturen und dem Einzug der Disziplinen in die Gesellschaft großen Einfluss auf zahlreiche Denkrichtungen hatte und darüber hinaus Forschungen über Sozialdisziplinierung initiierte, „die in der Selbst- und Fremdkontrolle der Individuen einen wichtigen Aspekt klassischer und neuerer Theorien der Moderne sehen.“
Ein weiteres Hauptaugenmerk dieser Hausarbeit liegt auf der Untersuchung der Situation des einzelnen Gefangenen in der Haftanstalt, auf den Strategien und Verhaltensmuster, derer die Sträflinge sich bedienen, um mit dieser besonderen Situation des (Über-)Lebens in einer geschlossenen Institution zurecht zu kommen. Die Erkenntnisse hierfür liefert das 1961 veröffentlichte Buch „Asyle – Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“ von Erving Goffman, der in seinem Werk die Anpassungsmechanismen von Insassen verschiedenster totaler Institutionen wie Gefängnisse, Klöster oder Kasernen darstellt.
Inhalt
1 Einleitung
2 Geschichte des Gefängnisses
2.1 Von der öffentlichen Marter zum versteckten Strafvollzug
3 Prinzipien und Zweck der Strafanstalten
3.1 Einzug der Disziplinen in Gesellschaft und Strafanstalt
3.2 Gefängnis als erschöpfender Disziplinarapparat
3.2.1 Isolierung der Häftlinge
3.2.2 Zwangsarbeit
3.2.3 Individuelle und flexible Strafbemessung
3.3 Das Panopticon als Disziplinierungsanstalt
4 Situation und Leben der Gefängnisinsassen
4.1 Der Eintritt in die Haftanstalt
4.2 Störung des Selbstwertgefühls der Häftlinge
4.2.1 Direkte Eingriffe
4.2.2 Beschädigung des formellen Verhältnisses zwischen handelndem Individuum und seinen Handlungen
4.3 Reorganisation des Häftlings
4.3.1 Hausordnung
4.3.2 Belohnungen und Strafen
4.4 Individuelle Anpassungsstrategien der Häftlinge
4.5 Insassenkultur
4.6 Entlassung aus dem Gefängnis und Wiedereintritt in die Gesellschaft
5 Fazit/Schluss
6 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Während in der heutigen Zeit die Bestrafung für ein begangenes Verbrechen fast automatisch mit einem Gefängnisaufenthalt assoziiert wird, stellte diese Art der Strafe noch vor etwas über 200 Jahren die Ausnahme dar: es war die Marter, die öffentliche Folter, die von der Justiz als die am besten geeigneteste und daher am häufigsten praktizierte Strafmethode angesehen wurde.
Doch wie kam es dazu, dass diese besonders brutale Form der öffentlichen Bestrafung innerhalb weniger Jahre fast vollständig durch eine im geheimen durchgeführte Überwachungsstrafe ersetzt wurde? Dass die Gründe hierfür nicht nur in der neuen, im Zuge der Aufklärung gewonnenen Humanität und der Abschaffung menschenverachtender Foltermethoden zu suchen sind, sondern das Resultat viel tiefschürfenderer Veränderungen in Gesellschaft und Ökonomie der Macht sind, will ich in dieser Arbeit belegen.
Als Hauptreferenz dient mir hierzu das soziologische Hauptwerk „Überwachen und Strafen“ von Michel Foucault, dessen umfangreiche Analyse der Entwicklung der Bestrafungsstrukturen und dem Einzug der Disziplinen in die Gesellschaft großen Einfluss auf zahlreiche Denkrichtungen hatte und darüber hinaus Forschungen über Sozialdisziplinierung initiierte, „die in der Selbst- und Fremdkontrolle der Individuen einen wichtigen Aspekt klassischer und neuerer Theorien der Moderne sehen.“[1]
Ein weiteres Hauptaugenmerk dieser Hausarbeit liegt auf der Untersuchung der Situation des einzelnen Gefangenen in der Haftanstalt, auf den Strategien und Verhaltensmuster, derer die Sträflinge sich bedienen, um mit dieser besonderen Situation des (Über-)Lebens in einer geschlossenen Institution zurecht zu kommen. Die Erkenntnisse hierfür liefert das 1961 veröffentlichte Buch „Asyle – Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“ von Erving Goffman, der in seinem Werk die Anpassungsmechanismen von Insassen verschiedenster totaler Institutionen wie Gefängnisse, Klöster oder Kasernen darstellt.
2 Geschichte des Gefängnisses
2.1 Von der öffentlichen Marter zum versteckten Strafvollzug
Die Technik der Marter ist keine willkürliche Quälerei eines Verurteilten, sondern entspricht genau festgelegten Kriterien. Sie muss „eine bestimmte Menge an Schmerzen erzeugen, die man (...) vergleichen und ordnen kann; der Tod ist eine Marter, sofern er nicht einfach den Entzug des Lebensrechts darstellt, sondern Anlass und Abschluss einer kalkulierten Abstufung von Schmerzen (ist).“[2] Es geht also nicht um eine schnelle und schmerzlose Vollstreckung des Urteils, im Gegenteil, der erlösende Tod soll unter größtmöglichen Qualen lange hinausgezögert werden. Zum anderen werden vor der Urteilsvollstreckung Art, Länge und Intensität der Schmerzzufügung unter Analyse von Persönlichkeit und Verbrechensart des Verurteilten aufeinander abgestimmt und so, bis hin zum Ort der Marter, der häufig mit dem Ort des Verbrechens übereinstimmte, in direkte Verbindung gebracht. Hauptziel dieser kalkulierten Zufügung von Schmerzen ist der Körper des Beschuldigten, dessen Narben und Wunden den bisher verborgenen Prozess nach außen kehren und, für jedermann sichtbar, den direkten Bezug zum Verbrechen herstellen.
Die öffentlich durchgeführte Marter ist immer auch als politische Zeichensetzung, als Manifestation der bestehenden Machtverhältnisse zu verstehen. Denn im Ancien Régime, dass Michel Foucault zur Erläuterung des Strafprinzips der Marter in „Überwachen und Strafen“ heranzieht, bedeutet das Übertreten eines Gesetzes immer auch einen Angriff auf den Souverän, der entweder Urheber des Gesetzes ist oder zumindest seine Erlaubnis dazu gegeben hat. Folglich ist der öffentliche Schauprozess eine Art Gegenschlag des Staates zur „sinnbildlichen Wiederherstellung (...) der Macht des Souveräns, dessen vorübergehende Ohnmacht durch das Verbrechen deutlich geworden ist.“[3] Dieses „Feuerwerk der Macht“[4], in dem der Gesetzesbrecher für jeden sichtbar vernichtend geschlagen wurde, soll nicht etwa für Gerechtigkeit sorgen, sondern vielmehr das alte, ungleiche Machtgefüge prunkvoll wieder herstellen.
Das Hauptelement dieser Machtdemonstration ist die Anwesenheit des Volkes, ohne das die gesamte Prozedur sinnlos wäre. Doch genau hier macht sich der Staat angreifbar: das Volk, vom Souverän herbeigerufen als Zeuge und Gehilfe, kann eventuellen Unmut nur dort kund tun, wo die Justiz das Amtsgebäude verlässt und an die Öffentlichkeit tritt. Beispiele für solche unvorhergesehenen Gewaltausbrüche gegen die Obrigkeit im Zuge der öffentlichen Marter, beispielsweise bei im Volke als ungerecht empfundenen Gerichtsurteilen, finden sich im Text von Foucault zahlreich. Und daher besteht für den Staat die politische Gefahr der Umkehrung des eigentlichen Zwecks des Schauprozesses, Demonstration der eigenen Macht unter Solidarisierung des Volkes, denn niemals „fühlte sich das Volk (...) den Bestraften näher als bei jenen Ritualen, welche die Abscheulichkeit des Verbrechens und die Unbesiegbarkeit der Macht zeigen sollten.“[5]
Der Proteststurm von allen Seiten gegen die Martern erreichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seinen Höhepunkt, die Strafjustiz sah ein, dass sie „anstatt zu rächen, endlich bestrafen“[6] müsse. In Folge dessen kam es dazu, dass die Verbrechen an Brutalität und die Bestrafungen an Intensität abnahmen, die Häufigkeit der verübten Verbrechen jedoch zunahm. Gewaltverbrechen wurden seit Ende des 17. Jahrhunderts immer mehr von Diebstählen und Eigentumsdelikten abgelöst. Die Vermehrung der im Gegensatz zu Mord und Körperverletzung geringfügigen Verbrechen erforderte von der Justiz einen Einstellungswechsel, weg von monströsen - aber riskanten - Machtdemonstrationen, hin zu einer Verfeinerung der Apparate, die ein „lückenlosere(s) Durchkämmen des Gesellschaftskörpers“[7], sowie dichtere Kontrollen und früher einsetzende Strafmaßnahmen in Richtung Eigentumsschutz gewährleisteten und „die Ökonomie der Verausgabung und des Exzesses durch eine Ökonomie der Kontinuität und der Dauer“[8] ersetzten. Die erforderliche Reform hatte also mehr mit der Verbesserung einer lückenhaften Ökonomie der Justiz- und Strafgewalt, als mit der Abschaffung der unmenschlichen Grausamkeit der Martern zu tun. Die Humanisierung ist nur die Begleiterscheinung der politischen und finanziellen Kostensenkung.
Auf Grund dieser Vision einer „einheitlichen Strafgesellschaft, in der die Züchtigungen unausweichlich, notwendig, gleichmäßig, ausnahmslos und unentrinnbar sein sollten, (...) verschwinden die großen Züchtigungsrituale (...) vor dem Erfordernis einer Straf-Allgemeinheit, die sich im Gefängnissystem konkretisiert.“[9]
War die Gefängnisstrafe zunächst nur eine „spezifische Züchtigung für bestimmte Vergehen“[10], kritisiert von vielen Reformer, da es der Unterschiedlichkeit der Verbrechen nicht gerecht werde, so wird bereits um 1810 im Strafgesetzbuch Frankreichs und kurz darauf in ganz Europa auf beinahe alle Gesetzesübertretungen mit der Haftstrafe reagiert, unterteilt in Kerkerhaft, „peinliches“ Gefängnis und gemeines Gefängnis, je nach Art und Schwere des Verbrechens. Somit setzt sich die Strafform der Gefängnishaft als staatlichem Verwaltungs- und Besserungsapparat gegenüber den Martern als Zeichen der Macht des Souveräns und dem Wunschtraum der Reformer, der allgemeinen Akzeptanz des Gesellschaftsvertrags mit der öffentlichen Strafe als logischem Resultat aus einem Verstoß gegen diesen, durch.
[...]
[1] Kaesler, Dirk/Vogt, Ludgera (Hg.): Hauptwerke der Soziologie, S. 127
[2] Foucault, Michel: Überwachen und Strafen.: S. 46
[3] Kaesler, Dirk/Vogt, Ludgera (Hg.): Hauptwerke der Soziologie, S. 123
[4] Foucault, Michel: Überwachen und Strafen.: S. 64
[5] Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, S. 82
[6] ebd.: S. 94
[7] ebd.: S. 99
[8] ebd.: S. 111
[9] Foucault, Michel: Mikrophysik der Macht, S. 41
[10] Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, S. 147
- Arbeit zitieren
- Christian Selzer (Autor:in), 2006, Die Haftstrafe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79176
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