„Jobmotor Mittelstand“ ?
Klein- und Mittelunternehmen (KMU)
und die Selbstheilungskräfte des Marktes
Wilma Ruth Albrecht
In der Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAS, 6. Mai 2007, p. C3) fand ich einen Hinweis auf eine aktuelle Studie der Universität Lüneburg. Dort wurde festgestellt, dass die allgemein (und zuletzt auch wieder von der FAZ selbst am 12. Mai 2007, p. C4) verbreitete These und „Expertenansicht“ vom Job- und „Beschäftigungsmotor“ Mittelstand empirisch nicht haltbar ist. Das erinnerte mich an meine eigene Studie zum gleichen Thema. Vor etwa zwanzig Jahren nämlich hatte ich selbst(ändig), US-amerikanische und englische Studien auswertend, systematisch-kritisch entwickelt und mit damals verfügbaren Daten empirisch dargestellt, dass die „behauptete überdurchschnittliche arbeitsplatzerzeugende Wirkung“ von Klein- und Mittelunternehmen [KMU] sich speziell für die Bundesrepublik nicht nachweisen“ lässt. Meine Studie wurde 1988 in Aufsatzform publiziert.
So erfreulich es einerseits ist, dass nun, nahezu zwei Jahrzehnte später, auch beamtete Hochschulwissenschaftler zu ähnlichen Grundergebnissen kommen - so befremdet andererseits doch der professorale raum-zeitliche Wahrnehmungshorizont. Denn tatsächlich erfasst die Studie am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Lüneburg („Jobmotor Mittelstand ? Arbeitsplatzdynamik und Betriebsgröße in der westdeutschen Industrie“) vom 10. April 2007 nur Literatur aus den 1990er Jahren - grad so als hätte es vorher überhaupt keine, auch kritisch argumentierende, wissenschaftliche, also öffentliche, Debatte zum gleichen Thema mit empirischen Nachweisen zur Legende vom „Jobmotor Mittelstand“ gegeben...
Auch darauf, wenn auch nicht allein darauf, verweist mein im Herbst 1988 veröffentlichter Aufsatz, den ich, weil die ©-Rechte allein bei mir als Autorin liegen, hier als wissenschaftsgeschichtliches Dokument unverändert wieder veröffentliche.
Dr.rer.soc. Wilma Ruth Albrecht; dr.w.ruth.albecht@gmx.net; http://www.grin.com/de/search?searchstring=16255&search=id_autor&page=0; Aktuelle Bücher: Bildungsgeschichte/n; Aachen: Shaker-Verlag, 2006, 202 p., http://www.shaker.de/shop/978-3-8322-4897-0; Harry Heine; Shaker, 2007, 114 p., http://www.shaker.de/shop/978-3-8322-6062-0; Nachkriegsgeschichte/n. Sozialwissenschaftliche Beiträge zur Zeit(geschichte); Shaker, 2007, http://www.shaker.de/shop/978-3-8322-6506-9
O. Vorbemerkung
In der Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAS, 6. Mai 2007, p. C3) fand ich einen Hinweis auf eine aktuelle Studie der Universität Lüneburg. Dort wurde festgestellt, dass die allgemein (und zuletzt auch wieder von der FAZ selbst am 12. Mai 2007, p. C4) verbreitete These und „Expertenansicht“ vom Job- und „Beschäftigungsmotor“ Mittelstand empirisch nicht haltbar ist. Das erinnerte mich an meine eigene Studie zum gleichen Thema. Vor etwa zwanzig Jahren nämlich hatte ich selbst(ändig), US-amerikanische und englische Studien auswertend, systematisch-kritisch entwickelt und mit damals verfügbaren Daten empirisch dargestellt, dass die „behauptete überdurchschnittliche arbeitsplatzerzeugende Wirkung“ von Klein- und Mittelunternehmen [KMU] sich speziell für die Bundesrepublik nicht nachweisen“ lässt. Meine Studie wurde 1988 in Aufsatzform publiziert.
So erfreulich es einerseits ist, dass nun, nahezu zwei Jahrzehnte später, auch beamtete Hochschulwissenschaftler zu ähnlichen Grundergebnissen kommen - so befremdet andererseits doch der professorale raum-zeitliche Wahrnehmungshorizont. Denn tatsächlich erfasst die Studie am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Lüneburg („Jobmotor Mittelstand ? Arbeitsplatzdynamik und Betriebsgröße in der westdeutschen Industrie“) vom 10. April 2007 nur Literatur aus den 1990er Jahren - grad so als hätte es vorher überhaupt keine, auch kritisch argumentierende, wissenschaftliche, also öffentliche, Debatte zum gleichen Thema mit empirischen Nachweisen zur Legende vom „Jobmotor Mittelstand“ gegeben...
Auch darauf, wenn auch nicht allein darauf, verweist mein im Herbst 1988 veröffentlichter Aufsatz, den ich, weil die ©-Rechte allein bei mir als Autorin liegen, hier als wissenschaftsgeschichtliches Dokument unverändert wieder veröffentliche.]
1. Einleitung
Im Zusammenhang mit den Krisenerscheinungen der Weltwirtschaft westlicher Prägung in den 70er Jahren — Rezession, Währungskrisen, Kapitalflucht, Staatsverschuldung und ständig steigende Arbeitslosigkeit — und den damit einhergehenden engeren regionalpolitischen Handlungsmöglichkeiten staatlicher Stellen bei gleichzeitiger Zunahme und Verschärfung regionaler Krisen gelangten die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zunehmend in den Blickfang von Politik und Wissenschaft1. Dabei werden in KMU die Träger für „Selbstheilungskräfte" des Marktes gesehen, die auch den volkswirtschaftlichen Strukturwandel in sozialverträglicher Form ermöglichen. Ungeprüft werden Sachaussagen, insbesondere die ihrer arbeitsplatzerzeugenden Wirkung2, getroffen und Konzeptionen, wie z.B. die Bestimmung der KMU als Träger eines Umbaus zu einer alternativen, ökologisch ausgerichteten und teils selbstverwalteten Wirtschaftsordnung bei den Grünen3, entworfen.
Ray Hudson hat jedoch schon vor Jahren fünf Untersuchungsfelder benannt, um der Diskussion um KMU eine kritische Stoßrichtung zu geben. Diese Untersuchungsfelder sind:
„Erstens, inwieweit und in welchem Sinn kann die Ersetzung von großem durch kleines Kapital die sozialen Probleme lösen, die sich gesetzmäßig aus dem Charakter der ungleichmäßigen kapitalistischen Entwicklung ergeben? Zweitens, welche klassenbezogenen Schlußfolgerungen ergeben sich aus der Betonung der Rolle von Kleinunternehmen — beispielsweise hinsichtlich der Schwächung der Macht der organisierten Arbeiterschaft, die auf großbetrieblicher Organisation beruht, und der Förderung der Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse? Drittens, wie realistisch ist es, anzunehmen, daß Kleinunternehmen die Grundlage für autonome Entwicklung (sei es regional oder national, kapitalistisch oder sozialistisch) in einer zunehmend internationalisierten kapitalistischen Weltwirtschaft abgeben — schafft nicht vielmehr ihre Herausbildung in Wirklichkeit einfach neue Abhängigkeitsformen? Viertens, in welchem Ausmaß setzen Kleinunternehmen nicht einfach Maßstäbe von Selbst- und Überausbeutung der abhängigen Arbeitskraft — besonders dann, wenn das Wachstum von Kleinunternehmen sich mit Bewegungen für größere regionale Selbständigkeit verbindet, die meinen, klassenübergreifende Interessenidentität sei auf territorialer Grundlage herstellbar? Fünftens, welche Rolle spielt der Staat bei Förderung und Rechtfertigung der Herausbildung und des Wachstums von Kleinunternehmen — und wo liegen hier die Grenzen staatlicher Eingriffe?"4
Nachfolgend diskutiere ich einige dieser Fragen. Dabei erscheint mir auch eine Methodenkritik von Untersuchungen zu KMU nötig, sowie die Korrektur wesentlicher Sachaussagen.
2. Kritisch-methodische Anmerkungen zu Untersuchungen über KMU
Den Anstoß zur Diskussion um KMU in der Bundesrepublik gaben die Untersuchungen von Birch und Gallagher/Stewart, die kleine und Kleinstunternehmen (100 Beschäftigte/20 Beschäftigte) als die wichtigsten Arbeitsplatzerzeuger herausstellten: Für die USA errechnete Birch, daß von den in den Jahren 1969 - 76 neugeschaffenen 6,76 Mio. Arbeitsplätzen 4,46 auf diese Unternehmensklassengrößen entfielen, für Großbritannien stellten Gallagher/Stewart fest, daß 31% der neu geschaffenen Arbeitsplätze des privaten Unternehmenssektors im Zeitraum 1971-81 in der Gruppe der Kleinstunternehmen (bis 20 Beschäftigte) entstanden.
In der Zwischenzeit sind diese und weitere Untersuchungen kritisch hinterfragt worden5. Die Kritik setzt an der Definition, den verwandten Methoden und statistischen Verfahren sowie der Vergleichbarkeit der statistischen Ergebnisse an.
2.1. Definition
Die Definition KMU erfolgt sowohl quantitativ als auch qualitativ und variiert in beiden Formen erheblich zwischen verschiedenen Staaten sowie Branchen und Wirtschaftssektoren auch innerhalb des gleichen Staates6. Als quantitatives Hauptkriterium gelten Beschäftigte, die synonym für Arbeitsplätze stehen. Je nach Wirtschafts- und Unternehmensstruktur einzelner Länder unterscheiden sich die Schwellenwerte zur Festlegung von Klein- und Mittelunternehmen: So gelten z.B. als Kleinunternehmen in Griechenland solche bis 9 Beschäftigte (einschließlich), die Gewerbestatistik der BRD erfaßt erst Betriebe ab 20 Beschäftigte, die EG setzt den Stellenwert bei Kleinunternehmen auf 49 Beschäftigte und die USA auf 99, dementsprechend variieren auch die quantitativen Kenngrößen von Mittelunternehmen. Unterschiedliche Schwellenwerte werden auch in der Literatur über KMU eines einzelnen Landes angewandt: So reicht die Bandbreite der Kleinunternehmensbestimmung in der BRD von Betreben mit bis zu 19, 49, 99 und sogar 199 Beschäftigten.
Die Synonymsetzung von Beschäftigten mit Arbeitsplätzen unterscheidet nicht, ob es sich um Ganzzeit- oder Teilzeitarbeitsplätze handelt.
Da die Konzentrationsprozesse der Wirtschaft einzelner Länder nach Wirtschaftssektoren und Branchen unterschiedlich verlaufen, finden sich auch je Branche unterschiedliche Abgrenzungswerte7.
Auch die Datenbasis kann unterschiedlichster Art sein: Herangezogen werden u.a. amtliche Statistiken, Kreditauskunftsdateien, Befragungen, Förderanträge oder Gewerbeanmeldungen. Neben und zusammen mit dem Arbeitsplatzkriterium werden KMU auch anhand von Umsatz, Wertschöpfung und Investitionsvolumen abgegrenzt. Eine weitere Verzerrung bei der Definition von KMU liegt darin, daß sowohl die Statistik als auch die Auskunftsdateien Verflechtungen zwischen Betrieben (Beteiligungen, Zweigwerke etc.) nicht erfassen.
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