ERZÄHLUNG: Der Hungerkünstler. von Franz Kafka. Inhalt der Arbeit:
Es geht um das Spannungsfeld zwischen individueller Wahrnehmung des Hungerkünstlers und der durch das Publikum und dem Zirkusimpressario repräsentierten Außenwelt. Damit in Zusammenhang soll der Wunsch des Hungerkünstler nach Autonomie gebracht werden und seine daraus resultierende Isolation.
Inhaltsverzeichis
0. Einleitung
1. Essen und gesellschaftliche Ordnung
2.0. Individualität und soziale Ordnung in der Erzählung Der Hungerkünstler
2.1. Kunst oder exponiertes Objekt?
2.2. Randposition des Hungerkünstlers und zunehmende Entgrenzung
2.3. Existentielle Dimension des Hungerns und Tod
3.1. Parallelen zwischen dem Hungerkünstler und Kafka
3.2. Inkorporiertes Hungern, Schreiben und Scheitern
4. Zusammenfassende Betrachtungen: Hungern und Schreiben
5. Bibliographie
0. Einleitung
In dieser Untersuchung zum „Hungerkünstler" werden folgende Fragestellungen
analysiert, an denen ich mich orientieren werde: Es geht um das Spannungsfeld zwischen individueller Wahrnehmung des Hungerkünstlers und der durch das Publikum und dem Zirkusimpressario repräsentierten Außenwelt. Damit in Zusammenhang soll der Wunsch des Hungerkünstler nach Autonomie gebracht werden und seine daraus resultierende Isolation. Die genannten Punkte sollen als Raster für eine tiefere Erschließung des Textes dienen.
Die These von der ich ausgehe, ist, dass es in dieser Erzählung eine Bewegung gibt — eine Bewegung des Hungerkünstlers in seiner Kunst zu sich selbst, was mit dein Aufzehren seiner Leibhaftigkeit zu tun hat. Diese Bewegung führt in eine sich steigernde Isolation, begründet durch das Unverständnis der ihn umgebenden Menschen — und mündet letztendlich Tod des Hungerkünstlers, was gleichzeitig vom Standpunkt seiner Kunst die höchste Befriedigung ist.
Im zweiten Teil der Arbeit wird das Thema von Kunst und Körperlichkeit angewandt auf Kafkas eigene Situation. Hier ist die Fragestellung zentral inwiefern eine Parallele besteht zu Kafkas Schreibprozess.
1. Essen und gesellschaftliche Ordnung
Zunächst möchte ich die Erzählung unter dem inhaltlichen Aspekt der Nahrungsaufnahme und des Essens betrachten. Allein durch seine Aktivität des Hungerns fällt dem Hungerkünstler eine besondere Rolle zu innerhalb der sozialen menschlichen Ordnung.
Was für eine Relevanz dem Essen innerhalb der Skala der menschlichen Bedürfnisse zukommt und was für eine Konsequenz allein aus dieser Tatsache für den Hungerkünstler resultiert, soll in Kürze skizziert werden.
Essen und Nahrungsaufnahme sind essentielle Bestandteile und Größen des menschlichen Daseins. Es gibt feste Essenszeiten und sogar Benimmregeln, die demonstrieren, dass Essen im menschlichen sozialen Ritus fest verwurzelt ist. Norbert Elias untersucht in seinem „Über den Prozeß der Zivilisation" die Umgangsformen des Menschen beim Essen. Deutlich wird dabei, wie stark die Nahrungsaufnahme in das soziale Gefüge integriert ist. So heißt es dort:
"Aber die Verhaltensformen beim Essen sind nichts Isolierbares. Sie sind ein Ausschnitt – ein sehr charakteristischer Ausschnitt – aus dem Ganzen der gesellschaftlich gezüchteten Verhaltensformen. Ihr Standart entspricht einer bestimmten Gesellschaftsstruktur." 1
Es wird dadurch klar, dass wenn der Hungerkünstler dasjenige negiert, was für selbstverständlich und normal gehalten wird – nämlich eine regelmäßige Nahrungsaufnahme – ihm allein dadurch eine Position als Sonderling und Außenseiter zukommt. Die soziale und kulturelle Komponente des Essens`jedoch ist eindeutig wie der Eintrag zu Nahrung im „Handbuch Historische Anthropologie (Vom Menschen belegt:
„Die zweite Hauptgruppe ist die soziale Situation, in der die Speise eingenommen wird, also der einsame Genuß des Eigenbrötlers, die Kantinenmahlzeit wie das Festmahl. An ihr lassen sich soziale Zeit und sozialer Raum unterscheiden. Die eine betrifft die Dauer der Mahlzeiten (schneller Imbiß, ausgiebige Tafelei), ihre Einnahme im Tagesverlauf (Frühstück, Mittagessen, Abendessen), innerhalb der Arbeits- oder Freizeit und der Werk- oder Feiertage, „Hunger- und Notzeiten oder bestimmte jahreszeitliche Termine wie Frühling und Herbst oder Weihnachten und Ostern" sowie „lebensgeschichtliche Situationen wie Kindheit, Krankheit, Schwangerschaft, Alter, denen z.B. bei 'Nahrungsmitteln' bzw. 'Speise" Kinder- und Krankenkost entspricht." 2
Was bedeutet es nun, wenn sich der Hungerkünstler dem entzieht? Klar ist demnach, dass allein durch seine berufliche Tätigkeit des Hungerns ein gesellschaftliches Ausschlußprinzip besteht. Das Interessante ist, dass er das Hungern freiwillig wählt, also als autonom Handelnder in so einer Situation ist.
Doch ist der Parallele nicht in ihrer Vollständigkeit zu decken. Das Anliegen des Hungerkünstlers ist es nicht, die Welt zu retten. Er existiert nur durch seine/Kunst der Askese und geht in dieser auf und perfektionisiert diese bis zum Äußersten. Doch ist diese Außenseiter-Existenz nicht nur darauf zurückzuführen, dass er nicht am gesellschaftlichen Essensritual teilnimmt. Sie hat noch eine tiefere Dimension, die ergründbar wird, wenn man die Bedeutung der Nahrungsaufnahme in ihrer Totalität begreift.
Grundsätzlich hat Nahrung und Essen an sich zu tun mit der Grunderfahrung menschlicher Existenz:
„Das Feld der Nahrung umfaßt die Mühen und Techniken ihrer Beschaffung, Konflikte um gesellschaftliche Verteilung, historische Höhen und Tiefen der Kochkunst und der Tischsitten, sich wandelnde Vorstellungen von Bekömmlichkeit und Schädlichkeit einzelner Speisen. Bestimmt wird es von Mangel, Hunger und Appetit, dimensioniert von Maß und Umnäßigkeit."3
L...1 Mit dem Deckmantel des „Banalen" verhüllen wir aber auch, daß sich das hungrige Kleinkind nicht sättigen kann, also auch von einem unpersönlichen anderen: der symbolischen Ordnung, die definiert, was Nahrung sei und die gesellschaftliche Formen ihrer Gewinnung, ihres Erwerbs, ihrer Zubereitung und ihres Verzehrs vorschreibt.
Wir wollen nicht allzu genau wissen, was die Natur unserer Nahrungsansprüche, unserer Bedürfnisses und Begehrens zu Essen bestimmt: die Vergesellschaftung des Hüngers mit Sexual- und destruktiven Trieben, die mit einer symbolischen, kulturellen, Ordnung verwoben sind."
Definiert man demzufolge die soziale Zugehörigkeit einer Gruppe oder eines Individuums über die Teilnahme an der Nahrungsaufnahme und stellt somit das Essen als gegebene gesellschaftliche Norm dar, so nimmt eine Figur wie der Hungerkünstler innerhalb dessen schon an sich den Status einer Nicht-Zugehörigkeit an.
Impliziert man im Essensverhalten eine gewisse Triebhaftigkeit, so könnte man behaupten, dass der Hungerkünstler sich dieser entzieht und diese unter Kontrolle bringt. Damit wird er zu einem in diesem Sinne „reineren" oder „edlerem" Menschen. Zweifellos ähnelt dieser Aspekt einem religiösem Verhalten, doch diesen Gedanken möchte ich im weiteren Verlauf des Textes wieder aufgreifen.
Andere Zusammenhänge werden deutlich, wenn existentielle, mythologische und etymologische Bezüge hergestellt werden:
Im einzelnen wird dies im Aufsatz zum Thema Nahrung von Claus-Dieter Rath deutlich:
„Als Einverleibung eines Objekts der Wertschätzung und als Modus der Befriedigung verschiedener Partialtriebe ist der Verzehr mit einer Reihe von Heilsvorstellungen verknüpft. Zu ihnen zählt sowohl die mystische Idee einer Zufuhr von „Lebenskraft", wie auch die rationalere, ein „Nachfüllen" von Nährstoffen bringe verbrauchte Energien zurück und „regeneriere" den Körper. Das Wort „Nahrung" selbst deutet darauf. f hin: Es stammt von nara (and.) und nar (mhd.) ab. die „Heil, Rettung Nahrung, Unterhalt" bedeuten, und „Nähren" heißt ursprünglich „genesen machen", also „davonkommen machen, retten, am Leben erhalten" (Duden 1989, S. 479). Wer sich ernährt, füttert sich mit Signifikanten des Heils, die kulturellen Ordnungen oder individuellem Wahn entspringen." 4
Somit steht Essen in engem Zusammenhang mit Leben an sich.
Wendet man dies auf den Hungerkünstler an, so wird klar, dass sich dieser durch die Selbstkontrolle der Askese von der eigenen Körperlichkeit entfremdet. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass er essentielle Punkt berührt beim Publikuni und Reaktionen hervorruft, die von Ekel bis Bewunderung reichen.
Dadurch wird die Tragweite, die sein Hungern hat, denkbar und fassbar; doch ist noch nicht in seiner selbst gewählten Ausgrenzung aus der sozialen Ordnung eine klare Kontur erkennbar.
2.0. Individualität und soziale Ordnung in der Erzählung Der Hungerkünstler
Der Text „der Hungerkünstler" stellt den Fall eines Individuums dar, das am Rande einer sozialen Ordnung lebt bis es schließlich daraus herausfällt.
Meine Behauptung ist, dass es eine Beziehung gibt zwischen dem Hungerkünstler als zentralem Objekt dieser Erzählung und der Außenwelt, die sich wie ein weitendes oder sich zusammenziehendes Netz fungiert, das durch eine Grundspannung zusammengehalten wird.
Zunächst ist es relevant, konkret die Grund- und Ausgangsposition aufzuzeigen, in der sich der Hungerkünstler innerhalb der sozialen Ordnung befindet. Anschließend wird der Spannungsverlauf aufgezeigt und anhand der Charakteristika im Text deutlich gemacht –das umfasst die soziale Randposition des Hungerkünstlers, das Nichtverstandensein durch die Anderen und die voranschreitende Entfremdung, welche im Tod des Hungerkünstlers mündet.
2.1. Kunst oder exponiertes Objekt
Bereits am Anfang der Erzählung „Hungerkünstler" wird eine soziale Ordnung deutlich, in der sich der Hungerkünstler bewegt. Sogleich wird seine Randposition charakterisiert. Die ersten Sätze lauten wie folgt:
„in den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an Hungerkünstlern sehr zurückgegangen. Während es sich früher gut lohnte, große Vorführungen in eigener Regie zu veranstalten, ist dies heute völlig unmöglich. Es waren andere Zeiten. Damals beschäftige sich die ganze Stadt mit dem Hungerkünstler, von Hungertag zu Hungertag stieg die Teilnahme, jeder wollte den Hungerkünstler zumindest einmal täglich sehen; an den späteren Tagen gab es Abonnenten, welche tagelang vor dem kleinen Gitterkäfig saßen; auch in der Nacht fanden Besichtigungen statt, zur Erhöhung der Wirkung bei Fackelschein; an schönen Tagen wurde der Käfig ins Freie getragen, und nun waren es besonders die Kinder, denen der Hungerkünstler gezeigt wurde; während es für die Erwachsenen oft nur ein Spaß war, an dem sie der Mode halber teilnahmen, sahen die Kinder staunend , mit offenem Mund, der Sicherheit halber einander bei der Hand haltend dem Hungerkünstler zu, wie er bleich, im schwarzen Trikot zu, mit mächtig vortretenden Rippen, sogar einen Sessel verschmähend, auf hingestreutem Stroh saß, einmal höflich nickend, angestrengt lächelnd Fragen beantwortete, auch durch das Gitter den Arm streckte, um seine Magerkeit befühlen zu lassen[...]."5
Dadurch wird deutlich, dass der Hungerkünstler nicht der sogenannten Norm unterliegt. Er ist exponiertes Objekt für eine Menge Zuschauer und dabei abhängig von deren Interessen und Launen.
[...]
I Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Ulm 1978. S. 87.
2 Rath, Claus-Dieter: Nahrung. In: Wulf, Christoph: Vöm Menschen. Handbuch Historische Anthropologie. Weinheim und Basel 1997. S. 249
3 Ebd. S. 243 ff.
- Quote paper
- Dominik Sarota (Author), 2005, Untersuchungen über das Spannungsfeld zwischen innerer Wahrnehmung und Isolation in Bezug zur "Außenwelt" in Franz Kafkas Erzählung "Der Hungerkünstler", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78763
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