„Cognitive anthropology is the study of the relation between human society and human thought“ lautet der erste Satz in Roy D'Andrades (1995) Buch The Development of Cognitive Anthropology; und so offen wie dieser Satz scheint auch das ganze Thema zu sein. Aus diesem Grund und da auf dem Feld der kognitiven Anthropologie immer noch intensiv geforscht wird, kann diese Arbeit keine umfassende Darstellung bieten.
Vielmehr werde ich versuchen, einige der wichtigsten Entwicklungen der kognitiven Anthropologie zu skizzieren und am Beispiel der Arbeiten von Berlin und Kay zu verdeutlichen, welch essentielle Rolle Sprache für die menschliche Kultur spielt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Anthropologie und Kognition
1.2 Die Kognitionswissenschaften
1.3 Ethnologie und Psychologie
1.4 Entstehung der kognitiven Anthropologie
1.5 Kognitive Wende in der Ethnologie und die Ethnoscience-Phase
2 Basic Color Terms
2.1 Experimentelles Vorgehen
2.2 Was sind basic color terms ?
2.3 Psychologische „Realität“ der basic color terms
2.4 Anzahl der basic color terms
2.5 Verteilung der Fokusse
2.6 Erweiterter Gebrauch
2.7 Evolutionistische Interpretation
2.8 Kritik
2.9 Reaktionen von Berlin und Kay
3 Weitere Entwicklung der kognitiven Anthropologie
4 Literatur
1 Einführung
„Cognitive anthropology is the study of the relation between human society and human thought “ lautet der erste Satz in Roy D'Andrades (1995) Buch The Development of Cognitive Anthropology; und so offen wie dieser Satz scheint auch das ganze Thema zu sein. Aus diesem Grund und da auf dem Feld der kognitiven Anthropologie immer noch intensiv geforscht wird, kann diese Arbeit keine umfassende Darstellung bieten.
Vielmehr werde ich versuchen, einige der wichtigsten Entwicklungen der kognitiven Anthropologie zu skizzieren und am Beispiel der Arbeiten von Berlin und Kay zu verdeutlichen, welch essentielle Rolle Sprache für die menschliche Kultur spielt.
1.1 Anthropologie und Kognition
Der zentrale Forschungsgegenstand der Anthropologie ist die menschliche Kultur. Diese erscheint uns in zweierlei Ausprägungen: als materielle Kultur in Form von kulturellen Phänomenen und als mentale Repräsentationen in Form von kulturellen Inhalten.
Während man unter kulturellen Phänomenen alle beobachtbare (und daher ethnographisch leicht zu dokumentierende) Kultur versteht, also neben allen gegenständlichen Phänomenen auch so „nicht-materielle Dinge“ wie Riten oder Sozial- und Familienstrukturen, sind kulturelle Inhalte nicht direkt beobachtbar. Sie müssen vielmehr auf indirektem Wege über kulturelle Phänomene erschlossen und interpretiert werden. Um aber in der Lage zu sein, die mentalen Repräsentationen der kulturellen Phänomene von Menschen einer anderen Kultur zu verstehen, muss man mentale Repräsentationen von Menschen überhaupt verstehen. Oder: Um herauszufinden, „was in den Köpfen von Menschen aus anderen Kulturen vor sich geht“, muss man „sich ein fundiertes Verständnis davon [...] verschaffen, was in den Köpfen von Menschen überhaupt vor sich geht.“ (Wassmann 2003:323)
1.2 Die Kognitionswissenschaften
Letzteres ist ein sehr altes Thema, dem sich klassischerweise die Philosophie gewidmet hat, bis sie hierin von der Psychologie teilweise abgelöst wurde. Aber neben der Psychologie fingen schon sehr bald neue Disziplinen wie Linguistik, Neurologie und Informatik (hier v.a. Künstliche Intelligenz) an, sich ebenfalls für den menschlichen Kopf und die Vorgänge darin zu interessieren. All diese Einzeldisziplinen verbindet der Anspruch Wissen „in seiner Bedeutung für den Menschen im Alltag“ zu klären und sie bilden die Basis für eine neue Disziplin, die Kognitionswissenschaften; wobei man unter Kognition „die mentale Repräsentation von Wissen, dessen Erwerb und dessen Gebrauch“ (Wassmann 2003) versteht und „innerhalb der Kognitionswissenschaften [..] menschliche Wirklichkeitserfahrung und menschliches Denken als Informationsverarbeitungsprozesse verstanden“ (Wassmann 2003) werden. Obwohl einige Ethnologen diesem Satz vielleicht nicht uneingeschränkt zustimmen möchten, zeigt er doch auf, dass auch die Ethnologie etwas zu den Kognitionswissenschaften beitragen kann, da sie sich – wie diese – mit menschlicher Wirklichkeitserfahrung beschäftigt oder wie es Maurice Bloch formuliert: „anthropologists' concerns place them right in the middle of the cognitive sciences, whether they like or not, since it is cognitive scientists who have something to say about learning, memory and retrieval“ (Bloch 1991:184)
1.3 Ethnologie und Psychologie
Da jedoch die an den Kognitionswissenschaften beteiligten Einzeldisziplinen sehr verschiedene Vorstellungen von den Begriffen Wissen und Kognition haben und eine genauere Analyse dieser Begriffe sowie eine methodologische Klärung dessen, was die Kognitionswissenschaften leisten können, aussteht, möchte ich diese Frage so offen stehen lassen, wie sie nun einmal ist und stattdessen versuchen die Ethnologie lediglich gegenüber derjenigen Disziplin abzugrenzen, die ihr innerhalb der Kognitionswissenschaften sicherlich am nächsten steht: der Psychologie.
Die Ethnologie versucht kognitive Phänomene und kulturelle Regeln zu erfassen, „die für eine Gesellschaft allgemein gültig sind oder die unter ausdrücklichem Bezug hierauf lokale bzw. sektorielle und individuelle Varianten davon darstellen“ (Renner 1980:103). Demgegenüber untersucht die Psychologie kognitive Phänomene in erster Linie als psychische Vorgänge im Individuum und betrachtet gesellschaftsspezifische und kulturbedingte Aspekte als sekundär.
Oder wie es D'Andrade prägnanter formuliert: „While [...] anthropologists have investigated how people classify, psychologists have focused more on how to classify people“ (1965:215)
Aber was hat nun dazu geführt, dass Psychologie und Ethnologie einander „näher kamen“?
1.4 Entstehung der Kognitiven Anthropologie
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Ethnologie vor allem Ethnographie (D'Andrade 1995:8), während die Psychologie fest in der Hand der Behavioristen war. Mit diesem Modell, das menschliches Verhalten auf responses und stimuli zu reduzieren suchte, konnten sich in der Ethnologie jedoch nur wenige identifizieren, während gleichzeitig die bisher vorherrschende Ethnographie, d.h. das Beschreiben und Dokumentieren der kulturellen Phänomene fremder Völker, zusehends an Reiz verlor.
Aus diesem Zustand der „Erschöpfung“ (exhaustion, D'Andrade 1995) heraus kam es in der Ethnologie fast zur gleichen Zeit wie in der Psychologie und einigen weiteren Humanwissenschaften zu einem radikalen Paradigmenwechsel, der als Kognitive Wende bekannt wurde:
Auf einer Tagung am MIT im Jahr 1956 trug G. Miller seinen berühmten Aufsatz The magical Number Seven vor, für den die Kognitive Anthropologie, insbesondere in der Anfangsphase, viele Belege finden sollte und ein Jahr später erschien Noam Chomskys Buch Syntactic Structures, in welchem er den Behaviorismus eindrucksvoll ad absurdum führt, indem er ausführt, dass es aus einfachen kombinatorischen Gründen unmöglich sei, Sprache durch stimuli und responses erklären zu wollen.
1.5 Kognitive Wende in der Ethnologie und die Ethnoscience-Phase
Auf dem Gebiet der Ethnologie wurde die Kognitive Wende durch Ward Goodenough und Floyd Lounsbury eingeläutet, die in ihren Artikeln Componential Analysis and the Study of Meaning und A Semantic Analysis of the Pawnee Kinship Usage darstellen, wie man durch linguistische Merkmalsanalyse von Verwandtschaftsbezeichnungen die mentalen Repräsentationen von Verwandtschaftsverhältnissen offenlegen kann. Mit diesen beiden Arbeiten begründeten sie die Cognitive Anthropology, die man auch als Ethnoscience-Phase der kognitiven Ethnologie bezeichnet. Diese neue Forschungsrichtung stellte an sich den Anspruch, fremde Kulturen in deren eigenen Begriffswelten (d.h. emisch) zu beschreiben und versuchte hinter andersartigen kulturellen Phänomenen andersartige kognitive Welten zu entdecken.
Nach Wassmann ging man hierbei implizit von drei Prämissen aus:
1. Kultur ist shared knowledge, gemeinsames Wissen, und somit ein mentales Phänomen
2. Wissen hat die Form einer kulturellen Grammatik, die sich induktiv auffinden lässt
3. Sprache ist der beste Zugang zu mentalen Phänomenen
Diese Gleichsetzung von Wissen und Kultur war sehr erfolgreich und „man erlag gewissermaßen dem großen theoretischen Reiz, komplexe und vordergründig heterogene kulturelle Phänomene auf ein paar wenige interne Regeln zu reduzieren“ (Wassmann), so dass unzählige Publikationen folgten über die Taxonomie von dicht strukturierten Einzelbereichen wie „Ethnozoologie“, „Ethnobotanik“, „Krankheiten“, „Verwandtschaft“ oder „Farben“.
Letzterer soll im folgenden etwas genauer dargestellt werden.
2 Basic Color Terms
Ende der 60er Jahre starteten Brent Berlin und Paul Kay eine erste systematische Untersuchung von Farbbezeichnungen in verschiedenen Sprachen. Sie versuchten hierbei herauszufinden, in wieweit die Sapir-Whorf-Hypothese auf den Bereich der Farben zutrifft. Diese bis heute in der Linguistik immer noch weit verbreitete Hypothese vertritt einen radikalen sprachlichen Relativismus und besagt, dass die Zuordnung von Welterfahrung zu Wörtern und Begriffen in jeder Sprache beliebig sei und somit jede Suche nach semantischen Universalien von vornherein aussichtslos sein müsse. Berlin und Kay hatten bereits im Vorfeld ihrer Untersuchungen Zweifel daran, dass diese Hypothese auf Farbbezeichnungen so radikal zutreffen könne und in ihrem 1969 erschienenen Buch Basic Color Terms: Their Universality and Evolution, welches die Ergebnisse ihrer Forschungen präsentiert, sehen sie diese Vermutung bestätigt.
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- Citation du texte
- Peter Baumann (Auteur), 2006, Kognitive Anthropologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78652
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