Nach Radioiodtherapie (RIT) stellt der Patient für seine Umwelt (Angehörige, Personal auf Therapiestation und Unbeteiligte) eine Strahlenquelle dar.
Die chemische Form des exhalierten Radioiods nach erfolgter RIT ist dabei ein wichtiger Faktor zur Beurteilung der zu erwartenden effektiven Dosis infolge von Inhalation. Die Bioverfügbarkeit wird in der Reihenfolge elementares Iod > aerosolische Iodformen > organisch gebundenes Iod jeweils um den Faktor 10 verringert. Somit ist aus Sicht des Strahlenschutzes eine Radioiodexhalation in möglichst vollständig organisch gebundener Form wünschenswert.
In der vorliegenden Arbeit wurde Ausmaß und chemische Form der Radioiodexhalation in Tierexperimenten exogen moduliert und untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Schilddrüsenmedikamente einen Einfluss auf die Radioiodexhalation nach [131I]-Applikation haben. Bei unbeeinflusster Schilddrüse wird das [131I] zum Großteil in organisch gebundener Form abgeatmet. Bei der Kaliumiodid (KI) und Perchloratgruppe konnte gezeigt werden, dass der organisch gebundene Iodanteil mit steigender Blockierung der Schilddrüse abnimmt. Der elementare Iodanteil vergrößert sich gegenläufig. Es konnte ferner gezeigt werden, dass das Ausmaß dieser Veränderung der prozentualen Verteilung der unterschiedlichen Radioiodformen im Exhalat von der Menge des präapplizierten Medikaments abhängig ist. Die KI und Perchlorat Gruppen lassen vermuten, dass mit steigender Blockade die Menge des exhalierten Iods ansteigt. Die Bestimmung des absoluten Anteils des durch Exhalation eliminierten Iods lieferte Werte zwischen 0,21 und 0,54 %. Diese Werte sind größenordnungsmäßig gut mit den bisher beim Menschen bestimmten Werten vergleichbar.
Thyreostatika können folglich bei der Radioiodtherapie zu einer Erhöhung des exhalierten Iods führen und auch den Anteil des gut bioverfügbaren Radioiods steigern. Somit ist die Durchführung der RIT bei bestehender Schilddrüsenblockade für das Personal auf Therapiestation, die Angehörigen und unbeteiligte Dritte nachteilig. Diese Personengruppen werden bei fortgeführter thyreostatischer Medikation des RIT Patienten einer vermehrten Strahlenbelastung durch Inkorporation von Radioiod ausgesetzt.
Inhaltsverzeichnis
Erklärung
Danksagungen
Meiner Familie
1. Einleitung / Ziel der Arbeit
2. Theoretische Grundlagen
2.1. Grundlagen des Schilddrüsenstoffwechsels
2.1.1. Schilddrüsenhormone
2.1.2. Der Natriumiodid Symporter (NIS)
2.1.3. Wirkweise der Präapplikationen
2.2. Grundlagen der Radioiodtherapie
2.2.1. Eigenschaften von Biokinetik von [131I]-Iodid
2.2.2. Prinzip und Durchführung der Radioiodtherapie
2.2.3. Dosisbestimmung bei der RIT
2.2.4. Strahlenschutzbestimmungen in Deutschland und im Ausland
2.3. Vorarbeiten und aktueller Wissensstand
2.3.1. Exhalation von Radioiod
2.3.2. Analyse radioiodhaltiger Luft
2.3.3. Strahlenexposition Dritter durch RIT Patienten
3. Material und Methoden
3.1. Substanzen, Materialien und Geräte
3.1.1. Verwendete Versuchstiere
3.1.2. Eingesetzte Substanzen
3.1.3. Eingesetzte Materialien
3.1.4. Eingesetzte Geräte
3.2. Methoden
3.2.1. Versuchsgruppen
3.2.2. Versuchsaufbau und -durchführung
3.2.3. Herstellung eigener Radioiodfilter
3.2.4. Statistische Prüfung
4. Ergebnisse
4.1. Ergebnisse der Filtertestung
4.2. Quantitative Unterschiede der Exhalationsaktivität in Abhängigkeit von der Präapplikation
4.2.1. Akkumulierte Aktivität nach Kaliumiodid Präapplikation
4.2.2. Akkumulierte Aktivität nach Perchlorat Präapplikation
4.2.3. Akkumulierte Aktivität nach Thyroxin und Carbimazol Präapplikation
4.3. Qualitative Unterschiede der Radioiodexhalation
4.3.1. Chemische Form des Radioiods nach Kaliumiodid Präapplikation
4.3.2. Chemische Form des Radioiods nach Perchlorat Präapplikation
4.3.3. Chemische Form des Radioiods nach Thyroxin Präapplikation
4.3.4. Chemische Form des Radioiods nach Carbimazol Präapplikation
5. Diskussion
5.1. Quantitative Auswirkungen der Präapplikationen auf die Radioiodexhalation
5.1.1. Wirkung der Kaliumiodid und Perchlorat Präapplikation
5.1.2. Wirkung der Thyroxin und Carbimazol Präapplikation
5.1.3. Ausmaß der Radioiodexhalation
5.2. Qualitative Auswirkungen der Präapplikationen auf die Radioiodexhalation
5.2.1. Wirkung der Kaliumiodid Präapplikation
5.2.2. Wirkung der Perchlorat Präapplikation
5.2.3. Wirkung der Thyroxin und Carbimazol Präapplikation
5.3. Ausblick: Bedeutung der Messergebnisse
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
8.Vorabveröffentlichungen
9. Anhang
9.1. Ergebnistabellen
9.1.1. Chemische Radioiodformen nach Kaliumiodid Präapplikation
9.1.2. Chemische Radioiodformen nach Perchlorat Präapplikation
9.1.3. Chemische Radioiodformen nach Thyroxin Präapplikation
9.1.4. Chemische Radioiodformen nach Carbimazol Präapplikation
9.1.5. Exhalationsaktivität in Abhängigkeit von der Präapplikation
Erklärung
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.
Bei der Auswahl und der Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des Manuskriptes habe ich Unterstützungsleistungen von Herrn Professor Dr. rer. nat. K. Schomäcker, Herrn Dr. rer. medic. T. Fischer und Herrn Dr. agr. W.J. Giffers erhalten.
Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden Arbeit nicht beteiligt. Insbesondere habe ich nicht die Hilfe eines Promotionsberaters in Anspruch genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für die Arbeit erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorliegenden Dissertation stehen.
Die Arbeit wurde von mir bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und ist auch noch nicht veröffentlicht worden.
Köln, den 26. März 2006
Sebastian Alfred Weber
Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Experimente und deren Auswertung sind nach entsprechender Anleitung durch Herrn Professor Dr. rer. nat. K. Schomäcker und Herrn
Dr. rer. medic. T. Fischer von mir selbst in der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universität zu Köln ausgeführt worden.
Eine Ausnahmegenehmigung, die mich persönlich zur Durchführung der Tierversuche berechtigt, wurde von Frau Dr. Behlert, Veterinäramtes der Stadt Köln, am 1. April 2003 ausgestellt.
Die Tierversuche wurden von der Bezirksregierung Köln unter dem Aktenzeichen
50.2003.2-K19, 42/00 genehmigt und befristet.
Danksagungen
Ich danke Herrn Universitätsprofessor Dr. med. H. Schicha für die Möglichkeit meine Dissertation an der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universität zu Köln durchführen zu dürfen.
Herrn Professor Dr. rer. nat. K. Schomäcker danke ich besonders für die freundliche Überlassung des Themas und die wissenschaftliche Betreuung. Seine Ratschläge und Hilfestellungen haben wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen.
Herrn Dr. rer. medic. T. Fischer danke ich für die Unterstützung und Anleitung zu den Versuchen und der unermüdlichen Hilfe bei der Durchführung und Ausarbeitung meiner Arbeit.
Frau MTBA B. Zimmermanns und meinen Mitdoktoranten Christina und Sarah danke ich für die vielen uneigennützigen Hilfestellungen und die gute Zusammenarbeit.
Ferner bin ich den ärztlichen Mitarbeitern der Nuklearmedizinischen Klinik der Universität zu Köln, insbesondere Herrn Dr. med. C. Kobe, zu Dank verpflichtet. Viele kritische Anmerkungen, Anregungen und praktische Tipps, sowie zahlreiche aufmunternde Worte, halfen mir stets.
Ich danke Herrn Dr. agr. W.J. Giffers für die freundliche und umfassende Einführung in die Statistik und der Anleitung zur Erstellung selbiger.
Nicht zuletzt und allen voran bin ich meinen Eltern zutiefst dankbar für das Ermöglichen meines Studiums und mannigfaltige Unterstützung in allen Bereichen.
Meiner Familie
1. Einleitung / Ziel der Arbeit
Die Radioiodtherapie (RIT) ist eine anerkannte und nebenwirkungsarme Behandlungsmöglichkeit von Schilddrüsenerkrankungen. Bei bestimmten Indikationen weist sie gegenüber der operativen und medikamentösen Behandlung klare Vorteile auf. Insbesondere bei Schilddrüsenautonomie oder M. Basedow wird sie als die komfortabelste und ökonomischste Therapie beschrieben [68]. Einige Autoren empfehlen deshalb die RIT häufiger als bisher als Primärtherapie anzuwenden [1, 66]. Aus Sicht des Strahlenschutzes stellt der Patient nach RIT für unbeteiligte Dritte eine Strahlenquelle dar. Angehörige, das Personal auf der Therapiestation und Unbeteiligte werden einer Strahlung exponiert, die vom Patienten nach Therapie ausgeht. Dabei kommt es unter Umständen zu externer Strahlung, Kontakt mit Patientenmaterial und Inhalation von Radioiodformen, die von RIT Patienten ausgeatmet (exhaliert) werden.
Die chemische Form des exhalierten Radioiods ist nach Radioiodtherapie (RIT) ein wichtiger Faktor zur Beurteilung der zu erwartenden effektiven Dosis infolge von Inhalation. Stabil organisch gebundenes Iod ist nicht oder nur in geringem Maße bioverfügbar. Elementares Iod kann nach Inhalation in die Schilddrüse gelangen und dort gespeichert werden. Radioiod, das an Aerosole gebunden ist, akkumuliert in der Lunge und kann durch Resorption in die Schilddrüse gelangen [32, 47, 49, 77]. Die Bioverfügbarkeit der verschiedenen Iodformen ist in der Rangfolge elementares Iod > aerosolische Iodformen > organisch gebundenes Iod jeweils um den Faktor 10 geringer. Wenn eine Exhalation von Radioiod nicht vermieden werden kann, so sollte sie aus Sicht des Strahlenschutzes in möglichst vollständig organisch gebundener Form erfolgen [24, 32, 47]. Bisher wird die Entlassung von RIT Patienten nur durch folgende Kriterien der Strahlenschutzkommission (SSK) geregelt [5, 90, 91]:
- Entlassungsaktivität des Patienten unterhalb einer definierten Aktivitätsschwelle
- Einhaltung festgelegter Ortsdosisleistungen in definierter Entfernung des Patienten
- Mindestdauer des stationären Aufenthalts von 48 Stunden
Die Raumluftkontamination durch RIT Patienten durch Exhalation wird bisher unzureichend berücksichtigt.
In Vorarbeiten wurden prinzipiell drei unterschiedliche chemische Formen von Radioiod in der Exhalationsluft identifiziert: Organisch gebundenes Iod, elementares Iod und aerosolische Iodformen [32, 47, 49, 77]. SCHOMÄCKER et al. zeigten, dass Radioiod in der Raumluft auf Stationszimmern mit RIT Patienten meist in organisch gebundener Form vorkommt. Als überraschendes Ergebnis zeigte sich bei Untersuchungen in der Atemluft von Patienten, dass auch dort die organisch gebundene Form des [131I]-Iodids dominiert. STROHE et al. untersuchten erstmalig die medikamentöse Beeinflussung der Radioiodexhalation im Tiermodell. In diesem Versuchsdesign wurde die Radioiodexhalation nach Blockade der Schilddrüse und Verabreichung von 10 MBq [131I]-Iodid gemessen. Dabei zeigte sich ebenfalls, dass Radioiod bei unbeeinflusster Schilddrüse überwiegend in organisch gebundener Form abgeatmet wird. Bei medikamentöser Schilddrüsenblockade veränderte sich die Radioiodexhalation. Der Anteil des organisch gebundenen Iods nahm zu Gunsten des elementaren Iods ab. Diese Ergebnisse legten die Schlussfolgerung nahe, dass Radioiod die Schilddrüse passiert haben muss, um in organisch gebundener Form exhaliert werden zu können.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die bisherigen Ergebnisse nach Applikation von Radioiod unter realistischen Bedingungen zu prüfen. Der Unterschied zur Arbeit von STROHE besteht in der Menge der applizierten Aktivität von 0,1 MBq [131I]-Iodid. Beim Menschen entspricht dies körpergewichtsbezogen einer verabreichten Therapieaktivität von etwa 350 MBq [131I]-Iodid. Diese Therapieaktivität liegt innerhalb des klinisch üblichen Therapiefensters. Dadurch sollte eine bessere Vergleichbarkeit mit der klinischen Realität erzielt werden.
Zur Beurteilung der Radioiodexhalation werden in der vorliegenden Arbeit Ausmaß und chemische Form der Exhalation von Radioiod im Tierexperimenten exogen moduliert. Dies geschieht in einer vergleichenden tierexperimentellen Untersuchung. Die Schilddrüse wird dabei vor Radioiodapplikation blockiert. Diese Schilddrüsenblockade wird durch Kaliumiodid (0,01mg, 0,1mg und 1mg KI) und Perchlorat (0,5mg, 1mg und 5mg Perchlorat), sowie Präapplikation von Thyroxin (0,3µg Thyroxin) und Carbimazol (0,2mg Carbimazol) vermittelt. Eine modifizierte Versuchsanordnung von STROHE et al. [92] wird dabei genutzt.
Hierbei mussten einige praktische Probleme gelöst werden: Die zur Iodrückhaltung nötigen Cadmiumiodidfilter waren nicht mehr lieferbar, so dass eigene Filter hergestellt und getestet werden mussten. Die geringe applizierte Aktivität von 0,1 MBq [131I]-Iodid verursachte Problem bei der Messbarkeit. Es war schwer, statistisch signifikante Unterschiede zu detektieren.
2. Theoretische Grundlagen
2.1. Grundlagen des Schilddrüsenstoffwechsels
Die Schilddrüse liegt unmittelbar vor und beidseits der Trachea. Sie ist bei stoffwechselgesunden Frauen kleiner als 18 g und bei stoffwechselgesunden Männern unter 25 g. Ihre durchschnittliche Größe bei verbesserter Iodversorgung und gesunden jungen Patienten wird mit ca. 10 g angegeben [27, 40, 48]. Ihre Aufgabe ist die Produktion von L-3,5,3’,5’-Tetraiodtyronin (Thyroxin = T4) und L-3,5,3’-Triiodthyronin (= T3) [37]. Dazu wird vom Körper aufgenommenes Iodid (I-) in der Schilddrüse durch membrangebundene Thyreoperoxidase zu Iod (I2) oxidiert. Anschließend werden Tyrosylreste des Thyreoglobulins damit iodiert und entstandenes iodiertes Thyreoglobulin durch Exozytose in das Follikellumen gebracht. Durch Koppelungsreaktionen werden abschließend Triiodthyronin und Thyroxin synthetisiert. Der im Follikellumen der Schilddrüse gespeicherte Hormonvorrat würde bei inaktivierter Neusynthese ca. 2 Monate zur Bedarfsbedeckung des Körpers ausreichen [33]. Diese relativ lange und vor allem selektive Lagerung von Iod im menschlichen Körper macht man sich bei der Radioiodtherapie zunutze.
2.1.1. Schilddrüsenhormone
2.1.1.1. Synthese der Schilddrüsenhormone
Iod ist essentieller Bestandteil der SD-Hormone, so dass die Iodzufuhr mit der Nahrung einen großen Einfluss auf die Synthese dieser Hormone hat. Die Iodkonzentration im Blut eines Stoffwechselgesunden beträgt bei normaler Iodzufuhr 10 bis 15 µg/l und die Gesamtmenge im Extrazellulärraum beträgt ca. 250 µg [37]. Dieses im Blutkreislauf befindliche Iodid (I-) wird entgegen eines Konzentrationsgefälles in den Thyreozyten aufgenommen. Vermittelt wird dies über einen aktiven Transport mittels des Na+/I- -Symporters (NIS) über die basale Zellmembran (vgl. 2.2.2.). Dieser Schritt wird Iodination genannt. Er ermöglicht es, Iodid in der Schilddrüse auf das 20-bis 40fache des Serumspiegels zu konzentrieren. [83]. Im apikalen Zellbereich wird das Iodid dann im Rahmen der Iodisation durch eine membrangebundene Thyreoperoxidase zu Iod (I2) oxidiert [62]. Dieses elementare Iod wird organisch gebunden, d.h. Tyrosylreste des Thyreoglobulins werden damit iodiert. Dadurch entstehen Mono- und Diiodthyrosin. Diese werden in einem letzten Schritt einer oxidativen Kondensation unterzogen. Dadurch werden neben einer Vielfalt von Iodthyroninen auch die wirksamen SD-Hormone Tetra- und Triiodthyronin (T4 und T3) geliefert. Die iodierten Thyreoglobuline werden durch Exozytose in das Follikellumen gebracht. Bei Bedarf werden die iodierten Thyreoglobuline per Endozytose wieder in den Thyreozyten aufgenommen und durch lysosomale Proteolyse werden die beiden Hormone T3 und T4 abgespalten. [21, 33, 37, 53, 57, 62, 69].
Die Schilddrüse sezerniert täglich eine Hormonmenge von etwa 110 µg, davon ca. 90% Thyroxin, ca. 10% Triiodthyronin und unter 1% reverses-Triiodthyronin. Extrathyreoidal werden ferner zusätzlich täglich durch Deiodierung des Thyroxins mittels der Einwirkung der Typ I 5’-Deiodase weitere 35 µg Triiodthyronin gewonnen. Des weiteren wird durch extrathyreoidale Deiodierung auch etwa in gleicher Größenordung das reverse-T3 gebildet, das inaktiv und strukturisomer zu T3 ist (rT3 = 3.3’,5’-T3-) [37].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Physiologie des Schilddrüsenstoffwechsels [62]
2.1.1.2. Bindung und Effekt an der Zielzelle
Die SD-Hormone gelangen durch passive Diffusion und aktive energieabhängige Carrier in die Zielzelle und durch das Zytosol zum Zellkern der Zelle. Dort bindet sie an sogenannte Zinkfinger. Der so genannte Zinkfinger ist eine DNA-Bindungsdomäne, die von Cysteinylresten gebildet wird, die ein namensgebendes Zinkion chelieren. Es gibt zwei verschiedene Rezeptoren. Diese Rezeptoren (a und b) mit unterschiedlichen Subtypen (1 und 2) sind nach einem charakteristischen Verteilungsmuster im Körper angeordnet. Sie gehören allesamt zu der Gruppe der hormonempfindlichen Transskriptionsfaktoren, die durch SD-Hormone getriggert zu einer Zu- oder Abnahme der Expression verschiedener Gene führen [37, 53]. Diese Wirkung wird meist durch T3 vermittelt, da es eine 10fach höhere Affinität zu diesen regulierenden Rezeptoren hat als T4 [37]. Zusätzlich führt T3 aber auch zu Veränderungen von Transportvorgängen an der Zellmembran und moduliert so die Aufnahme von Kohlenhydraten und Aminosäuren in der Zielzelle.
Schilddrüsenhormone haben zahlreiche Effekte auf den Organismus. Sie wirken u.a. positiv verstärkend auf:
den Umsatz von vielen Substraten, Vitaminen, Hormonen,
den Cholesterinspiegel, auf den sie bei steigenden SD-Hormonspiegel eine suppressive Wirkung ausüben,
die Aktivität der Na+/K+-ATPase. Damit steigt in der Folge auch der Sauerstoffverbrauch des Gewebes,
das Wachstum: Es wird indirekt durch die Stimulierung der Biosynthese von Wachstumshormonen in der Hypophyse oder aber auch direkt durch Einwirkung von Polypeptidwachstumsfaktoren (z.B. IGF und EGF) am Knochen gefördert,
- das zentrale Nervensystem, dessen Reifung auf eine Stimulation durch SD-Hormone angewiesen ist,
- die neuromuskuläre Übertragung. Am Herzmuskel wird ein positiv chronotroper Effekt und eine gesteigerte Kontraktilität erzielt, wobei der periphere Gefäßwiderstand sinkt. Dies führt in seiner Gesamtheit zu einem erhöhten Schlagvolumen, einer gesteigerten Schlagfrequenz und einer Zunahme der Blutdruckamplitude. Es kommt aber auch zur Steigerung des Sauerstoffverbrauchs und einer gesteigerten Aktivität des Erregungsleitungssystems. Bei pathologischen SD-Hormonspiegeln kann dies zusammen zu kardialen Komplikationen führen [21, 23, 37, 53, 57, 62].
2.1.1.3. Regulation der Schilddrüsenfunktion
Die Regelkreise, welche die Synthese und Sekretion der SD-Hormone steuern, sind auf drei Ebenen angeordnet. Die höchste Steuerungsinstanz ist der Hypothalamus. Er stimuliert den Hypophysenvorderlappen (HVL) durch Sekretion des Thyreotropin Releasing Hormons (TRH). Dadurch wird vom HVL in den basophilen thyreotropen Zellen das Threoidea stimulierende Hormon (TSH) sezerniert, welches als Dreh- und Angelpunkt der Hormonregulation bezeichnet wird. Auf dieser zweiten Ebene findet auch eine homöostatische Kontrolle der TSH-Sekretion durch eine negative Rückkoppelung mit den SD-Hormonen statt. Hohe SD-Hormonspiegel wirken supprimierend und niedrige stimulierend auf die TSH Sekretion des HVL. Der Schwellenwert dieser Feedback-Hemmung wird dabei durch die TRH Sekretion festgelegt. Die TSH Sekretion übt auch einen regulierenden Einfluss auf die unterste Ebene, die Schilddrüse, aus. TSH vermittelt seine Wirkung über spezifische G-Protein-gekoppelte membranständige Rezeptoren am Thyreozyten. Darüber wird die Adenylat-Zyklase und möglicherweise auch andere Mechanismen im Zytosol aktiviert. Dies führt im Thyreozyten zu einer Zunahme der Substrataufnahme und deren Synthese, sowie zur Ausschüttung der Schilddrüsenhormone [21, 37, 53, 62].
Diese wichtigen Regelkreise sind vielverzahnt und liefern so im Normalfall beim Stoffwechselgesunden einen optimalen SD-Hormonspiegel.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Regelkreise zur Regulation der Schilddrüsenhormonsynthese
2.1.2. Der Natriumiodid Symporter (NIS)
Der Natriumiodid Symporter (NIS) spielt eine Schüsselrolle in der Iodaufnahme und Schilddrüsenhormonsynthese des Thyreozyten. Der Transport ins Zellinnere wird durch einen gerichteten Na+-Gradienten als treibende Kraft angetrieben. Zwei Na+-Ionen werden im Symport mit einem I--Ion aus dem Blut heraus transportiert. Der Na+-Gradient wird durch eine Na+/K+ ATPase aufrechterhalten. Dadurch ist es möglich, die Iodidkonzentration auf das 20- bis 40fache des Serumspiegels zu konzentrieren [83, 85]. Der NIS wird durch TSH und Adenosin stimuliert und durch eine Vielzahl von Substanzen (TGFb1, TNF-a, Ceramid, Sphingomyelinase, Il-1b, Il-6, T3, Dexamethason, Thyreoglobulin, Östradiol) supprimiert. Dies geschieht meist über eine zu- bzw. abnehmende Expression der NIS Gene und Proteine (vgl. Tabelle 1). TSH wird dabei eine besondere Rolle zuteil. Es kann nicht nur das Vorkommen des NIS durch Steigerung der Gen- und Proteinexpression erhöhen. Die Abwesenheit von TSH führt dazu, dass der NIS seine Funktion durch Umverteilung in intrazelluläre Kompartimente einbüßt (Verlust des “Zell Targeting“) [83, 84].
Bei den unterschiedlichen Schilddrüsenerkrankungen ist das Ausmaß der NIS-Expression und der NIS-Lokalisation entscheidend für den Erfolg der RIT. Patienten mit M. Basedow und autonomen Adenomen zeigen häufig eine erhöhte Expression des NIS und können daher viel Iod aufnehmen. Dies ist entscheidend für eine erfolgreiche RIT [70, 83]. Bei malignen Schilddrüsenerkrankungen ist die Iodaufnahmekapazität häufig reduziert. Dies liegt meist an einem geringeren Vorkommen des NIS oder einer anteilsmäßig geringeren Lokalisation in der Zellmembran (defektes “Membran Targeting“) [79, 83, 84]. Studien haben jedoch gezeigt, dass die Iodaufnahme durch Stimulation des NIS gesteigert werden kann. Bei malignen Schilddrüsenerkrankungen konnte in Versuchen eine erstmalige Induktion, bzw. ein gesteigertes Vorkommen der NIS durch rekombinantes humanes TSH, Retinsäure, demethylierenden Substanzen oder Histion-Deacetylase-Hemmer erreicht werden [43, 78, 83, 101]. Dies könnte in Zukunft zu einem größeren Anwendungsbereich der RIT auch bei schlecht speichernden Schilddrüsenmalignomen beitragen.
In vielen extrathyreoidalen Organen kommt der Natriumiodid Symporter ebenfalls vor: Speicheldrüse, Tränendrüse, Magenmukosa, Niere, Plazenta und laktierende Brustdrüse [83]. Studien zum Vorkommen in der Brustdrüse zeigten, dass die NIS-Expression auch dort gezielt stimuliert werden kann. Bisher wurden zusätzlich zur Retinsäure auch bei Hormonen wie Prolaktin, Östrogen und Oxytocin steigernde Effekte gefunden. Bei humanem Mamakarzinomgewebe wurde vermutlich durch die malignen Transformation bedingt eine vermehrte Prävalenz der NIS-Expression gefunden [83]. Die bewährte Schilddrüsendiagnostik und -therapie mit iodhaltigen Isotopen könnte also auch beim Mamakarzinom genutzt werden [63].
Seit der Klonierung des NIS 1996 wird nach Möglichkeiten des Gentransfers des NIS in Tumorzellen gesucht [12]. Dies kann durch Adenovirus- oder Retrovirus-vermittelten Gentransfer erfolgen. Untersuchungen zeigen bereits Erfolge bei einer Vielzahl von Tumoren: Melanomzellen, Leber-, Kolon-, ovarielle Karzinom-, Gliom-, Zervix-, Prostata-, Mama-, und Lungenkarzinomzellen [10, 85, 86]. Es wurde gezeigt, dass nach NIS-Gentransfer eine Iodakkumulation und NIS-Expression auch in extrathyreoidalen Tumorzellen erreicht werden kann. Der Gentransfer unter Steuerung gewebsspezifischer Promotoren offenbart ebenfalls aussichtsreiche Perspektiven. Bei Prostataadenokarzinomzellen ist es gelungen, eine Iodaufnahmeaktivität durch gewebespezifische NIS-Expression zu erzielen, die ausreicht, um einen therapeutischen Effekt mit [131I] zu erreichen. Es konnte eine Volumenreduktion des Tumors von über 90% erreicht werden [87-89]. Diskutiert wird, wie man die guten Erfolge verbessern kann. Es wird erprobt, ob eine Kotransfektion des NIS-Gens und des Schilddrüsenperoxidase-Gens (TPO-Gen) die Effektivität steigert. Man hofft, dass durch eine Iodorganifizierung in der Tumorzelle eine längere Verweildauer des Radioiods erreicht wird. Ebenfalls wird diskutiert, inwieweit die Verwendung anderer Radionuklide erfolgversprechend ist (β-Strahler, z.B. 188Rhenium oder α-Strahler, z.B. 211Astation) [83].
Tab. 1: Substanzen, die den Natriumiodid Symporter (NIS) regulieren können [44, 83, 84]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.3. Wirkweise der Präapplikationen
In der vorliegenden Arbeit wurde durch verschiedene Medikamente in den Schilddrüsenstoffwechsel eingegriffen. Die Grundlagen der modulierenden Wirkung dieser Präapplikationen werden im Folgenden beschrieben.
Kaliumiodid:
Eine stark erhöhte Iodkonzentration im Plasma (>30 µg / 100 ml) führt zu einer starken Hemmung der Iodidaufnahme und -verstoffwechslung in der Schilddrüse [83, 84].
Die Hemmung tritt beim Menschen ab einer chronischen Iodzufuhr von mehr als 1 mg / Tag auf (mehr als 14 µg / kg Körpergewicht). Die Wirkung setzt sich aus zwei Effekten zusammen. Zum einen wird die Iodaufnahme durch eine sich sehr schnell einstellende Hemmung der Iodination (Wolff-Chaikoff-Effekt) gemindert. Zum anderen wird die Hormonsynthese durch Blockade des Einbaus von Iod in organische Verbindungen gehemmt. Diese Hemmung der Organifikation geschieht beim Schritt der Iodisation. Sie setzt mit einer zeitlichen Verzögerung ein. Des weiteren wird auch die Sekretion der Schilddrüsenhormone, die Proteolyse von Thyreoglobulin und die Iodfreisetzung unterdrückt (Plummer-Effekt) [21, 35, 37, 57, 83, 84]. Die Blockade der Organifikation durch Iod beim Wolff-Chaikoff Effekt wird durch reduzierte
NADPH-Oxidase Aktivität und daraus resultierendem, verringertem H2O2-Gehalt (Wasserstoffperoxid) vermittelt. [6, 7, 22].
ENG et al. (1999) [17] versah in einer Untersuchung Mäuse einmalig mit einer hohen Ioddosis (2 mg NaI intraperitoneal) und bestimmte nach 1, 2, 4, 6 und 24 Stunden schilddrüsenrelevante Plasmaspiegel (TSH, T3 und T4) und thyroidale mRNA- und Proteinvorkommen (NIS-mRNA, TPO-mRNA, TSH-Rezeptor-mRNA, Thyreoglobulin (Tg)-mRNA und Cyclophilin-mRNA). Dieses Studiendesign ist wegen der einmaligen Applikation des Iods besonders gut mit dem in dieser Dissertation gewählten Vorgehen vergleichbar. ENG et al. verdeutlichte hiermit die schnelle Wirkweise eines akuten Iodexzesses innerhalb von 6-24 Stunden [17]. Das Escape-Phänomen beschreibt die Adaptation der Schilddrüse an einen länger anhaltenden erhöhten Iodspiegel. Anfangs hemmt der dauerhaft erhöhte Iodspiegel im Serum den Natriumiodid-Symporter. Er wird inaktiv und es wird weniger Iod in die Thyreozyten aufgenommen. Die intrathyreoidale Iodkonzentration sinkt. Ab einem gewissen Spiegel stellt das geringe intrathyreoidale Iodvorkommen einen Reiz zur Wiederaufnahme der Iodorganifizierung dar. Die Organifizierung wird wieder angekurbelt [17, 58, 83, 84, 86].
Perchlorat:
Perchlorat zählt zu den Iodinationshemmstoffen. Das anionische Perchlorat hemmt kompetitiv den Iodtransport in die Thyreozyten und verringert das Substrat der Hormonbildung. Die Freisetzung bereits synthetisierter Schilddrüsenhormone wird durch Perchlorat nicht beeinflusst [8, 18, 21, 31, 35, 37, 44, 58, 62, 83, 84, 98, 110, 112].
Thiouracile und Mercaptoimidazol-Derivate:
Thiouracile und Mercaptoimidazol-Derivate (z.B. Carbimazol) verhindern die Organifizierung des Iods (Iodisationshemmer). Durch die Blockade der Peroxidase wird die Oxidation des Iodids zu elementarem Iod (I2) gehemmt. Damit wird auch der Einbau in das Thyreoglobulin verhindert. Die Aufnahme des Iods in die Thyreozyten wird nicht direkt gehemmt. Die Wirkung dieser Medikamentengruppe setzt erst mit 1-2 Wochen Verzögerung ein, da in der Anfangsphase noch genügend Thyreoglobulin in der Schilddrüse verfügbar ist [8, 11, 22, 35, 58, 62, 80, 84].
L-Thyroxin:
L-Thyroxin wirkt über einen negativen Feedback-Rückkopplungs-Mechanismus auf die TSH-Sekretion (vgl. Abb. 2). Ferner werden die Iodaufnahme und die NIS-Expression gehemmt. Eine Bindung des Schilddrüsenhormons und seiner Abbaustufen an hormonempfindliche Transskriptionsfaktoren triggert zusätzlich die Expression verschiedener Gene. Eine ebenfalls stattfindende Modulation der Transportvorgänge an der Zellmembran führt zu einer veränderten Aufnahme von Kohlenhydraten und Aminosäuren [21, 23, 37, 53, 62, 84, 86, 103].
2.2. Grundlagen der Radioiodtherapie
2.2.1. Eigenschaften von Biokinetik von [131I]-Iodid
Das Radionuklid [131I]-Iodid hat eine HWZ von 8,02 Tagen und ist sowohl ein β- als auch ein γ-Strahler. Die β-Strahlen machen aufgrund ihres hohen linearen Energietransfers (LET) die therapeutische Wirkung aus. Sie vermitteln die Gewebetoxizität über ihre direkt und indirekt ionisierende Wirkung. Die mittlere Reichweite der β-Strahlen im Gewebe beträgt 0,5 - 0,7 mm, die maximale Reichweite 2 mm. Der Strahleneffekt bleibt folglich nach Speicherung in der Schilddrüse fast ausschließlich auf das SD-Parenchym beschränkt. Die γ-Strahlung ermöglicht eine diagnostische Kontrolle der lokal akkumulierten [131I]-Radionuklide. Die Energie der γ-Strahlung beträgt ca. 360 keV und kann durch Gammakameras erfasst werden [30, 34, 37, 62, 75]. Die Radioaktivität des [131I]-Iodids nimmt im Verlaufe der Zeit nach Applikation ab. Dies geschieht durch die physikalische HWZ von 8 Tagen und durch die je nach Individuum variierende biologische HWZ von ca. 50 Tagen. Zusammen führt dies zur effektiven Radioiod HWZ im Patienten von im etwa 5,5 Tagen [76].
2.2.2. Prinzip und Durchführung der Radioiodtherapie
Die Radioiodtherapie (RIT) stellt das klassische Beispiel einer Radionuklidtherapie dar. Der therapeutische Effekt wird mittels Radiopharmakon erzielt. Ein Radiopharmakon ist per Definition ein radioaktives Arzneimittel, dessen Strahlung zur Diagnostik oder Therapie genutzt wird. Hierbei sollte die HWZ des Radionuklids möglichst kurz sein, gleichzeitig aber ausreichend lang, um einen Therapieeffekt zu erreichen. Das in der RIT verwendete Radiopharmakon [131I]-Natriumiodid unterscheidet sich chemisch nicht von dem üblicherweise mit der Nahrung aufgenommenen Iodid und wird durch die natürlich vorkommende selektiv spezifische Anreicherungsmechanismen in die SD transportiert und gespeichert (vgl. 2.1.1.). Dieser Anreicherungsmechanismus führt dazu, dass der radiotoxische Effekt im Wesentlichen auf das Zielgewebe beschränkt bleibt. Die Strahlenexposition des restlichen Körpers ist niedrig. Da die bei der RIT zugeführten Iodmengen sehr gering ist (ca. 10-7 g), sind Komplikationen bei vorbestehender Iodallergie, bzw. eine Beeinflussung des normalen physiologischen Iodstoffwechsels, nicht zu befürchten [34, 74]. Indikationen zur RIT sind hauptsächlich der Morbus Basedow, uni- bzw. multifokale Autonomien, Schilddrüsenkarzinome und Strumen. Absolute Kontraindikationen sind Schwangerschaft, Stillzeit, Kinderwunsch in den nächsten 6 Monaten und ungenügende thyreostatische Vorbehandlung. Relative Kontraindikationen können bei großen Strumen mit mechanischen Komplikationen wie z.B. Trachealeinengung und bei malignomverdächtigen, kalten Knoten gestellt werden [25, 34, 36, 74]. Je nach Indikation und Erkrankung variiert auch die angestrebte Herddosis in der Schilddrüse. Sie schwankt zwischen 150 und 400 Gy für gutartige Schilddrüsenerkrankungen und zwischen 500 bis 1000 Gy für bösartige Schilddrüsenerkrankungen. Die Therapiedosis wird für jeden Patienten individuell berechnet [25, 34, 36, 74].
Die RIT ist sehr wirkungsvoll und in der Lage, eine Überfunktion oder Struma bei mehr als 95 % der Patienten schon nach einer Behandlung zu therapieren. Berücksichtigt werden sollte dabei, dass der endgültige Erfolg einer Therapie erst nach einem halben bis ganzen Jahr bewertet werden kann, da die volle Therapiewirkung erst mit einer Latenz von 3 bis 12 Monaten einsetzt. Nach RIT kann es zu einer Hypothyreose kommen, die leicht durch eine dauerhafte Einnahme von Schilddrüsenhormonen ausgeglichen werden kann [25, 34]. Ferner kann es zur Strahlenthyreoitis, sowie Sialadenitis und Gastritis (selten) kommen [2, 25, 68, 82, 104]. Ein weiteres seltenes Ereignis nach einer Radioiodtherapie ist die immunogene Hyperthyreose mit Augensymptomatik (Morbus Basedow), sowie ein Sicca Syndrom [104]. Bei malignen Schilddrüsenerkrankungen kann es wegen der höheren applizierten Dosis gelegentlich zu Fertilitätsstörungen, bzw. zu einer sich früher einstellenden Menopause kommen [9, 25, 68]. Ein mutagener Effekt, der in der Bevölkerung oft Unbehagen gegenüber nuklearmedizinischen Diagnose- und Therapieverfahren auslöst, wurde bei der RIT gutartiger Schilddrüsenerkrankungen nicht nachgewiesen. Bei malignen Schilddrüsenerkrankungen ist ein erhöhtes Malignomrisiko möglich. Dieses Risiko spielt aber nur bei Patienten eine Rolle, die mit außergewöhnlich hohen Gesamtdosen (mehr als 37 GBq) therapiert werden [25, 34, 68]. Die sehr geringe Gefahr einer Knochenmarkdepression oder Lungenfibrose ist ebenfalls nur bei Patienten mit maligner Grunderkrankung gegeben.
2.2.3. Dosisbestimmung bei der RIT
Der Radioiodtest ist obligatorisch jeder RIT vorangeschaltet. Er dient neben der Dosisberechnung auch zur Überprüfung der Frage, ob eine Radioiodtherapie überhaupt effizient möglich ist. Beim Radioiodtest wird der individuelle Radioioduptake und die individuelle HWZ des Iods beim Patienten bestimmt. Man quantifiziert damit den Anteil des verabreichten Radioiods, welcher innerhalb einer bestimmten Zeit nach Applikation in der Schilddrüse gespeichert wird. Die Testung findet 14 Tage vor geplanter RIT statt. An Hand dieses Radioiodtestes, der bestimmten Zielvolumengröße und des gewählten Dosiskonzeptes kann dann die Aktivität berechnet werden, die dem Patienten zur Therapie der Schilddrüsenerkrankung verabreicht werden muss.
Dies geschieht z.B. nach der Formel von Marinelli [55, 72]:
2.2.4. Strahlenschutzbestimmungen in Deutschland und im Ausland
Die Durchführung der Radioiodtherapie unterliegt in Deutschland gesetzlichen Bestimmungen. Der Ablauf wird durch die Empfehlung der Strahlenschutzkommission (SSK) und durch die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) geregelt [5, 90, 91]. Die Strahlenschutzverordnung erlaubt die Entlassung von Patienten nach Applikation von offenen radioaktiven Stoffen oder im Körper verbleibenden Strahlern nur bei Einhaltung festgelegter Ortsdosisleistungen in definierter Entfernung vom Patienten. Bei der RIT mit [131I]-Iodid muss die Entlassungsaktivität des Patienten unter 250 MBq liegen und es darf eine Dosisleistung von 3,5 µSv/Stunde in zwei Metern Abstand nicht überschritten werden. Ferner muss angenommen werden können, dass die Strahlenexposition anderer Personen im Laufe eines Kalenderjahres 1 mSv nicht übersteigt [5, 90]. Da mehr als 90% des applizierten Radioiods innerhalb der ersten 2 Tage ausgeschieden wird, ist eine RIT in Deutschland nur unter stationären Bedingungen erlaubt. Der Mindestaufenthalt auf einer Therapiestation mit Abwasser-Dekontaminationsanlage muss 48 Stunden betragen [91].
Im Ausland sind die Rahmenbedingungen der RIT nicht immer ähnlich exakt und einheitlich festgelegt. Nur wenige Staaten, wie z.B. Deutschland und die Schweiz, haben rechtlich verbindliche Bestimmungen [4]. In einer Umfrage unter den Landesdelegierten der Europäischen Gesellschaft für Nuklearmedizin (EANM) wurden durch SCHICHA et al. [73] die äußeren Umstände und die Regelungen zur RIT im europäischen Ausland näher eruiert. Es bestätigte sich, dass die Regelungen nicht immer landesweit verbindlich, bzw. einheitlich, sind. Insgesamt konnten Daten aus 24 Mitgliedsländern erhoben werden. Es zeigte sich, dass zum Befragungszeitpunkt lediglich die Tschechoslowakei, Ungarn und Deutschland eine ambulante RIT bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen generell verbieten. In den übrigen Staaten ist die Durchführung der RIT auch ambulant möglich, wobei es jedoch große Unterschiede bei der zulässigen Dosis und bei den Rahmenbedingungen gibt. 11 Länder erlauben eine ambulante RIT bei relativ geringen Dosen bis 15 mCi/555 MBq, 7 Länder auch bei höheren Dosen bis 50 mCi/1850 MBq, bzw. legen keine Begrenzung fest. Die Therapie von Schilddrüsenkarzinomen, die mit einer hohen [131I]-Dosis erfolgt, ist meist jedoch nur stationär möglich.
BECKERS [4] fasste in Tabelle 2 die Grenzwerte zusammen, die in den jeweiligen Ländern bei Überschreitung zu einer stationären Aufnahme auf eine Therapiestation führen.
Tabelle 2.: Dosis, die zu einer stationären Unterbringung führt [4]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die EU-Kommission wurde laut Richtlinie 97/42/Euratom [19] europaweit eine einheitliche Richtlinie zum Gefahrenschutz von Personen gegen die Gefahr ionisierender Strahlung bei medizinischer Exposition erlassen. Jeder Mitgliedsstaat musste die Richtlinie bis Mai 2000 durch geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften umsetzen. Diese Richtlinie legt zwar nicht die Art und Weise der Durchführung der RIT (ambulant vs. stationär oder Dosismaximalgrenzen etc.) fest, aber Grenzwerte der Strahlenexposition, die eingehalten werden müssen. Es wird festgelegt, dass die Strahlendosis der Bevölkerung 1 mSv pro Jahr nicht überschreiten darf. Eine höhere Strahlenexposition ist nur in Ausnahmefällen gestattet.
Bei Menschen, die „... wissentlich und willentlich Personen behilflich sind, die sich einer medizinischen Untersuchung oder Behandlung unterziehen...“ [19], wird zum Beispiel eine höhere Strahlenexposition toleriert. Für diese Personengruppe wurden von einer Expertengruppe der Europäischen Kommission die in Tabelle 3 gezeigten Werte als zulässige maximale Strahlendosis vorgeschlagen [20].
Tabelle 3.: Vorgeschlagene Dosisbeschränkung [mSv] für Familienangehörige und nahe stehende Bekannte bei Radioiodtherapie [20]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* umfasst Embryonen und Feten
** Diese Werte sollen nicht für Familienangehörige und nahe stehende Bekannte gelten, die sehr kranke Patienten betreuen, etwa für Mütter stationär aufgenommener Kinder
Die Rahmenbedingungen zur Durchführung der RIT sind in den USA im Vergleich zu Deutschland besonders großzügig gefasst. Es dürfen -wie aus Tabelle 2 ersichtlich- Patienten mit einer Restaktivität von 30 mCi, d.h. ca. 1110 MBq, entlassen werden [111]. Zwar gilt auch in den USA für die Öffentlichkeit eine einzuhaltende maximal tolerable Dosisleistung von 1 mSv pro Jahr, die jedoch von einigen Personengruppen nicht eingehalten werden muss. Bei Angehörigen von RIT Patienten ist in Amerika zum Beispiel laut Empfehlung des National Council on Radiological Protection and Measurements und Bestimmungen der US Nuclear Regulatory Commission (NRC) eine maximale Strahlenexposition von 50 mSv pro Jahr zulässig [97, 102]. Dieser Wert liegt je nach Vergleichsgruppe um den Faktor 3,3 bis 50 über der in Europa seit Mai 2000 einheitlich zulässigen Strahlendosis für Angehörige von RIT Patienten. Die in den USA gültige Obergrenze bei Entlassung von 50 µSv/h liegt ebenfalls weit über deutschem Niveau (3,5 µSv/h) [102].
Vorliegende Studien sollten aus strahlenschutztechnischer Sicht insbesondere im Ausland Anlass dazu geben, die Durchführung der RIT zu verändern. Dritte können im Ausland leicht einer deutlich erhöhten Strahlendosis ausgesetzt werden. Aber auch in Deutschland müssen diese Ergebnisse beunruhigen. Im Ausland ambulant radioiodtherapierte Patienten können nach Deutschland einreisen. Hier stellen sie dann eine Strahlenquelle für Dritte dar.
2.3. Vorarbeiten und aktueller Wissensstand
2.3.1. Exhalation von Radioiod
In der Literatur wird der Anteil des Radioiods, der über die Exhalation eliminiert wird, recht unterschiedlich angegeben. Die Angaben schwanken zwischen 0,007 bis 3,5 % des applizierten [131I] [24, 26, 41, 42, 47, 49, 105]. Dabei wurden bisher prinzipiell drei verschiedene chemische Radioiodformen identifiziert [32, 47, 49, 77]:
organisch gebundenes Radioiod
elementares Radioiod und
Radioiod, das an Aerosole gebunden ist.
Stabil organisch gebundenes Iod ist nicht oder nur in geringem Maße bioverfügbar. Elementares Iod kann nach Inhalation in die Schilddrüse gelangen und dort gespeichert werden. Radioiod, das an Aerosole gebunden ist, akkumuliert in der Lunge und kann nach Resorption über den Blutweg in die Schilddrüse gelangen [32, 47, 49, 77]. Die Bioverfügbarkeit der verschiedenen Iodformen ist in der Rangfolge elementares Iod > aerosolische Iodformen > organisch gebundenes Iod jeweils um den Faktor 10 geringer. Wenn eine Exhalation von Radioiod nicht vermieden werden kann, so sollte sie aus Sicht des Strahlenschutzes in möglichst vollständig organisch gebundener Form erfolgen [24, 32, 47].
Vorarbeiten zur chemischen Zusammensetzung der Exhalationsluft liefern unterschiedliche Ergebnisse. Organisch gebundenes Radioiod stellt in der Literatur 25-93%, elementares Radioiod 4-64% und aerosolische Radioiodformen 1 -15 % des exhalierten Radioiods [32, 47, 49, 77, 92]. SCHOMÄCKER et al. [77] verglich die Radioiodexhalation von Patienten mit unterschiedlichen Grunderkrankungen. Es zeigte sich, dass Radioiod unabhängig von der Erkrankung (Autonomie, M. Basedow und SD-Karzinome) immer in überwiegend organisch gebundener Form abgeatmet wird und man vermutete, dass Iod erst in der Schilddrüse organifiziert werden muss, um in organisch gebundener Iodform exhaliert zu werden. Dieser Vermutung wurde durch STROHE bestätigt [92]. Sie untersuchte die Radioiodexhalation im Tiermodell. Vor Applikation des Radioiods wurde die Schilddrüsenfunktion durch Medikamente (Kaliumiodid, Perchlorat, Carbimazol und Thyroxin) moduliert. Es zeigte sich, dass Radioiod bei unbeeinflusster Schilddrüse überwiegend in organisch gebundener Form exhaliert wird. Mit steigender Schilddrüsenblockade sank der Anteil des organischen gebundenen Radioiods. Der Anteil des elementaren Radioiods nahm in gleichem Maße zu.
2.3.2. Analyse radioiodhaltiger Luft
Die verschiedenen Iodformen (organisch gebundenes Iod, elementares Iod und aerosolisches Radioiod) können durch Adsorption im Filter quantitativ und qualitativ bestimmt werden. Damit der Anteil der verschiedenen Iodformen messbar wird, ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Filter die verschiedenen Iodformen zuverlässig separieren.
An Glasfaserfiltern scheiden sich Aerosole <1 µm Durchmesser ab. Besonders gute Abscheideraten (99,993 %) werden für Aerosoldurchmesser von 0,5 – 0,3 µm angegeben [77]. Cadmiumiodid-Filter dienen zur Abscheidung von elementarem Iod. Es wird durch eine Kombination aus Isotopenaustausch und einer Bildung von höheriodierten Cadmiumverbindungen gefiltert [38, 81, 93, 95]. Silberzeolith-Filter filtern selektiv organisch gebundenes Iod. Dieses verbindet sich mit der sehr reaktiven Silberoberfläche zu Silberiodid [26, 38, 54, 106-109]. TEDA-imprägnierte Aktivkohle kann sowohl molekulares, als auch organisch gebundenes Iod, zurückhalten. Die Iodrückhaltung beruhte auf primärer Adsorption und der Bildung quarternärer Ammoniumsalze an der Aktivkohleoberfläche [46, 106, 109].
Die genannten Adsorbermaterialien werden seit längerem dazu verwendet, um bei Unfällen in Kernkraftwerken freigesetztes Iod zurückzuhalten. Die verwendete Filteranordnung oder ähnliche Kombinationen von Filtern dienen bei dem Betrieb von Kernreaktoren und bei Heißen Zellen dazu, die chemische Zusammensetzung der in der Abluft vorhandenen Iodradioaktivität zu analysieren [14, 16, 26, 51, 81, 106-108].
Zusätzlich wurde die Effektivität der in dieser Studie genutzten Filter der Firma SAIC von SCHOMÄCKER et al. getestet [77]. Die Ergebnisse der Filtertestung (Tabelle 4) bestätigten, dass die verwendeten Filter sehr gut zur Separation der Radioiodformen in der Exhalationsluft geeignet sind.
Tabelle 4: Test der Trennleistung der Filterkombination
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Die Radioaktivitätsmessung der ethanolischen und wässrigen Phase ergab ein I2/Ethyliodid-Verhältnis von 1: 4,5
2.3.3. Strahlenexposition Dritter durch RIT Patienten
Das Thema der Strahlenexposition Unbeteiligter, des Personals und der Angehörigen nach RIT wird kontrovers diskutiert.
[...]
- Citation du texte
- Sebastian Weber (Auteur), 2007, Exogene Modulation der Radioiodexhalation im Mausmodell, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78608
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