Während die ersten Romane von Javier Marías sich durch die Vermischung von Traum und Wirklichkeit und eine Auseinandersetzung mit Realität und Fiktion charakterisieren lassen, tritt in Corazón tan blanco die für den experimentellen Roman der siebziger Jahre typische metaliterarische Erzählebene in den Vordergrund. Die Handlung des Romans, die zum größten Teil in Form von inneren Monologen des Erzählers geschildert wird, bildet einen inhaltlichen Rahmen, in dem sich der Autor mit der Rolle der Sprache auf der Suche nach Wahrheit auseinandersetzt. Der Roman stellt somit keine vollständige Geschichte, sondern eine Reflexion des Autors über seinen eigenen Schreibprozess dar. Beeinflusst von der lateinamerikanischen nueva novela und dem französichen nouveau roman, experimentiert der Autor mit narrativen Techniken und führt den Leser so an seine Auffassung über die Unmöglichkeit der Abbildung von Wahrheit mittels Sprache heran.
In dieser Arbeit sollen einige seiner semantischen und syntaktischen Strategien untersucht werden. Näher betrachtet wird hier die Funktion der rhetorischen Figuren, wie etwa die für diesen Roman typischen Wiederholungsfiguren, die sich durch den gesamten Text ziehen. Abschließend wird versucht, in einem Fazit das primäre Anliegen des Autors zusammenzufassen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rhetorisch- linguistische Textanalyse von Corazón tan blanco
2.1 Semantische Dimension
2.1.1 Vorbemerkung: Stellungnahme des Autors zu der Entstehung des Romans
2.1.2 Wahrnehmung aus der Distanz
2.1.3 Tropische Wiederholungen
2.1.3.1 Metaphern
2.1.3.2 Metonymie
2.1.3.3 Allegorien
2.1.4 Figuren der Amplifikation
2.2 Syntaktische Dimension
2.2.1 Wiederholungsfiguren
2.2.1.1 Syntagmatische Wiederholungen
2.2.1.2 Syntagmatische Substitution
2.2.2 Potential- und Konjunktivformen
2.2.3 Negationen
3. Fazit: Sprache als Abbildung von Wahrheit?
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Während die ersten Romane von Javier Marías sich durch die Vermischung von Traum und Wirklichkeit und eine Auseinandersetzung mit Realität und Fiktion charakterisieren lassen, tritt in Corazón tan blanco die für den experimentellen Roman der siebziger Jahre typische metaliterarische Erzählebene in den Vordergrund. Die Handlung des Romans, die zum größten Teil in Form von inneren Monologen des Erzählers geschildert wird, bildet einen inhaltlichen Rahmen, in dem sich der Autor mit der Rolle der Sprache auf der Suche nach Wahrheit auseinandersetzt. Der Roman stellt somit keine vollständige Geschichte, sondern eine Reflexion des Autors über seinen eigenen Schreibprozess dar. Beeinflusst von der lateinamerikanischen nueva novela und dem französichen nouveau roman, experimentiert der Autor mit narrativen Techniken und führt den Leser so an seine Auffassung über die Unmöglichkeit der Abbildung von Wahrheit mittels Sprache heran.
In dieser Arbeit sollen einige seiner semantischen und syntaktischen Strategien untersucht werden. Näher betrachtet wird hier die Funktion der rhetorischen Figuren, wie etwa die für diesen Roman typischen Wiederholungsfiguren, die sich durch den gesamten Text ziehen. Abschließend wird versucht, in einem Fazit das primäre Anliegen des Autors zusammenzufassen.
2. Rhetorisch- linguistische Textanalyse von Corazón tan blanco
2.1 Semantische Dimension
2.1.1 Vorbemerkung: Stellungnahme des Autors zu der Entstehung des Romans
Im Jahr der Veröffentlichung von Corazón tan blanco ist Javier Marías über die Aussage des Romans und sein Selbstverständnis als Autor befragt worden. In dem Interview gibt er preis, dass er nach 200 Seiten und auch nach der Vollendung des Romans keine eindeutige Aussage über den Inhalt seines eigenen Werkes treffen konnte[1]. Über seinen Prozess des Schreibens sagt Marías, dass er einen Roman niemals im Voraus plane, sondern dass er beim Schreiben stets intuitiv handle: „Voy averiguando la novela al tiempo que la voy escribiendo, lo cual tiene la posible ventaja de que no soy muy distinto al lector“[2].
Die Zweifel des Autors gegenüber seinem eigenen Werk während des Entstehungsprozesses verstärken die Verunsicherung des Lesers, dessen Aufgabe es ist, die Fragmente der Lektüre miteinander in Beziehung zu setzen und mit Sinn zu füllen. Die folgenden Ausführungen werden einerseits zeigen, wie sich der Einbezug des Lesers in den Entstehungsprozess des Romans manifestiert, und andererseits, wie sich der zweifelhafte Charakter der Erzählung auf semantischer Ebene bestätigt.
2.1.2 Wahrnehmung aus der Distanz
Die Deutungsproblematik von Sprache tritt im Laufe des Romans immer wieder in den Vordergrund. Stets bemüht sich der Erzähler, sprachliche Äußerungen, Gestik oder auch undefinierbare Laute und Interjektionen[3] („[…] sólo pude entender la primera palabra, y esa palabra era `¡Eh!´, pronunciada con indignación […]”, 28) zu erfassen und mögliche Deutungen aus ihnen herzuleiten. Seine ständigen Reflexionen über jede Form von Sprache sind in den meisten Fällen von einer undeutlichen visuellen und auditiven Wahrnehmung begleitet, die einen Eindruck von Zweifel und Ungewissheit hervorruft. Räumliche, temporale und figurale Distanz lässt die Beobachtungen des Erzählers immer wieder unvollständig erscheinen und ermöglicht trotz seiner Bemühungen keine Rekonstruktion der Wahrheit über den Selbstmord seiner Tante Teresa. Während seines Aufenthaltes in La Habana, als Luisa im Fieberschlaf liegt und Juan durch die Wand die Unterhaltung von Miriam und Guillermo im Nachbarzimmer wahrnimmt, bezeichnet er das, was er hört, als „un murmullo indistinguible, susurros de palabras que no podían individualizarse pese a ser pronunciadas en mi propia lengua“ (43). Er beobachtet Miriam von weitem, so wie er auch in einer Nacht den im Regen stehenden Custardoy vom Fenster aus nur undeutlich erkennen kann. Der Eindruck einer räumlichen Distanz wird im Leser auch durch die vielen im Laufe des Romans erwähnten Auslandsreisen Juans, Guillermos, „Bills“, Ranzs und Luisas hervorgerufen. Zudem erzählt Juan alles auch aus temporaler Distanz. Das Geheimnis aus der Vergangenheit seines Vaters, dessen Aufdeckung zu der zentralen Thematik des Romans gehört, liegt vierzig Jahre zurück, und seine Erlebnisse in zahlreichen Aufenthalten in Kuba sind ebenfalls so lange her, dass Juan sagt: „ […] sus estancias en aquel continente se entremezclaban, los viajes se confundían en sus relatos (él mismo debía de confundirlos) […]“ (301). Alle anderen Ereignisse wie Juans Hochzeit, seine Hochzeitsreise und sein Aufenthalt bei Berta in New York, liegen ungefähr ein Jahr vor der Erzählzeit. Es kommt hinzu, das das Erzählte in den meisten Fällen auch auf figuraler Distanz beruht, nämlich auf Beobachtungen Dritter. Bei der Schilderung von Teresas Selbstmord, über den er sagt „[…] he ido sabiendo poco a poco […] a través de personas más distantes o accidentales, y por fin a través de Ranz [...]”, handelt es sich um ein zeitlich weit entferntes Ereignis, das nur mit Hilfe von zweifelhaften Beobachtungen aus zweiter Hand aufgedeckt werden kann: Juans Erzählung basiert auf den ungenauen und fragmentarischen Berichten des Professors Villalobos, des jungen Custardoy und Ranzs selbst, deren Wahrheitsgehalt jedoch fraglich bleibt.
Im Folgenden werden einige der rhetorischen Mittel aufgeführt, die die semantische Instabilität und die mangelnde Präzision der Romanerzählung stilistisch untermauern.[4]
2.1.3 Tropische Wiederholungen
Marías´ Roman enthält eine Reihe von wiederkehrenden Tropen, die die Darstellung von Wahrheit durch Sprache in Frage stellen und nicht nur auf der Ebene der Erzählung, sondern auch auf metaliterarischer Ebene zu verstehen sind.
2.1.3.1 Metaphern
a) Das Warten[5]
Die Metapher des Wartens steht für die im Roman dominierende Atmosphäre der Ungewissheit, denn das Warten führt bei den Figuren zu keinerlei Erkenntnis oder Veränderung: Berta wartet in New York vergeblich, aber ohne aufzugeben, auf ein Lebenszeichen des ihr unbekannten „Bill“. Nach dem Erhalt seines Videos sieht sie es sich, um ihre Spannung zu erhöhen, erst einige Stunden später an, doch dann muss sie enttäuscht feststellen, dass auf dem Video nicht viel von „Bill“ zu erkennen ist. Die fragmentarische Wahrnehmung seines Körpers verstärkt ihr Verlangen, mehr über ihn zu erfahren. Nachdem ihr Warten durch das Treffen mit „Bill“ ein Ende nimmt, ändert sich danach nichts an ihrer einsamen Situation und sie muss ihre Suche fortsetzen. Berta sagt selbst über das Warten:
[…] mientras está todo por suceder tengo la impresión de la absoluta limpieza y la infinita posibilidad. […] Por eso el estado perfecto es el de la espera y el de la ignorancia, lo malo es que si supiera que ese estado iba a durar indefinidamente entonces ya no me gustaría tampoco. […] (228).
Auch Miriam wartet in La Habana stundenlang vergeblich auf ihre ersehnte Verabredung mit Guillermo. Nachdem ihr bewusst wird, dass sie Juan mit Guillermo verwechselt hat, begreift sie, dass ihr Warten noch kein Ende gefunden hat: „[…] eso era lo más grave- que tenía que seguir esperando, quizá donde había quedado al principio, […], tendría que regresar al punto elegido originalmente“ (36).
Die Metapher des Wartens lässt sich nicht nur auf Juans Erforschungsprozess des Geheimnisses seines Vaters, sondern ebenso auf das Warten des Lesers auf Erkenntnis übertragen, die er von der fortlaufenden Lektüre erwartet. Auch er muss während der Lektüre feststellen, dass die ausgedehnten vermeintlichen Ansatzpunkte, die er automatisch zu deuten versucht, oft nicht weiter bestätigt werden oder sich als Trugschlüsse erweisen. Wenn der Erzähler über Miriams Warten berichtet, z. B. „ […] al dar más pasos de los que había dado repetidamente durante su espera vi que andaba con dificultad y con lentitud [...]” (29), so ist dieses Verhalten ebenfalls auf den Leser zu beziehen, der bei der Lektüre voranschreitet, jedoch eher auf der Stelle zu treten scheint. Juan verharrt schweigend in einer passiven und beobachtenden Haltung, anstatt Miriams Verwechslung aufzuklären und sie aus der Qual ihrer Ungewissheit zu erlösen. Sein eigenes Verhalten Miriam gegenüber bezeichnet er als „[…] mi contemplación impune de su figura y de su desairada espera […]“ (30). Ebenso wenig beendet Guillermo, dessen spanische Ehefrau angeblich im Sterben liegt („[…] Miriam esperando y la mujer agonizando […]“, 204), Miriams Warten. Ihre wartende Haltung, die sich auf den Tod von Guillermos Ehefrau bezieht, beurteilt Juan mit folgenden Worten:
[…] llevaba demasiado tiempo esperando y la espera es lo que más desespera, [...], un todo indiferenciado e inmóvil en el que no se distinguen las tramas y sólo hay repetición [...] continua y sin pausa, un silbido interminable o nivelación constante de lo que va llegando (316/317).
[...]
[1] vgl. Blanco, María Luisa, La única verdad posible es la que no se cuenta, www.javiermarias.es/ESPECIALCTB/EntrevistaCambio16.html, (06.07.2005).
[2] Ebd.
[3] vgl. Bußmann, Hadumond , Lexikon der Sprachwissenschaft, 2. völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart:
Kröner 1990, 349.
[4] Die Einteilung der rhetorischen Figuren wird hauptsächlich nach der Gliederung Heinrich Pletts
durchgeführt: Plett, Heinrich , Einführung in die rhetorische Textanalyse, 3. unveränderte Auflage, Nachdruck der 2., durchgesehenen Auflage, Hamburg: Helmut Buske 1975.
[5] Zur Problematik der Metapher vgl. Lausberg, Heinrich, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine
Grundlegung der Literaturwissenschaft, München: Max Hueber 1960, 285-291.
- Citar trabajo
- Isabel Weinrich (Autor), 2005, Sprache und Wahrheit - Rhetorisch-linguistische Überlegungen zum Sprachkonzept bei Javier Marías am Beispiel des Romans "Corazón tan blanco", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78519
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