In dieser Arbeit wird die Nachkriegsliteratur in Italien und die Bewegung des Neorealismus genauer untersucht.
Im und nach dem 2. Weltkrieg entstand in Italien eine filmische und literarische Kunstrichtung, die heute als Neorealismus bezeichnet wird und sich in ihren bedeutendsten Formen für die Literatur ungefähr auf die Jahre von 1940 bis 1950 eingrenzen lässt.
Der Neorealismus war keine Geistesrichtung, die sich auf eine bestimmte Schule zurückführen ließe oder klare Richtlinien hatte. Der Neorealismus war vielmehr ein „Zusammenklang von Stimmen“, wie Calvino ihn bezeichnete und kann wohl am ehesten als komplexes Phänomen verstanden werden, welches nicht einfach als „Bewegung“ oder „Schule“ bezeichnet werden kann, weil die einzelnen Autoren, Regisseure und Drehbuchautoren, die den Neorealismus geprägt haben, zu verschieden und eigenständig waren. „Il neorealismo non fu una scoala“ , betont auch Calvino noch einmal im Rückblick auf die Nachkriegszeit. Die aus heutiger Sicht sogenannten Vertreter des Neorealismus haben sich selbst zum größten Teil dagegen gerichtet, dass ihr Werk als neorealistisch eingestuft wird und immer wieder, wie im folgenden Beispiel Vittorini, klarstellen wollen, dass der Neorealismus keine homogene Richtung oder gar literarische Schule war.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 La Resistenza – Der bewaffnete Widerstand
3 La letteratura della resistenza
4 Der Roman “Il sentiero dei nidi di ragno” und Calvinos Poetik
5 Schluss
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Im und nach dem 2. Weltkrieg entstand in Italien eine filmische und literarische Kunstrichtung, die heute als Neorealismus bezeichnet wird und sich in ihren bedeutendsten Formen für die Literatur ungefähr auf die Jahre von 1940 bis 1950 eingrenzen lässt.
Der Neorealismus war keine Geistesrichtung, die sich auf eine bestimmte Schule zurückführen ließe oder klare Richtlinien hatte. Der Neorealismus war vielmehr ein „Zusammenklang von Stimmen“, wie Calvino ihn bezeichnete und kann wohl am ehesten als komplexes Phänomen verstanden werden, welches nicht einfach als „Bewegung“ oder „Schule“ bezeichnet werden kann, weil die einzelnen Autoren, Regisseure und Drehbuchautoren, die den Neorealismus geprägt haben, zu verschieden und eigenständig waren. „Il neorealismo non fu una scoala“[1], betont auch Calvino noch einmal im Rückblick auf die Nachkriegszeit. Die aus heutiger Sicht sogenannten Vertreter des Neorealismus haben sich selbst zum größten Teil dagegen gerichtet, dass ihr Werk als neorealistisch eingestuft wird und immer wieder, wie im folgenden Beispiel Vittorini, klarstellen wollen, dass der Neorealismus keine homogene Richtung oder gar literarische Schule war.
„[…]Possiamo parlare di neorealismo anche per la nostra letteratura ma non nello stesso senso in cui possiamo parlarne, ad esempio, per il nostro cinematografo. In questo campo l´espressione ha un valore critico decisivo che definisce qualità e difetti, aspirazioni e atteggiementi comuni a tutti i nostri registi. Usata invece in letteratura non definisce neiente che sia comune a tutti i nostri scrittori o anche solo a una parte di essi. Se tu dici che Moravia è un neorealista tu non dici nulla di criticamente essenziale su quello che è Moravia…In sostanza tu hai tanti neorealismi quanti sono i principali narratori.”[2]
Der Neorealismus kann als ideologische Avantgarde gesehen werden, in dem der Realismus als moralischer Begriff begriffen wird und in dem nicht nur Formen sondern auch Inhalte versucht werden zu verändern. Für die Werke der Nachkriegsliteratur, die sich in die Kunstrichtung des Neorealismus einordnen lassen, ist ein weiterer Begriff entstanden: die sogenannte Resistenza-Literatur, um den literarischen vom filmischen Neorealismus auch sprachlich abgrenzen zu können. Einer der, aus posthistorischer Sicht ernannten, Hauptautoren des Neorealismus und der Resistenza-Literatur war neben Vittorini, Moravia, Bilenchi und Pavese der junge Italo Calvino, dessen erster Roman „Il sentiero dei nidi di ragno“ („Wo die Spinnen ihre Nester bauen“), als Beispiel für ein Werk neorealistischer Nachkriegsliteratur, Gegenstand dieser Seminararbeit ist.
Das durchgängige Thema der Resistenza-Literatur ist die Zeit des bewaffneten Widerstandes in Italien und die damit verbundene Erfahrung. In der neorealistischen Kunstpraxis ist thematisch oft eine deutlich antifaschistische Haltung und die Darstellung sozialer und gesellschaftlicher Missstände zu erkennen. An den unzählig vielen entstandenen Resistenza-Werken ist das große Bedürfnis der Menschen erkennbar, „das Erlebte mündlich oder schriftlich an Menschen weiterzugeben“, - die Werke werden daher auch als Erinnerungs- und Dokumentarliteratur bezeichnet. Um den historischen Kontext in den die literarischen Resistenza-Werke und somit auch Calvinos Roman „Wo die Spinnen ihre Nester bauen“ gebetet sind, besser zu verstehen, soll zunächst ein geschichtlicher Ein- und Überblick in die Zeit zwischen 1943-1945 gegeben werden - die zwanzig Monate des bewaffneten Widerstandes.
Der Neorealismus löste sich Anfang der Fünfziger Jahre in einer neuen Avantgarde auf und fand im Übergang zu einem kritischen Realismus seinen Untergang. Die neorealistische Kunstrichtung und ihr Scheitern war eine wichtige Erfahrung mit exportierbaren Folgen. In Deutschland wird er von Walter Jens, Hans Erich Nossack aufgenommen, der frühe Heinrich Böll hat sich zu ihm bekannt und Alfred Andersch hat ihn bekannt gemacht. Auch in Spanien und insbesondere in Lateinamerika wird der Neorealismus intensiv bis in die sechziger Jahre hinein studiert und rezepiert. Alberto Moravia formuliert den Sinn der Bewegung mit folgenden Worten: „Dank des Neorealismus kommt den italienischen Schriftstellern die Möglichkeit einer Literatur ins Bewusstsein, die nicht nur die persönlichen Fakten verkörpert, sondern auch diejenigen, die die ganze Gesellschaft und das ganze italienische Volk interessieren.“[3]
Die Bewältigung der Nachkriegssituation, reduziert sich im italienischen Neorealismus, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner „Mensch“, durch dessen Augen hindurch auf die ökonomischen, politischen und ideologischen Veränderungen Bezug genommen werden kann.
Die Frage nach der Einordnung des Romans „Wo die Spinnen ihre Nester bauen“ in die zeitgenössische literarische Strömung des Neorealismus und in die Resistenza-Literatur ist nach wie vor umstritten. Sicherlich sind formale „neorealistische“ Tendenzen in Bezug auf das proletarische Milieu in dem die Geschichte angesiedelt ist und die Verwendung der Umgangssprache, sowie „bestimmter vom Film entlehnter erzähltechnischer Aktualisierungs-verfahren [...]“[4] erkennbar. Im genaueren Hinblick auf die Erzählstruktur des Romans und die besondere Perspektivierungs- und Ironisierungstechnik Italo Calvinos soll jedoch gezeigt werden, dass Calvinos Roman sich von der gängigen Resitenza-Literatur der damaligen Zeit auch stark abgrenzen lässt. Der Einsatz von Märchenelementen, literarischen Anspielungen im Text und die divergierenden Tendenzen in Sprache und Stil können nicht mit dem Neorealismus in Zusammenhang gebracht werden. „Die mehrschichtige Erzählstruktur [...], das z.T. verwirrende Spiel mit den verschiedenen Erzählperspektiven und die Verwendung ironischer Stilmittel auf mehreren Ebenen [...] können zweifellos nicht mit den dominierenden literarischen Einflüssen der Nachkriegszeit bzw. den Stilzügen des Neorealismus in Verbindung gebracht werden, sondern sind als eigenständige Ausdrucksformen des Autors zu werten.“[5]
2 La Resistenza – Der bewaffnete Widerstand
Die Resistenza – der bewaffnete Widerstand, ist eine der entscheidenden politischen Erfahrungen Italiens, welche eine außerordentliche moralische und politische Bedeutung für die Nachkriegsgeschichte besitzt.
Wann die genaue „Geburtsstunde“ des antifaschistischen Widerstandes war, ist strittig. Die Einen sind der Ansicht, dass durch die Ermordung Matteottis, am 10.Juni 1924, welche als die erste große Krise des italienischen Faschismus gilt, bereits der offene Widerstand gegen Mussolini und sein Regime begann. Viele emigrierten ins Ausland und versuchten von dort aus antifaschistische Gruppierungen zu reorganisieren.[6] Die Anderen sind der Ansicht, dass der Tag nach der Verkündung des Waffenstillstands, also der 9. September 1943, als die „Geburtsstunde“ der Resistenza angesehen werden kann, da sich an diesem Tage fünf antifaschistische Parteien formierten, welche schon vorher im Untergrund tätig gewesen waren und sich zusammen schlossen, um ein zentrales Komitee der Nationalen Befreiung zu gründen. Das Comitato di liberazione nazionale (CLN).[7]
Ein antifaschistischer Bund war bereits im April 1927 in Paris unter dem Vorstand von den Sozialisten Pietro Nenni und Filippo Turati gegründet worden. Er nannte sich Concentrazione Antifascista (CA). „Die CA kümmerte sich neben der Organisation von Auswanderungen italienischer Antifaschisten um alle politischen Kräfte der Emigration, bot ihnen ein Diskussionsforum über den Faschismus und über die im Exil mögliche Arbeit.”[8] Die Bewegung Giustizia und Libertà (GL) und die Gründung der kommunistischen Partei Patito Comunista Italiana (PCI) in den Jahren 1929 und 1921 sind ebenfalls als zwei der wichtigsten Oppositionen gegenüber dem Faschismus in Italien hervorzuheben.
Das Komitee der Nationalen Befreiung (CLN) bestand aus der Kommunistischen Partei (Partito Communista Italiano - PCI), der Sozialistischen Partei (Partito Socialista di Unità Proletaria - PSIUP), den Liberalen (Partito Liberale - PL), der 1942 neuentstanden Partei der alten katholischen Volkspartei - der Democrazia Christiana und der Partito d´Azione (Pd´A), - „eine Gruppe von stark sozialistischen, antimonarchischen Liberalen.“[9]
Nachdem der Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten bekannt gegeben war, besetzten die Deutschen, die zuvor noch mit den Italienern Seite an Seite gegen die Allierten gekämpft hatten, „fast über Nacht verstärkt Mittel - und Norditalien.“[10] Der Militärmarschall Pietro Badoglio, der nach Mussolinis Absetzung ganze 45 Tage die Regierung weitergeführt hatte und König Vittore Emanuele III, der Mussolini durch ein Misstrauensvotum absetzen und inhaftieren konnte, flohen heimlich aus Rom in den Süden, wo sie unter Aufsicht der Alliierten die Regierung Regno del Sud leiteten. Mit der deutschen Besetzung Nord- und Mittelitaliens war auch die Deportation von italienischen Soldaten nach Deutschland, die Befreiung Mussolinis aus seiner Haft und die erneute Gründung einer faschistischen Partei (Partito Fascista Repubblicano ) verbunden und möglich. Die Gegenregierung Repubblica Sociale Italiana (RSI) die in Nord- und Mittelitalien eine sogenannte „Marionettenregierung“ darstellte, war der faschistischen Besetzungsmacht unterstellt. Ziel des Comitato Di Liberazione Nazionale war es Nord - und Mittelitalien von der deutsch-italienischen Besetzung der Nationalsozialisten zu befreien. „Der CLN hatte Standorte in mehreren italienischen Städten und verhandelte mit den Alliierten.“[11] Der bewaffnete Widerstand gegen die Faschisten fand aber nicht ausschließlich durch das CLN und seinen dazugehörenden Parteien statt. Es existierten weitere freigegründete Partisanenverbände, wie die Garibaldi-Brigaden oder die Partisanen-gruppierung GAP (Gruppi d´azione patriottica). Letztere kämpften in den Bergen des Apennin und der Abbruzzen. Sie bereiteten auch in den Städten der Ebene die Volksaufstände vor. Anders als noch im Risorgimento zählen zu den freiwilligen Widerstandskämpfern, neben Freiwilligen aus dem Bürgertum diesmal auch Arbeiter und Bauern. „[...] Bis zum Sommer 1944 war die Zahl der Partisanen schätzungsweise auf 70 000 bis 80 000 angewachsen. Unterstützung erhielten die Partisanen von den Bauern und in den Industriegebieten vor allem von den Fabrikanten.“[12] Die Formationen der Widerstandskämpfer wuchs also nach und nach an. In vier Rekrutierungsebenen unterteilt, bilden die Ersten, die Gruppe vor der deutschen Deportation flüchtender, italienischer Soldaten. Gefolgt von der zweiten Gruppe angloamerikanischer und jugoslawischer Kriegsgefangenen.
[...]
[1] Vgl. Calvino, Italo: „Prefazione“ zu „Il sentiero dei nidi di ragno“, S.9
[2] Vgl. Eversmann, Susanne: „Poetik und Erzählstruktur in den Romanen I.Calvinos“, S. 41, zitiert aus: Vittorini, E.:„Neorealismo in Italia e autobiografia“
[3] Vgl. Bremer, Thomas: „Den Menschen neu schaffen“, S.16
[4] Vgl. Eversmann, S.61
[5] Vgl. Eversmann, S.62
[6] Vgl. Hortenbach, Eva: „Die literarische und filmische Verarbeitung...“, Stuttgart, 2004, S.9
[7] Vgl. Hausmann, Frederike: „Kleine Geschichte Italiens“, Berlin, 2004, S.16
[8] Vgl. Hortenbach,
[9] Vgl. Schumann, Reinhold: „Geschichte Italiens“, Stuttgart, 1983, S.234
[10] Vgl. Hortenbach, S.10
[11] Vgl. Ebd., S.11
[12] Vgl. Schumann, S.234
- Arbeit zitieren
- Katharina Rose (Autor:in), 2006, Resistenza-Literatur am Beispiel von Italo Calvino: 'Wo Spinnen ihre Nester bauen', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78434
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