Der Text Vor dem Gesetz von Franz Kafka erschien erstmals in der Selbstwehr, einer jüdischen Wochenschrift, in Jahre 1915. Nach dem Tod Kafkas erschien die Türhüterlegende, wie der Text auch genannt wird, im neunten Kapitel des Prozeß- Romans. In dem Roman selbst wird die Legende schon als ein schwierig zu interpretierender Text angesprochen. Ein Geistlicher, der die Geschichte dort Josef K., dem Protagonisten, erzählt, gibt selbst den Anstoß zur Interpretation und bespricht mit Josef K. einige sich widersprechende Deutungen. Auch durch diese Komplexität gibt es sehr viele verschiedene Deutungen, die entweder den Romankontext miteinbeziehen oder die Deutung im Roman untersuchen oder den Text als einen Eigenständigen interpretieren.
Kafka selbst hat seinen Text als gelungen angesehen, und er trennte die Schaffensphase und die Deutungsphase. Leider sagt Kafka in seinen Tagebüchern nichts über die Bedeutung, aber die Tatsache, dass Kafka den Text erst im Nachhinein verstanden hat, legt nahe, dass die Deutungen innerhalb des Prozeß- Romans nicht die Funktion haben, den Sinn der Türhüterlegende zu erschließen, da Kafka den Text sonst schon früher verstanden haben musste.
Es gibt sicherlich bevorzugte Deutungsrichtungen, die durch den religiösen Rahmen des Prozeß- Romans im neunten Kapitel oder die erste theologische Deutung durch Kafkas Freund Max Brod nahegelegt werden. Viele Forscher sehen den Text auch als eine Parabel an. Der Name Kafkas allgemein wird heutzutage oft in Verbindung mit der Gattung Parabel gebracht. Der Kontext mit dem Prozeß- Roman legt dies nahe. Andere Forscher, wie beispielsweise Hartmut Binder, bestreiten, dass der Text eine Parabel ist. Binder versucht sogar zu widerlegen, dass der Text eine Parabel ist. Auch die Meinung, dass Kafka die Gattung Parabelabsichtlich umgestaltet hat, hält er für falsch.2
Da die Forschung zu Vor dem Gesetz nun schon über 60 Jahre andauert (die Kafka Forschung setzte erst ab den 1950er Jahren richtig ein), ist anzunehmen, dass es noch keine Deutung gibt, mit der die meisten Forscher einverstanden wären.
Ich habe mich auf die Themenfelder der biographischen, theologischen, psychoanalytischen, soziologischen, intertextuellen und medienkritischen Deutungen beschränkt, aber das Forschungsfeld ist viel größer, und man kann manche Deutungen dem einen Themenbereich wie dem anderen zuordnen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Deutungen
2.1 Psychoanalytische Deutungen
2.2 Biographische Deutungen
2.3 Soziologische Deutungen
2.4 Theologische Deutungen
2.5 Medienkritische Deutungen
2.6 Intertextuelle Deutungen
3. Fazi
4. Literatur
1. Einleitung
Der Text Vor dem Gesetz von Franz Kafka erschien erstmals in der Selbstwehr, einer jüdischen Wochenschrift, in Jahre 1915. Nach dem Tod Kafkas erschien die Türhüterlegende, wie der Text auch genannt wird, im neunten Kapitel des Prozeß- Romans. In dem Roman selbst wird die Legende schon als ein schwierig zu interpretierender Text angesprochen. Ein Geistlicher, der die Geschichte dort Josef K., dem Protagonisten, erzählt, gibt selbst den Anstoß zur Interpretation und bespricht mit Josef K. einige sich widersprechende Deutungen. Auch durch diese Komplexität gibt es sehr viele verschiedene Deutungen, die entweder den Romankontext miteinbeziehen oder die Deutung im Roman untersuchen oder den Text als einen Eigenständigen interpretieren.
Kafka selbst hat seinen Text als gelungen angesehen, und er trennte die Schaffensphase und die Deutungsphase, das heißt, „ daß die erzählerische Arbeit an der Exegese dem eigentlichen Verstehen durch den Autor vorangegangen ist.“[1] Dies geht aus Kafkas Tagebucheintragungen hervor. Leider sagt Kafka in seinen Tagebüchern nichts über die Bedeutung, aber die Tatsache, dass Kafka den Text erst im Nachhinein verstanden hat, legt nahe, dass die Deutungen innerhalb des Prozeß- Romans nicht die Funktion haben, den Sinn der Türhüterlegende zu erschließen, da Kafka den Text sonst schon früher verstanden haben musste.
Ich möchte in dieser Arbeit einige verschiedenste Interpretationen zu Vor dem Gesetz erläutern, um zu veranschaulichen, dass die Thesen zu diesem Text fast ins Unendliche reichen. Es gibt sicherlich bevorzugte Deutungsrichtungen, die durch den religiösen Rahmen des Prozeß- Romans im neunten Kapitel oder die erste theologische Deutung durch Kafkas Freund Max Brod nahegelegt werden. Viele Forscher sehen den Text auch als eine Parabel an. Der Name Kafkas allgemein wird heutzutage oft in Verbindung mit der Gattung Parabel gebracht. Der Kontext mit dem Prozeß- Roman legt dies nahe. Andere Forscher, wie beispielsweise Hartmut Binder, bestreiten, dass der Text eine Parabel ist. Binder versucht sogar zu widerlegen, dass der Text eine Parabel ist. Auch die Meinung, dass Kafka die Gattung Parabel absichtlich umgestaltet hat, hält er für falsch.[2]
Da die Forschung zu Vor dem Gesetz nun schon über 60 Jahre andauert (die Kafka Forschung setzte erst ab den 1950er Jahren richtig ein), ist anzunehmen, dass es noch keine Deutung gibt, mit der die meisten Forscher einverstanden wären.
Ich habe mich auf die Themenfelder der biographischen, theologischen, psychoanalytischen, soziologischen, intertextuellen und medienkritischen Deutungen beschränkt, aber das Forschungsfeld ist viel größer, und man kann manche Deutungen dem einen Themenbereich wie dem anderen zuordnen. So gibt es beispielsweise auch noch politische, juristische, mythologische und kommunikationstheoretische Deutungsansätze.
2. Die Deutungen
2.1 Psychoanalytische Deutungen
Seit Freud gibt es die psychoanalytische Deutung in der Literaturwissenschaft. Schon 1931 gab es die erste psychoanalytische Studie über Kafka. In Deutschland wurde die Psychoanalyse aber durch die Nazis verboten, so dass die Entwicklung solcher Deutungen hier unterbrochen wurde. In Amerika ist diese Art der Deutung aber in den 40er Jahren stark weiterentwickelt worden, weil in Kafkas Werk viele persönliche Texte wie Traumanalysen und Tagebücher vorhanden sind.
Die Psychoanalytiker legen eine solche Deutung Kafkas nahe, da er nachweislich die Arbeit Freuds gekannt hat. Es ist also denkbar, dass Kafka die Psychologie hat mit in sein Werk einfließen lassen.
In dieser Arbeit soll die psychoanalytische Deutungsweise von Vor dem Gesetz an den Interpretationen von John S. White, Walter Sokel und Jacques Derrida veranschaulicht werden.
White ist der Meinung, dass Kafka einen Ödipuskomplex[3] gehabt hat, der nach White auch in Vor dem Gesetz thematisiert wird . White sagt, dass der Türhüter vor dem Gesetz den Vater Kafkas darstellt. Der Eingang zum Gesetz repräsentiert den Eingang in die Vagina seiner Mutter. In der Erzählung wird das Verlangen Kafkas nach seiner Mutter geschildert.
White belegt seine Deutung immer wieder mit der Biographie Kafkas. White erwähnt, dass Kafka ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater gehabt hat. Kafka hatte zeitweise sogar Mordgedanken gegen seinen Vater, der mit den künstlerischen Ambitionen seines Sohnes nicht einverstanden war.
White sieht den Schlüssel zu Kafkas Werk in seiner Biographie: „[...]whatever Kafka wrote is so highly autobiographical that only a knowledge of his personal background provides the key to the meaning and significance of his revelations.“[4]
Für Sokel ist der Mann vom Lande selbst verantwortlich für die Vergeblichkeit seines Tuns, weil er nur noch das Vergebliche tut. Daraus folgt für den Mann vom Lande ein Leben in völliger Isolation von der Gesellschaft. Der Mann vom Lande opfert sein Leben der Konzentration auf ein Ziel, das er nie erreicht. Die Konzentration auf den Türhüter repräsentiert für Sokel das „reine Leben“[5], die „Sucht nach Erfüllung“[6] ist die Reinheit des Ichs. Diese Sucht ist die natürliche Bestimmung des Menschen, denn „alle streben doch nach dem Gesetz.“[7] Sokel verfolgt diesen Gedanken noch weiter indem er sagt, dass ein inneres Gebot zur Ewigkeit führt, durch das der Mann vom Lande nach dem Tod strebt. Am Ende stirbt der Mann für Sokel. Der Türhüter ist dann als die Gegenstimme dieses inneren Gebotes, also dem Lebensinstinkt, aufzufassen. Wie White ist auch Sokel der Meinung, dass der Türhüter als Kafkas Vater aufzufassen ist, der den Mann bzw. Kafka zugleich vom direkten Kontakt mit Gefahr und Gewalt abhält und ihn vor seiner eigenen Angst rettet.[8]
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen White und Sokel besteht darin, dass beide der Ansicht sind, Kafka beschreibt in der Erzählung seinen eigenen Vater- Sohn Konflikt. Kafka hat sein Leben für den Vater etwas Sinnlosem gewidmet, nämlich der Kunst, genauso, wie der Mann vom Lande sein Leben lang den Türhüter sinnlos studiert. Wie der Mann vom Lande abhängig von dem Türhüter ist, so ist Kafka abhängig von seinem Vater, sagt Sokel. Kafka wurde von seinem Vater erniedrigt, was in der Erzählung durch den Schemel symbolisiert wird, auf den sich der Mann vom Lande setzt. Das Gesetz repräsentiert für Sokel ein Leben in Erfüllung, das Kafkas Ideal eines Familienlebens entspricht.[9]
[...]
[1] Andringa, E.: Wandel der Interpretation,
[2] vgl. Binder, H.: Parabel als Problem
[3] Der Brockhaus in einem Band: „nach S. Freud Liebe des Knaben zur Mutter mit Eifersucht, Hass gegen den anderen Elternteil“,
[4] White J.: Psyche and Tuberculosis,
[5] Sokel, W.: Tragik und Ironie,
[6] Sokel, W.: Tragik und Ironie,
[7] Kafka, F,: Sämtliche Erzählungen, S.132
[8] vgl. Andringa, E.: Wandel der Interpretation,
[9] Andringa, E.: Wandel der Interpretation, S.125
- Arbeit zitieren
- Patrick Rutishauser (Autor:in), 2004, Eine Darstellung ausgewählter Interpretationen zu Franz Kafkas 'Vor dem Gesetz', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78390
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