Nursing homes still suffer from a deeply rooted, bad image because of their structural problems, like the lack of privacy and qualified staff. This research project concentrates on the entry into long-term geriatric care. Becoming a resident of a nursing home has a big effect on the quality of life: the frail elderly person has to adapt to certain rules, norms, a new daily routine, room neighbors etc. Therefore this entry is in most cases a negative life event that leads not only to a psychological crisis but can also affect health negatively.
This research project was based on the assumption that the organization of the entry can influence the elderly’s ability to cope with the demanding situation. The aim of this project was to describe this admission process and the structures that determine it, and to answer the following questions: How is the entry organized? How can the role of the elderly in this process be described? How can the organization support new residents and promote their health?
The chosen qualitative research approach made possible a complex and profound description of the social phenomena of the “admission process”.
The main result was that the organizational process differs within the three types only regarding flexibility and time structure. Although each organization has a different view of itself, in all three of them a characteristic of the admission process is a focus mainly on functional and organizational needs. Family members not only play the main role as informers but receive more social support than the new home resident. The help dedicated to the new residents is rather instrumental because of the belief that only time can help them to cope with the crisis.
The elderly are regarded as frail. Due to the perceived need to protect them their active involvement in the admission process is minimized. It seems as if the former human being is often reduced to a passive patient or customer that loses control not only over his body, but also his mind and soul.
A health promoting arrangement of the entry into long-term care should in short consider the following aspects: participation, reduction of hierarchy, case management and a greater number of sufficiently qualified nursing staff. In general, the involvement of residents in decision-making processes seems to be by far the most important health-promoting factor.
INHALTSVERZEICHNIS
I EINLEITUNG
1 DAS THEMENFELD
2 FRAGESTELLUNG/ FORSCHUNGSINTERESSE
3 METHODEN
4 AUFBAU DER ARBEIT
II ANSCHLUSS AN BISHERIGE FORSCHUNG UND SOZIOLOGISCHE THEORIEN
1 WOHNEN UND LEBEN IM ALTER
1.1 Struktur der österreichischen Altenbetreuung
1.2 Demographische Entwicklungen und deren Bedeutung
1.3 Pflegebedürftigkeit
1.4 Alter(n)
1.5 Neue Formen des Wohnens im Alter
1.6 Exkurs: Der Heimvertrag
1.7 Resümee
2 LEBENSWELT PFLEGEHEIM- Die totale Institution und ihre Strukturmängel
2.1 Soziologie des Heimes
2.2 Systemtheoretische Überlegungen zur Lebenswelt Pflegeheim
2.2.1 Funktionssystem Krankenbehandlung vs. Pflege
2.2.2 Soziale Organisation Pflegeheim
2.3 Heim als totale Institution nach Goffman
2.4 Veränderung der Heimstrukturen
2.5 Strukturelle Probleme
2.6 Resümee
3 DER HEIMEINTRITT
3.1 Der Heimeintritt als soziologisches Phänomen
3.1.1 Niklas Luhmann: Heimeintritt und Mitgliedschaft
3.1.2 Erving Goffman und der Beginn einer „moralischen Karriere“
3.2 Entscheidungsfindung und Modalitäten des Heimeintritts
3.3 Der Übertritt als Auslöser einer gesundheitlichen Krise
3.3.1 Problematik des Heimeintritts
3.3.2 Konsequenzen des Heimeintritts
3.3.3 Einflussfaktoren auf die Bewältigung
3.4 Heimeintritt: Sicht der Angehörigen
3.5 Resümee
4 GESUNDHEIT und GESUNDHEITSFÖRDERUNG
4.1 Definition von Gesundheit
4.2 Entstehung von Gesundheit und Krankheit
4.2.1 Theoretische Konzepte
4.2.2 Stress
4.2.3 Soziale Unterstützung und life events
4.2.4 Coping und Krankheitsbewältigung
4.2.5 Soziale Rolle und Selbstbeschreibung
4.2.6 Das Stigma-Konzept
4.3 Gesundheitsförderung
4.3.1 Definition und Interventionsstrategien von Gesundheitsförderung
4.4 Zusammenfassung
5 FAZIT- Von der Theorie zur Fragestellung
III EMPIRISCHER TEIL
1 METHODISCHES VORGEHEN
1.1 Forschungsinteresse und Fragestellungen
1.2 Maximen qualitativer Forschung nach Froschauer/ Lueger
1.3 Forschungsprozess
1.3.1 Auswahl der Fälle
1.3.2 Feldzugang
1.3.3 Interviewführung/ Erhebung
1.3.4 Exkurs: ExpertInneninterviews
1.3.5 Auswertung
1.4 Maßnahmen zur Qualitätssicherung
2 ERGEBNISDARSTELLUNG
2.1 Einleitung
2.2 Beschreibung der Heime
2.2.1 Haus A: Eine betriebswirtschaftlich orientierte Dienstleistungsorganisation
2.2.2 Haus B: Heim als expertInnenzentriertes Krankenhaus
2.2.3 Haus C: Hotel vs. Familie
2.3 Vorbereitung des Eintritts durch die Organisation
2.3.1 Haus A
2.3.2 Haus B
2.3.3 Haus C
2.3.4 Zusammenfassung: Koalition von Angehörigen und Institution?
2.4 Gestaltung des Eintritts
2.4.1 Haus A
2.4.2 Haus B
2.4.3 Haus C
2.4.4 Zusammenfassung: Heimeintritt als Transfer?
2.5 Rolle der HeimbewohnerInnen
2.5.1 Haus A
2.5.2 Haus B
2.5.3 Haus C
2.5.4 Zusammenfassung: PatientIn, KlientIn, MitbewohnerIn?
2.6 Unterstützung durch die Organisation
2.6.1 Haus A
2.6.2 Haus B
2.6.3 Haus C
2.6.4 Zusammenfassung: Unterstützung durch Abschirmung?
2.7 Resümee
IV AUSBLICK: Möglichkeiten und Grenzen einer gesundheitsförderlichen Gestaltung
1.1 Theoretische Konzeption einer gesundheitsförderlichen Organisation Pflegeheim
1.2 Maßnahmen zur gesundheitsförderlichen Gestaltung
1.2.1 BewohnerInnen als KoproduzentInnen
1.2.2 Veränderung der Organisationsstrukturen: Flexibilität, Abbau von Hierarchie, Stärkung der Eigenverantwortung
1.2.3 Qualifikation, Anzahl und professionelle Haltung des Pflegepersonals
1.2.4 Prozessgestaltung der Aufnahme: Management von Schnittstellen
1.2.5 Aufrechterhalten sozialer Kontakte und der Verbindung zum früheren Leben
1.2.6 Unterstützung beim Wohnen
1.3 Grenzen einer gesundheitsförderlichen Gestaltung?
V LITERATURVERZEICHNIS
VI ANHANG
1 TRANSKRIPTIONSRICHTLINIEN
I EINLEITUNG
„Becoming a home care client or nursing home
resident means stepping into a world of powerful
organizational patterns and structures- at a point
when one may feel particularly unarmed and vulnerable”
(Collopy 1995:63).
1 DAS THEMENFELD
In Österreich wird der Großteil betagter und hilfsbedürftiger Personen von Angehörigen, meist mithilfe ambulanter Dienste, betreut. Pflegeheime können in Österreich daher nicht als Hauptversorger im Bereich der Altenhilfe gelten. Die Anzahl der Menschen, der in dieser Pflegeform betreut wird, beträgt seit Jahrzehnten ca. 4% der über 60-Jährigen (vgl. Hörl/ Kytir 2000). Bemühungen, weniger restriktive Pflege- und Wohnformen wie z.B. Seniorenwohnungen, Tagesstätten etc. zu etablieren, greifen seit einiger Zeit erfreulicherweise auch in Österreich und werden auch in dieser Arbeit in Kapitel 1 thematisiert werden. Trotzdem muss die bestehende und zukünftige große Bedeutung der Versorgung durch Pflegeheime- ob kritisiert oder nicht- anerkannt werden, ExpertInnen prognostizieren sogar die Notwendigkeit eines Ausbaus von Pflegeplätzen (vgl. u. a. Rubisch et al. 2001). So wurden in Niederösterreich im Zeitraum von 1996 bis 2000 fünf neue Pflegeheime eröffnet (vgl. Löger/ Amann 2001) und in ganz Österreich gibt es derzeit 770 Alten- und Pflegeheim (vgl. Gesundheitsbericht Österreich 2004). Im untersuchten Feld Wien existieren 82 Alten- und Pflegeheime mit insgesamt 21 023 Plätzen (vgl. Badelt/ Leichsenring 2000).
Gerade der Eintritt in ein Pflegeheim stellt für betagte Menschen einen Bruch mit bisher gewohnten Normen, Werten und Regeln dar und kann daher als Auslöser einer emotionalen Traumatisierung gesehen werden. Der Eintritt in diese stationäre Betreuungsform wird in der Literatur oft als „life event“ bezeichnet, als eine krisenhafte Übergangssituation, die mit der Aufgabe des früheren Wohnortes, dem Verlassen der gewohnten räumlichen und sozialen Umgebung, einem Verlust an sozialen Beziehungen und mit einem Rollenwechsel verbunden ist. Das Pflegeheim als „totale Organisation“ und Lebenswelt, die durch extreme Strukturierung und Kollektivität gekennzeichnet ist, verlangt den BewohnerInnen soziale, sachliche und zeitliche Anpassung ab. Diese Phase ist meist mit negativen Gefühlen verbunden und fordert den betagten Menschen, der sich nun mit der endgültigen Realität des Alters und des Sterbens konfrontiert sieht, sehr. Angehörige erfahren meist ebenso negative Grundgefühle und erleben einen Beziehungsverlust: dies bedeutet, dass der Eintritt auch von den Angehörigen als Beginn eines sozialen Sterbens gesehen wird.
Die Anpassungsleistungen, die von neuen BewohnerInnen nach dem Eintritt geleistet werden müssen, stellen in vielen Fällen eine Überforderung dar, die zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zum Tod führen kann (vgl. Sonneck 2002). So zeigen Untersuchungen, dass ein Drittel aller Todesfälle im Heim innerhalb des ersten Monats eintritt (vgl. Verein für Konsumenteninformation 2003). Auch wenn eine erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsrate teilweise auf den bereits beim Eintritt bestehenden schlechten Gesundheitszustand der neuen BewohnerInnen zurückzuführen ist, hat auch die Gestaltung dieses Aufnahmeprozesses durch die Organisation großen Einfluss auf die Bewältigung der Krisensituation.
2 FRAGESTELLUNG/ FORSCHUNGSINTERESSE
Der Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit liegt darauf, wie das Pflegeheim den Eintritt gestaltet. In den Blickpunkt rückt damit die soziale Organisation Pflegeheim und ihre Wirkung auf die BewohnerInnen. Es stellt sich die Frage, wie der Schock, der zumeist mit einem Umzug ins Pflegeheim einhergeht, gemildert werden kann und wie die Organisation die Gesundheit der HeimbewohnerInnen fördern bzw. zumindest eine Verschlechterung ihres Zustandes vermeiden kann.
Die Themenfindung für diese Diplomarbeit wurde durch das Feld geleitet. Im Rahmen eines Praktikums in einem Pensionisten- und Pflegeheim konnte die Autorin feststellen, dass der Pflegeheimeintritt organisatorisch (im Sinne von Ablaufprozessen) umfassend und aufwändig vorbereitet wird und auch z. T. versucht wird, auf die neuen BewohnerInnen und ihre individuelle Lebensgeschichte einzugehen. Trotz dieser Bemühungen seitens der Organisation waren die meisten Gespräche mit neuen BewohnerInnen bedrückend und von Trauer und Resignation gekennzeichnet.
Das Phänomen der „Institutionalisierung“, das in diesem Kontext als Einzug in eine Pflegeinstitution verstanden wird, ist in der sozialwissenschaftlichen Forschung kein Neuland und wird bereits seit den 60-er Jahren bearbeitet. Bisherige Studien- zumindest im deutschsprachigen Raum- rückten aber zumeist die Sicht der HeimbewohnerInnen, z.B. ihre individuellen Copingstrategien, oder die Perspektive der Angehörigen in den Mittelpunkt. Die strukturellen Bedingungen, die die Organisation schafft, sind noch nicht ausreichend untersucht worden. Diese Arbeit richtet aus diesem Grund den Blick auf die Seite der Organisation um - in Anschluss an Theorien aus der Gesundheitswissenschaft- das soziale Setting Pflegeheim und seine mehr oder weniger gesundheitsförderliche Wirkung –v. a. in der Eingewöhnungsphase im Heim- zu analysieren. Die grundlegende Annahme, die hinter dieser Fragestellung steht, ist die, dass soziale Strukturen auf unsere psychische, körperliche und soziale Gesundheit großen Einfluss haben.
Dieses Projekt ist als angewandte Forschung konzipiert; der „soziologische Blick“, der auf diese Situation gerichtet wird, soll ein besseres Verstehen des Phänomens Heimeintritt ermöglichen. Darauf aufbauend werden Grenzen und Möglichkeiten einer gesundheitsförderlichen Gestaltung des Aufnahmeprozesses aufgezeigt, die im Setting Pflegeheim verwirklicht werden könnten.
M .E. besteht die Aufgabe einer angewandten Forschung auf diesem Gebiet darin, eine wissenschaftlich fundierte Basis für organisationsinterne aber auch sozialpolitische Entwicklungen - mit dem Ziel, hoch betagten Menschen unserer Gesellschaft auch in ihrem letzten Lebensabschnitt ein würdevolles und möglichst selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen- zu liefern.
3 METHODEN
Die Struktur der Wiener Heimlandschaft ist von zwei wesentlichen Faktoren geprägt, zum einen durch die Trägerschaft und zum anderen durch die Größe der Heime. Um diesen Merkmalen Rechnung zu tragen, wurden drei Heime in diese Untersuchung miteinbezogen: ein kleines privates Heim, ein mittelgroßes privates, gemeinnütziges Heim und eine große öffentliche Institution.
Diese qualitative Forschungsarbeit wurde in drei aufeinander bezogenen Phasen durchgeführt. In einer ersten, eher explorativen Phase wurden ExpertInneninterviews zu spezifischen Fragestellungen geführt, um das Forschungsfeld näher abstecken zu können und Hilfestellungen für das weitere Vorgehen zu erhalten. Die zweite Phase kann als Hauptphase bezeichnet werden. Hier wurden sechs offene Gespräche mit internen Expertinnen (z.B. Pflegedienstleiterinnen, Stationsschwestern) zur Gestaltung des Eintritts geführt. Relativ spät im Forschungsprozess angesiedelt waren zusätzliche Gespräche mit HeimbewohnerInnen. Das erhobene Material wurde mit den von Froschauer/ Lueger entwickelten Methoden der Themen-, Feinstruktur- und Systemanalyse interpretiert wobei der Analyseschwerpunkt eindeutig auf den Gesprächen mit RepräsentantInnen der untersuchten Organisationen lag. Der Vorteil dieser zyklischen Vorgehensweise lag in der dadurch möglichen Flexibilität in Auswahl der InterviewpartnerInnen und Art der Interviewführung. Ziel war es auch, durch unterschiedliche Erhebungs- und Auswertungsmethoden ein möglichst vielschichtiges Bild des Phänomens Heimeintritt zu erhalten.
4 AUFBAU DER ARBEIT
Das erste Kapitel widmet sich dem Rahmenthema Wohnen und Leben im Alter. Fragen, die hier behandelt werden sind u. a. die der demographischen Veränderung, der Lebenssituation im Alter und der unterschiedlichen Wohn- und Betreuungsformen. In Kapitel 2 wird die Lebenswelt Heim mit ihren spezifischen Charakteristika und strukturellen Problemen diskutiert. Niklas Luhmann und Erving Goffmans organisationssoziologische Theorien bieten hierbei sinnvolle Anknüpfungspunkte. Das Kapitel 3 soll das Phänomen Pflegeheimeintritt aus soziologischer Perspektive näher beleuchten. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit unterschiedlichen Definitionen von Gesundheit sowie mit individuen- und settingbezogener Gesundheitsförderung. Gesundheitswissenschaftliche Konzepte zu Stress, sozialer Unterstützung, Bewältigung bzw. Coping, soziale Rolle und Stigmatisierung runden diesen Themenbereich ab.
Kurze Zusammenfassungen am Ende der jeweiligen Kapitel sollen der besseren Lesbarkeit dienen.
Der empirische Teil dieser Arbeit beinhaltet neben der Darstellung der Forschungsfragen, des Forschungsprozesses und der Ergebnisse auch eine kurze Einführung in die Maximen der qualitativen Sozialforschung nach Froschauer/ Lueger. Das letzte Kapitel bietet einen Ausblick auf eine gesundheitsförderliche Gestaltung der Aufnahme, die dabei zu beachtenden Aspekte und möglichen Grenzen.
II ANSCHLUSS AN BISHERIGE FORSCHUNG UND SOZIOLOGISCHE THEORIEN
1 WOHNEN UND LEBEN IM ALTER
1.1 Struktur der österreichischen Altenbetreuung
Die Wohnform im Alter ist ebenso wenig homogen wie die jüngerer Menschen und reicht vom Leben im Privathaushalt mit oder ohne PartnerInnen bzw. Kindern bis hin zum Leben in einer Institution. Im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsgruppen ist aber der Grad der Selbstbestimmung über die Wohnsituation geringer bzw. sind „die Optionen für die Gestaltung der Wohn- und Lebensformen im Alter stärker eingeschränkt als in jungen Jahren“ (Hörl/ Kytir 2000:52) und nicht nur von Gesundheitszustand, individuellen Kompetenzen, sozialer Unterstützung durch Familie, Freunde und Nachbarschaft sondern auch vom bestehenden Betreuungsangebot abhängig. Decken mobile bzw. teilstationäre Angebote (z.B. Tageszentren) den Pflegebedarf nicht mehr ab, stehen älteren Menschen auch stationäre Angebote zur Verfügung.
Institutionelle Wohnformen in Österreich können grob in drei Typen eingeteilt werden. In Altenwohnheimen – die in dieser Untersuchung ausgespart werden- leben Menschen, die ihren Alltag noch weitgehend ohne fremde Hilfe gestalten können, die Appartements sind meist Wohneinheiten mit Bad und Kochgelegenheit. Altenheime bieten hauswirtschaftliche (Zubereitung von Mahlzeiten, Zimmerreinigung) und pflegerische Leistungen an, bei Erhöhung der Pflegebedürftigkeit ist auch ein Umzug in die meist hauseigene Pflegestation möglich. Altenpflegeheime stehen im Fokus dieser Arbeit und versorgen jene Personengruppe, die umfassender hauswirtschaftlicher, pflegerisch-therapeutischer und psychosozialer Hilfe bedarf. Pflegeheime kennzeichnen sich durch dauerhafte, stationäre – dem Schweregrad der Beeinträchtigung entsprechende- intensive Betreuung für pflegebedürftige ältere Menschen (vgl. Verein für Konsumenteninformation 2003).
Nur eine kleine Gruppe von Menschen wird in Österreich in Institutionen betreut, der Großteil der betagten Menschen lebt zuhause (vgl. Feuerstein/ Havel 2000) und erstaunlich viele -48%- wohnen mit einem ihrer Kinder im selben Haus (vgl. Hörl/Kytir 2000). Der Prozentsatz derjenigen, die in einem Einpersonenhaushalt wohnen, ist in der Gruppe der über 70 jährigen Frauen am höchsten und lag 1997 bei 41% im Vergleich zu 12% bei den Männern der gleichen Altersgruppe (vgl. Hörl/ Kytir 2000). Auch das Risiko einer Institutionalisierung wird durch die Variablen Geschlecht und hohes Lebensalter begünstigt. Die folgenden Tabellen zeigen den Prozentsatz der Männer und Frauen, die 1998 in einem Privathaushalt bzw. einer Institution lebten.
Tabelle 1 : Institutionalisierung
Frauen Männer
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Seniorenbericht Kurzfassung (1999:45 f)
Wohnen „junge Alte“ (bis ca. 80 Jahren) vorwiegend noch zuhause, leben 17% der Frauen über 85 Jahren und immerhin 10% der Männer in einer Institution. Weitere Faktoren, die zu einer Institutionalisierung führen können sind (vgl. Hager 1996):
- Familienstand bzw. das Nichtvorhandensein eines Partners
- Kinderlosigkeit bzw. männliche Kinder
- schlechte Beziehung zu den Kindern
- nicht altersadäquate Wohnverhältnisse (z.B. Wohnung ohne Aufzug)
- Schlechte finanzielle Lage
- Schlechter Gesundheitszustand
In Österreich gab es 2002 ca. 67.000 Heimplätze, davon waren ca. 53.000 Pflegeplätze und 14.000 Wohnplätze und v. a. in den letzten Jahren veränderte sich diese Relation zu Gunsten der Pflegeplätze da diese stark ausgebaut wurden (vgl. Schaffenberger/ Pochobradsky 2004). Als ein Beispiel für diesen Trend kann die Steiermark gesehen werden, „wo die Gesamtzahl der Heimplätze seit 1987 um ein Drittel zugenommen hat, wobei sich das Verhältnis zwischen Wohn- und Pflegeplätzen umgekehrt hat“ (Badelt/ Leichsenring 2000: 421).
Gründe für diese steigende Nachfrage nach Pflegeplätzen liegen nicht nur in der wachsenden Anzahl von PatientInnen mit dementiellen[1] bzw. anderen sehr pflegeintensiven Erkrankungen, sondern auch in der Verbesserung der allgemeinen Wohnsituation in Österreich und dem Ausbau der mobilen Dienste, die einen Umzug ins Pflegeheim erst sehr viel später nötig machen. Aus diesem Grund ist aber auch der Gesundheitszustand der Eintretenden meist stark eingeschränkt und die BewohnerInnen benötigen nicht mehr nur Hilfe im Alltag sondern auch sehr pflegeintensive Betreuung (vgl. Albrecht 1997).
Über die derzeitige Verweildauer in österreichischen Pflegeheimen kann aufgrund mangelnden (aktuellen) Datenmaterials nur wenig gesagt werden. Hager nennt mit Verweis auf Saup (1993) und dem Statistischen Zentralamt Österreich (1986) eine durchschnittliche Verweildauer von 2-2,5 Jahren und spricht von einer überproportional hohen Mortalitätsrate innerhalb des ersten halben Jahres (vgl. Hager 1996).
Im Jahr 2000 existierten in Österreich ca. 770 Alten- und Pflegeheime, die Struktur der stationären Altenbetreuung zeigt innerhalb Österreichs jedoch Unterschiede auf, so ist z.B. die Versorgungsdichte in Wien am höchsten und im Burgenland am niedrigsten und auch die Qualifikation des Pflegepersonals ist regional unterschiedlich (vgl. Gesundheitsbericht Österreich 2004).
Tabelle 2: Wohn- und Pflegeplätze in Österreich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen 2004
* in diesen Bundesländern keine Unterscheidung zwischen Wohn- und Pflegeplätzen
Während in der Bundeshauptstadt das Verhältnis von Pflege- und Wohnplätzen relativ ausgeglichen ist, scheinen in den Bundesländern die Pflegeplätze zu überwiegen - auch wenn dies für das Burgenland und Oberösterreich mangels vorliegender Daten nur vermutet werden kann.[2] In allen Bundesländern ist jedoch der Trend hin zu einer Umwandlung von Wohn- in Pflegebetten zu beobachten (vgl. Verein für Konsumenteninformation 2003).
Es scheint sich also eine Polarisierung des Angebots zu entwickeln: Ältere Menschen nützen in weit stärkerem Ausmaß als früher ambulante Dienste, und erst wenn das Leben zuhause trotz dieser Form der Hilfe nicht mehr möglich ist, erfolgt der Umzug in ein Pflegeheim. Kritische Stimmen sehen die Gründe für diese Entwicklung nicht nur in der sich verändernden Nachfrage sondern auch in einer politischen Steuerung des Angebots und fragen, „ob zukünftig tatsächlich kein relevanter Bedarf an Wohnheimplätzen mehr bestehen wird“[3].
1.2 Demographische Entwicklungen und deren Bedeutung
Mit Löger/Amann (2001) ist die große Bedeutung des Alter(n)s relativ neu, diese fällt mit der Entwicklung der modernen Industriegesellschaften zusammen und wird auch als „demographische Revolution“ bezeichnet. Anders als oft angenommen sei aber nicht der Rückgang der Sterblichkeit sondern die sinkende durchschnittliche Kinderzahl pro Frau für diesen demographischen Prozess verantwortlich. Erst seit dem Ersten Weltkrieg sei ein demographischer Alterungsprozess in Österreich zu beobachten, ab 1920 wuchs der Anteil der über 60-Jährigen auf über 10%. Nach einer Verlangsamung dieser Entwicklung in den Jahren von 1970 bis 1990 sei mit Löger und Amann nun aber eine deutliche Alterung der österreichischen Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten.
Demographische Statistiken zeigen auf, dass die Entwicklung der Bevölkerung in bereits naher Zukunft von einer starken Zunahme der älteren Bevölkerung (dieses Phänomen wird oft mit dem -m. E. nach bedenklichen Begriff -„Überalterung“ belegt) gekennzeichnet sein wird. ExpertInnen gehen davon aus, dass sich Österreich von einer derzeit relativ „jungen“ Gesellschaft hin zu einer „alten“ Gesellschaft entwickeln wird. Die Schätzungen für das Jahr 2050 gehen von fast 3 Millionen Österreichern und Österreicherinnen aus, die über 60 Jahre alt sind, d.h. dass der Anteil der über 60 Jährigen von 20,2% (2001) auf ca. 36% (2050) steigen wird.[4] Im Jahr 2050 werden fast 1,5 Millionen Menschen in Österreich über 75 Jahre alt sein (vgl. Amann 2003) wobei v. a. der Anteil der Hochaltrigen (d.h. der Menschen über 85 Jahre) stark ansteigen und von heute 9% der über 60-Jährigen auf 21% wachsen wird (vgl. Kytir/ Münz 2000). Dieser demographische Prozess verläuft laut Kytir und Münz regional unterschiedlich und ist u. a. abhängig von Zuwanderung und Fertilität. Welche Folgen diese Bevölkerungsentwicklung für den Bereich der Altershilfe bzw. –Versorgung bringen wird ist aufgrund der Schwierigkeit, „quantitative Ergebnisse historischer Langzeitvergleiche des Wandels der Bevölkerungsstruktur in qualitativer Hinsicht zu interpretieren“ (Kytir/ Münz 2000:41) schwer abschätzbar.
Anzunehmen ist aber, dass dieser demographische Prozess uns vor neue Herausforderungen, nicht nur im Bereich der sinnvollen Integration betagter Menschen in unsere Gesellschaft, sondern auch hinsichtlich der Betreuung dieser Personengruppe stellen wird. Denn die oben beschriebene demographische Entwicklung wird auch mit einem steigenden Pflegebedarf einhergehen, trotz der Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand der ÖsterreicherInnen– auch in hohem Alter- bereits verbessert hat und sich in Zukunft noch verbessern wird, d.h. der Anteil der Pflegebedürftigen an den Älteren sinken wird (vgl. Löger/ Amann 2001).
Fraglich ist daher, ob die Betreuung durch Angehörige, die in Österreich die häufigste Form der Versorgung ist, auch in Zukunft in so großem Ausmaß möglich sein wird. Folgende Gründe sprechen dagegen und legen laut ExpertInnen den Ausbau neuer Wohn- und Betreuungsformen nahe: die steigende Anzahl an erwerbstätigen Frauen, die Zunahme an räumlicher Mobilität sowie die sinkende Kinderzahl pro Haushalt bzw. die sinkende Unterstützungsleistung durch die Kinder (vgl. Feuerstein/ Havel 2000).
Die Erwerbsquote von Frauen betrug im Jahre 2005 62% und ist somit seit 1971 um 13 Prozentpunkte gestiegen.[5] Da die häusliche Pflege überwiegend von Frauen geleistet wird[6], scheint ein zukünftiger vermehrter Bedarf an institutionellen Angeboten absehbar. Auch die Verringerungen der Kinderzahl pro Haushalt spielt eine wichtige Rolle: Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau ist zwar im Jahr 2004 leicht gestiegen und liegt nun bei 1,42[7], trotzdem wird davon auszugehen sein, dass die rein familiäre Pflege kein realistisches Zukunftsmodell ist. Denn die Zahl der Menschen, die auf Hilfe angewiesen ist steigt im Vergleich zur Zahl jener, die diese Hilfe erbringen können.
Die „Singularisierung unserer Lebensformen“, die sich durch sinkende Heiratshäufigkeit, sinkende Kinderzahlen, einem Anstieg an Einpersonenhaushalten[8] und der Scheidungshäufigkeit belegen lässt (vgl. Kytir/ Schrittwieser 2003) trägt dazu bei, dass immer mehr ältere Menschen auf organisierte professionelle Hilfe angewiesen sein werden. Institutionelle Wohnformen für Ältere werden aus diesem Grund wohl zumindest in ihrer Bedeutung bestehen bleiben bzw. sogar ausgebaut werden müssen.
1.3 Pflegebedürftigkeit
Von Pflegebedürftigkeit wird bei einem mindestens 6-monatigen Bedarf an Hilfe und Betreuung von mindestens 50 Stunden pro Monat gesprochen.[9] Laut dem Bundesministerium lebten 1998 ungefähr 315 000 pflegebedürftige Menschen in Österreich und ca. 89 % der BundespflegegeldbezieherInnen waren älter als 60 Jahre alt (Seniorenbericht Kurzfassung 1999). Der österreichische Mikrozensus aus dem Jahr 1998 zeigt, dass 28,8% der über 60-Jährigen hilfsbedürftig und 6,3% pflegebedürftig waren (vgl. Badelt/ Leichsenring 2000). Mehrere Datenquellen weisen darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit hilfs- oder pflegebedürftig zu werden, mit zunehmendem Alter stark ansteigt. Anders als man vielleicht annehmen würden sind aber „selbst die über 85-jährigen in der Mehrzahl der Fälle nur leicht betreuungsbedürftig (…) und bei Gewährung einer systematischen und verlässlichen Hilfe durchaus imstande (…), ein weitgehend selbstständiges Leben zu führen“ (Badelt/ Leichsenring 2000:413).
Aufgrund des demographischen Wandels wird die Pflegebedürftigkeit in Zukunft ansteigen: Schätzungen gehen sogar davon aus, dass im Jahr 2030 800. 000 Menschen in Österreich pflegebedürftig sein werden (vgl. Amann 2004). Im in dieser Arbeit untersuchten Feld Wien haben 1997 56.025 Personen Pflegegeld bezogen (vgl. Wiener Senioren Gesundheitsbericht 1997).
In Österreich wurde 1993 eine Klassifizierung in sieben Pflegestufen eingeführt. Die meisten der pflegebedürftigen Personen sind in den Pflegegeldstufen 1-3 d.h. sie benötigen 50 bis 160 Stunden Hilfe und Betreuung pro Monat. (vgl. Verein für Konsumenteninformation 2003). Das Pflegegeld reicht von 148,30 Euro (Stufe 1) bis zu 1562,10 Euro in Stufe 7[10] und wird durch das allgemeine Steueraufkommen finanziert (vgl. Rubisch et al. 2001).
Aufgrund fehlender ausreichend differenzierter Statistiken sind weder die öffentlichen noch die privaten Ausgaben im Bereich der Pflege leicht nachzuvollziehen, es scheint aber so, als würden Pflegebedürftige und ihre Angehörigen einen beträchtlichen Beitrag (ca. 30%) zur Finanzierung der Versorgung beitragen (vgl. Amann 2004).
Die Einführung dieses Pflegegeldes brachte einige Verbesserungen mit sich. Der Bezug des Pflegegeldes wurde dadurch zum Rechtsanspruch, die Zahlungen wurden erhöht und unabhängig von Einkommen und Alter festgesetzt. Das siebenstufige System ist darüber hinaus relativ differenziert (vgl. Rubisch et al. 2001). Kritisiert werden kann aber laut Amann an dieser in Österreich und Deutschland praktizierten Pflegegeldeinstufung die rein quantitative Orientierung an der Anzahl der zu erbringenden Stunden und damit an einem verrichtungsbezogenem Konzept. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit bleibt aus sozial-gerontologischer Sicht unzureichend fundiert und leitet sich nicht von Bedürfnissen ab sondern baut auf einer eingeschränkten physisch-organischen Perspektive auf. Die große Zahl der demenzkranken Personen, die einer ständigen Begleitung trotz gutem körperlichen Zustandes bedürfen, wird z.B. in dieser Konzeption nicht berücksichtigt. (vgl. Amann 2004)
1.4 Alter(n)
Die Menschen, die in ein Pflegeheim eintreten, sind meist in hoch betagtem Alter. Doch was bedeutet dies eigentlich, abgesehen von den biologischen Abbauprozessen und den funktionellen Einschränkungen, die im Allgemeinen mit diesem Lebensabschnitt verbunden sind? Gerade über sehr alte Menschen, ihre Wünsche, Bedürfnisse und Ängste ist wenig bekannt, sie selbst kommen selten zu Wort und sind leider (noch?) „eine schweigende und unsichtbare, allerdings rapide wachsende Minderheit in unserer Gesellschaft“ (Amann 2004: 128).
Die soziale Kategorie „Alter“ wurde erst Ende des 19.Jahrhunderts geschaffen und ihre Bestimmung war und ist eine historisch und sozial-kulturell überformte (vgl. Kolland 2000). Das Alter wird heute in der sozialwissenschaftlichen Literatur oft in mehrere Phasen unterteilt (so spricht man z.B. von „jungen“ und „alten“ Alten), die sich durch bestimmte Rollenverpflichtungen, veränderte Selbstkonzepte und Identitätsvorstellungen voneinander abgrenzen lassen und auch durch institutionelle Vorgaben - v. a. durch die Arbeitswelt- mitdefiniert werden (vgl. Backes/ Clemens 1998). Eine Schwierigkeit in der Diskussion um soziale Lagen im Alter besteht darin, dass „das Alter an sich“ nicht existiert, d.h. dass die Heterogenität in dieser Lebensphase sehr groß ist. Dies ergibt sich durch Variationen in den Erwerbszeiten, Benachteiligungen und Begünstigungen über den Lebenslauf (bedingt durch Bildung, sozialer Status etc.) und ist zuletzt auch eine Folge von individuellen Lebensereignissen im Alter wie z.B. ein Heimeintritt oder der Verlust des Lebenspartners bzw. der Lebenspartnerin (vgl. Motel- Klingebiel 2001). Aus diesem Grund wird auch von einer „sozialstrukturellen Spannbreite der Lebensphase Alter“ (Backes et al. 2001:9) gesprochen.
Außerdem sind bei der Erforschung der Lebenssituation älterer Menschen auch Kohorteneffekte zu bedenken da der Beginn der Phase Alter oft mit dem Ausstieg aus dem Erwerbsleben gleichgesetzt wird und die Lebensspanne dann bis zu 40 Jahre betragen kann. Von ExpertInnen wird daher der verstärkte Einsatz von Längsschnittstudien gefordert (vgl. Hörl/ Kytir 2000).
Mit der Hochaltrigkeit geht meist nicht nur eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sondern auch eine „Modifikation der sozialen Stellung der Menschen“ (Löger/ Amann 2001:33) einher. Diese Änderung der bzw. Abbnahme an sozialen Beziehungen ist sowohl bedingt durch den Ausstieg aus dem Erwerbsleben, den Verlust von Verwandten und FreundInnen oder sogar des Lebenspartners als auch durch die Schwierigkeit, soziale Kontakte und Aktivitäten trotz körperlicher Einschränkungen im Alter aufrechtzuerhalten bzw. aufzubauen (vgl. Hörl/ Kytir 2000).
Leopold Rosenmayr spricht ebenfalls vom Altern als eine Phase mit spezifischen Schwierigkeiten, in der vor allem Einschränkungen und Grenzen das Erleben prägen. Nichts desto trotz kann dieser Lebensabschnitt aber von einer neuen Ernsthaftigkeit geprägt sein und „vertiefte Erlebnismöglichkeiten eröffnen sich dem, der sie sucht“ (Rosenmayr 1995: 28).
Weitere empirische Ergebnisse zum Thema Alter deuten neben der Schwächung des sozialen Netzwerkes auch auf das Ansteigen von sozialer und emotionaler Einsamkeit, den Verlust an Handlungskontrolle und die Verminderung familiärer und verwandtschaftlicher Beziehungen - meist bedingt durch Verwitwung- hin (vgl. Amann 2004).
Ob ein Mensch im Alter isoliert ist oder sozial integriert ist, wird laut Hörl/ Kytir (2000) schließlich durch mehrere Faktoren beeinflusst, v. a. aber das Bildungsniveau und (hohes) Lebensalter wirken hier entscheidend ein. Sie stellten fest, dass im Vergleich zu 27% der 60-64-jährigen nur 8% der über 85-jährigen sozial hoch integriert sind und vor allem betagte PflichtschulabsolventInnen wenig integriert sind. Völlig isoliert sind jedoch nur 2% der älteren Menschen (vgl. Higgs 2003).
1.5 Neue Formen des Wohnens im Alter
Pflegeheime sind- wie bereits erwähnt- nicht die einzige Möglichkeit, Hilfe für ältere Menschen zu organisieren. An dieser Stelle soll deshalb ein Blick auf andere Pflegeformen gerichtet werden, der exemplarisch dafür steht, wie die Betreuung älterer Menschen – vor allem in anderen Ländern- durchgeführt wird und welche Entwicklungen auf diesem Gebiet zu beobachten sind.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass Pflegeheime als stationäre Form der Versorgung nicht nur ihres Verwahrungscharakters wegen kritisiert werden, sie sind auch kostenintensiver als ambulante Betreuungskonzepte (vgl. Badelt et al. 1995 zit. nach Hofer 1997).
Badelt und Leichsenring (2000) sprechen davon, dass in den letzten 30-40 Jahren eine europaweite Veränderung im Bereich der Altenpflege zu beobachten gewesen sei. Nachdem zunächst zahlreiche Alten- und. Pflegeheime errichtet wurden, erfolgte später ein massiver Ausbau der mobilen Dienste. Die skandinavischen Länder können als Vorreiter dieser Entwicklung betrachtet werden.
So wurde in Dänemark bereits 1988 ein Verbot des Baus von neuen Pflegeheimen durchgesetzt (vgl. Hofer 1997) und alte Pflegeheime wurden in Seniorenwohnungen umgebaut (vgl. Wehrli- Schindler 1997). Heute existiert in Dänemark ein flächendeckendes System der 24-Stunden-Betreuung zuhause (vgl. Wagner 1998).
In Schweden wurde die erweiterte Familie stärker in die Betreuung einbezogen, da sich deren große Bedeutung gezeigt hat und ein Zusammenleben mit nicht-verwandten Menschen für viele Betagte nicht in Frage kommt. In diesem Modell leben Menschen in für alle Altersgruppen infrastrukturell geeigneten Wohnquartieren, die Entfernung zwischen diesen ist zu Fuß bewältigbar. In diesen Nachbarschaften werden Angehörige bei der Wohnungsvergabe bevorzugt (vgl. Wehrli- Schindler 1997). Darüber hinaus wurden Gruppenwohnungen (gruppboende) für Menschen mit Demenzerkrankungen errichtet, in denen diese prinzipiell bis zu ihrem Lebensende wohnen können.[11]
„Österreich folgte diesem Muster im Vergleich zu den nordischen Staaten mit einer gewissen Verzögerung und in etwas abgeschwächter Form“ (Badelt/ Leichsenring 2000: 420). Heute herrscht leider noch immer großer Bedarf an Entwicklung und Forschung im Bereich der alternativen Wohnformen für betagte MitbürgerInnen (vgl. Feuerstein/ Havel 2000). Interessant ist aber wiederum die Tatsache, dass in Österreich - im Vergleich zu ca. 10% in Skandinavien und den Niederlanden- nie mehr als 4% der über 60-jährigen in Heimen lebten (vgl. Badelt/ Leichsenring 2000).
Auch in Österreich- wo das erklärte politische Ziel darin liegt, ältere Menschen so lange wie möglich zuhause zu betreuen (vgl. Badelt/ Leichsenring 2000)- werden nun vermehrt alternative Wohn- bzw. Betreuungsformen wie Tagespflegegruppen, Integriertes Wohnen, Selbstorganisierte Wohnprojekte oder Mehrgenerationen-Wohnen- meist in Form von Modellprojekten[12] -umgesetzt. Als beispielhaft für neue Entwicklungen in der Organisation von Hilfe können z.B. Altenwohngemeinschaften genannt werden.
„Altenwohngemeinschaften sind eine Form des kollektiven Wohnens von älteren, in der Regel nicht miteinander verwandten Menschen in einer Wohneinheit“ (Saup 1993: 126). Sie können unabhängig sein, d.h. privat organisiert und ohne Betreuung funktionieren, oder aber als „Betreutes Wohnen“ von der öffentlichen Hand geleitet werden (vgl. Saup 2001).
Das Modell „Betreutes Wohnen“ umfasst vielfältige Formen und kann nach der Anordnung der Wohnungen (z.B. eine gemeinsame Wohnanlage oder verschiedene Wohnanlagen) und der Art der Betreuung (interne/externe Dienstleister, umfassend/begrenzt etc.) unterschieden werden (vgl. Feuerstein/ Havel 2000).
Betreutes Wohnen wird bereits seit den späten 80er Jahren des 20. Jahrhunderts realisiert und „soll älteren Menschen gleichzeitig Autonomie, Privatheit und selbstständige Lebensführung als auch Sicherheit und Pflege im Versorgungsfall bieten“ (Saup 2001:12). Betont werden in diesem Konzept die Selbstständigkeit und die altersgerechte Wohnform, meist gibt es z.B. Pflegebäder, Barriere- und Schwellenfreiheit, Notrufanlagen und dergleichen. Das Angebot an Betreutem Wohnen umfasst derzeit 1500 Plätze, zusätzlich gibt es ca. 20-30 betreute SeniorInnenwohngemeinschaften (vgl. Badelt/ Leichsenring 2000).
Gemeinsam ist diesen neuen Wohnprojekten, dass Selbständigkeit und Mitentscheidung der älteren Menschen im Vordergrund stehen, diese ihren Haushalt weitgehend selbst führen und bei Bedarf Unterstützungsleistungen anfordern können. Das Wohnen mit ausreichender und individueller Hilfe steht im Vordergrund, nicht die medizinisch-pflegerische Vollversorgung.
Diese neuen Wohnangebote für ältere Menschen sind derzeit in Österreich aber meist auf Modellprojekte beschränkt und noch nicht flächendeckend ausgebaut. Angesichts des voraussichtlich wachsenden Pflegebedarfs muss nicht nur die Etablierung adäquater Rahmenbedingungen für eine häusliche Pflege (Tages- und Kurzzeitbetreuung, besseres Entlassungsmanagement nach einem Spitalsaufenthalt, Selbsthilfegruppen, Gemeindezentren etc.) (vgl. Amann 2003) sondern ein differenzierter und an die Bedürfnisse verschiedener KlientInnengruppen angepasster Ausbau von Pflege- aber auch Wohnplätzen stattfinden. Diese zukünftigen Betreuungskonzepte müssen laut dem Sozialgerontologen Amann mehrere Faktoren berücksichtigen, die „steigende Erwerbsneigung der Frauen, langfristig sinkende Geburtenziffern, (…) zunehmende Mobilität der Nachfolgegeneration(en) sowie eine Konzentration in den Einpersonenhaushalten“ (Amann 2003:15).
Um Heimeinweisungen vorzubeugen und pflegende Angehörige zu entlasten, wird v .a. ein Ausbau teilstationärer Angebote wie z.B. Tageszentren nötig sein (vgl. Amann 2000). ExpertInnen fordern weiters für die Zukunft eine Forcierung dezentralisierter und kleinerer Wohnangebote sowie die Entwicklung übergeordneter regionaler Konzepte, „die das Zusammenleben der Generationen fördern und wohnungsbezogene Infrastruktureinrichtungen anbieten“ (Feuerstein/ Havel 2000:255).
1.6 Exkurs: Der Heimvertrag
Der Eintritt in ein Alten – oder Pflegeheim ist auch von gesetzlichen Rahmenbedingungen gesteuert. Diese Bedingungen sind im Heimvertragsgesetz geregelt, das im Juli 2004 in Kraft trat und österreichweite Gültigkeit hat.
Dieses Gesetzt enthält einen Musterheimvertragvertrag, der sich wie folgt versteht:
„Der vorliegende Vertrag entspricht den Anforderungen des Heimvertragsgesetzes BGBl I12/2004. Dieses ist zwingend auf Verträge zwischen Einrichtungen, die der Unterkunft, Pflege und Betreuung dienen (wie z.B. Seniorenheime, Pflegeheime) und deren Bewohnern und Bewohnerinnen anzuwenden. Dabei ist es unbeachtlich, ob sich die Bewohner dauernd oder lediglich vorübergehend in diesem Heim aufhalten.“[13]
Der Heimvertrag muss innerhalb von zwei Monaten abgeschlossen werden und regelt folgende Gebiete:
- Form der Unterbringung
- Grund- und Pflegeleistungen
- ärztliche Betreuung
- zusätzliche Hilfestellungen
- Gewährleistungs-, Versicherungs- und
- Haftungsbedingungen
- Haustierhaltung
- Mitnahme privater Einrichtungsgegenstände
- vorzeitige Vertragsauflösung, Austritts- bzw. Kündigungsregelung
- Gerichtsstandsvereinbarung
Laut Gesetz ist ein Heimvertrag für jeden Betreiber verpflichtend und soll vor allem dazu dienen, dass das Verhältnis zwischen
„dem Träger und dem Bewohner- der sich de facto in einer schwächeren Position befindet- ausgeglichen ist.“[14]
Dieser Vertrag verdeutlicht aber auch zwei weitere Aspekte: zum einen werden HeimbewohnerInnen zu VertragspartnerInnen und KundInnen einer Dienstleistung, zum anderen ist an der Existenz des Heimvertrags- der sich in seinem Umfang recht deutlich von z.B. einem Mietvertrag unterscheidet- auch die Besonderheit dieses Übertritts und der Wohnform Heim zu erkennen.
1.7 Resümee
Derzeit wird die Betreuung hilfsbedürftiger Menschen in Österreich größtenteils durch die Familie bzw. mit Hilfe ambulanter Dienste geleistet, d.h. ein Großteil der betagten Menschen lebt noch zuhause und wünscht sich auch, diesen Zustand so lange wie möglich aufrechtzuerhalten (vgl. Feuerstein/Havel 2000). Durch den Ausbau ambulanter Dienste stellt das Pflegeheim zunehmend die allerletzte Wohnmöglichkeit dar. Treten Menschen in ein Heim ein, sind sie meist hoch betagt und bedürfen intensiver Betreuung. Aus diesem Grund ist auch eine Umwandlung von Wohn- in Pflegeplätze zu beobachten.
Bedingt durch die Singularisierung der Haushalte, die steigende Erwerbstätigkeit der Frauen und die wachsende Anzahl an Hochaltrigen und Pflegebedürftigen ist fraglich, ob die überwiegend häusliche Form der Betreuung auch in Zukunft möglich sein wird. Da traditionelle Betreuungseinrichtungen wie z.B. das Pflegeheim u. a. aufgrund ihrer Größe, dem Mangel an Mitsprachemöglichkeiten und Autonomie der HeimbewohnerInnen kritisiert werden (vgl. Kapitel 2.5), müssen neue Konzepte für die professionelle Altenhilfe forciert werden, die die Selbstständigkeit und Interessen der BewohnerInnen in den Vordergrund stellen.
Während in anderen- v. a. in den skandinavischen Ländern- längst neue Wohn- und Betreuungskonzepte geschaffen wurden, hat Österreich bezüglich der Entwicklung und des Ausbaus alternativer Wohnformen für betagte MitbürgerInnen Nachholbedarf.
Denn die Lebensformen und sozialen Beziehungen im Alter sind heterogen und von einer Vielzahl an Faktoren wie Schicht, Geschlecht, Bildung, wirtschaftliche Lage etc. abhängig. Auch die Wohnformen für betagte Menschen sollten daher den unterschiedlichen Bedürfnissen in dieser Lebensphase gerecht werden. Ob die derzeitige zweigeteilte Altersversorgung (zuhause oder im Pflegeheim) die Bedürfnisse der jetzigen und der zukünftigen betroffenen Generationen von Gepflegten als auch pflegenden Angehörigen wirklich adäquat erfüllt bzw. erfüllen wird, scheint fraglich.
2 LEBENSWELT PFLEGEHEIM- Die totale Institution und ihre Strukturmängel
Die Forschung im Gebiet des „Phänomens Pflegeheim“ kann als Querschnittsmaterie betrachtet werden. Interessante Arbeiten zu diesem Thema finden sich sowohl auf dem Gebiet der Psychologie, Gerontologie, Pädagogik, Pflegewissenschaft als auch der Soziologie. Ausgangspunkt dieser Arbeiten stellt meist die Überlegung dar, dass Pflegeheime eine Welt „für sich“ sind und daher als „totale Organisationen“, die durch einen hohen Grad der Abschottung von der Außenwelt charakterisiert werden, im Sinne Goffmans gesehen werden können.
In diesem Kapitel wird näher auf die spezifischen Eigenschaften und Probleme der Lebenswelt Pflegeheim eingegangen werden. Neben Forschungsergebnissen stützt sich dieses Kapitel auch auf organisationssoziologische Überlegungen. Vorausschickend möchte die Autorin aber mit Luhmann warnen: „Jede Theorie ist Konstruktion eines Beobachters“ (Luhmann 2000: 77). Die Organisation „an sich“ zu beobachten ist nicht möglich, wir können nicht nach ihrem Wesen, nach dem „was“ sondern nur nach dem „wie“, nach der Produktion von Identität fragen (vgl. Luhmann 2000, Luhmann 1990).
Die zwei soziologischen Theoretiker, Niklas Luhmann (1927 bis 1998) und Erving Goffman (1922 bis 1982) betrachten Organisationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Ersterer beschäftigt sich nicht explizit mit der Organisation Pflegeheime, liefert aber durch eine abstrakte und umfassende Beschreibung des sozialen Systems Organisation eine wichtige Grundlage für die systemtheoretische Beschreibung des Eintritts. Goffman ist nur schwer einer Theorierichtung zuordenbar (vgl. Richter 2002). Vor allem in seinem Werk „Asyle“ sind scharfsinnige soziologische Beobachtungen und Theorien zum Eintritt in „totale Institutionen“, die auch für das hier interessierende Feld wichtige Anstöße liefern, zu finden.
2.1 Soziologie des Heimes
In der Soziologie des Heimes ergeben sich vier wichtige Fragestellungen (vgl. Brandenburg 1994):
- Soziale Bedingtheit des Heimeintrittes: Alters- und Geschlechtseffekte, soziale Schicht, Gesundheitszustand der BewohnerInnen
- Konflikt und Kooperation im Heimalltag: Konfliktsituationen im Heimalltag zwischen Personal, BewohnerInnen und Heimleitung
- Heim als „geschlossenes System“: Heime sind im Allgemeinen abgetrennt von der sozialen Lebenswelt außerhalb der Institution. Der Fokus dieses Ansatzes liegt daher auch auf den Institutionalisierungseffekten, die ältere Menschen in Heimen betreffen.
- Alten- und Pflegeheim als integraler Bestandteil stationärer Altenhilfe
Heime werden v. a. hinsichtlich ihrer Einbettung in das System der Altenhilfe gesehen (z.B. bezüglich Finanzierungsfragen, Personalgewinnung,…).
Das Thema dieser Forschungsarbeit ist unter Punkt 3 einzuordnen, da das Heim ebenfalls als relativ „geschlossenes System“ gesehen wird, innerhalb dessen sich eine völlig neue Lebenswelt sowohl für die Mitarbeiter als auch für die PflegeheimbewohnerInnen auftut. Denn dieses System erscheint „losgelöst von der Lebenswirklichkeit innerhalb des Dorfes oder der Stadt“ (Brandenburg 1994: 68).
2.2 Systemtheoretische Überlegungen zur Lebenswelt Pflegeheim
Niklas Luhmann kann als einer der wichtigsten Organisationssoziologen des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Seine Gesellschaftstheorie stellt den Anspruch, aufgrund ihrer Komplexität und hohem Abstraktionsniveaus alles Soziale, inklusive der Theorie selbst, erklären zu können. Kurz: „Sie erhebt (…) den Anspruch den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie zu erfassen“(Horster 2000: 48).
Der Vorteil einer systemtheoretischen Betrachtungsweise liegt darin, dass die Eigenlogik des Systems Pflegeheim adäquat beschrieben werden kann ohne auf die moralischen Einstellungen und Motivationen der in der Organisation arbeitenden Individuen zurückgreifen zu müssen. Dieser Blickwinkel ist m. E. gut geeignet um die Frage nach den Rahmenbedingungen, die die Organisation schafft, zu beantworten.
2.2.1 Funktionssystem Krankenbehandlung vs. Pflege
In einer funktional differenzierten Gesellschaft beobachten und bearbeiten Funktionssysteme wie z.B. Wissenschaft, Wirtschaft und Religion spezifische gesellschaftliche Probleme in einer ihnen genuinen Art. Anders gesagt, die
„gesellschaftsinterne soziale Differenzierung besagt, wie sich autopoietische Subsysteme zum Zweck der Lösung von Problemen innerhalb des umfassenden Sozialsystems Gesellschaft als Teilsysteme ausdifferenzieren“ (Weber/ Hillebrandt 1999: 29/30).
Funktionssysteme erbringen Leistungen für die Gesellschaft und „beanspruchen für die Erfüllung jeweiliger Funktionen die gesellschaftlich ausständige Zuständigkeit“ (Bommes/ Scherr 2000: 106).
Um diesen exklusiven Zuständigkeitsbereich von anderen Kommunikationen abzugrenzen und um nur für das System relevante Ereignisse zu beobachten, entwickeln Funktionssysteme Codes. Funktionssysteme exkludieren sich sozusagen selbst, inkludieren Kommunikation aber auch. Da jedes Funktionssystem versucht, „gesellschaftsweite und gesellschaftsrelevante Wirkungen zu erzielen“ (Bauch 1996: 55), kann die Inklusion auch der Ausweitung des eigenen Zuständigkeitsbereiches dienen, man spricht in diesem Fall von „Selbsthypostasierung“. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung ist die „Medikalisierung“ von Gesellschaftsbereichen abseits der Medizin, d.h. die Ausweitung des Zuständigkeitsbereiches des Systems der Krankenbehandlung.
Bei der Zuordnung der Organisation Pflegeheim zu einem Funktionssystem kommen v. a. zwei Bezugssysteme für eine Klassifizierung in Frage; das System der Krankenbehandlung und das Funktionssystem Pflege, dessen Existenz aber nicht eindeutig geklärt ist.
Die Funktion des Systems der Krankenbehandlung kann in der Wiederherstellung der Gesundheit, in der Behandlung und Heilung Kranker gesehen werden. Der Code krank/gesund, mit dem sich dieses System nach außen abgrenzt, scheint aber für die Beobachtung von Pflegebedürftigkeit wenig adäquat (vgl. Weber/ Hillebrandt 1999).
Jost Bauch überprüft anhand der Kriterien Autonomie, privilegierte Funktionserfüllung und code-geprägte Kommunikationsform, ob die Pflege wirklich als eigenständiges Funktionssystem bezeichnet werden kann. Für ihn zeigt sich, dass die Pflege die obigen Kriterien nur teilweise erfüllt und v. a. „durch unzureichende Grenzziehung zur Medizin und zur Alltagsmoral (…) vom Prozess der Systemkonstitution noch entfernt ist“ (Bauch 2005: 71). Er plädiert dafür, die Pflege als Teilsystems eines erweiterten Gesundheitssystems anzusehen, dessen Codierung nicht mehr „krank/gesund“ sondern nun „gesundheitsförderlich/gesundheitshinderlich“ lautet.
Diese Subsummierung mag zum heutigen Zeitpunkt adäquat sein, m. E. sind aber zunehmende Tendenzen der Eigenständigkeit, wie z.B. die Verwissenschaftlichung und Institutionalisierung der Pflege an den Universitäten zu beobachten. Die Pflege wird in Zukunft mit sehr spezifischen Aufgaben betreut werden und in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung wachsen. Eine eigenständige pflegespezifischen Form der Beobachtung und damit die Konstituierung eines selbstständigen Funktionssystems sind daher zu erwarten.
2.2.2 Soziale Organisation Pflegeheim
Niklas Luhmann unterscheidet zwischen organischen, psychischen, mechanischen und sozialen Systemen, die jeweils auf einer spezifischen Operationsform beruhen. Organisationen sind – neben Funktionssystemen, Interaktionssystemen und der Gesellschaft- den sozialen Systemen zuzurechnen und werden von Luhmann so definiert: „Eine Organisation ist ein System, das sich selbst als Organisation erzeugt“ (Luhmann 2000:45). Dieses Zitat macht auf eine wichtige theoretische Annahme aufmerksam: die Systemtheorie geht von der Autopoiesis, d.h. von der „Selbsterzeugung“ von Organisationen aus.
Stephan Wolff drückt dies so aus:
„Organisationen reproduzieren sich auf der Basis von Entscheidungen und differenzieren sich dadurch aus, daß sie Entscheidungen über Entscheidungen generieren und auf diese Weise zu außerordentlich komplexen Entscheidungs- und Programmarchitekturen gelangen können“ (Wolff 1999:40).
In Organisationen sind Entscheidungen die basale Operationsform. Eine Entscheidung bietet Selektionsmöglichkeiten für die nächste Entscheidung, wichtig ist die Anschlussfähigkeit, d.h. dass eine (weitere) Entscheidung gefällt wird. Man kann also mit Luhmann auch sagen, dass Organisationen aus Entscheidungen bestehen, die kommuniziert werden. In diesen Systemen entstehen Entscheidungsprogramme, um bestimmte Probleme, im traditionellen Sinne „Aufgaben“ wie z.B. die Aufnahme in ein Pflegeheim bearbeiten zu können. Diese Programme[15] „definieren die Bedingungen der sachlichen Richtigkeit von Entscheidungen“ (Luhmann 2000: 257). D.h. auch, dass sie Unsicherheit reduzieren und eine Entscheidung erst möglich machen, in dem eine „Entscheidungsmöglichkeit kognitiv konstruiert“ (Luhmann 2000: 262) wird. Entscheidungsprogramme können daher als Rahmen für Entscheidungen betrachtet werden, die wiederum erst dadurch frei entschieden und (im Nachhinein) beurteilt werden können.
In einer systemtheoretischen Betrachtung geht man nicht vom handelnden Individuum (z.B. „der Stationsschwester“) aus, da die Organisation aus systemtheoretischer Sicht nicht aus Individuen besteht sondern aus Entscheidungen, die kommuniziert werden. Dies bedeutet für diese Arbeit, dass der Analysefokus z.B. nicht auf den individuellen Handlungen der Pflegekräfte oder ihrer moralischen Einstellung, sondern auf den im Aufnahmeprozess getroffenen Entscheidungen bzw. Entscheidungsprogrammen und deren zu Grunde liegenden Prämissen liegt.
Ein weiteres Spezifikum dieser Theorie bezieht sich auf das Verhältnis der Organisationen zu ihrer Umwelt. Wurde in früheren Organisationstheorien angenommen, „dass die Umwelt jener Teil der Welt sei, der nicht zur Organisation gehöre“ (Luhmann 2000:34) nimmt Luhmann die Differenz System/Umwelt in das System selbst, nämlich als Systemdifferenzierung, hinein und sieht es als grundlegende Aufgabe der Organisation, sich von ihrer Umwelt selbst referentiell zu unterscheiden. Zwischen System und Umwelt herrscht ein Komplexitätsgefälle, d.h. dass die Umwelt immer komplexer ist als das System selbst.
Organisationen werden vor allem dahingehend betrachtet, wie sie es schaffen, sich von ihrer Umwelt abzugrenzen, ihr Fortbestehen zu sichern und worin der Sinn ihrer Existenz besteht, d.h. welchen Unterschied ihr Bestehen macht.
Der Mensch gehört sowohl zur Umwelt der Gesellschaft als auch zur Umwelt der Organisation, bleibt für diese aber eine „black box“ (Luhmann 2000: 90). Der „Mensch“ wird systemtheoretisch gesprochen Teil einer Vielzahl von Systemarten (Immunsystem, organisches System, psychisches System,…), er selbst stellt kein System dar, da er nicht nur auf eines dieser Systeme beschränkt werden kann. Er ist also im Gegensatz zur Organisation keine autopoietische Einheit (vgl. Kneer/ Nassehi 1994) und kann daher auch nicht an Kommunikation teilnehmen, es kann aber über ihn kommuniziert werden.
Personen werden nur in Kommunikation erzeugt, in dem Erzählung anhand der Differenz Charakter/Motive über sie angefertigt werden (vgl. Luhmann 2000). Ihre Identität ist nicht etwa gegeben sondern muss beobachtet, kommuniziert und anerkannt werden:
„Die Individuen werden in der Systemtheorie mit genau abgegrenzter Identität gesehen. Genau darum müssen aber nun die Individuen in ihrer Identität von den anderen Individuen gesehen und anerkannt werden“ (Horster 1997: 109).
Um die Behandlung einer Person als menschliches Individuum sicherzustellen, wird die Einheit von Individuum und Person seitens der Organisation aus moralischen Gründen zwar unterstellt, im eigentlichen Sinne bleibt die Identität einer Person für die Funktionserfüllung einer Organisation aber unwichtig.
Hier zeigt sich ein bedeutsamer Unterschied zum Sozialsystem Familie, in dem laut Luhmann eine starke Personenorientierung zu beobachten ist. Eine Familie ist zwar ebenfalls ein autopoietisch geschlossenes System, das auf Kommunikation beruht, es orientiert sich aber an Personen, und schließt sich von anderen Systemen ab, indem die Differenz von System und Umwelt anhand der Person selbst vollzogen wird. Sowohl „das externe und das interne Verhalten bestimmter Personen“ kann für das System (intern) relevant werden und „alles, was eine Person betrifft, ist in der Familie für Kommunikation zugänglich“ (Luhmann 1990:201), d.h. Familien inkludieren – im Gegensatz zu Organisationen – die ganze Person und nicht nur eine AdressatIn spezifischer Kommunikation.
In hochkomplexen Gesellschaften wie der unseren wird Hilfe auf Organisationen übertragen, wo spezialisiertes Handeln von Experten und Expertinnen geleistet wird. Das heißt, dass Leistungen, die früher – in traditionellen Gesellschaften- von der Familie (v. a. von Frauen) übernommen wurden, einer Professionalisierung unterzogen wurden. Das Pflegeheim kann als organisiertes Sozialsystem des Gesundheitssystems gesehen werden, dass sich auf die Behandlung pflegebedürftiger Personen spezialisiert hat.
Luhmanns Theorie bezieht sich v. a. auf die Mitgliedschaft als Mitarbeit, für diese Forschungsarbeit stellt sich daher die Frage, welche Folgen dieses Phänomen der „black box“ für die Organisation Pflegeheim hat, da Menschen fast jede Sekunde ihres Lebens dort verbringen und quasi nur mehr „black box“ bleiben, da sie als KommunikationsadressatInnen anderer Funktionssysteme außerhalb des Gesundheitssystems nur selten wahrgenommen werden. Interessant ist auch die Kommunikation über PflegeheimbewohnerInnen, da ihre Identität aufgrund des Verlusts anderer Kommunikationsbezüge meist nur mehr innerhalb der Organisation hergestellt, d.h. kommuniziert wird.
Obwohl im Pflegeheim nicht nur pflegerische sondern auch soziale Bedürftigkeit durch die Zuständigkeit sozialer Hilfe (z.B. durch Sozialarbeiterinnen) bearbeitet wird, tut sich ein Spannungsfeld auf zwischen individuellen Bedürfnissen und den Organisationsanforderungen. Denn trotz der Tatsache, dass die Organisationen des Gesundheitssystems auf die Krankheitsbekämpfung bzw. Heilung ausgerichtet sind, ist das unmittelbare Systeminteresse die Selbsterhaltung und nicht die Erfüllung von individuellen Interessen der Mitglieder und KundInnen (vgl. Hurrelmann 2000). Niklas Luhmann spricht von einer selektiven Nichtbeachtung der Bedürfnisse eben der Hilfsbedürftigen, die sich durch die Professionalisierung der Hilfe und der damit einhergehenden Installierung von Programmen- verstanden als die Entscheidungen über die Entscheidungen- erklären lassen (vgl. Luhmann 1975b).
Auch Jost Bauch (2005) thematisiert das schwierige Verhältnis zwischen Professionalisierung der Pflege bzw. Hilfe und der Subjektbeziehung der Helfenden. Das Personal sei mit „sehr viel Gefühlsarbeit (…) konfrontiert“ und das führe dazu, „dass immer wieder „Interaktionsmoral“ in das System (Anm. der Pflege) einfließt“ (Bauch 2005:81). Diese Interaktionsmoral sei zwei einerseits notwendig, um gut d.h. mit echten Gefühlsäußerungen zu pflegen, andererseits könne man Gefühle „schlecht systemisch „fungibilisieren“ sie sind „schlecht steuerbar (…) und nicht auf Knopfdruck abrufbereit“ (Bauch 2005: 81).
Obwohl m. E. bedacht werden muss, dass Gefühle nicht immer nur positiver bzw. empathischer Natur sind und diese die Beziehung zwischen Pflegenden und Gepflegten wohl auch belasten und damit die Qualität der Hilfsleistung vermindern können, steht die professionelle und organisierte Pflege- wie wohl auch die Hilfe in anderen Bereichen- vor dem Problem, eine der notwendigen Komponenten ihrer Arbeit nicht systematisieren zu können sondern sich auf die individuellen Motive der MitarbeiterInnen verlassen zu müssen.
2.3 Heim als totale Institution nach Goffman
Zu Beginn dieses Kapitels sind m. E. zwei Begriffe zu klären, nämlich der der „Institution“ und der der „Institutionalisierung“. Der Begriff der Institution wird von der Autorin in Anlehnung an Goffman verwendet, der diese als Sonderform einer Organisation betrachtet. Während Institutionalisierung im Kontext der Altenhilfe als „die Übersiedelung (älterer) Menschen in eine stationäre Einrichtung und die damit verbundenen ökonomischen, sozialen und psychischen Konsequenzen im Hinblick auf die gegenwärtige Lebenssituation“(Kruse/ Wahl 1994: 273) verstanden wird, fällt die Definition dieses Begriffs innerhalb der Soziologie anders aus. Esser meint damit die „Einrichtung und Absicherung einer institutionellen Ordnung“ (Esser 2000:38), mit Schwarz kann Institutionalisierung weiters gesehen werden als „Prozess der Objektivierung sozialer Erfahrungen“[16]. Wenn aber im Folgenden von Institutionalisierung gesprochen wird, ist in dieser Arbeit der Einzug ins Pflegeheim gemeint.
In der Analyse von Pflegeheimen tritt ein Charakteristikum stark in den Vordergrund: Die „Totalität“, d.h. der allumfassende Charakter dieser Lebenswelt. Die Rede von der „totalen Insitution“ geht auf Erving Goffman zurück, der in seinem Werk „Asylums“ (erstmals erschienen 1961) eine sehr detaillierte und erschreckende soziologische Beschreibung psychiatrischer Anstalten liefert und darauf aufbauend das Konzept der totalen Organisation entwirft zu denen auch Gefängnisse, Klöster oder eben Pflegeheime gezählt werden können. Was kennzeichnet nun diese Systeme? Was macht sie „totaler“ als andere Institutionen?
Einer der wohl wichtigsten Unterschiede zum – wie Goffman es nennt -„bürgerlichen Leben“ außerhalb der Institution ist die Aufhebung der Trennung zwischen den Bereichen Schlafen, Freizeit und Arbeiten, die das Leben in einer modernen Gesellschaft normalerweise kennzeichnet. Eine totale Lebenswelt besteht aus nur einem Ort, der oftmals nicht verlassen werden kann. „Alle Angelegenheiten des Lebens finden (…) unter ein und derselben Autorität statt“ (Goffmann 1973: 17) und diese Autorität kann nicht umgangen werden.
Die BewohnerInnen sind einem geregelten Tagesablauf unterworfen, den sie selbst nicht bestimmen können und der sich an funktionalen Gesichtspunkten und an dem in der Institution herrschenden rationalen Plan orientiert. Hinzu kommt eine statusmäßige Nivellierung mit den anderen SchicksalsgenossInnen da alle Mitglieder gleich behandelt werden.
Auch das Verhältnis zwischen Personal und Insassen unterscheidet sich von anderen Organisationen: Die beiden Gruppen sind strikt voneinander getrennt, haben völlig verschiedene Rollen und Aufgaben und sind trotzdem aufeinander angewiesen. Während für letztere durch die Isolation von der Außenwelt ein „soziales Sterben“ einsetzt (vgl. Hager 1996), kann das Personal nach getaner Arbeit die Institution verlassen und zumindest einen Teil des Lebens von der Anstalt getrennt verbringen.
Sind Menschen über längere Zeit hinweg dem Einfluss einer solchen Institution ausgesetzt, setzt ein Prozess der „Diskulturation“ ein. Dies ist ein „Verlern- Prozeß, der den Betreffenden zeitweilig unfähig macht, mit bestimmten Gegebenheiten der Außenwelt fertig zu werden, wenn und falls er hinausgelangt“ (Goffman 1973: 24).
Totale Institutionen unterscheiden sich in ihrer Zielsetzung und Funktion voneinander. Das zentrale Beschreibungsmerkmal dieser Organisationen liegt aber immer in der
„Handhabung einer Reihe von menschlichen Bedürfnissen durch die bürokratische Organisation ganzer Gruppen von Menschen- gleichgültig ob dies ein notwendiges oder effektives Mittel der sozialen Organisation unter den jeweiligen Bedingungen ist oder nicht“ (Goffmann 1973: 18).
Da ein vorgegebener Tagesplan existiert, müssen auch die Bedürfnisse der BewohnerInnen vorgeplant werden. Es bleibt kein Platz für individuelle Wünsche.
Ein weiteres Merkmal ist die Veröffentlichung der Privatsphäre einer Person in einer totalen Institution. Dies geschieht durch: „Kollektives Wohnen und Schlafen, Körperliche Entblößung oder Entleerung vor dem Personal, Abhängigkeit von der Handlungsbereitschaft des Personals“ (Hager 1996: 55).
In einer totalen Institution werden außerdem durch die Vormachtstellung von Verordnungen und Standardisierungen die Autonomie und die Menschenrechte von HeimbewohnerInnen eingeschränkt (vgl. Hirsch 2002). Die Reglementierung der Insassen wird durch die Erfüllung der offiziellen Ziele oder Funktionen der Anstalt gerechtfertigt. Die Funktion eines Alten- oder Pflegeheimes liegt laut Goffman in der Fürsorge von als harmlos und hilfsbedürftig geltenden Menschen.
2.4 Veränderung der Heimstrukturen
Die Institutionalisierung alter Menschen nimmt in der Alterssoziologie, neben anderen Fragen, einen wichtigen Platz ein. Mit Prahl/ Schroeter lassen sich drei Generationen von institutionalisierten Wohnformen unterscheiden:
1. Generation (40er bis Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts):
Pflegeheime sind so genannte „Verwahranstalten“, deren hauptsächliche Funktion darin bestand, „ein minimales Angebot von Schlafplätzen und Essen zur Verfügung zu stellen“ (Prahl/Schroeter: 1996:156)
2. Generation (späte 60er bis 70er Jahre):
Pflegeheime orientierten sich an Krankenhäusern, BewohnerInnen wurden als PatientInnen gesehen. Damit einher ging eine verbesserte technische und sanitäre Versorgung um eine rationelle Versorgung gewährleisten zu können.
3.Generation (ab Mitte der 80er Jahre):
Der Wohnbereich eines Heimes rückte immer mehr in den Vordergrund, die Stationsgröße schrumpfte und Wohn- und Betriebsbereiche sind heute meist getrennt.
Es hat also eine Veränderung der Heimstrukturen, sicherlich auch bedingt durch verstärktes mediales Interesse und das Publizieren von Forschungsergebnissen zu diesem Thema, stattgefunden. Am Wandel der Heime lässt sich auch eine veränderte Sichtweise auf das Alter erkennen. Wurde das Alter lange Zeit als eine Phase des unüberwindbaren Abbauprozesses gesehen, hat man heute erkannt, dass auch alte Menschen noch über Potentiale und Ressourcen verfügen.
In den letzten Jahren ist im Bereich der Pflegeheime aber eine neue Entwicklung zu beobachten, die sich zum Teil in der bereits erörterten Umwandlung von Wohn- in Pflegebetten manifestiert: Pflegeheime werden –bedingt durch demographischen und sozialen Wandel- zu „Sterbeheimen“ (vgl. Albrecht 1997). Diese Entwicklung wird im nächsten Kapitel näher diskutiert werden.
2.5 Strukturelle Probleme
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass auch im Bereich der Pflegeheime Bestrebungen zu beobachten sind, die zum Ziel haben, die stationäre Betreuung zu verbessern und an die Bedürfnisse der HeimbewohnerInnen anzupassen. Angesetzt wird hier u. a. bei der Ausbildung und der Arbeitssituation der Pflegekräfte (zusätzliche Schulungen, Supervision etc.), in der architektonischen Gestaltung der Heime (Reduktion der Betten pro Zimmer etc., Schaffung von Aufenthaltsräumen etc.) beim aktiveren Austausch mit Vereinen, Schulen und Gemeinden und bei neuen Pflegeformen (z.B. Gruppenpflege) die auch Aspekte der Rehabilitation mit einbeziehen (vgl. Kruse/ Wahl 1994).
Noch immer aber gibt es strukturelle Probleme zu beklagen die zum negativen Image von Pflegeheimen beitragen. Die langfristige stationär organisierte Betreuung hilfsbedürftiger MitbürgerInnen kann unter zahlreichen Gesichtspunkten kritisiert werden, die Problemfelder reichen von Personalmangel, fehlender Privatsphäre bis hin zur oft zitierten „Satt und Sauber“ Pflege, welche die emotionalen und sozialen Bedürfnisse vernachlässige.
Weitere Kritikpunkte sind die Größe der Institutionen, die in Österreich teilweise noch immer bei über 200 Betten liegt, der Mangel an Mitsprachemöglichkeiten und Selbstorganisation der HeimbewohnerInnen sowie die Tatsache, dass die Wirtschaftlichkeit und nicht die Bedürfnisse der Betroffenen im Vordergrund stehen (vgl. Feuerstein/ Havel 2000). Auch die räumliche bzw. bauliche Situation von Pflegeheimen gibt Grund zur Sorge: Badelt und Leichsenring weisen auf eine 1993 veröffentlichte Österreich weite Studie von Pazourek hin, in der die Qualität der Räumlichkeiten bemängelt wurde:
„38,5% der Heime wurden vor 1960 gebaut, 40% verfügen über mehr als 200 Plätze; 21% sind in einem schlechten baulichen Zustand, (…) nur 29% der Pflegeplätze verfügen gleichzeitig über ein eigenes Bad / Dusche und eine Toilette“ (Badelt/ Leichsenring 2000:423).
Der Einzug ins Pflegeheim stellt heute meist die allerletzte Betreuungsmöglichkeit dar. Vielfach treten neue BewohnerInnen erst kurz vor ihrem Tod in das Pflegeheim ein, die Institution übernimmt immer öfter (nur mehr) das „Management des Sterbens“ (Gröning/ Bauer 1995: 425). Denn für viele betagte Menschen kann die Betreuung zu Hause nicht nur durch eine verbesserte Wohnsituation, sondern auch durch eine Verdichtung und Spezialisierung der alternativen Angebote - sowohl im primären als auch im präventiven- Bereich, gewährleistet werden. Die Menschen, die letztendlich in ein Heim eintreten, bedürfen meist sehr intensiver Pflege. Es zeigt sich eine zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustandes sowie eine Steigerung der Anzahl demenzkranker BewohnerInnen. So meint auch Anton Amann: „Es gibt Pflegeheime, in denen drei Viertel der Bewohner und BewohnerInnen unter Demenz und Inkontinenz leiden“ (Amann 2004: 191).
Diese Entwicklungen verschärfen natürlich auch die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte, deren Qualifikation für die medizinische und psychologische Betreuung dieser Personengruppe oft unzureichend ist, und stellen auch für die anderen, nicht- dementen BewohnerInnen eine Belastung dar.
Ein weiteres strukturelles Problem von Pflegeheimen ist mit Rosenmayr (1995) die, durch die gesellschaftliche Stigmatisierung älterer Menschen- auch „ageism“ genannt (vgl. Hörl 2002)- bedingte, vorherrschende Defizitorientierung.
Andere strukturelle Probleme des Pflegeheimes sind (vgl. Rosenmayr 1995):
- wenige Außenkontakte der HeimbewohnerInnen, ÄrztInnen und Pflegende werden dadurch zu den einzigen Bezugspersonen
- schlechte Kooperation zwischen Angehörigen und Pflegekräften
- Aggressivität und Konflikte zwischen den BewohnerInnen
- Eindringen in die Privatsphäre (v. a. in Mehrbettzimmern)
- Herausbildung von Rangordnungen unter den HeimbewohnerInnen
- desorientierte BewohnerInnen
- Infantilisierung der BewohnerInnen
- lange Dienstzeiten (12 Stunden-Rhythmus) des Pflegepersonals
- Personalmangel
- großer bürokratischer Aufwand
- bauliche Mängel (z.B. keine Raumteiler zwischen den Betten)
- Mangel an Rückzugsbereichen für die HeimbewohnerInnen
Auch der Sozialwissenschaftler Konrad Hofer beschreibt in seiner Arbeit „Pflegebedürftig“ (1997) Probleme der Organisation Pflegeheim. Der Autor führt hier unter anderem ebenfalls die Zunahme von sehr pflegeintensiven BewohnerInnen, einen Mangel an persönlicher Zuwendung und Zeit, Personalknappheit, fehlende Außenkontakte und paternalistische Kommunikationsstrukturen zwischen BewohnerInnen- Pflegepersonal und Pflegepersonal- ÄrztInnen an (vgl. Hofer 1997).
Gerade die Beziehungen zwischen Personal und BewohnerInnen sind von Ambivalenz geprägt: viele Pflegepersonen versuchen- v. a. am Anfang ihrer Berufskarriere, in zu starkem Maße auf die emotionalen Bedürfnisse der hilfsbedürftigen Menschen einzugehen, gleichzeitig muss aber – der eigenen Gesundheit wegen- Distanz gewahrt werden, um professionelle Hilfe leisten zu können. Sabine Zwettler beschreibt mit dem Begriff „Ambivalenz der Bindungen“ dieses problematische Herstellen des Gleichgewichts zwischen dem „Sich- Einlassen auf alte Menschen“ und dem „Halten einer guten Distanz“. (Zwettler 2004:115) Aus der unzureichenden Bearbeitung von Selbstsorge und Fürsorge (vgl. Körtner 2004) können nicht nur Schuldgefühle und psychische Probleme bis hin zum Burn Out sondern auch die Gefährdung von PatientInnen resultieren.
2.6 Resümee
Pflegeheime bieten professionalisierte Hilfe für meist hoch betagte, pflegebedürftige Menschen und können zur Entlastung der Angehörigen beitragen. Aus systemtheoretischer Perspektive können sie als Organisationen des Gesundheitssystems, die sich auf die Betreuung Pflegebedürftiger spezialisiert haben, beschrieben werden. Nicht das Handeln der Individuen sondern die Organisationsentscheidungen treten in dieser Sichtweise in den Vordergrund. Denn die Individuen, die in dieser Organisation leben oder arbeiten, sind nur AdressatInnen von spezifischer Kommunikation, sie selbst kommunizieren nicht und ihre individuellen Motive sind für das Fortbestehen des Systems nicht von Belang. Zwischen den Anforderungen der Organisation und den individuellen Bedürfnissen der BewohnerInnen können daher Spannungen entstehen. Denn professionalisierte Pflege kann aber muss nicht die individuellen Interessen der einzelnen BewohnerInnen berücksichtigen. Diese Diskrepanz kann sich in strukturellen Problemen wie fehlender persönlicher Zuwendung, Missachtung individueller Bedürfnisse und alleiniger Ausrichtung an Wirtschaftlichkeit manifestieren.
Erving Goffmans Theorie der totalen Institution rückt andere Kritikpunkte an der Organisation Pflegeheim - wie die Aufhebung der Trennung zwischen den Lebensbereichen Essen, Schlafen, Freizeit und Arbeit und ihre rigide Abschottung nach außen- in den Mittelpunkt. Er stellte u. a. fest, dass Personen sich den Regeln einer solchen Organisation unterwerfen müssen, ihre Privatsphäre veröffentlicht wird und ihre Rechte eingeschränkt werden.
Trotz einer Verbesserung der Heimstrukturen innerhalb der letzten 50 Jahre wird die Organisation auch heute aufgrund ihrer struktureller Probleme von zahlreichen ExpertInnen kritisiert. Der Mangel an Zeit, Privatsphäre, Außenkontakten und individueller Zuwendung sind neben der Größe und baulichen Situation dieser Einrichtungen nur einige der zu nennenden Problemfelder. In den letzten Jahren sind in Österreich ein Anstieg an multimorbiden, oft dementen BewohnerInnen und die Umwandlung von Wohn- in Pflegebetten zu beobachten. Pflegeheime werden immer mehr zu Einrichtungen, in denen v. a. Menschen in ihrer letzten Lebensphase tlw. recht intensiv betreut werden. Dies kann sowohl die Lebens- als auch Arbeitsbedingungen im Pflegeheim verschlechtern.
Trotz der Kritik an institutionellen Wohnformen darf die Vorstellung von häuslicher Pflege aber nicht romantisiert werden. Diese stellt nicht immer die bessere Alternative dar und kann sowohl Angehörige als auch Betroffene mit Problemen wie z.B. Überforderung, Projektion, struktureller Gewalt, Einsamkeit (vgl. Collopy 1995) sowie Kontrollverlust und Hilflosigkeit konfrontieren (vgl. Hörl 2002). Die bereits in Kapitel 1 beschriebenen neuen Wohnformen befinden sich in Österreich erst am Beginn ihrer Etablierung und stellen nur in vereinzelten Regionen eine Alternative zum Leben im Pflegeheim oder zuhause dar.
3 DER HEIMEINTRITT
3.1 Der Heimeintritt als soziologisches Phänomen
Aufbauend auf den oben bereits diskutierten theoretischen Ansätzen soll nun der Heimeintritt aus soziologischer Sicht konzeptionell aufgearbeitet werden. Auch hier zeigt sich wieder der unterschiedliche Abstraktionsgrad der beiden Bezugstheorien von Goffman und Luhmann, dennoch sind beide zur Untersuchung des Phänomens „Heimeintritt“ hilfreich und rücken unterschiedliche Aspekte in den Brennpunkt.
3.1.1 Niklas Luhmann: Heimeintritt und Mitgliedschaft
Ein Spezifikum von Organisationen ist die Rekrutierung ihrer Mitglieder, da sie dem System zu seiner Ausdifferenzierung als Selektion auf Basis von Entscheidungen dient. Nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit der Mitgliedschaft sondern auch die Form der Organisationszugehörigkeit, d.h. die Rolle, die das Mitglied einnimmt, muss geklärt werden. Die Mitgliedschaft bietet gewisse Vorteile für das Individuum (meist in Form von monetärer Abgeltung der Arbeitsleistung), verpflichtet aber auch zur Anerkennung von Organisationsentscheidungen. Organisationen regeln ihre Beziehung zur Umwelt über formalisierte Mitgliedschaftsverhältnisse, die eben an Bedingungen geknüpft sind. Mit Luhmann:
„Als organisiert können wir Sozialsysteme bezeichnen, die die Mitgliedschaft an bestimmte Bedingungen knüpfen, also Eintritt und Austritt von Bedingungen abhängig machen“ (Luhmann 1975a:12).
Treten BewohnerInnen in ein Heim ein, werden auch sie zu Mitgliedern. Sie erhalten professionelle Hilfe und müssen im Gegenzug die mit der Mitgliedschaft verbundenen Anforderungen und Pflichten akzeptieren. Ihre Form der Mitgliedschaft unterscheidet sich m. E. aber von der des Personals, da der Eintritt oft nicht freiwillig erfolgt und ihre Teilnahme beschränkt bleibt auf die Rolle der KlientIn, wie weiter unten noch näher diskutiert werden wird.
Organisationen generalisieren die Interaktionsmotive ihrer Mitglieder sachlich, sozial und zeitlich (vgl. Luhmann 1975a). Personen – z.B. HeimbewohnerInnen- werden durch die Übernahme der Mitgliedsrolle und den damit verbundenen Verhaltenserwartungen zu einem Teil der internen Umwelt der Organisation, zu „Träger einer formalisierten Rolle mit bestimmen sanktionierbaren Verhaltensweisen“ (Bauch 1996: 135). Diese Formalisierung erhöht die Erwartbarkeit von Entscheidungen innerhalb der Organisation weil “von allen Mitgliedern, ungeachtet ihrer individuell unterschiedlichen Einstellung, ein ihrer Rolle in der Organisation entsprechendes Verhalten erwartet werden kann“ (Horster 1997: 156). Erwartungen sind grundlegend für die Strukturbildung in sozialen Systemen. Luhmann meint dazu: „Strukturen sind Erwartungen in Bezug auf die Anschlussfähigkeit von Organisationen“ (Luhmann 2002:103). Das heißt, dass Strukturen Erwartungsstrukturen sind in dem Sinne, dass sie das im System Mögliche einschränken und abweichendes Verhalten erkennbar machen. Sie tragen zu einer Stabilisierung des Systems bei, das sich ständig selbst reproduziert und aus einer Fülle von Möglichkeiten wählen kann. Man kann auch sagen: „Struktur besteht (…) in der Einschränkung der im System zugelassenen Relationen“ (Luhmann 1985: 384).
Diese Spezifikation von Verhalten und Generalisierung von Motiven haben eine auf das Innenleben der Menschen stabilisierende Wirkung, regeln Entscheidungsfindungen und soziale Interaktionen. Bei Verstoß gegen diese Erwartungen, wird es für den/die Abweichende(n) schwierig:
„Wer die Erwartungen der Mitgliedsrolle nicht anerkennt, trotzdem aber Mitglied bleiben will, kann für sein eigenes Handeln keine klare Linie mehr finden, keine Rolle mehr spielen, ohne zu sich selbst im Widerspruch zu geraten“ (Horster 1997:152).
Mitglieder werden nicht Menschen oder Individuen sondern RollenträgerInnen, die AdressatInnen von Kommunikation sind. Das Glück bzw. die psychische Befindlichkeit von Mitgliedern bleibt somit außen vor und für die Organisation eine Fiktion. Luhmann geht noch weiter und meint, „dass der Begriff des „Menschlichen“ in der Organisationspolitik nur ideologische oder kompensatorische Bedeutung haben kann“ (Luhmann 2000: 89). Dies lässt interessante Rückschlüsse auf die Lebensqualität von Heimbewohnern zu, die ja- im Gegensatz zu MitarbeiterInnen einer Firma, die ihren Arbeitsplatz nach Dienstschluss verlassen- nahezu jede Stunde ihres weiteren Lebens in dieser Organisation verbringen. Ihre Rolle ist darüber hinaus als einseitig zu bezeichnen, denn sie erleben durch den Heimeintritt nicht nur einen überwiegenden Verlust ihrer bisherigen Rollen sondern werden in ihrer neuen Lebenswelt nur mehr die Publikumsrolle einnehmen. Denn in vielen Organisationen wie auch dem Pflegeheim „nimmt Inklusion die Form professioneller Betreuung des Publikums durch die Leistungsrollenträger an“ (Stichweh 1988: 268). Sind die meisten Mitglieder der Gesellschaft in mehreren Funktionssystemen integriert und somit in manchen auch in der Leistungsrolle, verlieren HeimbewohnerInnen durch den Eintritt die Möglichkeit, Leistungen zu erbringen. Im Heim gibt es nichts „Wichtiges“ im Sinne einer produktiven Leistungserbringung zu tun, das nicht vom Personal erledigt wird. Herausforderungen und Aufgaben sind aber wichtig, um ein erfülltes Leben zu führen.[17] Diese Möglichkeit wird den BewohnerInnen meist nicht mehr geboten.
3.1.2 Erving Goffman und der Beginn einer „moralischen Karriere“
Der Eintritt in eine totale Institution markiert den unwiderruflichen Beginn einer „moralischen Karriere“ eines Menschen und das Ende seines bisherigen selbst bestimmten Lebens. Ob die Entscheidung zur Institutionalisierung freiwillig oder unfreiwillig getroffen wurde, ist dabei nicht von Bedeutung: „Sobald der willige Patient die Klinik betritt, durchläuft er wahrscheinlich dieselbe Routine von Erfahrungen, wie derjenige, der unfreiwillig in die Anstalt gelangt ist“ (Goffman 1973: 132).
Jeder Mensch verfügt über eine „Identitäts-Ausrüstung“, die es ihm erlaubt, die Darstellung seines Selbst zu kontrollieren. Wurde die frühere Identität eines neuen Bewohners oder „Insassen“, wie Goffman ihn nennt, durch eine „bürgerliche Umwelt“ (Goffman 1973: 24) als Bezugsrahmen ermöglicht und unterstützt, bedeutet der Eintritt eine Beraubung dieser Stützen. Eine Störung des Selbstgefühls und Beschädigung des Ichs setzt ein. Denn mit einer Aufnahme in eine totale Institution sind Aufnahmeprozeduren (z.B. Waschen, Wiegen, Erfassung der persönlichen Dinge,…) verbunden, die es der Organisation ermöglichen: “den Neuankömmling zu einem Objekt zu formen, das in die Verwaltungsmaschinerie der Anstalt eingefüttert und reibungslos durch Routinemaßnahmen gehandhabt werden kann“ (Goffman 1973: 27).
Nicht persönliche Eigenschaften sondern Attribute, die für die Funktionserfüllung notwendig sind, zählen in einer totalen Institution. Das bürgerliche Selbst wird gemäß den Vorstellungen der Organisation reorganisiert. Abgewehrt werden kann diese Attacke auf das Ich nur schwer, es gibt aber verschiedene Formen der Anpassung die von Regression, Verweigerung der Zusammenarbeit , Kolonisierung der Heimwelt bis zur Konversion, bei der der Insasse versucht, den Anforderungen der Organisation in perfekter Weise gerecht zu werden, reichen.
Neue Mitglieder einer totalen Institution sind „einem umfangreichen Satz von demütigenden Erfahrungen ausgesetzt: Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Leben in der Gemeinschaft, diffuse Autorität einer Vielzahl von Menschen“ (Goffman 1973: 147). Als offizielle Gründe für diese Demütigungen und Erniedrigungen werden u. a. Hygiene, Sicherheit oder etwa Verantwortung genannt. Gerade in dieser ersten Phase kommt dem Personal die Rolle der Sozialisationsinstanz zu: es hat die Aufgabe, den Neuling gefügig zu machen und die weitere Kooperation zu sichern.
Nicht nur frühere Annehmlichkeiten wie z.B. ein eigenes Zimmer oder ein weiches Bett gehen mit der Institutionalisierung verloren, es tritt auch eine radikale Änderung des Selbst und ein Rollenverlust ein, der durch eine physische Trennung von der Außenwelt (z.B. hohe Mauern, Pförtner) und soziale Regelungen (z.B. rigide Besuchszeiten, Verbot von Haustieren) gefördert wird.
Goffman spricht von einem Unformungsprozess, der ein Individuum zur objektivierten PatientIn macht. Die neuen BewohnerInnen werden aus ihrem bisherigen Lebenszusammenhang herausgerissen, erfahren eine zwangsweise Neu-Definition ihrer Identität, eine Einschränkung ihrer Selbstverantwortlichkeit und eine umfassende Änderung des eigenen Lebens (vgl. Hager 1996). Die Rolle, die die der PatientIn oder der BewohnerIn nahe stehenden Menschen in diesem Transformationsprozess einnehmen bezeichnet Goffman als „Beschützer“ aber auch als „Handlanger“ der Institution im Prozess der Objektivierung beschrieben. Denn nur durch ihre Unterstützung „kann der ganzen Transformationsprozeß reibungslos vonstatten gehen“ (Goffman 1973: 141) da die Angehörigen meist über notwendige Fakten und Informationen (z.B. über die bisherige Krankheitsgeschichte, finanzielle Verhältnisse etc.) verfügen.
Berücksichtig werden muss, dass nicht jede totale Institution, auch nicht das Pflegeheim, alle hier beschriebenen Merkmale vereint, manche Organisationen sind sicher allumfassender und einschränkender als andere. Nichts desto trotz liefert diese Modell -v .a. in Anbetracht der nächsten Kapitel- wichtige Denkanstöße.
3.2 Entscheidungsfindung und Modalitäten des Heimeintritts
Angesichts der Tatsache, dass nur ein Drittel aller Menschen „freiwillig“, d.h. auf eigenen Beschluss hin, in ein Pflegeheim einzieht, 46% der Menschen keinen anderen Ausweg sehen und 21% in ein Heim eingewiesen werden (vgl. Wehrli- Schindler 1997), mag die Frage nach der Entscheidung für diesen Umzug vielleicht etwas zynisch wirken.
Trotzdem scheint es angemessen, diese Entscheidung – ob nun freiwillig oder nicht- näher zu erörtern, da angenommen werden kann, dass die Modalitäten des Eintritts Einfluss auf die Bewältigung der Krisensituation haben.
Der Heimeintritt ist mit Wahl und Reichert (1994) eine sehr komplexe Entscheidung, die von vielen Einzelfaktoren beeinflusst wird und die im Idealfall selbst gesteuert ist. Die Gewissheit um eine zuverlässigen Versorgung und das „Bedürfnis nach Zukunftsvorsorge und Sicherheit“ (Wahl/Reichert: 1994: 17) seien die wichtigsten Gründe für diese Entscheidung.
Faktoren, die den Entschluss zum Heimeintritt beeinflussen sind weiters (vgl. Wahl/Reichert 1994, Klingenfeld 1999):
- Demographische Faktoren (erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Eintritts ab dem 80. Lebensjahr bzw. durch Verwitwung, Scheidung, Single-Leben, weibliches Geschlecht)
- Gesundheitliche Faktoren (Beeinträchtigung bei Aktivitäten des Alltags wie Essen, Einkaufen etc.)
- Umweltfaktoren (schwaches soziales Netzwerk, Fehlen zuverlässiger häuslicher Hilfe, Unzulänglichkeiten der bisherigen Wohnsituation oder auch das bestehende Heimplatzangebot).
- Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes (Ausschließen einer Besserung des Gesundheitszustandes)
Hierbei ist anzumerken, dass - mögen medizinische Faktoren auch eine noch so große Rolle spielen- vor allem das Vorhandensein oder das Fehlen von familiärer Unterstützung ausschlaggebend für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen eines Pflegeheimes ist. Schulz- Nieswandt nennt diese sozialen Entscheidungsfaktoren „soziale Determinanten“ die z.B. in der Überforderung der Angehörigen liegen können (vgl. Schulz- Nieswandt 1994). Karin Zürcher, die Angehörige zum Pflegeheimeintritt befragte, stellte fest, dass der Umzug in ein Heim lange Zeit ein Tabuthema in der Familie gewesen sei und schließlich „aus einer Belastungssituation heraus, welcher sich die pflegenden Angehörigen nicht mehr gewachsen sahen“ eine Entscheidung gefällt werden musste, „die meist im Gegensatz zum Willen der Betagten stand“ (Zürcher 1997: 190). D.h., dass der Eintritt in den wenigsten Fällen rechtzeitig thematisiert bzw. gemeinsam mit dem/der Betroffenen geplant wurde. Dies bestätigt auch die von Schmidl in einem Wiener Geriatriezentrum durchgeführte Studie, die u. a. die Mitentscheidungsmöglichkeit bei der Heimaufnahme beleuchtet. Nur 7,3% der Befragten waren mit dieser Mitentscheidungsmöglichkeit zufrieden, 46,7% konnten zumindest teilweise mitbestimmen und 46% bewerteten ihre Mitbestimmungsmöglichkeit als zu gering. Die Autorin der Studie meint: “Die Entscheidung zur Heimübersiedlung wurde primär von anderen getroffen bzw. fühlten sie ( Anm. d. Autorin: die HeimbewohnerInnen ) sich zu dieser Entscheidung gedrängt“ (Schmidl 2003: 78).
In relativ vielen Fällen wird die Entscheidung zum Heimeintritt nicht mehr zuhause gefällt. Wie bereits oben angeführt, erfolgt der Umzug ins Heim in mehr als einem Fünftel der Fälle nach einer Einweisung. Vor allem Krankenhäuser nehmen eine wichtige Verteilungsposition ein, d.h. die Entscheidung zum Eintritt wird über weite Strecken durch Professionelle herbeigeführt, die Autonomie des zukünftigen Heimbewohners ist dadurch meist in starkem Maße eingeschränkt und „der betroffene Mensch selbst ist in einer Situation der besonderen Geschwächtheit und Verunsicherung“ (Schulz- Nieswandt 1994:54). Schmidl stellt in ihrer Studie zu einem Wiener Geriatriezentrum sogar fest, dass 88% der Befragten nach einem stationären Krankenhausaufenthalt, 10,7% von zu Hause und nur 1,3% von einer anderen stationären geriatrischen Betreuung im Heim aufgenommen wurden (vgl. Schmidl 2003).
Immer häufiger wird die Heimübersiedelung zu einer Notfallreaktion nach einem Spitalsaufenthalt, d.h. dass der/die Betroffene ohne ausreichende Auseinandersetzung mit dem Thema –oft unter Zeitdruck- eine oft endgültige und irreversible Entscheidung treffen muss.
Generell kann gesagt werden, dass diese Übertrittssituation in großem Maße fremdbestimmt und meist nicht vom alten Menschen selbst initiiert wird. Wie Untersuchungen (z.B. Klingenfeld 1999) zeigen, stehen aber gerade die Modalitäten des Heimeintritts (z.B. Entscheidungsdruck) in engem Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit im Heim. Auch Hager stellte in ihrer Studie fest, dass das Erleben des Heimeintritts in entscheidendem Maße davon geprägt ist, unter welchen Umständen die Entscheidung für den Einzug gefällt wird. Meist sind dies jedoch eher ungünstige Bedingungen (in Folge eines traumatischen Ereignisses, nach einem Krankenhausaufenthalt, ohne vorherige Thematisierung etc.) (vgl. Hager 1996), die die Eingewöhnung im Heim erschweren.
[...]
[1] In Österreich sind heute ca. 1–2 % der 65-Jährigen, 8 % der 75-Jährigen und 25–30 % der Menschen ab dem 85. Lebensjahr von Demenz betroffen und die Zahl der an Demenz Erkrankten wird angesichts der demographischen Entwicklung steigen (vgl. Positionspapier der Caritas 2004, unter http://www.caritas.at/download/positionspapier_pflege_04.pdf, Zugriff am 31.08.2005).
[2] Dass die Pflegeplätze im Vergleich zu den Wohnplätzen in der Steiermark überwiegen wurde auf S. 8. bereits diskutiert.
[3] Pflegeheime in Vorarlberg. Regionale Bedarfs- und Entwicklungsplanung 2000-2020, unter http://www.vorarlberg.at/pdf/regionalerbedarfs-undentw.pdf, Zugriff am 24.8.2005.
[4] vgl. Statistik Austria, unter www.statistik.at/fachbereich_03/bevoelkerung_tab3.shtml, Zugriff am 10.12.2004
[5] http://www.abif.at/deutsch/download/Files/EndversionGeschlechtsspezifische%20Disparitaeten-Homepage.pdf, Zugriff am 25.04. 2005
[6] Die Ergebnisse des Mikrozensus 2002 ergaben: „Von der erwachsenen Bevölkerung erbringen (…) 8,5% der Frauen und 4,7% der Männer – überwiegend unbezahlt- Hilfs- und Pflegeleistungen“ (Kytir/ Schrittwieser 2003: 44).
[7] vgl. Statistik Austria unter http://www.statistik.at/cgi-bin/pressetext.pl?INDEX=2005004036, Zugriff am 06.06.2005
[8] Die Zahl der Einpersonenhaushalte wird von heute ca. 990 000 um voraussichtlich 200 000 in den nächsten 20 Jahren steigen (vgl. Rubisch et al.)
[9] vgl. Positionspapier der Caritas unter http://www.caritas.at/download/positionspapier_pflege_04.pdf, Zugriff am 20.11.2004.
[10] vgl. Landesgesetzblatt für Wien unter http://www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/landesgesetzblatt/jahrgang/2005/html/lg2005014.htm, Zugriff am 29.06.2005
[11] vgl. Schwedisches Institut 2001: Altersfürsorge in Schweden, unter http://www.sweden.se/upload/Sweden_se/german/factsheets/SI/Altersfursorge_in_Schweden_ts8mOhfe.pdf, Zugriff am 15.09.2005
[12] Eine umfassende Darstellung neuer Wohnformen in Österreich würde an dieser Stelle zu weit reichen. Einen guten Überblick über die Thematik bieten Feuerstein/ Havel (2000) in ihrem Beitrag zum „Bericht zur Lebenssituation älterer Menschen“ der Bundesregierung.
[13] Heimvertrag für Pensionisten-, Alten-, Wohn-, und Pflegeheime, www.bmsg.gv.at/cms/site/attachements/7/3/7/CH0108/CMS1056537794100/heimvertragneu.pfd, Zugriff am 25.10.2004
[14] Heimvertrag und Bewohnerrechte, http://www.noel.gv.at/service/gs/gs7/seniorenheime/download/Heimvertrag.pdf., Zugriff am 25.10. 2004
[15] Niklas Luhmann unterscheidet zwischen Konditional- und Zweckprogrammen. Erstere umfassen eine Wenn- Dann- Beziehung, d.h. dass eine Bedingung eine erwartbare Folge nach sich zieht. Der Vorteil gegenüber Zweckprogrammen liegt darin, „dass die Konditionen eindeutig festgelegt werden können“ (Luhmann 2000: 263). Zweckprogramme hingegen basieren auf dem kausalen Verhältnis von Mittel und Zweck, sind in die Zukunft ausgerichtet und aufgrund deren Unsicherheit bzw. Unvorhersagbarkeit gezwungenermaßen flexibler.
[16] Schwarz 2004: 6, http://www.kuwi.euv-frankfurt-o.de/~polsoz/lehre/lehre_SS04/sozio_grbeg/f7.pdf, Zugriff am 10.11. 2004
[17] In der Medizinsoziologie wird von den drei C´ s (Challenge, Commitment, Control) gesprochen, die für den Erhalt der Gesundheit von Bedeutung sind. (vgl. u. a. Frischenschlager et al. 2002). Diese drei Faktoren gehen mit dem Eintritt nahezu vollständig verloren.
- Arbeit zitieren
- Mag. Nina Traxler (Autor:in), 2005, Empowerment oder Entlastung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78342
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