Unumstritten handelt es sich bei den Werken Phèdre und La Princesse de Clèves um zwei der wichtigsten und literaturwissenschaftlich interessantesten Werke der französischen Klassik. In gewissem Sinne sind sie charakteristisch für den literarischen Geist ihrer Zeit und lassen zum Teil auch Rückschlüsse auf die Gesellschaftsstruktur im Frankreich des 17. Jahrhunderts zu. Allgemeine Strömungen und Tendenzen lassen sich an den verschiedensten Aspekten der beiden Werke verdeutlichen.
Besonders interessant ist vor diesem Hintergrund die Analyse der Konzepte bezüglich Liebe und Leidenschaft in der französischen Klassik. Diese Konzepte werden im Folgenden einer genauen Betrachtung unterzogen.
Primär liegt bei dieser eingehenden Analyse das Augenmerk auf der Frage, ob es gesellschaftliche Einflüsse, Strukturen und Theorien gibt, die die beiden Werke, exemplarisch für weite Teile der Literatur des 17. Jahrhunderts, -insbesondere im Bezug auf den Charakter von Liebe und Passion- nachhaltig beeinflusst haben.
Wenn ja, wie manifestieren sich diese verschiedenen Einflüsse in den beiden so unterschiedlichen und doch in vielen Punkten vergleichbaren Werken?
Dabei ist natürlich auch von besonderem Interesse zu untersuchen, ob beide Autoren dieselben Aspekte aufgreifen oder ähnliche Schwerpunkte setzen und gleichzeitig in welchem Maße und in welcher Form sie diese Aspekte und Schwerpunkte in ihren Texten verarbeiten.
Ziel ist es die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bereich Liebe und Leidenschaft an einigen Hauptaspekten zu konkretisieren, dadurch die Komplexität dieser Thematik herauszuarbeiten und zugleich die praktische Verarbeitung von zeitgenössischen Strömungen zu verfolgen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Einflüsse auf die Liebeskonzeption in Phèdre und La Princesse de Clèves
3. Liebe und Leidenschaft in La Princesse de Clèv es
3.1 Charakter der Leidenschaft
3.2 Liebe und amour propre
3.2.1 Der aveu als Ausdruck der amour propre?
3.2.2 Der Verzicht als Ausdruck der amour propre?
3.2.3 amour prope als Motor „fremdgesteuerter“ Leidenschaft
4. Liebe und Leidenschaft in Phèdre
4.1 Charakter der Leidenschaft
4.2 Triebkräfte der Leidenschaft
4.2.1 Fremdbestimmte Leidenschaft
4.2.2 dieu-caché als Motor von Liebe und Passion
4.2.3 Die Rolle der amour propre in Phèdre
5. Schluss
6. Bibliographie
1. Einleitung
Unumstritten handelt es sich bei den Werken Phèdre und La Princesse de Clèves um zwei der wichtigsten und literaturwissenschaftlich interessantesten Werke der französischen Klassik. In gewissem Sinne sind sie charakteristisch für den literarischen Geist ihrer Zeit und lassen zum Teil auch Rückschlüsse auf die Gesellschaftsstruktur im Frankreich des 17. Jahrhunderts zu. Allgemeine Strömungen und Tendenzen lassen sich an den verschiedensten Aspekten der beiden Werke verdeutlichen.
Besonders interessant ist vor diesem Hintergrund die Analyse der Konzepte bezüglich Liebe und Leidenschaft in der französischen Klassik. Diese Konzepte werden im Folgenden einer genauen Betrachtung unterzogen.
Primär liegt bei dieser eingehenden Analyse das Augenmerk auf der Frage, ob es gesellschaftliche Einflüsse, Strukturen und Theorien gibt, die die beiden Werke, exemplarisch für weite Teile der Literatur des 17. Jahrhunderts, -insbesondere im Bezug auf den Charakter von Liebe und Passion- nachhaltig beeinflusst haben.
Wenn ja, wie manifestieren sich diese verschiedenen Einflüsse in den beiden so unterschiedlichen und doch in vielen Punkten vergleichbaren Werken?
Dabei ist natürlich auch von besonderem Interesse zu untersuchen, ob beide Autoren dieselben Aspekte aufgreifen oder ähnliche Schwerpunkte setzen und gleichzeitig in welchem Maße und in welcher Form sie diese Aspekte und Schwerpunkte in ihren Texten verarbeiten.
Ziel ist es die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bereich Liebe und Leidenschaft an einigen Hauptaspekten zu konkretisieren, dadurch die Komplexität dieser Thematik herauszuarbeiten und zugleich die praktische Verarbeitung von zeitgenössischen Strömungen zu verfolgen.
2. Einflüsse auf die Liebeskonzeption in Phèdre und La Princesse de Clèves
Die Einflüsse, die sich in den Liebeskonzeptionen der beiden Werke manifestieren, sind ebenso unterschiedlich wie vielfältig und haben nicht nur diese beiden exemplarischen Oeuvres sondern einen Großteil der Literatur der französischen Klassik in hohem Maße geprägt.
Im Vordergrund der Reflexionen des 17. Jahrhunderts stand die Frage der menschlichen Identität, woher der Mensch komme und was er sei. In Anlehnung an den Begriff der ,negativen Theologie’, die von der Entzogenheit Gottes, einem ,dieu-caché’ und der Vorstellung, der Mensch könne Gott nur in der Negation denken, ausgeht, entsteht der Begriff der ,negativen Anthropologie’.
Die negative Anthropologie versteht den Menschen als ein ,moi-caché’, das sich selbst entzogen ist und kann in diesem Zusammenhang als eine Art Reflexionsbewegung[1] verstanden werden, die sich dementsprechend auch in der Literatur niederschlägt.
In diesem Zusammenhang können die Pensées von Pascal als „das erste Zeugnis einer ,klassischen Neubesinnung’ auf die Natur des Menschen, die im Zeichen der negativen Anthropologie steht“[2] verstanden werden. Die Vorstellungen und Ansätze der negativen Anthropologie sowie der Einfluss Pascals müssen mit Sicherheit in die Ausgestaltung von Liebe und Leidenschaft in beiden Werken miteinbezogen werden.
Spricht man vom Einfluss Pascals auf die Werke von Racine und Mme de Lafayette, darf man auch den Jansenismus als Bewegung bei den Untersuchungen nicht außer Acht lassen, da Pascal ebenso wie seine beiden Zeitgenossen, Mme de Lafayette und Jean Racine, maßgeblich von der jansenistischen Weltanschauung geprägt waren.
Der Jansenismus, als religiöse wie sittliche Reformbewegung des Katholizismus, begreift den Menschen nicht als frei, sondern als ein von der göttlichen Gnade abhängiges Wesen, das aus eigener Kraft keine Erlösung finden kann und von dem Fluch der Erbsünde nur durch Gottes Gnade befreit werden kann. Wobei Gott ein entzogener Gott, ein dieu-caché, ist, den man mit seinem Handeln auch nicht beeinflussen oder milde stimmen kann.
Im 17. Jahrhundert bildete der Jansenismus damit eine Art Opposition zu der jesuitischen Lehre, wo man sich Erlösung durch gute Taten quasi erkaufen konnte. Gleichzeitig ist der Jansenismus eine anti-humanistische Bewegung, weil der Mensch hier nicht mehr als Gott ähnliches Wesen verstanden wird.[3] Dieses jansenistische Ideengut beeinflusst das Konzept von Liebe und Leidenschaft in den beiden Werken maßgeblich, wie im Folgenden noch an diversen Beispielen herausgearbeitet wird.
Besonders interessant für die sich anschließende Analyse der Liebeskonzeption in den beiden Werken, ist außerdem der Einfluss der negativen Anthropologie im Sinne La Rochefoucaulds, der sich ausgiebig mit der Thematik der menschlichen Natur und der Natur der amour propre also der Selbstliebe beschäftigt hat.
„Selbstliebe als Prinzip der La Rochefoucauldschen negativen Anthropologie ist keine Liebe die ihr Objekt gefunden hätte und in ihm zur Ruhe käme. Die Liebe des Subjekts zu sich selbst schafft keine Sättigung in der Selbstentzogenheit, sondern eine Leere, ein Verlangen nach sich selbst, das sich nur erfüllen kann, indem das Ich über sich selbst hinausdrängt, um so seiner selbst inne zu werden. [...] Die Selbstliebe ist der Ursprung einer über sie selbst hinausdrängenden Dynamik, doch entzieht dieser Ursprung sich jedem Zugriff. [...] Die Dynamik des amour propre mündet schließlich in eine rastlose Kreisbewegung, da sie nicht nur das Begehren, sondern zugleich die Objekte des Begehrens in ihrer subjektiven Verklärung hervorbringt.“[4]
Als solche ist die Selbstliebe dem Individuum nicht bewusst und nie fassbar. Weiterhin ist evident, dass amour propre sinngemäß gleichzusetzen ist mit neuzeitlichen Begriffen wie ,das Unbewusste’, ,die Verdrängung’ oder vielleicht auch ,Triebhaftigkeit’, die ebenfalls nicht fassbar, dem Individuum entzogen und dynamisch sind.
Dieses Verständnis von amour propre und der Einfluss der Rochefoucauldschen These auf die beiden literarischen Exempel wird in den folgenden Untersuchungen noch von großer Bedeutung sein.
Obwohl natürlich noch viele weitere Einflüsse auf die Entstehung und die Ausgestaltung der beiden Werke einwirkten, können nicht alle Strömungen Eingang in diese Arbeit finden.
Es sind jedoch die in diesem Abschnitt aufgeführten Aspekte, die grundlegend für alle weiteren Betrachtungen, das Liebeskonzept betreffend, sind.
3. Liebe und Leidenschaft in La Princesse de Clèves
3.1 Charakter der Leidenschaft
Der Charakter der Leidenschaft in diesem Roman von Mme de Lafayette ist relativ vielschichtig und erscheint manchmal recht widersprüchlich.
Zunächst muss festgestellt werden, dass die Passion in diesem Text in erster Linie durch Äußerlichkeiten geweckt wird.
Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung der Szene in der sich die beiden Hauptpersonen, die Princesse de Clèves und der Duc de Nemours, zum ersten Mal begegnen, die wie folgt beschrieben ist:
„Elle se tourna et vit un homme qu’elle crut ne pouvoir être que M. de Nemours […]. Ce prince était fait d’une sorte qu’il était difficile de n’être pas surpris de le voir quand on ne l’avait jamais vu, surtout ce soir-là, où le soin qu’il avait pris de se parer augmentait encore l’air brillant qui était dans sa personne; mais il était difficile aussi de voir Mme de Clèves pour la première fois sans avoir un grand étonnement. “[5]
Bei besagtem erstem Aufeinandertreffen spielt das Äußerliche eine übergeordnete Rolle, wie überhaupt die Beschreibung der gesamten Pracht des Hofes ausschließlich auf den äußeren Schein konzentriert bleibt, der dann aber in schillerndsten Farben und mit übertrieben hyperbolischer Euphorie ausgestaltet ist.
Beispielsweise heißt es bei der Einführung der Princesse bei Hofe: „Il parut alors une beauté à la Cour, qui attira les yeux de tout le monde, et l’on doit croire que c’était une beauté parfaite“[6], oder bei der Beschreibung der Mme de Chartres: „La blancheur de son teint et ses cheveux blonds lui donnaient un éclat que l’on n’a jamais vu qu’elle; tous ses traits étaient réguliers, et son visage et sa personne étaient pleins de grâce et de charmes“[7]. Ebenso wird auch der Duc de Nemours über sein perfektes äußeres Erscheinungsbild eingeführt : „l’homme du monde le mieux fait et le plus beau“[8].
Aufgrund der Tatsache, dass der Beginn der Geschichte ebenso wie die aufkeimenden Leidenschaften auf das Erscheinungsbild der Personen und der Objekte der Begierde reduziert bleiben, muss der Leser den Liebesgefühlen des Romans eigentlich von Anfang an skeptisch gegenüber stehen.
Sind diese Gefühle wirklich so tief und so ehrlich, wie Mme de Lafayette es im Laufe der Handlung mithilfe der inneren Monologe und der Äußerungen ihrer Figuren glauben machen will?
Sind Einwürfe wie „L’aveu que Mme de Clèves avait fait à son mari était si grande marque de sa sincérité“[9], nicht vielleicht ironisierend zu verstehen? Sind Szenen wie die aveu-Szene in der Mme de Clèves in Tränen ausbricht und auf Knien ihre Liebe zu Nemours beichtet, wirklich Ausdruck der tiefen Liebe zu jenem und der aufrichtigen Verbundenheit zu M. de Clèves? Zumindest ist ein Zweifel berechtigt, wenn Mme de Lafayette gleichzeitig so auffällig übertrieben und ausschmückend die höfische Idealität und so pathetisch die Gefühlswelt der Figuren beschreibt.
Auch die allgegenwärtige Semiotisierung von Liebe und Leidenschaft bei Hofe, die besonders charakteristisch für diesen Roman ist, kann als Ausdruck von Oberflächlichkeit gedeutet werden, da durch diese Zeichenhaftigkeit alle Gefühle und Gefühlsäußerungen verzerrt werden.
Liebe drückt sich allzu häufig in Farben und Zahlen aus, wie zum Beispiel in der Turnierszene, anstatt in bekennendem Handeln.
Gleichermaßen wirft die Rolle des Bildes als Multiplikator der Idealität auch einen Schatten auf die vermeintliche ,sincérité’ der Liebesempfindungen.
So ist die Portrait-Szene geradezu Symbol der Zeichenhaftigkeit, da hier der Besitz eines Portraits implizit als der Besitz einer Person dargestellt ist.
Besonders interessant ist in diesem Kontext auch die Szene im Pavillon[10], welche beispielhaft für die Zeichenhaftigkeit des Romans und der darin enthaltenen Liebesbeziehungen ist.
Da ist zunächst das Bild eines heldenhaft kämpfenden Nemours, das die Princesse de Clèves, erotisch ausgestreckt auf einer Liege betrachtet. Hier drängt sich bereits der Verdacht auf, dass die Princesse wohl eher in das Abbild des „Helden“ Nemours verliebt ist, das mit der realen, höfischen Person nur in wenigen Punkten übereinstimmt und stark idealisierend ist.
Durch das Fenster beobachtet wiederum der Duc de Nemours die Princesse und betrachtet das erotische Arrangement in dem sich seine Angebetete präsentiert.
Für den Leser, der scheinbar ebenfalls mit Nemours durch das Fenster schaut, hat dieser Anblick in gleicher Weise etwas bildhaftes und lässt vermuten, dass auch Nemours in erster Linie in das Abbild der Princesse de Clèves verliebt ist und weniger in ihre Persönlichkeit.
Nemours wird seinerseits von dem Spion des M. de Clèves beobachtet, der als das Auge von Clèves zu verstehen ist. Der eifersüchtige Ehemann bekommt so ebenfalls ein Bild übermittelt, das mit der Realität wenig gemein hat. Auf Erklärungen verzichtet er gänzlich, genau wie auf exakte Ausführungen seines Boten, denn das Bild das er sich gemacht hat und das nur an der Oberfläche der Realität kratzt, will er nicht revidieren und beschließt stattdessen seinen Tod.
Daher stellt sich nun wie bereits bei den anderen Charakteren die Frage, ob seine Liebe wirklich so ehrlich und ernsthaft ist, wie der Roman vorgibt. Beseelt von wahrer Passion, müsste er zumindest das Gespräch mit seiner Frau suchen und dürfte sich nicht selbstmitleidig auf das Sterbebett legen.
Im Folgenden werden die Motive für die Handlungsweise der Personen noch von besonderem Interesse sein. Es bleibt jedoch festzustellen, dass der Charakter von Liebe und Leidenschaft in dem Roman nicht zweifelsfrei als so ehrlich und tiefgründig angenommen werden kann, wie man bei einem ersten Lesen glauben könnte.
[...]
[1] S.: Stierle, Karlheinz : Die Modernität der französischen Klassik. Negative Anthropologie und funktionaler Stil. In: Fritz Nies/Karlheinz Stierle (Hgg.): Französische Klassik. München 1985. S. 81-137, hier: S. 84.
[2] Ebd.: S. 85.
[3] Der große Herder. Freiburg 1957. Bd. 4. S. 1195.
[4] Stierle, Karlheinz : Die Modernität der französischen Klassik. Negative Anthropologie und funktionaler Stil. In: Fritz Nies/Karlheinz Stierle (Hgg.): Französische Klassik. München 1985. S. 81-137, hier: S. 93.
[5] De Lafayette, Mme: La princesse de Clèves. Paris 2000. S. 67.
[6] Ebd.: S. 48.
[7] Ebd.: S. 49.
[8] Ebd.: S. 41.
[9] Ebd.: S. 188.
[10] S. Ebd.: S.211 ff.
- Citation du texte
- Jutta Schmitt (Auteur), 2006, Konzepte von Liebe und Leidenschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78281
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