Die Pečenegen, deren Name soviel wie ,,Schwagerstamm" bedeutet(1), werden erstmals im 8. Jahrhundert in einem uigurischen Gesandtschaftsbericht erwähnt(2). Vor den Angriffen der sprachverwandten Oghusen und später der Chazaren ausweichend, überquerten sie um 890 die Volga in Richtung Westen und verdrängten die Proto-Ungarn aus ihren bisherigen Wohnsitzen. Der Sieg über die Proto-Ungarn gab den Anstoß zu deren Abwanderung in das Karpatenbecken, während die Pečenegen die pontischen Steppen in Besitz nahmen. Hier wurden sie für mehr als 150 Jahre zu Nachbarn der Kiever Rus`, bevor sie ihrerseits um die Mitte des 11. Jahrhunderts von den aus Innerasien einwandernden Kumanen (russ. половцы) vertrieben wurden.
Die Beurteilung des Verhältnisses zwischen der Kiever Rus` und den vormongolischen Steppennomaden ist in den letzten Jahren in Bewegung geraten. Die stereotype Darstellung innerhalb der klassischen russischen Historiographie wird im Rahmen einer differenzierteren Betrachtung hinterfragt. Die vorliegende Arbeit wird dazu am Beispiel der Pečenegen einen Beitrag leisten.
Wichtigste literarische Quelle zur inneren Struktur des pečenegischen Herrschaftsraums in den nordpontischen Steppen ist die Schrift De administrando imperio. Es handelt sich um ein ,,Handbuch", das die Einschätzungen der byzantinischen Diplomatie und die Grundmaximen ihrer Politik gegenüber den benachbarten Völkern des 9. und 10. Jahrhunderts widerspiegelt. Auch wenn die Diskussion über Autorschaft, Entstehungszeit, Zusammensetzung und Gestaltungszustand weiterhin geführt wird, ist der hohe Wert des Buches als Informationsquelle über den Zustand des byzantinischen Reiches und der zeitgenössischen Staaten unbestritten(3).
Die Beurteilung der Authentizität der Повесть временных лет (als ,,Nestorchronik" geläufig), des ursprünglichen Teils der Kiever Chronik, fällt nicht nur aufgrund der komplizierten Überlieferungsgeschichte schwerer. Die älteste erhaltene Fassung findet sich in der Lavrentij-Chronik von 1377, doch hatte auch sie Vorläufer4. Schon bei der Nestorchronik handelt es sich um ein nahezu unentwirrbares Geflecht von Gehörtem, Ersonnenem und politisch bzw. religiös Gebotenem5 aus der Feder verschiedener Autoren zu verschiedenen Zeiten, so daß ihre Angaben kritisch bewertet werden müssen.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- 1.1 Die politische Struktur des pedenegischen Herrschaftsgebiets
- 1.2 Ökonomische Prämissen
- 1.3 Das außenpolitische Gefüge um die Mitte des 10. Jahrhunderts
- 1.4 Die in der PW vermerkten Kontakte zwischen Kiever Rus' und Pedenegen
- 1.5 Widersprüche zwischen der klassischen russischen Historiographie und dem Ertrag der jüngeren Forschung
- Zusammenfassung
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Kontaktgeschichte zwischen der Kiever Rus' und den Peéenegen, einem nomadischen Volk, das im 9. Jahrhundert die pontischen Steppen in Besitz nahm. Ziel der Arbeit ist es, die Beziehungen zwischen beiden Kulturen anhand einschlägiger Quellen zu untersuchen und dabei die klassische russische Historiographie, die von einem „ewigen Kampf" zwischen „Zivilisation" und „Barbarei" ausgeht, zu hinterfragen. Die Arbeit analysiert die politische Struktur des peéenegischen Herrschaftsraums, die ökonomischen Prämissen der Beziehungen, das außenpolitische Gefüge um die Mitte des 10. Jahrhunderts sowie die in der Nestorchronik vermerkten Kontakte zwischen Kiever Rus' und Peéenegen.
- Politische Struktur des peéenegischen Herrschaftsraums
- Ökonomische Beziehungen und Handelsbeziehungen zwischen Kiever Rus' und Peéenegen
- Rolle der Peéenegen im außenpolitischen Gefüge des 10. Jahrhunderts
- Militärische Zusammenstöße und Konflikte zwischen Kiever Rus' und Peéenegen
- Kritik an der klassischen russischen Historiographie und Einbeziehung der jüngeren Forschung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die politische Struktur des peéenegischen Herrschaftsraums anhand der Schrift De administrando imperio (DAI). Die Quelle beschreibt ein dezentrales Gebilde, das sich in acht „Themen" unterteilt, die von jeweils einem „Großarchonten" beherrscht wurden. Diese Themen zerfielen wiederum in vierzig Distrikte, die jeweils einem „Kleinarchonten" unterstanden. Die Arbeit diskutiert die These von O. Pritsak, der von einem peéenegischen Doppelkhanat ausgeht und die Kangar als herrschende Oberschicht interpretiert. Sie argumentiert, dass die Kangar eher Reste einer Volksgruppe waren, die erst während der peéenegischen Westwanderung in den Verband inkorporiert wurden.
Das zweite Kapitel untersucht die ökonomischen Prämissen der Beziehungen zwischen Kiever Rus' und Peéenegen. Die Arbeit unterscheidet zwischen aktivem Handel, also dem direkten Warenaustausch, und Transithandel, der über die peéenegisch kontrollierte Steppe führte. Sie analysiert die Bedeutung des Pferdes als wichtiges Exportgut der Peéenegen und die Rolle des Sklavenhandels. Die Arbeit zeigt, dass die Kiever Rus' durch den Handel mit den Peéenegen zwar profitierte, aber weit weniger davon abhängig war als die nomadische Gesellschaft. Sie argumentiert, dass die Peéenegen in Jahren magerer wirtschaftlicher Potenz ihre Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern durch Raubzüge in die Kiever Rus' zu gewährleisten suchten.
Das dritte Kapitel beleuchtet das außenpolitische Gefüge um die Mitte des 10. Jahrhunderts. Die Arbeit zeigt, dass die Peéenegen eine Schlüsselrolle im außenpolitischen Kalkül der byzantinischen Diplomatie spielten. Byzanz versuchte, durch finanzielle Zuwendungen und Drohungen die Peéenegen als Verbündete zu gewinnen und sie gegen ihre Nachbarn zu dirigieren. Die Arbeit zeigt, dass die Kiever Rus' ebenfalls an friedlichen Beziehungen zu den Peéenegen interessiert war, da diese sowohl für den Handel als auch für die militärische Sicherheit von Bedeutung waren.
Das vierte Kapitel analysiert die in der Nestorchronik (PW) vermerkten Kontakte zwischen Kiever Rus' und Peéenegen. Die Arbeit zeigt, dass die Peéenegen in der ersten Phase ihrer Beziehung zu Kiever Rus' überwiegend als Handlanger Konstantinopels in Erscheinung traten. Sie agierten als Verbündete Byzanz im Kampf gegen Simeon von Bulgarien und führten 968 einen Entlastungsangriff auf Kiev, um Svjatoslav zum Abbruch seines Balkanfeldzugs zu zwingen. Doch die Arbeit zeigt auch, dass die Peéenegen in dieser Phase bereits eine gewisse politische Flexibilität zeigten und sich nicht immer an die Vorgaben Byzanz hielten.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Kiever Rus', die Peéenegen, die Kontaktgeschichte, die politische Struktur des peéenegischen Herrschaftsgebiets, die ökonomischen Prämissen der Beziehungen, das außenpolitische Gefüge des 10. Jahrhunderts, die Nestorchronik, die klassische russische Historiographie und die jüngere Forschung. Die Arbeit befasst sich mit der Frage, ob die Peéenegen eine existentielle Bedrohung für die Kiever Rus' darstellten und analysiert das Klischee vom „ewigen Kampf" zwischen „Zivilisation" und „Barbarei".
- Quote paper
- Christian Tegethoff (Author), 2001, Die Kiever Rus und die Pecenegen: Grundzüge der Kontaktgeschichte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7819
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