Rechtsextreme Gewalt ist ein Phänomen, das in unserer Gesellschaft allgegenwärtig ist. In der wissenschaftlichen Diskussion gibt es eine Fülle von Erklärungsversuchen, die rechtsextreme Gewalt etwa aus psychologischer oder soziologischer Sicht erklären. Lerntheoretische Ansätze werden dabei jedoch fast völlig außer Acht gelassen und vor allem in der deutschsprachigen Literatur gibt es kaum Veröffentlichungen dazu.
Deshalb versuche ich in der vorliegenden Arbeit, das Phänomen Gewalt zu beleuchten, die gängigsten Lerntheorien und Grundlagen des Rechtsextremismus vorzustellen. Des Weiteren versuche ich, die Lerntheorien auf rechtsextreme Gewalt zu beziehen, diese damit zu erklären und auch Möglichkeiten für den pädagogischen Umgang aufzuzeigen.
Inhaltsverzeichnis
1. Zusammenfassung
2. Einleitung
3. Gewalt
3.1 Begriff
3.2 Rechtsextreme Gewalt
3.3 Theoretische Ansätze
3.4 empirische Daten
4. Rechtsextremismus
4.1 Begriff.
4.2 Erscheinungsformen.
4.3 Empirische Daten.
5. Lerntheorien.
5.1 Überblick
5.2 Klassisches Konditionieren
5.3 Operantes Konditionieren
5.4 Sozial-kognitive Lerntheorie
6. Rechtsextreme Gewalt als gelerntes Verhalten
7. Prävention und Intervention
8. Schlussfolgerungen
9. Literatur
10 Anhang und Abbildungen
1. Zusammenfassung
Rechtsextreme Gewalt ist ein Phänomen, das in unserer Gesellschaft allgegenwärtig ist. In der wissenschaftlichen Diskussion gibt es eine Fülle von Erklärungsversuchen, die rechtsextreme Gewalt etwa aus psychologischer oder soziologischer Sicht erklären. Lerntheoretische Ansätze werden dabei jedoch fast völlig außer Acht gelassen und vor allem in der deutschsprachigen Literatur gibt es kaum Veröffentlichungen dazu.
Deshalb versuche ich in der vorliegenden Arbeit, das Phänomen Gewalt zu beleuchten, die gängigsten Lerntheorien und Grundlagen des Rechtsextremismus vorzustellen. Des Weiteren versuche ich, die Lerntheorien auf rechtsextreme Gewalt zu beziehen, diese damit zu erklären und auch Möglichkeiten für den pädagogischen Umgang aufzuzeigen.
2. Einleitung
„Vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZASt) in Rostock-Lichtenhagen (Mecklenburg-Vorpommern) versammelten sich im August 1992 Anwohner, um gegen die Flüchtlinge zu demonstrieren. Der Protest mündete in Gewalt: Ohne auf ernsthaften Widerstand der Polizei zu stoßen, griffen in der Nacht des 22. August etwa 150 bis 200 meist jugendliche Randalierer das Asylbewerberheim mit Steinen und Molotow-Cocktails an. Am Abend des 24. August erreichten die bürgerkriegsähnlichen Krawalle ihren Höhepunkt: Die unterdessen geräumte ZASt sowie ein benachbartes Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiter wurden in Brand gesetzt. Die Polizei behinderte die inzwischen auf rund 1000 Randalierer gewachsene Menge nicht, angeblich hielt sie das Gebäude für leer. Mit Gewalt wurden die Ausländer aus dem so genannten ‚Sonnenblumenhaus’ getrieben. Erst am frühen Morgen des 25. August ebbten die Kämpfe ab. Erwachsene Sympathisanten und Anwohner sahen während der drei Tage dem Treiben tatenlos zu, einige klatschten Beifall.“ (Broschüre „Betrifft: Rechtsextreme“:2001, S.12)
Dies ist nur ein Beispiel für das Problem, mit dem sich die deutsche Demokratie vor allem seit der Wende auseinandersetzen muss: rechtsextremistische Gewalt. Es zeigt deutlich auf, dass Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit vor allem, aber – und das sei deutlich gesagt – nicht ausschließlich, ein Jugendproblem ist. Das Problem ist jedoch auch in allen Bevölkerungsschichten vorhanden und es gibt so etwas wie einen latenten Rechtsextremismus in der Gesamtbevölkerung. Es stellt sich nun die Frage, warum gerade Jugendliche rechtsextreme Gewalt ausüben. Lernen die Jugendlichen die Gewalt? Und wenn ja, wie lernen sie sie und kann man, entsprechend dieser Kenntnisse, Gegenstrategien entwickeln?
3. Gewalt
Was genau ist Gewalt? Und wie äußert sich Gewalt im Zusammenhang mit Rechtsextremismus? Dies sind grundlegende Fragen, die beantwortet werden müssen, wenn man sich mit dem Phänomen rechtsextremer Gewalt auseinandersetzt. Gewalt ist ein sehr breit gefächertes Feld, somit ist an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick über grundlegende Begrifflichkeiten und Forschungsansätze möglich, der keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit zu stellen beabsichtigt.
3.1 Begriff
Grundsätzlich muss man zwischen einem wissenschaftlichen und einem Alltagsverständnis von Gewalt unterscheiden. Für die vorliegende Arbeit ist jedoch nur das wissenschaftliche Verständnis von Bedeutung. Auf das Alltagsverständnis einzugehen würde dabei den Rahmen der Arbeit sprengen – wobei dessen Bedeutung nicht zu vernachlässigen ist! Vor allem in der direkten Arbeit mit gewalttätigen Jugendlichen ist deren subjektives Verständnis von Gewalt von Bedeutung. Einen kurzen Überblick dazu bietet HELGA THEUNERT (THEUNERT 1996, S. 143 ff.).
Ebenfalls von HELGA THEUNERT stammt mein Begriffsverständnis von Gewalt (THEUNERT 1996, S. 59 – 62). Sie definiert Gewalt als „die Manifestation von Macht und/oder Herrschaft, mit der Folge und/oder dem Ziel der Schädigung von einzelnen oder Gruppen von Menschen.“ Dieser Definition kann man zwei Bestimmungskriterien entnehmen: Gewalt wird einerseits nach ihren Folgen definiert, der durch die Gewalt verursachten Schädigung einer Person, andererseits nach den diesen Folgen vorausgehenden Bedingungen, also durch die Ausübung oder Existenz von Macht und Herrschaft. Nach THEUNERT liegt eine Schädigung vor, wenn der Betroffene subjektives „Leiden“ erfährt. Ziel oder Absicht sind dabei keine notwendige Voraussetzung für Gewalt, da Gewalt auch vorliegt, wenn die Schädigung nicht beabsichtigt ist. Sie können jedoch Informationen über entsprechende Gründe liefern. Dieser Blick auf die Folgen macht die Analyse und Wahrnehmung unterschiedlicher Erscheinungsformen von Gewalt möglich. Die Ausübung oder Existenz von Macht und Herrschaft ist an die Verfügung über entsprechende Machtmittel gebunden. Dabei sind situative und generelle Machtverhältnisse zu unterscheiden. Situativ bedeutet, dass die Ungleichverteilung der Machtverhältnisse primär situationsspezifisch ist und somit auf interpersonaler Ebene lokalisiert werden kann. Generell bedeutet dagegen ein langfristiges, eindeutig zugunsten einer Seite geregeltes Machtverhältnis. Dieses ist auf der ideologischen bzw. gesellschaftlichen Ebene lokalisiert, also eine prinzipielle normativ gesicherte Ungleichverteilung von Macht. THEUNERT betont dabei, dass durch diese Sichtweise die klassischen Theorien überwunden werden können, in denen Gewalt in behavioristischer Tradition als rein physische Gewalt angesehen wird und verweist in diesem Zusammenhang auf die historisch-gesellschaftliche Dimension von Gewalt.
Zur Verdeutlichung ihrer Überlegungen hat THEUNERT ein Schema entworfen, das die verschiedenen Erscheinungsformen von Gewalt erfasst (THEUNERT 1996, S. 61):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Neben den Dimensionen personell vs. strukturell und physisch vs. psychisch kann Gewalt auch in andere Dimensionen eingeordnet werden, z.B. offensiv (Angriff) vs. defensiv(Verteidigung), provoziert vs. unprovoziert oder instrumentell(nutzenorientiert) vs. impulsiv(aus dem Affekt). Zusätzlich müssen die verschiedenen Ebenen der Gewalt beachtet werden: Handlungswissen (über Techniken und Mittel), Vorstellungen, Einstellungen (zu geltenden Normen, Gewalt; Vorurteile gegenüber anderen Gruppen etc.), Einstellungen sind gleichzusetzen mit einem Verhaltenspotential – und damit Voraussetzung für das eigentliche Verhalten, Gewaltverhalten (eigentlich ausgeführte Gewalt) sowie Gefühle, die während dem Gewalthandeln gezeigt werden.
Die Begriffe Macht und Herrschaft möchte ich mit MAX WEBER definieren: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; […]“ (WEBER 1984, S. 89, Hervorhebungen im Original).
Oftmals synonym mit Gewalt wird auch der Begriff der Aggression verwendet.
3.2 Rechtsextreme Gewalt
Im Zusammenhang mit Rechtsextremismus ist zu bemerken, dass Gewalt in eine bestimmte Richtung zielt, die durch die dem Rechtsextremismus zugrunde liegenden Einstellungen bedingt ist. Zum Oberbegriff des Rechtsextremismus gibt es auf der Einstellungsdimension sehr heterogene Muster, die sich auf – teilweise grundlegend unterschiedliche – historische Entwicklungen sowie inhaltliche Zielsetzungen begründen (siehe Schaubild 1 und Abschnitt 4: Rechtsextremismus). Diese Einstellungsmuster wiederum bedingen ganz entscheidend das Gewalthandeln. So bestimmen sie nicht nur die spezifischen Techniken des Handelns, sondern auch die jeweilige Richtung, also auf wen sich die Gewalt bezieht. Ein ausgeprägtes fremdenfeindliches Einstellungsmuster verursacht z.B., dass vorrangig physisches Gewalthandeln (Techniken) fast ausschließlich gegen ethnische Minderheiten (spezifische Richtung) ausgeübt wird, wogegen Nationalisten ihr Gewalthandeln (dieses kann physisch oder auch psychisch sein) gegen alle Bestrebungen einsetzen, die ihrem Ziel – der Errichtung einer allen anderen überlegenen Nation – entgegenstehen (z.B. Ausländer, linke Gruppierungen aber auch demokratische Institutionen).
3.3 Theoretische Ansätze
Grundsätzlich muss hier zwischen Forschungsbemühungen bezüglich Gewalt allgemein und bezüglich rechtsextremer Gewalt unterschieden werden. Da es sich bei dem zweiten Punkt um eine spezifische Art von Gewalt handelt, gibt es natürlich auch Unterschiede im Vorgehen.
Nach BIERHOFF & WAGNER gibt es bei der Gewaltforschung grundsätzlich vier Ansatzebenen, von denen aus Gewalt erklärt werden kann. So gibt es intraindividuelle Erklärungsansätze, hierzu gehören Theorien, die intrapsychische Ursachen, z.B. Erregung oder Ärger, als Ursache ansehen. Eine zweite Ebene sind interpersonelle Ansätze, hier entstehen Aggression und Gewalt aus der Interaktion zwischen Personen. Des Weiteren nennen sie die intergruppale Ebene, die sich auf die Interaktion von Mitgliedern verschiedener Gruppen (die z.T. gegeneinander gerichtet sind) berufen und als letztes die ideologische Ebene, bei der menschliches Verhalten im gesellschaftlichen Kontext betrachtet wird. Bei der Erklärung von Gewalthandeln wirken im Normalfall alle Ebenen zusammen.
Neben dieser Einordnung der Untersuchungsebenen gibt es verschiedene Theorieansätze zur Erklärung von Gewalthandeln. Diese sollen hier nur kurz erwähnt werden, da auch hier eine weitere Ausführung den Rahmen der Arbeit sprengen würde (entnommen aus WAHL 2001, S. 86 - 93). Man kann grundsätzlich biologische, psychologische, soziale sowie integrative Ansätze unterscheiden. Aus biologischer Sicht sind vor allem Theorien zu erwähnen, die Gewalt als genetisch bedingt oder als Überlebenstechnik ansehen. Psychologische Ansätze betrachten die Entstehung von Gewalt auf der individuell-psychologischen Ebene. Hier sind vor allem die Triebtheorie nach FREUD, die Frustrations-Aggressions-Hypothese nach DOLLARD et. al., ihre Erweiterung zur Frustrations-Erregungstheorie, die sozial-interaktionistische Theorie nach TEDESCHI & FELSON sowie Lerntheorien (operantes Konditionieren nach SKINNER und die soziale Lerntheorie nach BANDURA – sie stellen den Kern der vorliegenden Arbeit dar) zu nennen. Soziale Theorien sehen die Gewaltentstehung als gesellschaftlich bedingt an. Hierzu zählen die Anomietheorie nach DURKHEIM und die Erweiterung durch MERTON, die Theorie der sozialen Deprivation, der Labeling-Approach, diverse Modernisierungstheorien, die Rational-Choice-Theorie, die Subkulturtheorie oder auch Theorien der Genderforschung (Geschlechtsunterschiede etc.).
Entsprechend der spezifischen Definition rechtsextremer Gewalt ist auch die Forschung in diesem Zusammenhang spezifisch. Neben den oben genannten allgemeinen Erklärungsversuchen gibt es spezielle, die sich mit (Rechts-)Extremismus beschäftigen. Ähnlich wie bei der allgemeinen Debatte kann hier zwischen psychologischen, soziologischen, politologischen und integrativen Ansätzen unterschieden werden. Im sozialwissenschaftlichen Rahmen wird die Diskussion um die Erklärung von rechtsextremen Verhalten von vier Konzepten dominiert: dem modernisierungstheoretischen Ansatz, dem belastungs- bzw. stresstheoretischen Ansatz, dem sozialisationstheoretischen und dem kontrolltheoretischen Ansatz. Des Weiteren wird v.a. die politische Diskussion um den Konflikttheoretischen oder auch den politischen Kultur-Ansatz geführt. Im Bereich der psychologischen Ansätze dominieren v.a. der Autoritarismus-Ansatz der BERKELEY-Gruppe und das Dogmatismuskonzept von ROKEACH, teilweise auch das Materialismuskonzept nach INGLEHART.
Gerade in der Diskussion um rechtsextreme Gewalt wurden lerntheoretische Ansätze bisher kaum beachtet. Die entsprechende Datenmenge ist demnach sehr begrenzt. Im deutschen Sprachraum stammt eine der jüngsten Forschungen von JOHANN BACHER. Dieser hält Lerntheorien für besonders geeignet, rechtsextremes Verhalten zu erklären (BACHER 2001). Grundlage für seine Betrachtungen sind die differentiellen Lerntheorien: die Theorie der differentiellen Assoziationen nach SUTHERLAND und die Erweiterung zur Theorie der differentiellen Verstärkung durch BURGESS und AKERS (zu beiden Theorien LAMNEK 1993). Neben diesen Theorien, die sich auf den Behaviorismus gründen, kann man auch noch die sozial-kognitive Lerntheorie nennen, demnach wird rechtsextremes Verhalten durch die Beobachtung eines Modells und Nachahmung gelernt.
3.4 empirische Daten
Hier sollen kurz das Gesamtgewaltpotential sowie das spezifische politisch rechts motivierte Gewaltpotential aufgezeigt werden. Grundlage sind die offiziellen Statistiken der jeweils zuständigen Behörden.
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik aus dem Jahre 2005 gab es insgesamt 211172 Fälle von Gewaltkriminalität (Mord & Totschlag, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raubdelikte und schwere & gefährliche Körperverletzung) sowie 347207 Fälle von vorsätzlicher leichter Körperverletzung im gesamten Bundesgebiet (PKS 2005, S. 25).
Von weitaus größerer Bedeutung im Zusammenhang mit dem Thema Rechtsextremismus sind jedoch die Statistiken des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dieses erfasst sämtliche Bestrebungen und damit zusammenhängende Straftaten, die politisch motiviert sind und sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) richten. Dazu gehört auch politisch rechts motivierte Kriminalität. Gewalt-Straftaten sind wiederum ein Teilbereich dieser Kriminalität. Im Jahr 2005 hat der Verfassungsschutz insgesamt 15914 politisch rechts motivierte Straftaten erfasst, wovon 10905 Propagandadelikte und 1034 Gewalttaten (6,3% der Straftaten) waren. Von diesen 1034 Gewalttaten hatten laut Verfassungsschutz 958 einen extremistischen Hintergrund, was einen Anstieg um 23,5% gegenüber dem Vorjahr ausmacht. Zu rechtsextremistischen Gewalttaten gehören versuchte Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandstiftungen, Landfriedensbruch, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte u.a. (Bundesverfassungs-schutzbericht 2005, S.23 – 24).
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- Citation du texte
- Steffen Schönfelder (Auteur), 2007, Rechtsextreme Gewalt als gelerntes Verhalten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78162
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