In dieser Hausarbeit soll die Erzählung „Na svjatkach“ von Anton P. Čechov nach der Theorie von Eric Gans analysieren. Nach einer kurzen Zusammenfassung seiner theoretischen Gedanken und der Erkenntnisse bezüglich der Epoche Čechovs, werden diese auf den Autor Čechov und seine Erzählung angewandt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf die Funktionsweise des ostensiven Zeichens nach Gans, das mit der Illusion bei Cechov in Verbindung gebracht wird.
Inhaltsverzeichnis
1 Zielsetzung
2 Theorie und Analyse
2.1 Theorie: René Girard und Eric Gans
2.1.1 René Girard
2.1.2 Eric Gans
2.1.2.1 Romantizismus:
2.1.2.1.1 Verlagerung des Zentrums
2.1.2.1.2 Ästhetik
2.1.2.1.3 Realismus
2.1.2.1.4 Realistische Objektivität
2.1.2.1.5 Das Publikum im Realismus
2.1.3 „Na Svjatkach“ von Anton P. Čechov
2.1.3.1 Einordnung von Cechovs Prosa
2.1.3.2 Čechov und die Epoche des Realismus
2.1.3.3 Äquivalenzen in der Sprache Čechovs
2.1.3.4 Das Grunderlebnis von Čechovs Helden
2.1.3.5 Die Erzählung „Na Svjatkach“
2.1.3.5.1 Inhalt
2.1.3.5.2 Das ostensives Zeichen
2.1.3.5.2.1 Definition
2.1.3.5.2.2 Die Sakralität des ostensiven Zeichens
2.1.3.5.2.3 Realisierung des Zeichens in der Marktwirtschaft
2.1.3.5.2.4 Das Motiv Wasser
2.1.3.5.2.5 Die Macht des ostensiven Zeichens
3 Zusammenfassende Bemerkung
4 Literaturverzeichnis:
1 Zielsetzung
In dieser Hausarbeit soll die Erzählung „Na svjatkach“ von Anton P. Čechov nach der Theorie von Eric Gans analysieren. Nach einer kurzen Zusammenfassung seiner theoretischen Gedanken und der Erkenntnisse bezüglich der Epoche Čechovs, werden diese auf den Autor Čechov und seine Erzählung angewandt.
2 Theorie und Analyse
2.1 Theorie: René Girard und Eric Gans
2.1.1 René Girard
René Girard, 1923 in Avigon/Frankreich 1923 geboren, ist Romanist und Kulturwissenschaftler. Bereits seit 1947 lebt und lehrt er in den USA. Noch heute ist das Mitglied der Académie française als Professor emeritus an der Stanford-University tätig. Verdient machte er sich durch seine mimetische Theorie in der er den Mechanismus des mimetischen Begehrens und des Sündenbocks in der menschlichen Gesellschaft herausgearbeitet hat.
Wenn ein Subjekt 1 ein bestimmtes Objekt begehrt (dieses am Anfang stehende Begehren kann appetitiver Natur sein), wird dieses Begehren bezüglich dieses Objekts von einem Subjekt 2 nachgeahmt. Das Interesse an dem Objekt wird durch das Subjekt 1 vermittelt. Primär deshalb, weckt das Objekt die Aufmerksamkeit und das Interesse des Subjekts 2.[1] Unweigerlich entsteht dadurch ein Konflikt der zu Gewalt führt, wenn zwei Subjekte das Gleiche wollen. Diese Gewalt kann durch rituelle Handlungen und Verbote eine Weile aufgeschoben werden. Irgendwann aber muss, zur Reinigung der Gemeinschaft, von dieser aufgeschobenen Gewalt, ein Sündenbock geopfert werden. Die ganze Aggression entlädt sich in Richtung des willkürlich gewählten Sündenbocks. Im Nachhinein wird dieser dann sakralisiert, da die Gemeinschaft ihm die friedensstiftende, reinigende Wirkung zuschreibt.[2]
Girard wendet seine Theorie als Literaturwissenschaftler natürlich auf die Weltliteratur an: Literatur, die diesen Mechanismus reflektiert und enttarnt, zählt für ihn. Der romaneske Held, dessen Eitelkeit kritisiert wird, der seinen eigenen Mechanismus entlarvt, macht Literatur sinnvoll. Alles andere ist für ihn nichtig: Ein großer Teil der Weltliteratur wird dadurch für ihn wertlos. Vor allem die romantizistische Literatur (Romantik Realismus, Naturalismus): Hier wähnt sich der Held autonom, was nach Girard „Schwachsinn“ ist. Der Mensch braucht strenge Hierarchie – ein Zentrum, das er von der Peripherie aus verehren kann. Egalitarismus und Demokratie sind seiner Meinung nach für den Menschen nicht praktikabel.[3]
2.1.2 Eric Gans
Eric Lawrence Gans, der 1941 in der Bronx in New York geboren wurde, ist als amerikanischer Literaturwissenschaftler, Sprachphilosoph, Kulturanthropologe und Professor des Französischen an der University of California, Los Angeles tätig.[4] Er entwickelte seine Idee der Generative Anthropology durch seine Auseinandersetzung mit der Theorie von René Girard, dessen Kollege er im Jahre 1978 ein Semester lang an der Johns Hopkins University war.[5]
Gans geht in seiner Originary Hypothesis von einer einmaligen Urszene aus, die er „the Scene of Representation“[6] nennt. Er stellt dabei eine These über den Ursprung der Sprache, die den Menschen ausmacht, auf. Wie Girard, nimmt Gans an, dass ein Objekt von mehreren Subjekten, nach dem mimetischen Prinzip begehrt wird, wodurch sich das Begehren stark intensiviert und das Objekt erlangt eine sakrale Aura. Die größte Gefahr für das Überleben der Gruppe, die überwunden werden muss zur Arterhaltung, geht in diesem Moment von der Gruppe selbst aus. Wo bei Girard der Sündenbock geopfert werden muss, schiebt bei Gans ein Zeichen, das zum ersten Mal gesetzt wird und das in dem Moment vom Gegenüber akzeptiert wird, die Gewalt auf.[7] „The aborted gesture of appropriation becomes the originary ostensive sign.“[8]
Sowohl durch die Repräsentation des von allem begehrten Objektes, als auch aufgrund seiner friedensstiftenden und somit arterhaltenden Funktion, wird das Zeichen sakral und als „ the name of God “[9] wahrgenommen. Mit diesem Ereignis überschreitet der Mensch die animalische Hackordnung und wird erst zum Menschen. Die Schaffung des Zeichens eröffnet dem Menschen neue Möglichkeiten der sozialen Ordnung.[10] Es ist ein ostensives Zeichen, denn es hat in diesem Moment noch kein Signifikat, in unserem Sinne: Zeichen und Referent sind im selben Moment präsent, deshalb ist keine Vorstellung nötig.[11]
Alle essentiellen Bereiche für den Menschen müssen in dieser Urszene und mit dem ostensiven Zeichen erschaffen worden sein, „since otherwise the human would be constituted without it“[12], so Gans. So sieht er Sprache, Begehren ( im Gegensatz zum bloßen Appetit), die Ästhetik, das Heilige und die Religion, die Ökonomie und die Politik, als Momente der Urszene an, wobei er selbst in seinen Arbeiten folgenden Schwerpunkt setzt:
„The linguistic, the sacred and the esthetic are the three fundamental forms of interaction, and most of my work in GA (Anmerkung des Verfassers: Generative Anthropology) has been devoted to their eludication: the linguistic in The Origin of Language, the sacred/the religious in Sience and Faith, and the esthetic in The End of Culture and the second Part of Originary Thinking.”[13]
An dieser Stelle soll die Ästhetische Funktion des ostensiven Zeichen etwas ausführlicher beschrieben werden. In dem Moment der Zeichensetzung kommt es zu einer paradoxen Situation: Der Mensch ist fasziniert vom Zeichen, da er spürt welche Kraft davon ausgeht.
In dem kurzen Moment der Zeichensetzung (=der Moment des Friedens), in dem er das Animalische überwunden hat, hat er die Freiheit dies zu genießen. Er kann sich Gott nahe wähnen. Nun will er sich ebenfalls das Zeichen, als den „Namen Gottes“,aneignen. Die Aufmerksamkeit des Betrachters oszilliert zwischen Zeichen und Objekt. Er begehrt beides. Jedoch ist ein Begehrten dem anderen hinderlich. Mit dem Zeichen begehrt er das „Göttliche“(=Geistige), das Begehren des Objekts, macht ihm seine menschliche Materialität bewusst: Denn das Zeichen ist kein ädequater Ersatz für das Objekt (banal gesagt: Das Zeichen kann man nicht essen.) Der ästhetische Moment ist also, der kurze Moment der Zeichensetzung, der den Menschen aus seiner Menschlichkeit heraustreten und ihn die Schönheit des Namen Gottes (=Zeichen) empfinden lässt.[14]
Dieses Paradox des Zeichens fasst Gans unter „love & resentment“[15] zusammen.
Gans entwirft durch seine Szene ein monistisches Zeichenkonzept, in dem die reale Welt nicht ausgeblendet wird, im Gegensatz zur, in unserer Literaturwissenschaft, hauptsächlich dualistischen Herangehensweise an die Semiotik, nach Ferdinand de Saussure, der die Welt des Zeichens theoretisiert, dabei aber nicht auf die Stellung der dinglichen Welt eingeht.
Mit seinem anthropologischem Ansatz versucht Gans die menschliche Spezies, ihren Ursprung, ihre Kultur deren Entwicklung zu verstehen. Sprache, als als Kommunikationssystem definiert den Menschen im Gegensatz zum Tier. Die Syntax setzt keine Grenzen für neue Kombinationen und Inhalte. Die symbolische Natur der Sprache beschränkt die Ausdrucksmöglichkeiten nicht auf tatsächlich vorhandene Referenten. Sprache hat die Kapazität historische Ereignisse und geschichtliche Entwicklungen zu speichern, so auch die Genese der Sprache selbst gilt. Aus diesem Grund ist gerade die Literatur jeder Epoche als Untersuchungsobjekt für Gans bedeutsam und bewertet sie nicht wie Girard. Wenn die Kultur szenisch, die Urszene wiederholend ist, dann wird der von Girard verdammte Teil der Weltliteratur wieder sinnvoll. Diese Epochen (Romantik, Moderne, Postmoderne) versuchen auf ihre Art und Weise mit der Urszene umzugehen. Ästhetik, die bei Girard keine Rolle spielt, wird durch Gans Theorie wieder eingeführt und ist die legitimierende Motivation mancher epochaler, kultureller Konzeption.
2.1.2.1 Romantizismus
Um Verwirrung zu vermeiden, werden an dieser Stelle zwei Begriffe von mir definiert: Romantizismus und Romantik. Ich übersetze den von Gans verwendet Begriff „romantic“je nach Sinn auf verschiedene Weise ins Deutsche.
Der Begriff „Romantizismus“ soll den von Gans als kulturelle Epoche definierter Zeitraum, der die Literaturepochen Romantik, Realismus und Naturalismus beinhaltet, umfassen. „Romantik“ verwende ich wenn die Literaturepoche Romantik gemeint ist.
Čechov ist ein Autor des Realismus, deshalb möchte ich mich nun auf die Thesen von Gans bezüglich der Romantizistischen Ära konzentrieren – zu der ebenfalls der Realismus zählt- und versuchen sie vereinfacht wiederzugeben.
[...]
[1] Wikipedia (Gans), unpag..
[2] Vgl. R. Golson (1993), S. 3
[3] Vgl. R. Golson (1993), S. 4-5
[4] Wikipedia (Gans), unpag..
[5] Vgl. E. Gans (2006a), unpag..
[6] E. Gans (2006a), unpag..
[7] vgl. E. Gans (2006a), unpag..
[8] E. Gans (2006a), unpag..
[9] E. Gans (2006a), unpag..
[10] Wikipedia (Generative Anthropology), unpag..
[11] E. Gans, E. (2006b), unpag..
[12] Vgl. Gans E. (2006a), unpag..
[13] E. Gans (2006a), unpag..
[14] Vgl. E. Gans (2006a), unpag..
[15] Gans, E. (2006b), unpag..
- Citation du texte
- Judith Schacht (Auteur), 2007, Analyse der Erzählung „Zur Weihnacht“ von Anton P. Čechov im Hinblick auf die Theorie von Eric Gans, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78140