Elias Canetti wurde am 25. Juli 1905 in Rustschuk, Bulgarien geboren. Obwohl sein Werk sich wie kaum ein anderes im 20. Jahrhundert durch eine weites Spektrum an Themen auszeichnete, rückte er erst nach der Veröffentlichung seines Hauptwerkes "Masse und Macht" in das Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit.
Bedeutend für das Verständnis seines Werkes ist Canettis Erfahrung der totalen Herrschafts-systeme und das Morden der beiden Weltkriege. Aufgrund der am eigenen Leib erfahrenen Massenphänomene macht sich Canetti systematisch auf die Suche nach dem, was Masse ist. Diese Beobachtungen weiten sich bereits in der Jugend auf das Spektrum der Macht zusätzlich aus.
Bereits sein erster dichterischer Versuch, ein Drama mit dem Namen "Junius Brutus" ist von dieser Thematik erfüllt. Fasziniert von der Geschichte des ersten Konsuls der römischen Republik, der seine Söhne nach einer Verschwörung gegen ihn hinrichten ließ, schrieb er dieses Stück, das er der Mutter widmete. Das sich darin widerspiegelnde Entsetzen über die Kombination von Befehl und Todesurteil beschäftigt Canetti auch in vielen weiteren Schriften. Großen Eindruck hat hierbei wohl auch die Verfluchung seines Vaters durch den Großvater auf ihn gemacht, was er wiederholt als Todesbefehl gegen seinen Vater bezeichnet hat.
Für das Werk Canettis zentral ist sein Postulat von der Verantwortlichkeit des Dichters gegenüber der Welt sowie seine häufig als Kampf um die Unsterblichkeit verstandene Ablehnung des Todes.
Canetti hat insgesamt zwei Aufsatzsammlungen veröffentlicht, nämlich die "Provinz des Menschen", eine Sammlung seiner (aphoristischen) Aufzeichnungen der Jahre 1942 bis 1972 , sowie den Essayband "Das Gewissen der Worte" .
Mit dem zuletzt genannten Werk beschäftigt sich diese Arbeit. An einen eher allgemeinen Teil, in dessen Mittelpunkt einige Rahmendaten und Rahmenbedingungen wie die Entstehung und der Aufbau der Essaysammlung stehen werden , schließen sich Überlegungen zur Theorie und den verschiedenen Definitionsversuchen der Gattung "Essay" an.
Den Hauptteil der Arbeit machen schließlich aber die Einzelanalysen von drei Essays Canettis aus. Ausgewählt dafür habe ich die Essays "Hitler, nach Speer" , "Der Beruf des Dichters" und "Der andere Prozess. Kafkas Briefe an Felice" .
Im letzten Kapitel will ich versuchen, die bis dahin gesammelten Erkenntnisse kurz zusammenzufassen, um von dort auf eine Definition dessen zu stoßen, was Canetti als "Essay" bezeichnet hat und [...]
Gliederung
1. Vorwort
2. Der Essayband „ Das Gewissen der Worte “.
3. Überlegungen zum Begriff „Essay“.
4. Einzelanalyse ausgewählter Essays
4. 1. Hitler, nach Speer.
4. 2. Der Beruf des Dichters.
4. 3. Der andere Prozess. Kafkas Briefe an Felice.
5. Resümee: Stellenwert des Essaybandes. Definitionsversuch.
6. Literaturverzeichnis
1. Vorwort
Elias Canetti wurde am 25. Juli 1905 in Rustschuk, Bulgarien geboren. Obwohl sein Werk sich wie kaum ein anderes im 20. Jahrhundert durch eine weites Spektrum an Themen auszeichnete, rückte er erst nach der Veröffentlichung seines Hauptwerkes „Masse und Macht“[1] in das Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit.[2]
Bedeutend für das Verständnis seines Werkes ist Canettis Erfahrung der totalen Herrschafts-systeme und das Morden der beiden Weltkriege. Aufgrund der am eigenen Leib erfahrenen Massenphänomene[3] macht sich Canetti systematisch auf die Suche nach dem, was Masse ist. Diese Beobachtungen weiten sich bereits in der Jugend auf das Spektrum der Macht zusätzlich aus.
Bereits sein erster dichterischer Versuch, ein Drama mit dem Namen „Junius Brutus“ ist von dieser Thematik erfüllt. Fasziniert von der Geschichte des ersten Konsuls der römischen Republik, der seine Söhne nach einer Verschwörung gegen ihn hinrichten ließ, schrieb er dieses Stück, das er der Mutter widmete.[4] Das sich darin widerspiegelnde Entsetzen über die Kombination von Befehl und Todesurteil beschäftigt Canetti auch in vielen weiteren Schriften. Großen Eindruck hat hierbei wohl auch die Verfluchung seines Vaters durch den Großvater auf ihn gemacht, was er wiederholt als Todesbefehl[5] gegen seinen Vater bezeichnet hat.
Für das Werk Canettis zentral ist sein Postulat von der Verantwortlichkeit des Dichters gegenüber der Welt sowie seine häufig als Kampf um die Unsterblichkeit verstandene Ablehnung des Todes.
Canetti hat insgesamt zwei Aufsatzsammlungen veröffentlicht, nämlich die „Provinz des Menschen“, eine Sammlung seiner (aphoristischen) Aufzeichnungen der Jahre 1942 bis 1972[6], sowie den Essayband „Das Gewissen der Worte“[7].
Mit dem zuletzt genannten Werk beschäftigt sich diese Arbeit. An einen eher allgemeinen Teil, in dessen Mittelpunkt einige Rahmendaten und Rahmenbedingungen wie die Entstehung und der Aufbau der Essaysammlung stehen werden[8], schließen sich Überlegungen zur Theorie und den verschiedenen Definitionsversuchen der Gattung „Essay“ an.[9]
Den Hauptteil der Arbeit[10] machen schließlich aber die Einzelanalysen von drei Essays Canettis aus. Ausgewählt dafür habe ich die Essays „ Hitler, nach Speer “[11], „ Der Beruf des Dichters “[12] und „ Der andere Prozess. Kafkas Briefe an Felice “[13].
Im letzten Kapitel[14] will ich versuchen, die bis dahin gesammelten Erkenntnisse kurz zusammenzufassen, um von dort auf eine Definition dessen zu stoßen, was Canetti als „Essay“ bezeichnet hat und welche Funktion dies für ihn erfüllt.
2. Der Essayband „Das Gewissen der Worte“
Das „ Gewissen der Worte “ ist eine Sammlung von inzwischen 15 Essays in chronologischer Reihenfolge, die in den Jahren zwischen 1936 und 1976 entstanden sind.
Der letzte Essay, eine Rede anlässlich der Verleihung des Ehrendoktortitels der Ludwig-Maximilians-Universität München, gehalten im Januar 1976, mit dem Titel „ Der Beruf des Dichters “ war in der ersten Auflage[15] noch nicht enthalten. Im Vorwort zur zweiten Auflage[16] nennt Canetti auch seine Gründe für die Aufnahme dieser Rede in den Band, da sie ihm wie ein Schluss erscheint, der den Band „von innen her zusammenfasst“[17]. Die Rede, die zunächst in dem funktionalen Kontext der Redesituation fest eingebunden und autonom schien, ermöglicht durch die Hereinnahme in die Essaysammlung, einen Kreis zu ziehen zwischen dem an erster Stelle stehenden Essay und dem letzten.
Viele der in diesem Band veröffentlichten Essays fanden ihre Veröffentlichung bereits separat bzw. in kleinen Sammelbändchen einige Jahre zuvor.
So erschienen 1972 unter dem Namen „ Macht und Überleben “[18] die drei Essays „ Macht und Überleben “, „ Karl Kraus, Schule des Widerstands “ und „ Dialog mit dem grausamen Partner “. Im gleichen Jahr veröffentlichte Canetti im Band „ Die gespaltene Zukunft “[19] die Essays „ Hitler, nach Speer “, „ Konfuzius in seinen Gesprächen “, „ Tolstoi, der letzte Ahne “ und „ Dr. Hachiyas Tagebuch aus Hiroshima “.
Bereits 1969 war der Aufsatz „ Der andere Prozess. Kakfas Briefe an Felice. “[20] als Einzelveröffentlichung erschienen.
So lässt sich insgesamt feststellen, dass immerhin acht Essays bereits publiziert waren und im Band „ Das Gewissen der Worte “ zusammengefasst wurden. Desweiteren wurden vier Reden Canettis in das Werk mit aufgenommen, die Canetti zu verschiedenen Anlässen gehalten hatte.
Neu hinzugekommen sind auch die Essays „ Realismus und neue Wirklichkeit “, „ Das erste Buch: Die Blendung “, eine Selbstreflexion über die Entstehenszeit und die Einflüsse auf Canetti während der Zeit der Arbeit an dem Roman, und „ Der Neue Karl Kraus “. In diesem Essay stellt Canetti ein neues Bild seines „Jugend-Götzen“ Karl Kraus dar, wie es sich aus der Lektüre der Briefkorrespondenz zwischen Karl Kraus und Sidonie von Nádhérny entwickeln lässt. Dabei arbeitet Canetti besonders deutlich die Bedeutung der Korrespondenz und des Einflusses von Sidonie auf Kraus heraus. Ähnliches werden wir im weiteren Verlauf der Arbeit auch im Kafka-Essay feststellen.
Wie aus der Vorbemerkung Canettis deutlich wird, verband Canetti mit der Veröffentlichung des Essaybandes ein schwieriges Ziel: da sich das Öffentliche und das Private nicht mehr voneinander trennen lassen, will er von solchen sprechen, die unserem „monströsen Jahrhundert“[21] standgehalten haben und so Einfluss auf ihn selbst hatten.
Auffallend am „ Gewissen der Worte “ ist die zeitliche Kluft, die zwischen dem ersten und dem zweiten Essay liegt, nämlich immerhin eine Lücke von 26 Jahren. Canetti selbst versichert, dass diese Lücke nur zeitlicher Natur ist, da er seit dieser Rede, die er zu Brochs 50. Geburtstag gehalten hatte, und in der er bestimmt, was von einem Dichter zu fordern sei, immer wieder versucht hat, diesen Forderungen zu entsprechen.[22]
In der Gesamtbewertung erscheinen ihm selbst die Essays damit als eine „Rechenschaft über die geistigen Stationen [seines] ganzen erwachsenen Lebens“.[23]
Vom inhaltlichen Aspekt lassen sich die Essays grob in zwei Einheiten[24] gliedern, nämlich einem Bereich, der Dichter und Dichtung zum Inhalt hat sowie dem zweiten Bereich, der sich mit der Thematik von Masse und Macht beschäftigt. Um nicht zu formal zu erscheinen, muss beachtet werden, dass sich diese Bereiche sehr wohl durchdringen und gegenseitig beeinflussen können. Diese Einteilung stellt nur eine sehr schematische grobe Gliederung dar, die nur die Tendenz des jeweiligen Essays erfassen kann.
3. Überlegungen zum Begriff „Essay“
In der neueren Literaturwissenschaft gibt es eine Vielzahl von Versuchen, das Phänomen „Essay“ zu definieren, die in ihrer Art und Genauigkeit unterschiedlicher nicht sein könnten. Das hier folgende Kapitel soll keine neue Definition leisten, sondern mit Hilfe einiger Kategorien ein Feld aufspannen, von dem aus ausgehend auch die Essays von Elias Canetti eingehender untersucht werden können.
Zunächst möchte ich zwei gängige Definitionsversuche anfügen, die mir relativ brauchbar erscheinen und eine Reihe von essayistischen Merkmalen aufzeigen.
So definierte bereits Rohner den Essay 1966 folgendermaßen:
„Der deutsche Essay ist eine eigenständige literarische Gattung, ein kürzeres geschlossenes, verhältnismäßig locker komponiertes Stück betrachtsamer Prosa, das in ästhetisch anspruchsvoller Form einen einzigen, inkommensurablen Gegenstand meist kritisch deutend umspielt, dabei am liebsten synthetisch, assoziativ, anschauungsbildend verfährt, den fiktiven Partner im geistigen Gespräch virtuos unterhält und dessen Bildung kombinatorisches Denken, Phantasie erlebnishaft einsetzt.“[25]
Und schließlich die Definition von Metzler:
„Essay ist eine im modernen Sprachgebrauch unpräzise Bezeichnung für meist nicht zu umfangreichen, stilistisch anspruchsvollen Prosatext, in dem ein beliebiges Thema unsystematisch, aspekthaft dargestellt ist, ...“[26]
[...]
[1] Elias Canetti: Masse und Macht. Hamburg: Claasen-Verlag. 1960.
[2] Stefan H. Kaszynski (Hrsg.): Elias Canettis Anthropologie und Poetik. München: Carl Hanser Verlag. 1984. S.
7.
[3] Hier sind z. Bsp. die Massenaufstände in der Frankfurter Zeit zwischen 1921 – 1924, u. a. auch die Ermordung
Rathenaus zu nennen, ebenso wie die Arbeitermorde in Wien vom 15.07.1927.
[4] Dagmar Barnouw: Elias Canetti. Stuttgart: Metzler. 1969. S. 11.
[5] Elias Canetti: Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend: Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch. 1979.
S. 79. (einige weitere Stellen)
[6] Elias Canetti: Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942 – 1972. München. Wien: Carl Hanser Verlag.
1993³.
[7] Elias Canetti: Das Gewissen der Worte. München. Wien: Carl Hanser Verlag. 1975. 199810.
[8] Kap. 2.
[9] Kap. 3.
[10] Kap 4.
[11] Elias Canetti: Das Gewissen der Worte (kurz: GdW). S. 171 – 199.
[12] GdW. S. 272 – 283.
[13] GdW S. 77 – 165.
[14] Kap. 5.
[15] Erschienen 1975.
[16] GdW. S. 10.
[17] Ebd. S. 10.
[18] Elias Canetti: Macht und Überleben. Drei Essays. Berlin: Literarisches Colloquium. 1972.
[19] Elias Canetti: Die gespaltene Zukunft. Aufsätze und Gespräche. München: Hanser. 1972.
[20] Elias Canetti: Der andere Prozess. Kakfas Briefe an Felice. München: Hanser. 1969.
[21] GdW. S. 7.
[22] GdW. S. 8.
[23] GdW. S. 9.
[24] Vgl. auch Rasboynikova-Frateva, Maja: Die Essays von Elias Canetti – eine Biographie des Geistes. Versuch einer Annäherung. – In: Angelove Penka (Hrsg.). Autobiographie zwischen Fiktion und Wirklichkeit: Internationales Symposium. Ruse. Oktober. 1992. St. Ingbert: Röhrig. 1997. S. 64.
[25] Ludwig Rohner: Der deutsche Essay. Materialien zur Geschichte und Ästhetik einer literarischen Gattung. Neuwied. Berlin: Luchterhand. 1966. S. 672.
[26] Günther u. Irmgard Schweikle (Hrsg.): Metzler: Literatur-Lexikon. Begriffe und Definitionen. Stuttgart: Metzler. 1990². S. 139f.
- Citation du texte
- Andreas Walter (Auteur), 1998, Der Essayist Elias Canetti, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7792
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