" A. E i n f ü h r u n g
I. verfassungsrechtliche Einordnung
Die Ausübung der Staatsgewalt erfolgt gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 durch „besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“. Verfassungsrechtlich gefordert wird sonach die funktionale Teilung der materiellen Staatsgewalt in Rechtsetzung, Rechtsprechung und Vollziehung und deren organisatorische Zuweisung an gesonderte Organe, sog. Prinzip der Gewaltenteilung . Daraus ergibt sich, dass die vorgesehenen Organe nur dann der Verfassung entsprechen, wenn sie sich sachlich und personell voneinander unterscheiden . Hingegen darf hierin keine zugleich absolute Zuständigkeitsbeschränkung des jeweiligen Organs auf dessen entsprechende materielle Staatsfunktion erachtet werden; vielmehr muss das Erfordernis der Gewaltenteilung insofern einem Toleranzbereich zugänglich sein, als dass sich Kompetenzkonflikte in Form von Überschneidungen in den materiellen Zuweisungsgehältern der Staatsfunktionen bei Ausübung der Staatsgewalt ergeben können, sog. „Gewaltenverschränkung“ . So kann die hier zu thematisierende richterliche Normauslegung i.R.d. Rechtsanwendung zu einer Rechtsfortbildung führen und folglich einen potenziell unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen des Gesetzgebers implizieren, der einer strengen Rechtfertigung bedarf [...]."
Inhaltsübersicht
Literaturverzeichnis
A. E i n f ü h r u n g
I. Verfassungsrechtliche Einordnung
II. Ausgangslage und Gang der Untersuchung
1. „Alterungsprozess“
2. „Intellektuelles Defizit“
3. resultierendes Sachproblem als Gegenstand des Methodenstreits
Theoretischer Teil
B. M E T H O D E N S T R E I T
I. Die Gesetzesauslegung
1. Normauslegung als Rechtsanwendungsvoraussetzung
2. Differenzierung Auslegungsbegriff und Auslegungsziel
- strenger Auslegungsbegriff -
3. Differenzierung Auslegungsziel und Auslegungsmittel
- Zweck-Mittel-Relation -
4. Heranführung an den Methodenstreit
II. Lehre von der subjektiven und objektiven Auslegung
1. Das Verlangen nach einer Rechtsanwendungsmethode
– Motivation des Methodenstreits
2. Konkretisierende Darstellung der subjektiven Theorie
3. Konkretisierende Darstellung der objektiven Theorie
4. kombinative Ansätze
III. Analyse des Methodenstreits
1. Arbeitshypothese
2. kritische Würdigung der Auslegungstheorien
a) hermeneutisches Argument
b) Vertrauensargument
c) parlamentarisches Argument
d) staatsrechtstheoretisches Argument
aa) Freiheit und Determination i.R. richterlicher Entscheidungskompetenz
bb) Grundsatz sachgerechter Entscheidungen
3. Reflexion
IV. Modifikation des Methodenstreits
1 .(hier sog.:)“ restriktiv-objektives Auslegungsmodell“ nach Larenz
2. (hier sog.) „extensiv-subjektives Auslegungsmodell“ nach Säcker
- Verfahren methodengerechter Gesetzesauslegung
3. Stellungnahme
Praktischer Teil
C. Analyse der Methodenpraxis
I. methodentheoretische Proklamationen
II. methodenpraktische Umsetzung: Verfassungswidrige Rechtsanwendungspraxis?
1. Beschluss des Zweiten Senats vom 17. Mai 1960 (BVerfGE 11, 126)
2. Beschluss des Ersten Senats vom 14. März 1989 (BVerfGE 80, 1)
3. Urteil des Zweiten Senats vom 8. Februar 2001 (BVerfGE 103, 111)
III. Resonanz: Rechtsanwendung „ad libitum“?
1. mangelnde Methodenehrlichkeit
2. Folgen
a) Trugschluss „richtiges Recht“
b) Gefährdung der Senatsmehrheit
c) mangelnde rationale Überprüfbarkeit der Entscheidungen
D. Schluss und Perspektive
I. abschließende Betrachtung
II. Plädoyer
Literaturverzeichnis
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„Machtausübung neigt zur Verleugnung ihrer Existenz“[1]:
Objektive Auslegungstheorie als pragmatisches Entscheidungsargument.
Realdiagnose einer mangelnden Methodenehrlichkeit
A. E i n f ü h r u n g
I. Verfassungsrechtliche Einordnung
Die Ausübung der Staatsgewalt erfolgt gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 durch „besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“. Verfassungsrechtlich gefordert wird sonach die funktionale Teilung der materiellen Staatsgewalt in Rechtsetzung, Rechtsprechung und Vollziehung und deren organisatorische Zuweisung an gesonderte Organe, sog. Prinzip der Gewaltenteilung[2]. Daraus ergibt sich, dass die vorgesehenen Organe nur dann der Verfassung entsprechen, wenn sie sich sachlich und personell voneinander unterscheiden[3]. Hingegen darf hierin keine zugleich absolute Zuständigkeitsbeschränkung des jeweiligen Organs auf dessen entsprechende materielle Staatsfunktion erachtet werden; vielmehr muss das Erfordernis der Gewaltenteilung insofern einem Toleranzbereich zugänglich sein, als dass sich Kompetenzkonflikte in Form von Überschneidungen in den materiellen Zuweisungsgehältern der Staatsfunktionen bei Ausübung der Staatsgewalt ergeben können, sog. „Gewaltenverschränkung“[4]. So kann die hier zu thematisierende richterliche Normauslegung i.R.d. Rechtsanwendung zu einer Rechtsfortbildung führen und folglich einen potenziell unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen des Gesetzgebers implizieren, der einer strengen Rechtfertigung bedarf.
Erweitern lässt sich die verfassungsrechtliche Tragweite dieser Fragestellung unter dem Gesichtspunkt demokratischer Legitimation: Gem. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Zur Rechtsetzung befugt sind ausschließlich die Parlamente, deren Mitglieder durch das Volk in Wahlen bestimmt werden und dieses projizieren. Im vom Parlament erlassenen Gesetz manifestiert sich also der verbindlich geäußerte Gemeinwille. Diffizil erscheint hingegen die Situation, wenn richterliche Normauslegung als Rechtsfortbildung, mithin als Rechtsetzung qualifiziert werden kann. Im Gegensatz zu parlamentarischen Volksvertretern erfahren Richter ihre demokratische Legitimation nicht durch Volkswahl, sondern durch Ernennung oder interne Richterwahlausschüsse[5]. Richterliche Rechtsetzung würde folgerichtig nicht den Gemeinwillen des Volkes, sondern den subjektiven Regelungswillen des Richters erfassen und somit den objektiven Gehalt des Demokratieprinzips vermindern[6] .
Schließlich und insbesondere erfährt die richterliche Rechtsanwendung ihre verfassungsrechtliche Prägung durch Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 2 GG, welcher einen zentralen Grundsatz rechtsstaatlicher Organisation konstitutionalisiert, indem er die Bindung vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht verlangt. Ungeachtet des spezifischen Bedeutungsgehalts der sprachlichen Differenzierung zwischen Gesetz und Recht[7], auf welche vorliegend nicht eingegangen werden kann, darf demgemäß dem Geltungsbefehl einer Rechtsnorm nicht widersprochen werden[8]:
geboten ist, bestehende Gesetze anzuwenden (Befolgungsgebot)
verboten ist, von ihrem Inhalt abzuweichen (Abweichungsverbot)[9].
Um an eine Norm gebunden werden zu können, muss jedoch der Normgehalt dem Rechtsanwender bekannt sein. Dieser ergibt sich indes nicht allein aus dem Rechtstext, da dieser lediglich als sprachliches Transportmittel für den von der Gesetzgebung gewollten Gebotsinhalt fungieren kann[10]. Vielmehr bedarf der konkrete Normgehalt erst einer Bestimmung i.R.d. Rechtsanwendung. Die Bindung an das Gesetz beinhaltet demnach primär die Verpflichtung zur Gesetzesauslegung[11]. Dies mag in erster Linie diskrepant, wenn nicht sogar paradox erscheinen, veranschaulicht hingegen trefflich den konturenlosen Raum, in dem sich Rechtsanwendung und Rechtsetzung gegenüberstehen. Der Richter ist an etwas gebunden, von dem er nicht abweichen darf, dessen Inhalt er jedoch selbst erst zu ermitteln hat. Rechtsanwendung bedarf daher eines Rahmens, der eine methodologische Differenzierung zwischen Gesetzesauslegung und Rechtsetzung ermöglicht.
Dieses Konfliktpotenzial wird ferner durch die richterliche Unabhängigkeit gem. Art. 97 Abs. 1 GG erhöht: Zwar unterliegen Richter der Bindung an das Gesetz, dieses Gebot konkurriert hingegen gleichsam mit dem der Unabhängigkeit der ihm Unterworfenen. Werden damit die erforderlichen Grenzen zulässiger Rechtsanwendungsmethoden zugunsten richterlicher Rechtsfortbildung ausgeweitet? Oder akzentuiert das Prinzip richterlicher Unabhängigkeit das Fundament der Gesetzesbindung, indem es „in allererster Linie dem Bürger“ dient und ihm „Schutz vor Manipulation und Willkür“[12] garantiert? Die Frage nach dem Rahmen zulässiger Gesetzesauslegung wird ferner also in dem Begriffsverständnis richterlicher Unabhängigkeit reflektiert und schließlich in der rechtlichen Stellung der Rechtsprechung gegenüber dem Staat, insbesondere den anderen Staatsgewalten, konkretisiert[13].
Aus diesen Vorüberlegungen zur verfassungsrechtlichen Einordnung kann also festgestellt werden, dass Rechtsanwendung stets verbunden ist mit einer Regelungsmacht des Rechtsanwenders. Diese Regelungsmacht darf hingegen nicht uneingeschränkt bestehen; vielmehr ist sie i.S.d. Gesetzesbindung einzuschränken. Da die Regelungsmacht in Abhängigkeit zum Rahmen der Rechtsanwendung steht, ist auch dieser einschränkungsbedürftig.
Somit stellt sich das Problem der Rechtsanwendungsmethode verfassungsrechtlich einerseits als Definitionsfrage, denn wird die Regelungsmacht des Rechtsanwenders determiniert, werden ebenso Aussagen zum Verhältnis und zur Machtverteilung der zueinander in Konkurrenz stehenden Staatsgewalten getroffen. Andererseits kann das Problem der Rechtsanwendungsmethode als verfassungsmäßige Deduktion begriffen werden, denn wenn es um das Verhältnis der Staatsgewalten zueinander geht, muss erst dieses eindeutig geklärt sein, um anschließend Rückschlüsse auf den zulässigen Rahmen der Rechtsanwendungsmethoden gewinnen zu können. Da es in beiden Fällen hingegen an einer eindeutigen Feststellung mangelt, können sie fortan wohl nur wechselseitig zur argumentativen Begründung herangezogen und in der Erörterung berücksichtigt werden.
II. Ausgangslage und Gang der Untersuchung
Die Frage nach den Methoden der Rechtsanwendung hat ihren Anlass indes nicht nur abstrakt aus verfassungstheoretischen Überlegungen, sondern vielmehr praktisch aus folgenden Umständen und den daraus resultierenden Problemen:
1. „Alterungsprozess“
Die Rechtsanwendung hat zunächst zwei divergierende Zeitpunkte bei der Auslegung einer Norm zu berücksichtigen: Das Moment der Normentstehung einerseits; das Moment der Normanwendung andererseits[14]. Binnen dieses „Alterungsprozesses“ ändern sich jedoch abhängig von der Dauer des Intervalls die strukturellen Bedingungen des ursprünglichen Normkontextes, zu denen u.a. die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Wertvorstellungen zählen[15].
2. „Intellektuelles Defizit“
Der Gesetzgeber macht spezifische Fallkonstellationen zum Regelungsgegenstand einer Rechtsnorm und drückt somit seinen Regelungswillen aus. Dabei können sich hingegen natürliche Diskrepanzen zwischen dem legislativen Willen und dem daraufhin Normierten ergeben, wenn es im Gesetzgebungsverfahren an konkreten Vorstellungen zu den maßgeblichen Fakten oder an ausreichend erörterten Folgeanalysen mangelt[16]. Ferner ist der Gesetzgeber außer Stande, jegliche erdenklichen Fallkonstellationen zu bedenken und in den Normgehalt einfließen zu lassen.
3. resultierendes Sachproblem als Gegenstand des Methodenstreits
Aus diesen Tatsachen ergibt sich, dass die Rechtsanwender mit „alten“ Rechtsätzen, aber neuen und nun zu subsumierenden Lebenssachverhalten und Werteordnungen konfrontiert sind. Oder aber es werden Fallgruppen, welche nach der Intention des Gesetzgebers von der Norm umfasst sein sollten, von dem Normtext nicht
erfasst und umgekehrt, sodass der Wille des Gesetzgebers nicht hinreichend bis fehlerhaft dokumentiert dem Rechtsanwender vorliegt.
[...]
[1] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 914
[2] Schulze-Fielitz in: Dreier-GG Kommentar, Art. 20 (Rechtsstaat)Rn. 62; Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 24
[3] Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 746; ausführlich: Herzog in: Maunz / Dürig, GG Komm. Art. 20 Rn. V 40 ff. (1980)
[4] BVerfGE 95, 1, 15; Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rn. 168; Jarass / Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 24; Brockmeyer in: Schmidt - Bleibtreu / Klein, GG Art. 20 Rn. 43 a; Schulze-Fielitz in: Dreier-GG Kommentar, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 69
[5] Schulze-Fielitz in: Dreier-GG Kommentar, Art. 20 (Demokratie) Rn. 131
[6] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 709
[7] weiterführend zu diesem Thema: Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 710, der zutreffend von einer methodischen Aporie spricht
[8] vgl. Schulze-Fielitz in: Dreier-GG Kommentar, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 84; Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG Art. 20 Rn. 42
[9] BVerfGE 25, 216 (228); 30, 292 (332)
[10] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 743
[11] vgl. auch Schulze-Fielitz in: Dreier-GG Kommentar, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 92
[12] vgl. Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, S. 18, der Rainer Voss in DriZ1994, 446 (448) zitiert
[13] vgl. Herzog in: Maunz / Dürig - GG Kommentar, Art. 97 Rn. 1
[14] vgl. Rüthers, Rechtstheorie Rn. 778
[15] vgl. Schwacke, Juristische Methodik mit Technik der Fallbearbeitung; Rüthers, Rechtstheorie Rn. 779; vgl. auch Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, S. 116
[16] vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 429
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