Konrad Adenauer und Walter Ulbricht stellen zwei Antipoden zur Zeit des Kalten Krieges dar, welche die Politik im jeweiligen Teil Deutschlands wesentlich bestimmten. Während Adenauer die Bundesrepublik Deutschland in die westliche Gemeinschaft der Demokratien führte, folgte Ulbricht in der DDR dem kommunistischen Kurs der Sowjetunion.
Doch gab es eine Möglichkeit der Verständigung zwischen West- und Ostdeutschland bzw. zwischen Konrad Adenauer und Walter Ulbricht? Waren beide nur ein Opfer des Ost-West-Konflikts oder machten ihre persönlichen Gegensätze eine Annäherung unmöglich?
Ziel dieser Arbeit ist es, diese Fragen aufzugreifen und sie auf der Grundlage eines Vergleichs der beiden Staatsmänner zu beantworten.
Zunächst werden die Persönlichkeiten Konrad Adenauers und Walter Ulbrichts dargestellt. Dabei stehen ihre Biografien sowie ihre jeweiligen Eigenschaften im Mittelpunkt. Danach befasst sich diese Arbeit mit einem Vergleich der politischen und ideologischen Überzeugungen beider Personen. Es werden nicht nur ihre politischen Werte, sondern auch ihre politischen Handlungen beleuchtet. Auf dieser Grundlage beschäftigt sich der dritte Teil mit der Frage nach der Möglichkeit einer Annäherung der beiden deutschen Staaten auf dem Hintergrund der Gegensätze Adenauers und Ulbrichts und beantwortet diese am Beispiel der Deutschen Frage.
Aufgrund der großen Masse an Literatur zu den Personen Konrad Adenauer und Walter Ulbricht ist es nicht möglich, alle Werke zu berücksichtigen. Diese Arbeit orientiert sich in erster Linie an den Standartwerken zu den beiden Staatsmännern. Dazu zählen vor allem die Biographien von Hans-Peter Schwarz: „Adenauer. Der Aufstieg 1876-1952“ und „Adenauer. Der Staatsmann 1952-1967“ sowie von Mario Frank: „Walter Ulbricht. Eine deutsche Biographie“ .
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
1. Vergleich der Persönlichkeiten Adenauers und Ulbrichts
1.1 Herkunft und Soziale Grundlagen
1.2 Charaktereigenschaften
1.3 Gegenseitiges Verhältnis
2. Vergleich der Politiker Adenauer und Ulbricht
2.1 Welt- und Menschenbild als Grundlage politischen Handelns
2.2 Politische Tätigkeit
3. Möglichkeiten einer Annäherung beider deutschen Staaten
3.1 Die Abhängigkeit von den Besatzungsmächten
3.2 Die Deutsche Frage aus der Sicht Adenauers und Ulbrichts
Adenauer und Ulbricht - Antipoden im Kalten Krieg (Schlussbetrachtung)
Bibliographie
Einleitung
„Niemals werden wir anerkennen, dass die durch List, Betrug und Gewalt zur Herrschaft gelangten Machthaber der Sowjetzone befugt sind, deutsche Staatsgewalt auszuüben. Wir würden uns selbst enteh- ren und alle Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft beleidigen, wenn wir jene Machthaber als Partner beim Werke der Wiedervereinigung Deutschlands anerkennen würden.“1 (Konrad Adenauer 1954)
„Adenauer bereitet Bürgerkrieg und Bruderkrieg vor. Seine Revanchepolitik ist im Kern gleich der Revanchepolitik Hitlers, wie sie in >Mein Kampf< dargelegt ist.“2
(Walter Ulbricht 1959)
Konrad Adenauer und Walter Ulbricht stellen zwei Antipoden zur Zeit des Kalten Krie- ges dar, welche die Politik im jeweiligen Teil Deutschlands wesentlich bestimmten. Während Adenauer die Bundesrepublik Deutschland in die westliche Gemeinschaft der Demokratien führte, folgte Ulbricht in der DDR dem kommunistischen Kurs der Sow- jetunion.
Doch gab es eine Möglichkeit der Verständigung zwischen West- und Ostdeutschland bzw. zwischen Konrad Adenauer und Walter Ulbricht? Waren beide nur ein Opfer des Ost-West-Konflikts oder machten ihre persönlichen Gegensätze eine Annäherung un- möglich?
Ziel dieser Arbeit ist es, diese Fragen aufzugreifen und sie auf der Grundlage eines Vergleichs der beiden Staatsmänner zu beantworten.
Zunächst werden die Persönlichkeiten Konrad Adenauers und Walter Ulbrichts darge- stellt. Dabei stehen ihre Biografien sowie ihre jeweiligen Eigenschaften im Mittelpunkt. Danach befasst sich diese Arbeit mit einem Vergleich der politischen und ideologischen Überzeugungen beider Personen. Es werden nicht nur ihre politischen Werte, sondern auch ihre politischen Handlungen beleuchtet. Auf dieser Grundlage beschäftigt sich der dritte Teil mit der Frage nach der Möglichkeit einer Annäherung der beiden deutschen Staaten auf dem Hintergrund der Gegensätze Adenauers und Ulbrichts und beantwortet diese am Beispiel der Deutschen Frage.
Aufgrund der großen Masse an Literatur zu den Personen Konrad Adenauer und Walter Ulbricht ist es nicht möglich, alle Werke zu berücksichtigen. Diese Arbeit orientiert sich in erster Linie an den Standartwerken zu den beiden Staatsmännern. Dazu zählen vor al- lem die Biographien von Hans-Peter Schwarz: „Adenauer. Der Aufstieg 1876-1952“3 und „Adenauer. Der Staatsmann 1952-1967“4 sowie von Mario Frank: „Walter Ulbricht. Eine deutsche Biographie“5.
1. Vergleich der Persönlichkeiten
Konrad Adenauer und Walter Ulbricht weisen zwar einen relativ parallel verlaufenden Lebenslauf auf, es bestehen aber dennoch extreme Unterschiede politischer, kultureller und sozialer Art. Im Folgenden sollen die persönlichen Eigenschaften beider Personen erläutert und verglichen werden.
1.1 Herkunft und soziale Grundlagen
Unter diesem Kapitel werden die sozialen Hintergründe und Entwicklungen Konrad Adenauers bis 1906 und Walter Ulbrichts bis 1918 dargestellt. Kriterium für diese zeitliche Einordnung sind die Jahre, die ihre Entwicklung nachhaltig prägten.6 Sowohl Konrad Adenauer als auch Walter Ulbricht wurden stark von ihrer sozialen Herkunft und Umgebung beeinflusst. Beide wuchsen in relativ bescheidenen Verhältnissen im deutschen Kaiserreich auf.
Adenauer stammte aus einer kleinbürgerlichen Beamtenfamilie in Köln. Sein Vater wird als „der Fleisch gewordene Typ des preußischen Beamten“7 beschrieben, seine Mutter als energievoll und fromm. Die Umgebung, in der Adenauer mit seinen 4 Geschwistern aufwuchs, kann als streng und fromm, aber dennoch voll Geborgenheit, bezeichnet werden.8 Schon in seinem Elternhaus wurden ihm die Tugenden, die das spätere Leben A- denauers bestimmten, vorgelebt und beigebracht. Dazu zählen vor allem Leistungswillen, Gottesfurcht, Zuverlässigkeit und gegenseitige Hilfsbereitschaft.
Walter Ulbricht dagegen wuchs in einer kleinen Dachwohnung in einem Handwerker- und Arbeiterviertel in Leipzig auf. Bereits seine Eltern und Großeltern waren als Arbeiter und Handwerker tätig. Walter Ulbricht und seine 2 Geschwister waren relativ arm, hungern mussten sie allerdings nicht. Mit sozialistischen Ideen kam Ulbricht bereits in seiner Jugend in Kontakt, indem er mit seinem Vater, der ein überzeugter Sozialist war, Flugblätter verteilte oder politische Veranstaltungen besuchte.
Adenauer und Ulbricht stammten somit beide aus bescheidenen Verhältnissen, ihre bür- gerliche bzw. sozialistische Umgebung war allerdings der entscheidende Faktor, der ih- re verschiedenen und immer gegensätzlicheren Lebenswege bestimmte: Konrad Adenauer besuchte das humanistische Apostelgymnasium in Köln, an dem er 1894 das Abitur machte. Ein Kölner Bürgerstipendium ermöglichte ihm das Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg, München und Bonn. Seiner Erziehung entspre- chend absolvierte er sein „rasch durchgezogenes Brotstudium“9 sehr zielstrebig, um - für die damalige Zeit typisch - über ein Jahr auf Wanderschaft durch Mitteleuropa zu gehen. 1901, im Alter von 25 Jahren, begann er seine berufliche Laufbahn als Assessor bei der Staatsanwaltschaft Köln und war danach in der Kanzlei eines Kölner Zentrums- politikers tätig. So entstanden erste Verbindungen zur Kölner Zentrumspartei. Ebenso wichtig für seine Einführung in die gut-bürgerliche Gesellschaft war die Heirat mit Emma Weyer, die aus einer wohlhabenden Kölner Familie stammte. Die erste Lebensphase Adenauers war ein eher unauffälliger Abschnitt, der sich noch nicht von anderen Lebensläufen seiner Generation abhob:
„Ein ganz und gar langweiliger Entwicklungsstrang, der um ein Haar in rechtschaffener Durchschnittlichkeit endet (…). Adenauer, wie er sich in diesem ersten Drittel seines Lebens darstellt, tut sich in jeder Hinsicht schwer. Ein Spätentwickler, so gewinnt man den Eindruck. (…) Allem Anschein nach auch ein ziemlich unpolitischer junger Mann!“10
Insgesamt erreichte Konrad Adenauer in dieser ersten und wichtigen Phase seines Le- bens den gesellschaftlichen Aufstieg aus bescheidenen Verhältnissen in die gut- bürgerliche Gesellschaft Kölns. Entscheidende Faktoren, die sein Werte- und Weltbild nachhaltig beeinflussten, waren „die Familie, die Religion und seine Vaterstadt Köln.“11 Geprägt wurde Adenauer durch „die Welt von gestern“12, durch die Politik Bismarcks sowie die Sozialistengesetze und den Kulturkampf, denen er kritisch gegenüber stand.13
Sein Weltbild war bereits vor Beginn des ersten Weltkrieges ausgereift und er erfuhr später nicht die großen psychologischen Schäden durch die beiden Weltkriege wie viele Menschen seiner Generation.
Auch Walter Ulbrichts erster Lebensabschnitt war typisch für einen Mann seiner Her- kunft. Von 1899 - 1907 besuchte er die Volksschule in Leipzig, danach absolvierte er eine Möbeltischlerlehre und besuchte parallel dazu die Berufsschule. Für weitere prä- gende Erfahrungen mit sozialistischen Schriften und Ideen sorgte - neben dem Vater - seine Tätigkeit im sozialistischen Arbeiterjugend-Bildungsverein Alt-Leipzig, bei dem er vor allem Vorträge hörte und später auch selber hielt. Ebenso wie Adenauer zog er seine Ausbildung zielstrebig und mit Fleiß, wenn auch nicht besonders auffällig, durch und ging danach eineinhalb Jahre auf Wanderschaft durch Mitteleuropa.
Im ersten Weltkrieg wurde Walter Ulbricht als Infanterist in Mazedonien und Serbien eingesetzt. Ulbricht fiel besonders dadurch auf, dass er gegen den Krieg gerichtete Flugblätter und Briefe verfasste, die den „Geist des preußischen Militarismus“14 verurteilten. Wegen dieser Flugblätter und wegen Desertion wurde er zu Gefängnisstrafen verurteilt, konnte allerdings bei Kriegsende nach Leipzig flüchten.
Walter Ulbrichts erste Lebensphase war von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Sozialismus gekennzeichnet, in der er vor allem durch Reden und selbst verfasste Aufsätze und Flugblätter in Erscheinung trat. Bereits 1912 war er SPD-Mitglied, nach Kriegsende trat er in die USPD und dann in die KPD ein, in der er später als Funktionär tätig war.
Insgesamt weisen also sowohl Konrad Adenauer als auch Walter Ulbricht einen relativ typischen Lebensweg für ihre jeweilige Herkunft auf. Beide waren „Kinder des Deut- schen Reiches“, deren Weltbild bereits vor dem ersten Weltkrieg fertig war und durch ihre Umgebung nachhaltig geprägt wurde.15 Obwohl beide aus eher bescheidenen Ver- hältnissen stammten, wurde durch die bürgerliche bzw. sozialistische Beeinflussung die Grundlage für ihre Gegensätzlichkeit gelegt. Ihr politischer Aufstieg stand jedoch noch bevor und ihr volles politisches Talent entfaltete sich erst nach dieser ersten Lebenspha- se.
1.2 Charaktereigenschaften
Konrad Adenauer und Walter Ulbricht weisen eine Reihe von ähnlichen Charaktereigenschaften auf, die ihnen zu dem politischen Aufstieg verhalfen. Zu den Tugenden, die beide durch ihre Elternhäuser vermittelt bekamen, gehörten in erster Linie Fleiß, Disziplin, Genauigkeit und Selbstbeherrschung.
Konrad Adenauers Antriebskräfte waren ein stark ausgeprägter Ehrgeiz und Wille zur Macht, dazu kam ein großes Maß an Leistungsbereitschaft.16 Er wird bereits seit seinen Jugendjahren als zuverlässig, genau und strebsam beschrieben und besaß einen „groß- zügigen Gestaltungswillen, Phantasie, politischen Instinkt, Machtbewußtsein, Unabhän- gigkeit und Stolz.“17 Diese politischen Fähigkeiten blieben allerdings für lange Zeit verborgen und traten erst im Laufe seiner politischen Laufbahn in Erscheinung. Ade- nauers politische Fähigkeiten schienen sich besonders in schwierigen Situationen voll zu entfalten. Weiterhin besaß Adenauer ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, das auf seiner christlichen Grundeinstellung sowie auf seinem Pflichtbewusstsein ba- sierte. Er hatte den Wunsch, dass „später einmal, wenn die Menschen über den Nebel und Staub dieser Zeit hinwegsehen, von mir gesagt werden kann, dass ich meine Pflicht getan habe.“18
Ordnung spielte im Leben von Adenauer eine große Rolle, die sich zum Beispiel in seinem streng geregelten Tagesablauf widerspiegelte. Bereits in seiner Jugend wurden „Leidenschaften (…) unterdrückt oder waren nicht vorhanden, weder körperliche, geistige noch seelische.“19 Seiner Gesundheit noch im hohen Alter verdankte Adenauer seine Vitalität und sein großes Stehvermögen. Selbst nach Verhandlungen bis tief in die Nacht hinein stand er morgens als erster wieder auf.
Sehr viel Wert legte Konrad Adenauer auf die Familie und die Religion.20 Er war ein Familienmensch und sah seine Familie als großes Glück und Quelle der Kraft an. Auch die Religion war für Adenauer eine Antriebsquelle jeglichen Handelns. Er sah sein Handeln stets in Verantwortung vor Gott und besuchte jeden Sonntag den Gottesdienst. Weitere Vorlieben in Adenauers Leben waren die Liebe zur Natur, die Kunst sowie seine Erfindungen, die allerdings keine großen Erfolge darstellten.
Oftmals kritisiert wird Adenauers Umgang mit Menschen, der von großer Skepsis und Distanz geprägt war.21 Er wird oftmals als kalt und distanziert beschrieben und verlang- te viel von seinen Mitarbeitern. Dagegen lassen sich in der Literatur aber auch viele po- sitive Ansichten von Adenauers Umgang mit Menschen feststellen, die besonders durch seine Mitarbeiter vertreten werden.22 Adenauer besaß eine gute Menschenkenntnis so- wie einen nüchternen, sachlichen Realismus und war hart zu sich selbst wie zu ande- ren.23 Seiner Meinung nach müsse in der Politik das Gefühl hinter den Verstand zurück- treten und er liebte den politischen Kampf, der auch Härte voraussetzte. Als menschen- verachtend ist er allerdings wohl nicht zu bezeichnen. Adenauers politisches wie sein alltägliches Leben basierte auf festen Prinzipien, zu denen an erster Stelle Wert und Würde des einzelnen Menschen gehörten.
Insgesamt zeigt sich ein Charakterbild des strebsamen, „vernunftgesteuerten, (…) steti- gen, auch einer Wertetafel verpflichteten Adenauer“24. Zu seinen weniger bekannten Nachteilen gehörte eine unkontrollierte, egozentrische, boshafte oder auch rachsüchtige Seite Adenauers.25 Er war kein Konsenspolitiker, stattdessen sehr machtbewusst und ein Organisationstalent, das alle Fäden in der Hand zu halten wusste. Auf Grund seiner taktischen Fähigkeiten wurde er oftmals als Fuchs dargestellt und karikiert.
Auch Walter Ulbrichts Charakter war durch einen ausgeprägten Ehrgeiz und Machtwillen gekennzeichnet. Ihm verhalfen ebenfalls ähnliche Tugenden zum politischen Aufstieg. Ein Parteigenosse beschrieb Walter Ulbricht - ähnlich wie Adenauer - als „unerhört fleißig, initiativ, ausgesprochen solide: er hatte keine Laster und keine erkennbaren äußerlichen Schwächen. Er rauchte nicht, er trank nicht und hatte keinen persönlichen Umgang. Niemand in der Partei war mit ihm befreundet.“26
Familiäre oder freundschaftliche Beziehungen spielten keine große Rolle in Ulbrichts Leben.27 Er heiratete zwar im Alter von 27 Jahren, besaß aber dennoch kaum Privatle- ben und keine Freunde. Er wird als kalt, misstrauisch und abweisend beschrieben, rede- te ständig über politische Fragen und war innerhalb seiner Partei eher unbeliebt. Seine Leidenschaft galt im privaten Bereich dem Sport sowie der Literatur. Während seiner politischen Tätigkeit entwickelte er eine starke Leidenschaft für Verwaltung und Orga- nisation. Auch Ulbricht war ein Organisationstalent, das seine Macht mit Hilfe der Verwaltung zu erhalten wusste. Dies zeigt auch sein Spitzname „Genosse Zelle“, den er sich durch die Einsetzung für die Gründung von Betriebszellen als kleinste organisatori- sche Einheit erwarb.
Walter Ulbricht verfolgte seine Ziele „mit grimmiger Entschlossenheit und Sturheit, die die Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt mit einschlossen“.28 Er installierte Kontrollap- parate in der KPD und ließ die Partei mehrmals von innerparteilichen Kritikern säu- bern.29 Zu seinen negativen Eigenschaften gehörten seine Rachsucht und Brutalität so- wie die bedingungslose Ausschaltung politischer Gegner. Dabei achtete er das Leben von Menschen ebenso wenig wie später beim erteilten Schießbefehl an der Grenze zur Bundesrepublik. Ein weiterer Grund für seinen politischen Aufstieg waren die Kontakte zu und der Opportunismus gegenüber der Sowjetunion. Ulbricht überlebte die stalinisti- schen Säuberungen, bei denen bereits ein Verdacht genügte, nur durch „totale Unter- werfung unter Stalin.“30 Auch als Machthaber der DDR passte er sich immer wieder den Vorgaben aus Moskau an, auch wenn er dabei eine Drehung um 180 Grad vollziehen musste.31
Konrad Adenauer und Walter Ulbricht weisen also einige Gemeinsamkeiten auf:
„Beide sind im Innersten von preußischen Tugenden geprägt: Ordnung, Fleiß, Ehrgeiz, Sparsamkeit. Sie rauchen nicht und trinken nicht. Und beide verstehen es, die preußischste aller Errungenschaften, den Beamtenapparat, für sich zu nutzen. (…) Sie gehören nicht zur (…) Kriegsgeneration. Ihre soziale und kulturelle Erfahrungswelt lag im friedlichen kaiserlichen Deutschland vor dem ersten Weltkrieg.“32
Allerdings bestehen in ihren Charaktereigenschaften auch fundamentale Unterschiede: Während Adenauer besonders durch seine Religiosität und seine christlichen Werte ge- prägt war, fehlte diese christliche Komponente bei Ulbricht vollkommen. An diese Stel- le trat für Ulbricht der Staat bzw. die Partei. Während für Adenauer der Wert und die Würde des Menschen an erster Stelle stand, zeichnete sich Ulbrichts Charakter durch das Fehlen jeglicher Menschlichkeit aus. Die metaphysische Lebensauffassung Adenau- ers stand also in krassen Gegensatz zur totalitären Auffassung Ulbrichts. Um ihre Ziele zu erreichen, handelten beide zwar flexibel, jedoch zeigten sich in der Prinzipientreue Adenauers große Differenzen zur Anpassungsfähigkeit Ulbrichts.
Es zeigen sich somit starke Gegensätze in den Persönlichkeiten von Konrad Adenauer und Walter Ulbricht, welche die Bezeichnung als Antipoden rechtfertigen. Durch ihre wenigen Gemeinsamkeiten - ihr Machtbewusstsein sowie ihre Starrheit - wurde eine Annäherung zwischen beiden Personen allerdings noch schwieriger.
1.3 Gegenseitiges Verhältnis
Das Verhältnis zwischen Konrad Adenauer und Walter Ulbricht ist nur schwer zu erfas- sen, es gab nämlich kaum Verbindungen und Kontakte zwischen den beiden Staatsmän- nern.
Konrad Adenauer sah in Ulbricht nur einen Teil des Regimes, das in der DDR ohne demokratische Legitimation seine kommunistische Gewaltherrschaft ausübte. Weder in der Sekundärliteratur noch in Adenauers Erinnerungen33 lassen sich besondere Verbin- dungen zur Person Walter Ulbrichts nachweisen, stattdessen ist meistens vom „Ul- bricht-Regime“ die Rede. Da die Bundesrepublik zur DDR keinerlei politische Bezie- hungen unterhielt, war die Möglichkeit zu einem persönlichen Verhältnis zwischen den beiden Staatsmännern begrenzt. Adenauer strafte seinen ostdeutschen Gegenpart viel- mehr mit „Nichtbeachtung“34.
Walter Ulbricht hasste Konrad Adenauer in besonderem Maße und betrachtete ihn nicht nur als seinen Intimfeind, sondern auch als seinen persönlichen Gegenspieler.35 Dieser Hass war zum einen in der politischen Gegnerschaft zu Adenauer als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der auch in der DDR große Sympathien besaß, begründet. Zum anderen fühlte sich Ulbricht durch die Nichtbeachtung von Adenauer zutiefst ge- demütigt.36
Da Ulbricht die Bundesrepublik als Teil des imperialistischen Lagers und als Klassen- feind ansah, bezichtigte er auch Adenauer der imperialistischen Politik, die das deutsche Volk ins Unglück treibe.37 Ulbricht bezeichnete Adenauer als „Kriegshetzer, Monopolkapitalist (…) und rheinischer Separatist“38, stellte ihn als Spalter Deutschlands dar und scheute auch keine Vergleiche mit Hitler. 1962 entwarf Ulbricht sogar einen ZwölfPunkte-Plan mit dem Ziel, dass die „Adenauer-Ära zu Ende geht“39 und dieser als Bundeskanzler gestürzt werde.
Möglichkeiten zu einer direkten Kontaktaufnahme gab es kaum bzw. diese wurden nicht wahrgenommen. Als Beispiel dafür kann der Konföderationsvorschlag von 1956 aufge- führt werden, der aus einem Aufsatz Walter Ulbrichts im Neuen Deutschland resultier- te.40 Er schlug eine Konföderation beider deutscher Staaten als Zwischenlösung auf dem Weg zur Wiedervereinigung vor mit dem primären Ziel, der Anerkennung der DDR nä- her zu kommen. Ulbricht konkretisierte seine Idee später. Er forderte den Sturz Adenau- ers als Bedingung und formulierte für die Bundesregierung offensichtlich unannehmba- re Vorschläge. Adenauer lehnte diesen Vorschlag ab und bewertete ihn als nachdrückli- chen Versuch Ulbrichts, „ganz Deutschland zu einem kommunistischen Land zu ma- chen“41. Stattdessen wandte er sich ein Jahr später an den sowjetischen Botschafter Smirnow, um über den Status der DDR zu verhandeln.42
Die Tatsache, dass von beiden Seiten nicht die Möglichkeit zu einer ernsthaften Form der Kontaktaufnahme gesucht wurde, zeigt das besonders negative Verhältnis zueinan- der. Beide sahen sich gegenseitig bzw. die andere Regierung als Feindbild an, so dass eine Möglichkeit der Annäherung schon auf Grund ihrer persönlichen Sichtweise er- schwert wurde.
2. Vergleich der Politiker Adenauer und Ulbricht
Es bestehen große Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten Konrad Adenauers und Walter Ulbrichts, ihre Gegensätze auf politischer Ebene allerdings erscheinen noch ex- tremer. Im Folgenden soll zuerst das Welt- und Menschenbild beider Staatsmänner ver- glichen werden.
[...]
1 Zit. nach: Josef Foschepoth: Vorwort, in: Josef Foschepoth (Hrsg.): Adenauer und die Deutsche Frage, Göttingen 1988, S. 8.
2 Zit. nach: Carola Stern: Ulbricht. Eine politische Biographie, Köln, Berlin 1964, S. 221.
3 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg 1876-1952, Stuttgart 1986.
4 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann 1952-1967, Stuttgart 1991.
5 Mario Frank: Walter Ulbricht. Eine deutsche Biografie, Berlin 2001.
6 Vgl. zur zeitlichen Einteilung und zum Folgenden: Schwarz: Der Aufstieg, S. 51-129; Frank: Walter Ulbricht, S. 35-53; Norbert Podewin: Walter Ulbricht. Eine neue Biographie, Berlin 1995, S. 19-42.
7 Schwarz: Der Aufstieg, S. 64.
8 Vgl.: Horst Osterheld: Konrad Adenauer: Ein biographischer Essay, Berlin 1993, S. 5.
9 Schwarz: Der Aufstieg, S. 129.
10 Schwarz: Der Aufstieg, S. 127.
11 Hans-Peter Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer, 2. Auflage, München 2005, S. 17.
12 Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer, S. 17.
13 Vgl.: Anneliese Poppinga: Konrad Adenauer: Eine Chronik in Daten, Zitaten und Bildern, Bergisch Gladbach 1987, S. 10; Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer, S. 73-76; Hencic L. Wuermeling: Die Stunde Adenauers und Ulbrichts. Tagebuch der Teilung Deutschlands, Bergisch Gladbach 1983, S. 77-81 und 262-264.
14 Frank: Walter Ulbricht, S. 52.
15 Vgl.: Wuermeling, Die Stunde Adenauers und Ulbrichts, S. 77-81.
16 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Horst Osterheld: Konrad Adenauer. Ein Charakterbild, Stuttgart 1987.
17 Schwarz: Der Aufstieg, S. 128.
18 Konrad Adenauer 1953, zit. nach: Osterheld, Charakterbild, S. 97.
19 Peter Koch: Konrad Adenauer. Eine politische Biographie, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 22.
20 Vgl.: Osterheld, Charakterbild, S. 27-28 und S. 97-104.
21 Vgl. vor allem die Kritik von Golo Mann und Heinrich Böll, die neben Adenauers Menschenführung auch Opportunismus und Machtausübung kritisieren: Golo Mann: Zwölf Versuche, Frankfurt am Main 1973, S. 109-110; Heinrich Böll: Keine so schlechte Quelle, in: Der Spiegel Nr. 49 vom 1. Dezember 1965.
22 Vgl.: Felix von Eckardt: Konrad Adenauer - Eine Charakterstudie, in: Dieter Blumenwitz; Klaus Got- to; Hans Maier u.a. (Hrsg.): Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Beiträge von Weg- und Zeitgenossen, Stuttgart 1976, S. 137-148; Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Konrad Adenauers Regierungsstil, Bonn 1991.
23 Vgl.: Anneliese Poppinga: Konrad Adenauer. Geschichtsverständnis, Weltanschauung und politische Praxis, 2. Auflage, Stuttgart 1975, S. 22-33.
24 Schwarz: Anmerkungen zu Adenauer, S. 165.
25 Vgl.: Schwarz, Anmerkungen zu Adenauer, S. 163-180.
26 Ernst Wollweber: Aus Erinnerungen. Ein Portrait Walter Ulbrichts, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 3/1990, S. 352.
27 Vgl.: Frank: Walter Ulbricht, S. 219 und S. 273-296.
28 Frank: Walter Ulbricht, S. 83.
29 Vgl.: Thomas Klein: „Für die Einheit und Reinheit der Partei“. Die innerstaatlichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Köln, Weimar, Wien 2002.
30 Frank: Walter Ulbricht, S. 140.
31 So schwenkte zum Beispiel Ulbricht, der Stalin stets als größten Menschen unserer Epoche bewundert und verehrt hatte, im Zuge der Entstalinisierung um und behauptete, Stalin sei kein Klassiker des Mar- xismus, vgl. Frank: Walter Ulbricht, S. 244-251; Podewin: Walter Ulbricht, S. 282-291; Stern: Ul- bricht, S. 187-188.
32 Henric L. Wuermeling: Die Stunde Adenauers und Ulbrichts, S. 263.
33 Vgl.: Konrad Adenauer: Erinnerungen, 4 Bände, Stuttgart 1965-1968.
34 Gunther Holzweißig: Konrad Adenauer in den Medien der DDR: Kampagnen der SED- Agitationsbürokratie, in: Hans Günter Hockerts (Hrsg.): Das Adenauer-Bild in der DDR, Bonn 1996, S. 75-93, S. 77-78.
35 Vgl.: Frank: Walter Ulbricht, S. 330-331; Michael Lemke: Konrad Adenauer in der DDRHistoriographie, in: Hockerts: Das Adenauer-Bild in der DDR, S. 107-126, S. 121.
36 Vgl.: Holzweißig: Konrad Adenauer in den Medien, S. 77-89.
37 Vgl.: Stern: Ulbricht, S. 218-223.
38 Frank: Walter Ulbricht, S. 330.
39 So Walter Ulbricht 1962, vgl.: Holzweißig: Konrad Adenauer in den Medien, S. 77-78.
40 Walter Ulbricht: Was wir wollen und was wir nicht wollen, in: Neues Deutschland, Ost-Berlin vom 30.Dezember 1956, S. 1 und 3-4; vgl. auch: Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1957-1963, Stuttgart 1983, S. 61-68.
41 Rudolf Morsey; Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Adenauer. Teegespräche 1959-1961, Berlin 1988, S. 7.
42 Vgl.: Adenauer: Erinnerungen 1955-1959, Band III, Stuttgart 1967, S. 67.
- Citation du texte
- Björn Lindemann (Auteur), 2006, Konrad Adenauer und Walter Ulbricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77646
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