In dieser Arbeit wird vor allem die Frage behandelt, mit welcher Kultur sich die Kinder der Gastarbeiter identifizieren, wie sie sich selbst definieren und welche Folgen die Teilhabe an zwei Sprachen für sie darstellt. Auch ist wichtig zu hinterfragen, weshalb sie das Schlusslicht im Bildungssystem sind und wie dies in Zukunft vermieden werden könnte.
Kapitel zwei beschäftigt sich zunächst mit einigen Begriffsdefinitionen. Zuerst wird beschrieben, was mit dem Begriff „Kultur“ überhaupt gemeint ist und wie er in Zusammenhang mit Sprache gebracht werden kann. Das eigentliche Verständnis von Kultur ist für den späteren Teil der Arbeit wichtig, in dem es um Identität bzw. kulturelle Identität geht.
Anschließend folgt eine Definition des Begriffs „Migration“ mit zwei Beispielen sehr unterschiedlicher Varianten von Migration. Das zweite Beispieldient dazu, die Einwanderungssituation in Deutschland zu beleuchten. Basierend auf dem historischen Rückblick behandelt Kapitel drei die Kernpunkte der deutschen Gastarbeiterbeschäftigung, vor allem der der Italiener.
Die damit verbundenen politischen Entscheidungen werden in Kapitel vier dargestellt. Wichtig erscheint mir das Beispiel der Gastarbeiterkinder vor dem
Hintergrund, dass etwa 52 Prozent von ihnen Hauptschulen besuchen.
Die Situation der 2. und 3. Generation der italienischen Gastarbeiterkinder wird zunächst in den Gesamtkontext der Stellung von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem eingebunden und später speziell beleuchtet werden.
In Kapitel fünf werde ich mich mit dem Phänomen des durch Migration entstehenden Bilingualismus beschäftigen. Ich werde zunächst den Begriff Bilingualismus genauer betrachten und dann auf den Zusammenhang von Zweisprachigkeit und Identitätsbildung eingehen.
In Kapitel sechs, dem empirischen Teil, werden Interviews und Internetumfragen zusammengefasst und ausgewertet werden.
Im letzten und abschließenden Abschnitt meiner Arbeit möchte ich in einer kleinen Zusammenfassung Rückschlüsse auf die am Anfang dargebrachten Ansätze geben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinitionen
2.1. Der Kulturbegriff
2.1.1.Sprache und Kultur
2.2. Migration
2.2.1. Definition "Migration"
2.2.2. Migrationshintergrund
2.2.3. Fluchtmigration
2.2.4. Arbeitsmigration
3. Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland
3.1. Einwanderungsland Deutschland
3.2. Die Geschichte der italienischen Arbeitsmigration nach Deutschland
3.2.1. Die „Transalpini“ - Vom Mittelalter bis zum Ersten Weltkrieg
3.2.2. Vom Fremdarbeiter zum Zwangsarbeiter - Italienische Arbeitsmigranten im Dritten Reich
3.2.3. Gastarbeiter für das Wirtschaftswunder
4. Integration oder Segregation- Die Situation von Migranten und ihren Kindern in Deutschland
4.1. Misslungene Integration?
4.2. Pizza, Pasta und Espresso - Das Bild der Italiener in Deutschland
4.2.1. Daten und Fakten
4.3. Die Bildungssituation der Migrantenkinder
4.3.1. Schüler italienischer Herkunft im deutschen Schulsystem
4.3.2. Warum so schlecht?
5. Bilingualismus und Identität
5.1. Versuch einer Definition
5.2. Identität und Kultur
5.2.1. Zum Begriff der Identität
6. Empirischer Teil
6.1. Auswertung der Ergebnisse
6.1.1. Interview mit Jill C
6.2. Fragebogen
6.2.1. Internetumfragen
7. Fazit
8. Quellenverzeichnis
8.1. Literaturverzeichnis:
8.2. Internetquellen:
8.3. Andere Quellen:
Abkürzungen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen. Sie fressen den Wohlstand nicht auf, im Gegenteil, sie sind für den Wohlstand unerlässlich.“
(FRISCH, M. 1965: 347)
2005 lebten in der Bundesrepublik Deutschland etwa 82,46 Millionen Menschen. Die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund betrug 15,3 Millionen, etwa sieben Millionen sind Ausländer. Die seit 1950 Zugewanderten, die man als „die Bevölkerung mit eigener Migrationserfahrung“ bezeichnet, stellen mit etwa 10 Millionen gut zwei Drittel aller Personen mit Migrationshintergrund (vgl. DESTATIS 2005: 7/ I).
Die türkischen Staatsangehörigen machen mit etwa 1,76 Millionen die größte Gruppe der ausländischen Bevölkerung in Deutschland aus. Verwundernswerterweise sind die Italiener gleich die zweitgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe, 601 258 Italiener (8,2 % der gesamten ausländischen Bevölkerung) waren 2003 in Deutschland gemeldet (vgl. BUNDESREGIERUNG 2005: 9/ I).
Seit Beginn der 60er Jahre waren bis weit in die 70er Jahre hinein große Zahlen von Arbeitsmigranten aus verschiedenen Nationen nach Deutschland eingewandert. Aus Anlass des 50. Jahrestags des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens im Jahr 2005 widmeten Presse und verschiedene Institutionen den Schicksalen der ehemaligen “Gastarbeiter“, vor allem der Italiener, besonderes Interesse. Kaum ein Deutscher möchte auf die italienischen Errungenschaften wie Espresso und Eiscafés verzichten. Sie sind selbstverständlich geworden. Die italienischen Gastarbeiter haben die Gesellschaft der Bundesrepublik geprägt- viel weitreichender als die Deutschen sich dies in den 1950er Jahre vorstellen konnten. Hilfe und Unterstützung bei der Eingliederung ins Land ließ der bundesdeutsche Staat seinen Gästen dabei kaum zuteil werden- besonders was die Kinder der Einwanderer anbelangte. In der Bundesrepublik wachsen und wuchsen hunderttausende ausländischer Kinder und Jugendliche heran, von denen die Mehrheit trotz durchaus vorhandener Intelligenz nicht den Hauptschulabschluss, geschweige denn höhere Bildungsabschlüsse erreicht. Sie haben somit weder angemessene Berufs- noch positive Lebenschancen. Während ihnen die Eingliederung in die Gesellschaft oft versperrt bleibt, sind sie gleichzeitig ihrem eigenen nationalen Kulturkreis entfremdet. Vor diesem Dilemma sind auch viele Kinder und Enkelkinder italienischer Gastarbeiter nicht verschont geblieben.
Nicht erst seit gestern ist die Bundesrepublik Deutschland de facto eine Gesellschaft mit vielschichtigen kulturellen Hintergründen ihrer Bürger. Dabei ist um den Begriff „multi-kulti“ in den letzten Jahren eine Debatte entbrannt. Viele Diskutanten halten die Bezeichnung für unzutreffend, da der Begriff multikulturell eher irreführend ist. Eigentlich meint er ein friedliches Zusammenspiel und einen Austausch mehrerer Kulturen in einem Land, ein bis heute noch utopisches Bild. In dieser Arbeit wird deshalb dieser Term nur in dem Sinn verwendet, dass mehrere Kulturen zusammen in einem Land leben.
Alle Parteien haben es versäumt, die Anwerbung von Gastarbeitern mit einer aktiven Integrationspolitik zu flankieren. Durch das ihr Anwerben, der darauf folgenden Entscheidung dieser Menschen in Deutschland zu bleiben und durch den damit verbundenen Familiennachzug ergaben sich Schwierigkeiten, die auch heute noch nicht annähernd gelöst sind. Man kann also schon von misslungener Integration sprechen, vor allem in Bezug auf die schuliche Integration der Kinder mit Migrationshintergrund.
In dieser Arbeit wird vor allem die Frage behandelt, mit welcher Kultur sich die Kinder der Gastarbeiter identifizieren, wie sie sich selbst definieren und welche Folgen die Teilhabe an zwei Sprachen für sie darstellt. Auch ist wichtig zu hinterfragen, weshalb sie das Schlusslicht im Bildungssystem sind und wie dies in Zukunft vermieden werden könnte.
Kapitel zwei beschäftigt sich zunächst mit einigen Begriffsdefinitionen.
Zuerst wird beschrieben, was mit dem Begriff „Kultur“ überhaupt gemeint ist und wie er in Zusammenhang mit Sprache gebracht werden kann. Das eigentliche Verständnis von Kultur ist für den späteren Teil der Arbeit wichtig, in dem es um Identität bzw. kulturelle Identität geht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anschließend folgt eine Definition des Begriffs „Migration“ mit zwei Beispielen sehr unterschiedlicher Varianten von Migration. Das zweite Beispieldient dazu, die Einwanderungssituation in Deutschland zu beleuchten. Basierend auf dem historischen Rückblick behandelt Kapitel drei die Kernpunkte der deutschen Gastarbeiterbeschäftigung, vor allem der der Italiener.
Die damit verbundenen politischen Entscheidungen werden in Kapitel vier dargestellt. Wichtig erscheint mir das Beispiel der Gastarbeiterkinder vor dem
Hintergrund, dass etwa 52 Prozent von ihnen Hauptschulen besuchen.
Die Situation der 2. und 3. Generation der italienischen Gastarbeiterkinder wird zunächst in den Gesamtkontext der Stellung von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem eingebunden und später speziell beleuchtet werden.
In Kapitel fünf werde ich mich mit dem Phänomen des durch Migration entstehenden Bilingualismus beschäftigen. Ich werde zunächst den Begriff Bilingualismus genauer betrachten und dann auf den Zusammenhang von Zweisprachigkeit und Identitätsbildung eingehen.
In Kapitel sechs, dem empirischen Teil, werden Interviews und Internetumfragen zusammengefasst und ausgewertet werden.
Im letzten und abschließenden Abschnitt meiner Arbeit möchte ich in einer kleinen Zusammenfassung Rückschlüsse auf die am Anfang dargebrachten Ansätze geben.
Ich möchte darauf verweisen, dass ich in meiner Arbeit keine Rücksicht auf die Gleichberechtigung der Geschlechter bei den grammatikalischen Formen nehmen und überwiegend die männliche Form verwenden werde, die jedoch hierbei auch die weibliche Form mit einschließen soll.
2. Begriffsdefinitionen
2.1. Der Kulturbegriff
Wir sind es mittlerweile gewohnt vielen Menschen aus anderen Ländern und damit auch Kulturkreisen zu begegnen. In eigentlich allen Bereichen des Lebens gibt es Begegnungen zwischen Kulturen. Aber was heißt ²Kultur“ überhaupt, wie kann man den Kulturbegriff definieren? Eine einheitliche und allgemein anerkannte Definition von Kultur existiert in der Literatur nicht, es gibt zahlreiche Definitionen für die verschiedensten Kontexte.
Edward T. Hall liefert wohl die einfachste Definition von "Kultur", wenn er sie schlicht mit Kommunikation gleichsetzt und sagt:
„Culture is communication."
(HALL, E.T. 1959: 97)
Es können einige Vorannahmen zum Kontext von Kultur und Kommunikation gemacht werden, allerdings entsteht hier noch nicht die eigentliche Definition des Kulturbegriffs:
- Es gibt unterschiedliche und voneinander unterscheidbare Kulturen.
- Kultur und Kommunikation stehen in einem direkten Zusammenhang.
- Kommunikationsteilnehmer sind immer auch Teilnehmer bzw. Teilhaber einer Kultur.
- Kulturteilhabe heißt, dass man in einer spezifischen Weise kommuniziert.
- Kulturelles spiegelt sich in der Kommunikation wider.
- Gemeinsame Kulturteilhabe erleichtert die Kommunikation, unterschiedliche Kulturteilhabe erschwert sie.
(vgl. HINNENKAMP, V., in SPILLER, B. 1990: 46ff)
Wir sprechen von verschiedenen Kulturen ohne uns viele Gedanken über die eigentliche Bedeutung des Wortes "Kultur" zu machen. Im Grunde genommen hat jeder seine eigene Auffassung dieses Begriffs, jedoch fällt es meist schwer, diese auch in Worte zu fassen. "Kultur" wird sehr allgemein verwendet und eine interdisziplinäre Definition erscheint fast schon unmöglich. Um den Begriff der kulturellen Identität klären zu können, muss jedoch zuerst der Kulturbegriff erläutert werden. Es gibt unzählige Kulturdefinitionen und viele von ihnen sind durchaus praktikabel.
Hier nun einige davon:
„Die Kultur einer Gesellschaft besteht in all dem, was man wissen oder glauben muss, um so handeln zu können, dass es für die Mitglieder dieser Gesellschaft akzeptabel ist. Und zwar in jeder beliebigen Rolle, die diese Gesellschaft auch für jedes ihrer eigenen Mitglieder akzeptiert.
[ … ] Kultur ist nichts Materielles. Sie besteht auch nicht aus Gegenständen, Menschen, Verhaltensweisen oder Gefühlen. Kultur bedeutet vielmehr das Zusammenspiel all dieser Dinge; Kultur sind die Formen, die diese Dinge in den Köpfen der Menschen annehmen; Kultur sind die Modelle, durch die die Menschen die Dinge wahrnehmen, sie zueinander in Beziehung setzen und sie deuten. Deshalb ist alles, was die Menschen sagen oder tun, was sie untereinander als sozial vereinbaren, ein Produkt oder Nebenprodukt ihrer Kultur.“
(GOODENOUGH, W.H., in HYMES, D.H. 1964: 36)
Oder eine etwas allgemeinere Definition:
„Culture or civilization is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, customs, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society.“
(TYLOR, E.B. 1871, in DORFMÜLLER- KARPUSA 1993: 15)
Wichtig bei beiden Definitionen ist die Rolle Gesellschaft, die in den Vordergrund gestellt wird, und damit auch die Erklärung, dass der Mensch Kultur als Mitglied eben dieser erwirbt. Demnach ist die Gesellschaft zuständig für die "kulturelle Orientierung" eines Menschen. Von Gesellschaft zu Gesellschaft variiert diese mehr oder weniger. Einige Autoren beziehen den Kulturbegriff jedoch nicht direkt auf Gesellschaften, sondern gehen viel weiter. So auch Pavel Donec, der Kultur als ein Attribut der Gesellschaft sieht (vgl. DONEC, P. 2002: 33f). Für ihn ist Kultur nicht nur eine Menge von Individuen, sondern ihr sozialer und mentaler Zusammenhang, der sie in Einheit bringt (vgl. ebd).
„ Kultur ist ein wichtiges Attribut menschlicher Gesellschaften, das einen Teil der von ihnen angeeigneten Natur umfasst. Zu diesem Teil gehören vor allem ihre rekursiven Elemente sowohl materiellen als auch ideellen (informationellen) Charakters, wobei die Rekursion bei der Mehrheit (seltener: einer bedeutenden Anzahl) der Mitglieder der betreffenden Gesellschaft über mehrere Generationen stattgefunden haben soll.” (ebd.: 39)
Kultur wird als etwas typisch menschliches angesehen, von keinem anderen Wesen wird im Zusammenhang mit Kultur gesprochen. Jedoch wird nicht Individuen, sondern nur Gruppierungen Kultur zugeschrieben. Muss sich Kulturteilhabe demnach auch an Orten, Traditionen, Sprachen und Aussehen festmachen lassen, vielleicht nur, weil diese uns fremd sind? Ist es möglich kulturelle Grenzen einfach so zu ziehen? Unser Verstand gibt uns ein intuitives Bilden von Grenzen. Sollen wir unsere gezogenen Grenzen definieren, so begründen wir sie mit Fremdheit, mit einem Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit. Merkmale wie Sprache, Aussehen und Verhalten stellen für uns oft schon eine andere Kulturzugehörigkeit dar. Merkmale wie Herkunft und nationale Abstammung lassen sich daraus ableiten. In diesem Sinne steht der Begriff Kultur auch immer für ein Anderssein, eine Fremdheit und eine Nicht-Zugehörigkeit. Die Definition des Kulturbegriffs zeigt die Andersartigkeit bestimmter Gruppen auf, auch wenn diese nicht auf Gesellschaften bzw. Landesgrenzen beschränkt sind. Dennoch ist eine eindeutiges Definieren von Kultur nicht möglich, da es sich um einen in Bewegung befindlichen Prozess handelt, der ständig variieren kann und durch interkulturelle Kommunikation noch weiter in Gang gebracht wird. Wenn man die von den Autoren in den Vordergrund gestellten Aspekte von Kultur zusammenfasst, so kann man sagen, dass Kultur ein sozialer Lebensraum ist, der „kognitive”, „emotionale“ und „handlungsbezogene“ Dimensionen umfasst (DORFMÜLLER-KARPUSA, K. 1993: 18). Sprache spielt immer eine zentrale Rolle, da sie mit Kultur in engem Zusammenhang steht.
2.1.1.Sprache und Kultur
Man kann sagen, dass Sprache und Kultur sich gegenseitig beeinflussen, jedoch bleibt unklar in welchem Maße dies geschieht. Es gibt eine Vielfalt an Hypothesen zu dieser Frage, allerdings widerlegen sie sich meist gegenseitig.
„ Die Kultur und somit die Sprache determinieren das Denken. In anderen Worten, die Sprache ist ein Instrument, mit dem der Mensch die Welt erfasst. “
(SAPIR, E.; WHORF, B., in ebd.: 20)
Den Sprachwissenschaftler Edward Sapir und Benjamin Whorf zufolge ist also der Wortschatz und das Ausdrucksvermögen einer Person die Determinante seines Denkens. Die Abhängigkeit des Denkens von der Sprache wird auch als Sprachrelativismus bezeichnet. Demnach beschränkt sich Kultur auf die verbalen Möglichkeiten eines Kulturkreises. Das jeweilige Weltbild hängt notgedrungen mit der jeweils verwendeten Sprache zusammen, die Überlieferung der kulturellen Werte und Normen bleibt auf die verbalen Möglichkeiten begrenzt.
„Der Mensch wird somit zu einem Gefangenen der mit seiner Sprache assoziierten und kulturell bestimmten Gesellschafts-strukturen. [ ... ] Denken in Dimensionen außerhalb dieses vorgegebenen Bezugsystems ist kaum noch möglich.“
(ebd.: 21)
Allerdings gibt es auch Kritiker an dieser Hypothese, wie zum Beispiel J.A. Fishman, der die Auffassung vertritt, dass wichtige Aspekte vollkommen unberücksichtigt bleiben. Dies betrifft die Vielfalt und Variabilität der Sprache bzw. Kommunikationspraxis:
„All in all we are far more valiant, nimble, experienced and successful strugglers and jugglers with language- and communication problems than Whorf realized.“
(FISHMAN, J.A., in ebd.: 22)
Determiniert die Sprache unser Denken, oder unser Denken unsere Sprache? Eine wirkliche Antwort auf diese Frage wird es wohl nicht geben, sicher ist hingegen, dass Sprache, Denken und damit auch Kultur in engem Zusammenhang miteinander stehen.
„All definitions of culture agree that language is an important part of culture. There is a consensus that culture is a complex entity which comprises a set of symbolic systems, including knowledge, norms, values, beliefs, language, art and customs, as well as habits and skills learned by individuals as members of a given society.“
(HAMERS, J.F. 2000: 198/ I)
Sprache ist zunächst ein Bestandteil von Kultur, aber gleichzeitig auch ein Produkt derselben, welches von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ebenfalls werden kulturelle Wertvorstellungen durch Sprache geformt. Kurzum, Sprache und Kultur existieren nicht unabhängig voneinander, sind aber dennoch nicht homolog. Es besteht eher eine interaktionale Beziehung zwischen beiden Begriffen, die auch völlig unterschiedliche Ausprägungen annehmen kann. Zum Beispiel teilen Mitglieder, die einer Gesellschaft angehören, aber eine unterschiedliche Sprache sprechen, nicht alle Ansichten und Verhaltensmerkmale dieser Gesellschaft. Andererseits existieren Gesellschaften, die kulturell stark divergieren, aber dennoch Varietäten derselben Sprache sprechen. Für Minoritäten stellt die gemeinsame Sprache den „bewährtesten Konservator der Kultur“ (DORFMÜLLER- KARPUSA 1993: 29) dar, der an die Kinder weitergegeben werden muss. Aus dem Aufeinandertreffen von zwei Kulturen und Sprachen können sich dann sowohl positive als auch negative Konsequenzen für die Persönlichkeitsbildung von Migrantenkinder entwickeln.
2.2. Migration
2.2.1. Definition "Migration"
Generell meint Migration Bevölkerungsbewegungen, wobei man bei der Überschreitung einer Staatsgrenze von Immigration und Emigration, der Ein- und Auswanderung spricht. Es kann sich um dauerhafte oder auch kurzzeitige Wechsel des Lebensumfeldes handen.
Es gibt viele Gründe für Menschen ihr Heimatland zu verlassen, um in einem anderen Land zu leben. Zum einen gibt es die nationale Wanderung, die zum Ziel hat, dass man seinen Geburtsort verlässt und in eine andere Stadt oder ienen anderen Ort zieht, um dort z.B. einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Diese Art der Migration ist nicht sehr ungewöhnlich und trifft auf viele Menschen zu. Zum anderen gibt es die internationale Migration, die Auswanderung aus einem und eine grenzüberschreitenden Einwanderung in ein anderes Land. Die Emigranten oder Auswanderer verlassen ihre Heimat entweder freiwillig oder erzwungenermaßen aus wirtschaftlichen, religiösen, politischen oder anderen individuellen Gründen. Die Auswanderer kommen als Immigranten (Einwanderer) in das sie aufnehmende fremde Land. In der Geschichte hat es Auswanderung ganzer Völker gegeben, von großen Teilen eines Volkes und von Einzelpersonen oder einzelnen Familien.
Das Phänomen der Globalisierung korreliert unmittelbar mit den Themen Migration und Integration zusammen. Nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen gibt es derzeit etwa 200 Millionen Migranten weltweit, davon befindet sich etwa ein Drittel in Europa. Diese Zahlen geben einen Einruck über die Größenordnung der auftretenden Probleme wieder (vgl. SCHÄUBLE, W., in BMI 2007/ I).
2.2.2. Migrationshintergrund
Ist von Migration oder Migrationshintergrund die Rede, denkt man oft zuerst an Ausländer. Migration umfasst aber mehr. Auch viele deutsche Staatsbürger haben Migrationserfahrungen.
„Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil ² .
(DESTATIS 2005: 6/ I)
Von den etwa 82 Millionen Einwohnern Deutschlands haben ungefähr 15 Millionen einen Migrationshintergrund. Von ihnen sind jedoch etwa 4,9 Millionen Menschen gar nicht selbst zugewandert, aber von Migration betroffen. Weitere 2,7 Millionen Deutsche zählen zu den Menschen mit Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung, mindestens ein Elternteil ist entweder eingebürgert, Spätaussiedlern oder Ausländern Knapp ein Fünftel der bundesdeutschen Bevölkerung ist damit ausländischer Herkunft oder hat beispielsweise Eltern oder Großeltern, die aus dem Ausland stammen (vgl. ebd.: 327f/ I).
„Wenn in einer Gesellschaft 19 Prozent der Menschen einen 'Migrationshintergrund' haben, dann kann man durchaus von einer Zuwanderungsgesellschaft sprechen",
so der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Johann Hahlen, bei der Vorstellung des Mikrozensus 2005 in Berlin
(LANGENAU, L., in SPIEGEL ONLINE 2006/ I).
Im folgenden werde ich zwei Migrationsarten näher beschreiben, die sogenannte Flucht- und die Arbeitsmigration. Es sind zwei Arten, die sich stark voneinander unterscheiden, jedoch zusammen die Vielfalt der Beweggründe für Migration deutlich machen können. Auf den zweiten Migrationstypus werde ich besonderen Augenmerk setzen, da er für diese Arbeit von größerer Bedeutung ist.
2.2.3. Fluchtmigration
Die erzwungene Form der Auswanderung ist die Flucht-, oder auch Zwangsmigration. Laut der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 bezeichnet dieser Migrationstyp die räumliche Bewegung einer Person, die:
„…aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“
(GENFER FLÜCHTLINGSKONVENTION 1951: 2/ I)
Die Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten allerdings nicht dazu, Flüchtlingen individuelles Asyl zu gewähren. Jedoch sind sie durch das "Refoulement-Verbot" dazu verpflichtet, Asylbewerber und Flüchtlinge nicht in Länder auszuweisen, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit in Gefahr wäre (vgl. ANGENENDT, S., in BERLIN- Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2001/ I).
Nach Artikel 16, Absatz 1 des Grundgesetzes, haben politisch Verfolgte Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte. In Deutschland wird die Bearbeitung der Asylanträge auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes geregelt. Dem Asylsuchenden wird zunächst eine Unterkunft in einer Erstaufnahme-einrichtung gesucht. Nach einer Anhörung entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über das Schicksal des Asyl-suchenden (vgl. BAMF 2007: 10f/ G). Von 1953 bis Ende 2004 haben in Deutschland ca. 3,1 Millionen Menschen einen Asylantrag gestellt, es sind überwiegen Menschen aus ost-europäischen Staaten, Afrika und seit 2003 vor allem Türken (vgl. ebd.: 18ff).
Die Tabelle gibt Aufschluss über die zehn zugangasstärksten Herkunftsländer 2004:
Migration erfolgt aber auch nicht selten in der Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebenssituation. In diesem Fall ist es schwieriger, zwischen Freiwilligkeit und wirtschaftlichem Zwang zu unterscheiden. Die betroffenen Personen werden oft als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet, und ihr Menschenrecht auf Asyl wird in Frage gestellt.
Einen anderen Fall wirtschaftlich motivierter Migration stellt hingegen die Abwanderung hoch ausgebildeter und ökonomisch abgesicherter Fachkräfte dar, den sogenannten ²brain drain“. Brain drain bedeutet, dass qualifizierter Bevölkerungsschichten auswandern, wenn sie nicht die Möglichkeiten sehen, im eigenen Land eine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit zu finden und davon leben zu können. Brain drain führt oft zu einem Teufelskreis: Durch einen Mangel an qualifiziertem Personal verschlechtert sich die Attraktivität eines Standorts und die damit verbundene wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation noch weiter. Brain Drain findet auch zu Zeiten statt, in denen ansonsten der Migration strenge Regeln auferlegt sind, da trotz aller Einwanderungsbeschränkungen Experten noch immer gesucht sind (vgl. BÖHMER, S. 2006/ I).
Die folgende Form der Migration kann auch den eben erwähnten ´brain drain´ mit einbeziehen. Allerdings geht es in dieser Arbeit vor allem um die Migration unqualifizierterer Arbeiter, die in ihren Heimatländern keine Chance hatten einen Arbeitsplatz zu finden.
2.2.4. Arbeitsmigration
Der Focus liegt nun vor allem auf der sogenannten Arbeitsmigration oder auch Arbeitsemigration. Oft aufgrund mangelnder Arbeitsplätze und/oder der Aussicht auf ein “besseres“ Leben wandern Menschen aus ihren Heimatländern aus und suchen in der Fremde ihr Glück. Wie bereits erwähnt kann es sich bei Arbeitsmigranten um hoch qualifizierte Fachkräfte handeln, allerdings sind es laut Heckmann überwiegend wenig- oder unqualifizierte Personen, die im Einwanderungsland eine neue Existenz gründen wollen (vgl. HECKMANN 1992: 67).
Arbeitsmigration unterscheidet sich von den zuvor erwähnten Fluchtmigration durch die Freiwilligkeit der Migranten, ihren Wohnsitz zu wechseln, um durch den gleichzeitigen Wechsel des Arbeitsplatzes ihre soziale Stellung zu verbessern.
Man kann Arbeitsmigration noch in zwei Arten unterteilen:
1) Die sogenannte Binnenmigration, oder auch nationale Migration, innerhalb der Grenzen eines Landes (vgl. BpB 2005/ I).
2) Die Migration von einem Land in ein anderes, die internationale
Migration: „Internationale Migration ist eine spezifische Form räumlicher Mobilität. Herkunft und Ziel der Migranten liegen in verschiedenen Ländern. Dabei gelten nur jene Personen als internationale Migranten, die ihren Wohnsitz für eine bestimmte Mindestdauer oder für unbestimmte Zeit - eventuell für immer - ins Ausland verlegen. Touristen, Tages- oder Wochenpendler mit Arbeitsplatz im benachbarten Ausland und kurzfristig in einem andern Land beschäftigte Personen gelten somit nicht als internationale Migranten.“
(MÜNZ, R. 2000/ I)
Allerdings wird in dieser Arbeit nur der zweite Migrationstyp von Interesse sein. Internationale Migration ist besonders im 20. Jahrhundert zu beobachten und hat nicht nur Auswirkungen auf diejenigen, die ihre Heimat verlassen, sondern auch auf die Einwohner des Einwanderungslandes, da es durch vorher nicht vorhandene Sprachkontakte zu interkultureller Kommunikation "zwischen Menschen mit unterschiedlichem soziokulturellen Hintergrund" (STÖLTING-RICHERT, W., in AMMON, U. 1988: 1565) kommt, die aus sprachwissenschaftlicher Sicht aber insbesondere die Sprache der Migranten beeinflusst. Dieser Aspekt der Migration wird in Kapitel drei weitere Beachtung finden.
Der Bereich Migration im Bildungswerk des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes schätzt die Zahl der Arbeitsmigranten weltweit im Jahr 2000 auf etwa 25 - 30 Millionen Menschen (vgl. DGB 2007/ I). Heutzutage mögen die Gründe auch in der „zunehmenden Mobilität der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ” liegen, in „grenzüberschreitenden Konzerntätigkeiten und der Ausweitung von Arbeitsmärkten ”, und ganz allgemein in der Globalisierung (ebd.).
Auch für Deutschland haben diese weltweiten Wanderungsbewegungen Auswirkungen. So stellt sich die Frage, wie das Land die Entwicklung der letzten 50 Jahre vom Auswanderungs- zum Einwanderung-sland handhaben soll (vgl. ebd.).
Die große Migrationsphase der Arbeits-migranten begann in Deutschland während der 50er Jahre, als das Land während der Zeit des Wirtschaftswunders einen Mangel an Arbeitskräften erfuhr und Gastarbeiter aus dem Ausland anwarb. Allerdings kann man schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts Arbeitsmigration nach Deutschland feststellen. Ein überwiegender Teil der in Deutschland lebenden Menschen ausländischer Herkunft sind ehemalige Gastarbeiter und ihre Familien.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland
3.1. Einwanderungsland Deutschland
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die jüngste Vergangenheit ist Deutschland das Ziel von Migration. Vor dieser Zeit jedoch galt es als Auswanderungsland mit überwiegend Überseeauswanderung nach Nordamerika (vgl. BADE, K.J. 1983: 17ff). Nur zur Behebung des Arbeitskräftemangels wurden temporäre Saisonarbeiter aus Osteuropa nach Deutschland gebracht. Die „Ruhrpolen“ waren die ersten modernen Arbeitsimmigranten nach 1870/71 (vgl. SANDER, G., in MONTANARI, M. 2001: 15).
Während des Ersten Weltkrieges kam es zunehmend zum Einsatz von Kriegsgefangenen für die Rüstungsproduktion. 1918 waren etwa 2 Millionen sogenannte ²Fremdarbeiter“ im damaligen Deutschen Reich beschäftigt, allerdings wurden viele nach dem Krieg zur Rückkehr in ihre Heimatländer gezwungen (TERKESSIDIS, M. 2000: 10ff). In der Weimarer Republik setzten die Gewerkschaften das sogenannte Inländerprimat durch, das es vorrangig den deutschen Arbeitskräften gestattete, eine Beschäftigung aufzunehmen. Dies führte dazu, dass in den 1920er Jahren kaum mehr als 200.000 ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland kamen (vgl. ÖZDEMIR, 2000: 56ff). Der Zweite Weltkrieg stand im Zeichen der Zwangsarbeit durch Kriegsgefangene und Deportierte. Für die Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus wurden während des Zweiten Weltkrieges wurden Millionen Menschen zur Zwangsarbeit überall im Deutschen Reich eingesetzt.
Neben den Toten fanden sich gegen Kriegsende etwa 7,6 Millionen Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und überwiegend ausländische Häftlinge als KZ- Insassen im ²Arbeitseinsatz“ (vgl. ebd. 61ff). Zuwanderung nach Deutschland war demnach bis dato fast ausschließlich freiwillige und erzwungene Arbeitmigration.
Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg kann man etwa fünf größere Immigrationswellen beobachten:
- Flüchtlinge und Vertriebene
- Übersiedler
- Arbeitsmigranten
- (Spät-) Aussiedler
- Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge
Zwischen den Kriegsmonaten und 1950 flohen ca. 14 Millionen Deutsche aus Teilen des ehemaligen deutschen Reichsgebietes (vgl. NDR Online 2005/ I). 1944 begann durch Druck der Roten Armee die Massenflucht der Deutschen aus Ostpreußen und Schlesien, später auch aus Pommern, ab 1945 dann eine systematische Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten (vgl. ebd.). Von über 17 Millionen in den Ostprovinzen, Polen, den baltischen Staaten, Danzig, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien lebenden Deutschen gelang etwa 12 Millionen zwischen 1944/45 und 1950 die Flucht (vgl. ebd.). Dementsprechend groß stellte sich die Aufgabe der Integration, Unterbringung und Entschädigung dar:
„Der Zuzug von Vertriebenen und ihre Eingliederung in die Nachkriegsgesellschaft verliefen keinesfalls konfliktfrei. Im Rückblick ist dennoch eines klar: Für die Integration dieser Gruppe und ihre Akzeptanz durch die deutsche Nachkriegsgesellschaft spielte der erkennbar unfreiwillige Charakter dieser Wanderung, also die Vertreibung, eine ebenso wichtige Rolle wie die Tatsache, dass es sich dabei im ethnischen und rechtlichen Sinne um Deutsche handelte.“
(MÜNZ, R. 1999: 29f)
Ebenfalls Ende des Krieges setzte infolge der Teilung Deutschlands die zweite Immigrationswelle ein. Die ca. 4,5 Millionen sogenannten Übersiedler flohen aus der Ostzone und späteren DDR in die Westzone und späteren Bundesrepublik Deutschland. Aber es gab auch eine Gegenbewegung, denn zwischen 1949 und 1961 wanderten etwa 400.000 Menschen aus der BRD in die DDR aus (vgl. ebd.: 36ff).
Der Wandel in Deutschland seit dem späten 19. Jahrhundert vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland manifestierte sich in der jungen Bundesrepublik, nach der Integration von ca. 14 Millionen Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges.
Die größte Migrationswelle begann im Jahr 1955, als die Regierung der Bundesrepublik das deutsch- italienische Anwerbeabkommen unterzeichnete. Das anhaltende Wirtschaftswachstum seit Anfang der 1950er Jahre – das sogenannte „Wirtschaftswunder“ – und der Wiederaufbau des Landes sorgten dafür, dass es bald in fast allen Industriebranchen freie Arbeitsplätze gab (vgl. SANDER, G., in MONTANARI, M. 2001: 16f). Als dann im August 1961 der Bau der Berliner Mauer ein Ende nahm, wurden der ost- und westdeutsche Arbeitsmarkt auf einen Schlag komplett voneinander getrennt und der Bedarf an Arbeitskräften im Westen stieg weiter an. Also unterzeichnete die Regierung der Bundesrepublik nicht nur mit Italien Vereinbarungen, sondern auch mit anderen Mittelmeerländern (vgl. ÖZDEMIR, C. 2000: 28f). So konnte man die Anwerbung ungelernter Arbeitskräfte regeln und den Bedarf decken.
Die Anwerbungen erfolgten in Abhängigkeit der Wirtschaftlichen Lage der BRD, in den kommenden Jahren einigte sich Deutschland mit Griechenland, Spanien, der Türkei und Portugal auf ähnliche Vereinbarungen - und die Arbeitsmigranten kamen in Scharen (vgl. SANDER, G., in MONTANARI, M. 2001: 17). Schon 1964 kann der millionste ²Gastarbeiter“, Armando Sá Rodriguez aus Portugal, am Bahnhof Köln-Deutz feierlich begrüßt werden (vgl. ÖZDEMIR, C. 2000: 31). Der Begriff ²Gastarbeiter“ ist umgangssprachlich, die amtlichen Bezeichnungen damals sind ausländischer Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer aus den Anwerbeländern. Im Begriff schwingt die Vorstellung mit, dass "Gastarbeit" keine Dauererscheinung ist. Gast ist nur, wer nicht auf Dauer bleibt. Mittlerweile wird vorwiegend der Ausdruck "Arbeitsmigrant" verwendet.
„ [ … ] Der Mann aus Portugal machte während des turbulenten Empfangs ein Gesicht, als reute es ihn angesichts der Menschenmassen, aus seinem Heimatdorf in die Fremde gereist zu sein. Steif, mit verlegener Miene, übernächtigt und unrasiert, stand er nach 48stündiger Fahrt in blauer Hose und in braunem Rock vor den Kameras – und drehte den Hut in der Hand. [ … ] Star-Portugiese Rodrigues bekannte nach der offiziellen Begrüßung:
„Der herzliche Empfang und das Moped machen mir die Trennung von meiner Familie leichter.“ ”
Kölnische Rundschau 1964 (MOTTE, J. 2004/ I)
Die Lebensbedingungen der Gastarbeiter spielten keine vordergründige Rolle, da man ja auch nicht davon ausging, dass die Arbeiter längerfristig in Deutschland bleiben würden. Oftmals wurden sie in Wohnheimen und Baracken ohne Komfort untergebracht. Es kam sogar vor, dass die Baracken dieselben waren, in denen noch einige Jahre zuvor die Zwangsarbeiter leben mussten (vgl. ÖZDEMIR, C. 2000: 32f).
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- Francesca Lange (Author), 2007, Italienische Gastarbeiter der 2. Generation - eine Untersuchung zur Identität und bilingualer Kompetenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77610
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